Wär’ es Tag, so lohnte sich schon die Mühe, den Gipfel des Felsens zu ersteigen. Man sieht dort das Treiben des Wassers. Die Bewegung ist völlig regellos; bald braust es in die Höhe, bald stürzt es herab; es springt über die Steine oder schießt schnell zwischen ihnen hindurch; an einer Stelle ist es schneeweiß, an der anderen grasgrün. Dann wieder stürzt es in tiefe Höhlen, daß die Erde dröhnt und zittert, oder es rieselt wie ein Bach dahin. Der Fluß scheint verändert. Anfangs fließt er so ruhig dahin, daß man denken sollte, er werde einen gewöhnlichen Wasserfall bilden. Plötzlich aber verändert er seine Richtung und prallt gegen das Ufer, an einzelnen Stellen scheint er rückwärts zu fließen, anscheinend unwillig, daß er sich mit dem Salzwasser vermischen solle. Aber wozu hilft ihm das alles? Hat das Wasser eine Zeitlang, wie ein eigensinniger Mensch, seinen Willen gehabt, so sammelt es wieder dieselbe Hand, die es erschuf, und ein wenig unterhalb können Sie es ruhig der See zufließen sehen, wie es ihm von Anbeginn der Welt bestimmt war.«
Die Reisenden nahmen sodann beruhigt die Abendmahlzeit ein. Unkas wartete den Damen auf, jeden kleinen Dienst, der in seinen Kräften stand, mit einem Gemisch von Anstand und Ängstlichkeit verrichtend, das Hayward sehr belustigte. Er wußte, daß das eine Abweichung von den Sitten der Indianer war, die es den Kriegern nicht gestatten, sich zu häuslichen Diensten, besonders für Weiber, herabzuwürdigen. Doch das Gebot der Gastfreundschaft wurde unter ihnen heiliggehalten. Die Dienste des jungen Häuptlings waren nicht völlig unparteiisch. Während er Alice die Kürbisflasche mit süßem Wasser und das Wildbret auf dem aus der Wurzel des Pfefferbaumes künstlich verfertigten Teller mit vieler Freundlichkeit anbot, ruhte sein dunkles Auge, wenn er ihrer Schwester den gleichen Dienst erwies, auf deren schönem, sprechendem Antlitz, und seine funkelnden Blicke bekamen einen sanften Ausdruck. Wenn er, selten genug, die Weißen anreden mußte, sprach er englisch, zwar gebrochen und fehlerhaft, aber doch verständlich in den tiefen, schönen Gutturaltönen seiner eigenen Sprache. Beide Mädchen betrachteten ihn jedesmal erstaunt und verwundert. Während der Mahlzeit wurden die Reisenden allmählich mit ihren neuen Freunden vertraut.
Während des Essens hatte Chingachgook sich dem Feuer näher gesetzt, so daß die häufig auf ihn gerichteten unruhigen Blicke seiner Gäste den natürlichen Ausdruck seines Gesichtes von den künstlichen, gemalten Schreckenszügen unterscheiden konnten. Vater und Sohn schienen einander ähnlich. Die Wildheit in dem Gesicht des Älteren schien jetzt zu schlummern. Es zeigte jene untätige Ruhe, die dem indianischen Krieger eigen ist, wenn seine Fähigkeiten nicht von irgendeinem höheren Lebenszweck in Anspruch genommen werden. Aus den Bewegungen aber, die zuweilen über sein dunkles Antlitz fuhren, ließ sich leicht schließen, daß es nur der geringsten Aufregung seiner Leidenschaft bedurfte, um der gräßlichen Malerei, die seine Feinde schrecken sollte, ihre volle Wirkung zu geben. Dagegen war das lebhaft umherblickende Auge des Kundschafters nur selten ruhig. Er aß und trank mit einer Begierde, die kein Gedanke an Gefahr stören konnte. Allein seine Wachsamkeit schien deshalb nicht nachzulassen. Mehrere Male, wenn er eben die Kürbisflasche oder ein Stück Fleisch zum Munde bringen wollte, blieb er unbeweglich sitzen, den Kopf seitwärts wendend, als höre er irgendeinen entfernten verdächtigen Ton.
»Kommen Sie, Freund«, sagte Falkenauge zu dem Psalmensänger, als die Mahlzeit zu Ende ging, und zog unter einem Haufen Laub ein Fäßchen hervor, »kosten Sie einmal diesen Fichtennadelschnaps! Er wird Ihre trüben Gedanken verscheuchen. Ich trink’ auf gute Freundschaft zwischen uns. - Wie heißen Sie denn?«
»Gamut - David Gamut«, erwiderte der Singmeister, wischte sich mechanisch den Mund, um seinen Kummer mit einem reichlichen Schluck von dem stark duftenden Getränk hinunterzuspülen.
»Ein guter Name«, stellte der Kundschafter fest, »und ich darf wohl sagen, gewiß ererbt von wackeren Vorfahren. Ich bin ein Liebhaber von Namen, obwohl die christlichen Gebräuche in dieser Hinsicht den Sitten der Wilden weit nachstehen. Bei einem Indianer ist das eine Gewissenssache, er ist das, was sein Name bedeutet. Das ist nicht immer wörtlich zu verstehen. Chingachgook zum Beispiel heißt Große Schlange und bedeutet, daß er der menschlichen Natur gemäß sich zu krümmen und zu winden weiß, daß er sich still verhält und seine Feinde trifft, wenn sie es am wenigsten erwarten.
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