- Welchen Beruf üben sie aus?«
»Ich bin ein unwürdiger Lehrer in der Kunst, die Psalmen zu singen, und gebe den Kindern der Miliz von Connecticut Unterricht im Singen.«
»Sie könnten eine bessere Aufgabe haben. Die jungen Dachse durchstreifen ohnedies nur zu oft lachend und singend die Wälder, in denen sie nicht lauter Atem holen sollten als ein Fuchs in seinem Bau. Können Sie den Degen führen oder mit der Büchse umgehen?«
»Gelobt sei Gott, daß ich nie veranlaßt ward, mich solcher Mordgeräte zu bedienen!«
»So verstehen Sie sich vielleicht auf Zirkel und Kompaß und können die Flüsse und Berge der Wildnis aufs Papier zeichnen, so daß die, die nach Ihnen kommen, alle Stellen durch die Namen wiederfinden, die Sie jenen gegeben haben?«
»Es ist nicht mein Amt«, erwiderte der Psalmensänger abweisend.
»Aber Sie haben doch ein Paar Beine, die doch in kurzer Zeit eine tüchtige Strecke zurücklegen können. Sie reisen vielleicht mit Nachrichten für den General?«
»Das ist nie der Fall! Nur meinem eigenen hohen Beruf folge ich, der darin besteht, Unterricht zu erteilen in der heiligen Musik.«
»Ein sonderbarer Beruf!« murmelte Falkenauge, innerlich lachend, »wie ein Spottvogel das Leben hinzubringen und alle hohen und tiefen Töne, die aus einer menschlichen Kehle kommen, durchzuhecheln. Doch, Freund, ich denke so: es ist nun einmal Ihr Talent, und das muß man so gut gelten lassen, als wenn Sie sich aufs Schießen oder auf sonst was Besseres verstünden. Lassen Sie einmal hören, was Sie in dieser Hinsicht leisten können; das ist die freundlichste Art, gute Nacht zu sagen. Denn es ist Zeit, daß die Damen sich zur Ruhe begeben, damit sie Kräfte sammeln zu der langen und beschwerlichen Reise, die wir ja morgen mit Tagesanbruch, ehe sich die Mingos regen, antreten wollen.«
»Mit vielem Vergnügen«, sagte David und zog sein Gesangbuch hervor. Dann begann er eine getragene Hymne zu singen, und die beiden Mädchen begleiteten ihn mit ihren schönen Stimmen. Das Rauschen des Wassers zog sich wie eine dumpfe Begleitung durch die Melodie hindurch, und die Höhle war erfüllt von dem Klang der biegsamen Stimmen.
Die Indianer blickten starr auf den Felsen hin, mit einer Aufmerksamkeit zuhörend, als wären sie in Stein verwandelt worden. Selbst die Gesichtszüge des Kundschafters, der, das Kinn auf die Hand gestützt, mit einem Ausdruck kalter Gleichgültigkeit dasaß, schienen allmählich heiterer zu werden. Sein finsterer Blick verschwand nach und nach, und als nun ein Vers dem andern folgte, fühlte er seine eiserne Natur bezwungen und durch die Erinnerung sich zurückversetzt in sein Knabenalter, wo er oft ähnliche Gesänge in den Niederlassungen der Kolonisten gehört hatte.
Die Sänger hielten eben einen jener tiefen dahinsterbenden Akkorde aus, die das Ohr so sehr entzücken, da erfüllte plötzlich ein Schrei von außen her die Luft, der weder menschlich noch irdisch zu sein schien und nicht nur bis in die tiefsten Winkel der Höhle, sondern auch in das innerste Herz aller Hörer drang. Gleich darauf trat eine tiefe Stille ein, als wäre das wildtobende und brausende Wasser selbst durch diesen furchtbaren Schrei aufgehalten.
»Was war das?« flüsterte Alice, nachdem sie eine Minute in furchtbarer Spannung geschwiegen hatte.
»Was war das?« wiederholte Heyward laut.
Weder Falkenauge noch die Indianer gaben irgendeine Antwort. Sie horchten, als erwarteten sie, daß der Ton sich wiederholen werde. Endlich sprachen sie eifrig in der Delawarensprache miteinander, worauf Unkas die Höhle vorsichtig verließ. Als er fort war, sagte der Kundschafter langsam auf englisch: »Das war ein unbekannter Schrei, niemand hat ihn bisher gehört, obwohl wir diese Wälder fast dreißig Jahre durchstreichen. Ich glaubte, es gäbe kein Geschrei, weder von einem Indianer noch von einem Tier, das meine Ohren nicht schon gehört hätten; aber dieser Ton hat mir bewiesen, daß ich töricht und eingebildet war.«
»War es nicht vielleicht ein Kriegsgeschrei?« fragte Cora, indem sie sich mit einer Fassung in ihren Schleier hüllte, die ihrer beunruhigten Schwester unbegreiflich war.
