Doch ist es nicht klug gehandelt für einen meines Amtes, wenn er sich mit jenen zu vertraut macht, denen er gute Lehren geben soll. Deshalb folge ich nicht dem Heereszug und habe mich entschlossen, einem Gentleman, wie Sie es sind, Gesellschaft zu leisten.«
»Ein höchst eigenmächtiger und recht voreiliger Entschluß!« rief Heyward, der nicht wußte, ob er noch schroffer werden oder dem Fremden gerade ins Gesicht lachen sollte. »Aber Sie sprechen von guten Lehren und von einem Amt. Sind Sie vielleicht dem Korps als Fechtlehrer angegliedert?«
Der Fremde antwortete verwundert, während sich jedes Zeichen von Selbstgefälligkeit in einem Ausdruck feierlicher Demut verlor: »Ich mache auf keine höheren Gaben Anspruch als auf meine geringe Kenntnis der glorreichen Kunst, die Bitte und Danksagung in den Psalmen abzusingen.«
»Dieser Mann ist offenbar ein Schüler Apollos!« rief Alice erheitert, »und ich nehme ihn unter meinen besonderen Schutz. Haben Sie Mitleid mit meiner Neugier, Heyward, und lassen Sie ihn mit uns reisen. Überdies«, fügte sie mit leiser Stimme hinzu, indem sie einen Blick auf die entfernte Cora warf, die dem schweigenden und mürrischen Führer folgte, »überdies haben wir so vielleicht einen Freund erhalten, der uns im Fall der Not helfen kann.«
»Glauben Sie, Alice, daß ich die, die ich liebe, einer Gefahr aussetzen könnte?«
»Nein, nein! Ich denke auch gar nicht an Gefahr, aber dieser Mann könnte mich mit ein paar Liedern unterhalten.« Sie sah den jungen Offizier bittend an, bis er sein Pferd anspornte und mit ein paar Sätzen wieder an Coras Seite war.
»Ich freue mich, Sie zu treffen«, sagte das Mädchen zu dem Fremden, indem sie ihm winkte weiterzureiten. »Während des Rittes werde ich gern Ansichten und Erfahrungen eines Meisters über Gesang und Musik hören.«
»Es erfrischt den Geist wie den Körper, sich zuweilen an der Melodie der Psalmen zu ergötzen«, erwiderte der sonderbare Meister des Gesangs. »Doch vier Stimmen sind für eine vollkommene Melodie nötig. Sie besitzen sicher einen sanften und vollen Diskant; ich kann mit einiger Anstrengung einen reichen Tenor bis zum hohen C hinaufführen. Aber wir brauchen Alt und Baß. Vielleicht könnte der königliche Offizier, der Bedenken trug, mich in seine Gesellschaft aufzunehmen, den Baß übernehmen.«
Alice unterdrückte ein Lachen. »Ich fürchte«, antwortete sie, »er ist mehr dem weltlichen Gesang zugetan. Das unruhige Soldatenleben weckt wenig die Neigung zu ernsthafteren Dingen.«
»Des Menschen Stimme wurde ihm, wie seine übrigen Gaben, verliehen, daß er sie brauchen, doch nicht mißbrauchen solle. Niemand kann von mir behaupten, daß ich je meine Gaben vernachlässigt hätte. Ich danke Gott, daß seit meiner Jugend nie ein roher Vers meine Lippen entweiht hat.«
»Sie haben sich also auf den frommen Gesang beschränkt?«
»So ist es. Ich verweile nie an irgendeinem Ort schlafend oder wachend, ohne ein Exemplar des neuenglischen Gesangbuches bei mir zu haben. Es ist die sechsundzwanzigste Ausgabe, die zu Boston im Jahre unseres Herrn 1744 unter dem Titel erschienen ist: Die Psalmen, Hymnen und geistlichen Gesänge des Neuen Testaments, in englische Verse übersetzt, zur öffentlichen und häuslichen Erbauung und zum Troste der Gottesfürchtigen, hauptsächlich in Neuengland.«
Damit zog der Fremde ein Buch aus der Tasche, und nachdem er eine in Eisen gefaßte Brille auf die Nase gesetzt hatte, öffnete er das Werk mit einer Sorgfalt und Ehrfurcht, die seinem heiligen Inhalt angemessen war. Dann begann er, ohne weitere Einleitung, mit klarer, voller Stimme eine Strophe eines frommen Liedes zu singen. Während des Gesanges begleitete der Fremde die getragene Melodie mit regelmäßigem Erheben und Senken der rechten Hand. In der Stille des Waldes klang seine Stimme ungewöhnlich laut, so daß der Indianer vorn Heyward einige Worte in gebrochenem Englisch zuflüsterte. Der Offizier winkte dem Fremden, aufzuhören.
»Wenn wir auch nicht in Gefahr sind, so müssen wir doch vorsichtig sein und so ruhig wie möglich reiten. Verzeihen Sie mir daher, Alice, wenn ich diesen Herrn bitte, seinen Gesang bis zu einer besseren Gelegenheit aufzuschieben.«
»Sie nehmen mir mein Vergnügen«, erwiderte das Mädchen spöttisch, »und zerstören den Zauber meiner Träumereien durch Ihren Baß!«
»Ich weiß nicht, was Sie meinen Baß nennen«, sagte Heyward etwas empfindlich, »aber so viel weiß ich, daß Ihre und Coras Sicherheit mir bei weitem mehr wert ist als eine ganze Symphonie von Händel.« Er schwieg und wendete sich plötzlich zu einem dichten Gebüsch, sah dann argwöhnisch auf den Indianer, der unverändert ernst weitertrabte. Der Engländer lächelte verächtlich, da er einsah, er habe sich getäuscht und eine hellschimmernde Waldbeere für die glänzenden Augen eines lauernden Wilden gehalten. Er ritt weiter und setzte das unterbrochene Gespräch fort.
Die Gesellschaft aber war kaum einige Schritte weitergeritten, als die Zweige des Dickichts behutsam niedergebogen wurden, und ein menschliches Antlitz voll wilder, ungezähmter Leidenschaft den Reisenden nachsah. Ein Frohlocken ging über die dunkelfarbigen Züge des Waldbewohners, als er der Spur seiner Opfer nachblickte, die arglos weiterritten. Die schlanken und anmutigen Gestalten der Frauen folgten unter den Bäumen den Krümmungen ihres Pfades, und hinter ihnen zeigte sich die männliche Figur Heywards. Der Psalmenträger war verdeckt durch die Baumstämme, die in düsteren Reihen zwischen ihm und den übrigen emporstiegen.
Drittes Kapitel
Am selben Tag saßen zwei Männer an den Ufern eines kleinen, doch reißenden Stroms, etwa eine Tagereise von dem Lager Webbs entfernt. Das weite Laubdach der Wälder dehnte sich bis zum Rand des Flusses hin. Die Strahlen der Sonne fingen bereits an, schwächer zu leuchten, und die Hitze des Tages hatte sich vermindert, als die kühleren Dünste der Quellen emporstiegen. Noch immer aber herrschte an dem einsamen Ort das lastende Schweigen, das die drückende Schwüle einer amerikanischen Landschaft im Juli kennzeichnet.
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