Aber was thut denn ein Graf noch
außerdem, daß er den Titel bekommt?«
»Viele haben England regieren helfen, andre sind
tapfre Krieger gewesen, die in großen Schlachten gefochten
haben.«
»Das möchte ich auch,« rief Cedrik
begeistert. »Mein Papa war ein Soldat und sehr tapfer
– so tapfer wie George Washington. Vielleicht wäre
er auch deshalb ein Graf geworden, wenn er nicht gestorben
wäre. Ich bin so froh, daß Grafen tapfer sind.
Früher, da habe ich mich manchmal gefürchtet, im
Dunkeln, wissen Sie, aber da war ich auch noch sehr klein, und wenn ich
dann an die Soldaten in der Rev'lution und an George Washington gedacht
habe, da habe ich mich geschämt.«
»Ein Graf zu sein, hat hier und da noch andre
Vorzüge,« sagte Mr. Havisham bedächtig und
faßte den kleinen Lord mit einem eigentümlichen
Ausdruck ins Auge. »Es gibt Grafen, die sehr viel Geld
haben.«
Er war gespannt, ob der kleine Mann da vor ihm schon einen
Begriff von der Macht des Geldes habe.
»Viel Geld haben ist sehr nett,« sagte
Ceddie harmlos. »Ich wollte, ich hätte viel
Geld.«
»Wirklich? Und wozu denn?«
»Ach, wenn man Geld hat, kann man eine Menge Dinge
thun. Da ist gleich die Apfelfrau, zum Beispiel; wenn ich reich
wäre, würde ich ihr ein Zelt kaufen über
ihrem Stand und einen kleinen Ofen, und wenn's regnet, würde
ich ihr einen Dollar geben, dann könnte sie zu Hause bleiben.
Und dann – oh, einen Shawl würde ich ihr auch geben,
und dann thäten ihr die Knochen lange nicht mehr so weh. Sie
hat ja nicht Knochen wie wir, ihr thun alle weh, wenn sie sich nur
rührt, das ist sehr schlimm, wissen Sie. Wenn ich aber so
reich wäre, daß ich ihr all das kaufen
könnte, dann, glaube ich, würden ihre Knochen ganz
gesund!«
»Aha!« bemerkte Mr. Havisham. »Und
was würdest du denn sonst noch thun, wenn du reich
wärest?«
»O noch so vieles, vieles! Natürlich
würde ich Herzlieb schöne Sachen kaufen,
Nadelbücher und Fächer und goldne Fingerhüte
und Ringe und Konv'ationslexikon und eine Kutsche, damit sie nicht im
Om'ibus fahren muß. Wenn sie ein rosa Seidenkleid haben
möchte, würd ich ihr auch eins kaufen, aber sie will
immer nur schwarze Kleider haben, aber ich würde sie doch in
alle die großen schönen Läden
führen und sie müßte sich etwas
auswählen. Und dann Dick.«
»Wer ist denn Dick?« fragte Mr. Havisham.
»Dick ist Schuhputzer,« erläuterte
Seine kleine Herrlichkeit, sich mehr und mehr für seine eignen
Plane erwärmend. »Er ist ein so netter Schuhputzer,
Sie können sich gar nicht denken, wie nett! Er steht an einer
Straßenecke drunten, wo's in die Stadt geht, und ich kenne ihn
schon lange, lange. Einmal, als ich noch ein ganz kleiner Junge war,
bin ich mit Herzlieb ausgegangen, und sie hat mir einen
wunderschönen Ball gekauft, der sehr hoch sprang, und
plötzlich sprang er mitten hinein in die Straße unter
Wagen und Pferde und ich war so erschrocken, daß ich zu weinen
anfing – ich war damals noch sehr klein,« setzte er
entschuldigend hinzu – »und Dick putzte eben einem
Herrn die Schuhe und da rief er ›hallo‹! und rannte
mitten hinein unter die Pferde und holte meinen Ball und wischte ihn an
seinem Rock ab und gab ihn mir und sagte: ›Sei nur ruhig,
Kleiner.‹ Herzlieb fand das sehr schön von ihm und
ich auch, und seitdem sprechen wir immer mit ihm, wenn wir in die Stadt
gehen. Er sagt ›hallo!‹ und ich sage
›hallo!‹ und dann plaudern wir eine Weile und er
erzählt uns, wie sein Geschäft geht, schlecht genug
ist's gegangen in letzter Zeit.«
»Und was möchtest du denn für
diesen Dick thun?« forschte der Advokat und rieb sein Kinn mit
einem sonderbaren Lächeln.
»O,« sagte Lord Fauntleroy, sich mit einer
sehr wichtigen Geschäftsmiene in seinem Stuhle
zurechtrückend, »ich würde Jack
ausbezahlen.«
»Und wer ist denn Jack?« fragte Mr. Havisham.
»Er ist Dicks Kompagnons und einen schlimmeren kann
man nicht auf dem Halse haben, sagt Dick. Der Bursche verdirbt das
Geschäft, denn er bemogelt, und dann, sagt Dick, komme er
außer Rand und Band. Sie würden gewiß auch
wütend werden, wenn Sie den ganzen Tag Schuhe putzen
würden, so fleißig und so gut als möglich
und immer ehrlich dabei waren und Ihr Partner würde bemogeln
– pfui! Alle Leute mögen Dick leiden, aber kein
Mensch mag Jack leiden, und deshalb bleiben manche Kunden weg. Wenn ich
reich wäre, würde ich Jack ausbezahlen und Dick ein
Meisterzeichen kaufen. Er sagt, mit einem Meisterzeichen kann man's
weit bringen, und dann würde ich ihm auch neue Kleider kaufen
und neue Bürsten und würde ihm unter die Arme
greifen. Er sagt, wenn man einem Menschen nur anfangs unter die Arme
greift, dann geht alles wie geschmiert.«
Seine kleine Herrlichkeit trug diese Geschichte mit einer
rührenden Unbefangenheit und Zutraulichkeit vor, wiederholte
die Redensarten seines Freundes mit harmlosem Selbstgefühl und
setzte unbedingt bei seinem Zuhörer den wärmsten
Anteil an den Verhältnissen des jungen Schuhputzers voraus.
Und in der That wuchs Mr. Havishams Interesse bei jedem Worte, was
freilich vielleicht weniger Dick oder der alten Apfelfrau als dem
warmherzigen kleinen Lord galt, in dessen Köpfchen unter dem
goldnen Lockenbusch so viel Pläne fürs Wohl seiner
Freunde steckten, der dabei nur einen zu vergessen schien, und zwar
sich selbst.
»Und was würdest du denn dir kaufen, wenn du
reich wärest?«
»Ach, eine ganze Masse Sachen!« versetzte
Ceddie frischweg. »Aber erst würde ich der Mary Geld
geben für ihre Bridget, das ist ihre Schwester, die
zwölf Kinder hat und einen Mann, der nichts verdient. Sie
kommt oft zu uns und weint, und Herzlieb gibt ihr dann viele Sachen in
ihren Korb und dann weint sie wieder und sagt: ›Gott
vergelt's Madame; ach, so eine gute Dame.‹ Mr.
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