»Nein, dies war schlimmer und schrecklicher! Es war eine Art von übermenschlichem Ton. Nun, Unkas!« sagte er in der Delawarensprache zu dem jungen Häuptling, der wieder in die Höhle trat, »was siehst du? Kann man den Schein unseres Feuers durch die Vorhänge erblicken?« Die Antwort war kurz und bestimmt.
»Es ist draußen nichts zu sehen«, meinte Falkenauge kopfschüttelnd. »Unser Schlupfwinkel ist in Dunkelheit begraben. Geht also in die andere Höhle und versucht zu schlafen, denn ihr habt es nötig, da wir lange vor Sonnenaufgang schon wieder auf den Füßen sein und den größten Teil des Weges zum Fort Edward zurücklegen müssen, während die Mingos noch ihren Morgenschlaf halten.«
Cora ging sofort mit gutem Beispiel voran. Ehe sich aber die Frauen aus der Höhle entfernten, flüsterten sie noch Duncan den Wunsch zu, daß er ihnen folgen möchte. Unkas hob den Vorhang auf, um sie hindurchgehen zu lassen, und als die Schwestern sich umkehrten, um ihm für diese Aufmerksamkeit zu danken, sahen sie den Kundschafter, der, den Kopf auf die Hand gestützt, vor dem glosenden Feuer tief in Gedanken saß und über den unerklärlichen Schrei nachdachte.
Heyward nahm einen brennenden Ast mit sich, der ein düsteres Licht in die engen Räume der zweiten Höhle warf. Er befestigte ihn und trat dann zu den Frauen.
»Verlassen Sie uns nicht, Duncan«, sagte Alice, »wir können hier nicht schlafen, solange noch der furchtbare Ton in unseren Ohren klingt.«
»Wir wollen die Sicherheit der Höhle untersuchen«, erwiderte er, »und dann das Weitere besprechen.« Er ging zu dem hinteren Ausgang der Höhle, der ebenfalls durch einen Vorhang verdeckt war. Als der Major die dicke Decke weghob, wehte ihm frische und erquickende Luft vom Wasserfall her entgegen. Ein Arm des Flusses strömte gerade zu seinen Füßen durch eine enge Schlucht. Von dieser Seite waren sie vor jeder Gefahr sicher, zumal ein wenig höher der Strom mit äußerster Gewalt von Absatz zu Absatz schimmernd herabstürzte.
»Von dieser Seite her sind wir sicher«, erklärte Heyward den Schwestern, als er den Vorhang wieder herunterließ, »und da Sie wissen, daß gute und treue Männer an der anderen Seite Wache stehen, so sollten Sie wirklich versuchen zu schlafen.«
Cora, die sich neben Alice auf einem Lager von Sassafras niedergelassen hatte, antwortete ihm: »Es gibt noch andere Sorgen, die uns den Schlaf verscheuchen. Fragen Sie sich selbst, Heyward, ob Töchter wohl die Angst und Besorgnis eines Vaters vergessen können, der nicht weiß, wo seine Kinder in der Wildnis, umringt von so vielen Gefahren, umherirren?«
»Oberst Munro ist Soldat und weiß, was uns in diesen Wäldern zustoßen kann.«
»Er ist Vater, und kann sein Gefühl nicht verleugnen.«
»Wie zärtlich war er«, schluchzte Alice. »Wir waren selbstsüchtig, in dieser gefährlichen Zeit auf unserem Besuch zu bestehen!«
»Es war vielleicht voreilig, doch wollten wir ihm nur zeigen, daß, wenn auch andere ihn in seiner Lage verlassen mögen, seine Kinder doch treu zu ihm stehen.«
»Als er Ihre Ankunft in Fort Edward erfuhr«, sagte Heyward freundlich, »war er unentschlossen zwischen Furcht und Liebe. Dann sagte er aber zu mir: ›Das sieht der mutigen Cora ähnlich, ich will ihre Erwartungen nicht täuschen.‹ Wollte Gott, daß er, der die Ehre unseres königlichen Herrn hier verteidigen soll, nur halb soviel Entschlossenheit wie Sie besäße.«
»Sprach er denn nicht von mir, Heyward?« fragte Alice.
»Natürlich«, entgegnete der junge Mann. »Er gab Ihnen tausend zärtliche Namen. Einmal sagte er wirklich -«
Duncan schwieg plötzlich, denn während er Alice ansah, die sich mit der ganzen Innigkeit kindlicher Liebe zu ihm gewandt hatte, erklang wieder der starke und furchtbare Ton und ließ ihn verstummen.
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