- »Da bewegt sich ein Paar von den stärksten Hirschgeweihen, die ich in dieser Jahreszeit gesehen habe, den Hügel hinunter! Nun, Unkas«, fuhr er halb flüsternd fort und mit einer Art von innerem Lachen, »ich will meine Tasche, dreimal mit Pulver gefüllt, verwetten, daß ich den Hirsch zwischen die Augen treffe, und zwar näher dem rechten als dem linken Auge.«

»Das ist unmöglich!« sagte der junge Indianer mit jugendlichem Ungestüm aufspringend. »Man sieht nichts als die Spitzen seines Geweihs!«

»Es ist ein Knabe!« versetzte kopfschüttelnd der Weiße, während er sich zu dem Vater wandte. »Glaubt er, daß ein Jäger, wenn er einen Teil von einem Tier sieht, nicht das verdeckte Ziel treffen könnte?«

Er legte sein Gewehr an und wollte eben einen Beweis von seiner Fertigkeit geben, als der Krieger ihm mit der Hand auf die Waffe schlug und sagte: »Falkenauge, willst du die Mingos herbeirufen?«

»Diese Indianer kennen die Wälder durch Instinkt!« erwiderte der Kundschafter, sein Gewehr sinken lassend und sich wegwendend wie jemand, der seinen Irrtum einsieht. »Ich muß den Bock deinem Pfeil überlassen, Unkas, sonst könnten wir ein Tier töten, bloß um die roten Spitzbuben damit zu füttern.«

In dem Augenblick, wo der Vater diese Aufforderung durch eine ausdrucksvolle Gebärde der Hand begleitete, warf sich Unkas auf die Erde und näherte sich dem Tier kriechend mit vorsichtigen Bewegungen. Als er sich einige Schritte weit von dem Schlupfwinkel befand, legte er mit der äußersten Sorgfalt einen Pfeil auf den Bogen, während sich das Geweih gegen den Feind sichernd bewegte. Gleich darauf hörte man das Schwirren der Sehne, ein weißer Streif fuhr in die Gebüsche, und der verwundete Bock stürzte aus seinem Hinterhalt dicht vor den Füßen seines verborgenen Feindes nieder. Dem Geweih des wütenden Tieres ausweichend, sprang Unkas zur Seite und stach ihm das Messer durch die Kehle, während der Bock am Ufer niederstürzte und die Fluten mit seinem Blute färbte.

»Das war mit indianischer Gewandtheit vollbracht!« sagte Falkenauge, voll Zufriedenheit innerlich lachend.

»Hugh!« rief sein Gefährte, sich plötzlich umwendend wie ein Jagdhund, der die Fährte des Wildes wittert.

»Bei Gott, da ist ja eine ganze Herde!« sagte der jagdfreudige Kundschafter. »Wenn sie sich so weit nähern, daß eine Kugel sie erreichen kann, so will ich eins von den Tieren schießen, und wenn alle sechs Stämme hier in der Nähe lauerten. Was horchst du denn, Chingachgook? Mein Ohr haben die Wälder taub gemacht.«

»Hier ist nur ein Wild, und das ist tot«, behauptete der Indianer, sich niederbeugend, bis sein Ohr beinahe den Erdboden berührte. »Ich höre aber Fußtritte!«

»Vielleicht haben die Wölfe das Wild in das Gebüsch getrieben und verfolgen nun seine Spur.«

»Nicht doch! Pferde der Weißen nahen!« erwiderte Chingachgook, indem er sich selbst mit Würde erhob und wieder seinen Sitz auf dem Baumstamm einnahm. »Falkenauge, es sind deine Brüder, sprich du mit ihnen.«

»Das will ich«, versetzte der Jäger. »Ja, es sind Tritte, ich hielt es erst für den Sturz des Wassers. Aber da kommen sie selbst.«

Viertes Kapitel

 

Ein Wildpfad wand sich durch ein kleines Tal und traf mit dem Strom gerade an dem Punkt zusammen, wo der Weiße und seine roten Gefährten sich gelagert hatten. Auf diesem Weg näherten sich die Reisenden, die die Stille des Waldes gestört hatten.

»Wer da?« fragte der Kundschafter und warf seine Büchse nachlässig über den linken Arm. Er legte den Daumen der rechten Hand an den Hahn, obgleich er damit jede Drohung zu vermeiden suchte.

»Freunde der gesetzlichen Ordnung und des Königs«, erwiderte der, dem Zuge voranritt. »Menschen, die seit Tagesanbruch in diesen Wäldern ohne Nahrung umhergezogen und erschöpft sind.«

»So habt ihr euch verirrt«, unterbrach der Jäger, »und habt gefunden, wie hilflos man ist, wenn man nicht weiß, ob man sich links oder rechts wenden soll.«

»Sie haben recht. Säuglinge sind nicht abhängiger von ihren Wärterinnen als wir von unserem Führer. Wie weit ist es bis zum königlichen Fort William Henry?«

»Ihr seid so weit von der Spur entfernt«, rief der Kundschafter beinah lachend, »wie ein Jagdhund, wenn der Horican zwischen ihm und dem Wild läge! Zum Fort William Henry! Wenn ihr Freunde des Königs seid und Geschäfte in der Armee habt, so wär’ es wohl am besten, ihr gingt längs dem Strom hinab zum Fort Edward und legtet Webb die Sache vor, der dort zögert, anstatt in die engen Pässe einzudringen und diese frechen Franzosen über den Champlain in ihre Höhlen zurückzutreiben.«

Ehe der Fremde auf diesen unerwarteten Vorschlag etwas erwidern konnte, sprengte ein anderer Reiter seitwärts durch das Gebüsch und lenkte sein Roß auf den Fußsteig.

»Wie weit haben wir denn bis Fort Edward?« fragte er. »Wir verließen dieses Fort heute morgen, und unser Ziel ist der Quell des Sees.«

»Da müßt ihr eure Augen verloren haben, eh ihr euren Pfad verlort; denn der Weg über den Bergrücken ist wenigstens zwei Ruten breit im Wald ausgehauen, und es ist eine so prächtige Straße wie irgendeine in London.«

»Wir wollen nicht über den Weg streiten«, erwiderte Heyward. »Es ist genug, wenn ich Ihnen sage, daß wir uns einem indianischen Führer überließen, der uns einen näheren, versteckteren Pfad führen wollte, und daß wir durch seine angebliche Kenntnis der Gegend getäuscht worden sind. Mit einem Wort, wir wissen nicht, wo wir uns befinden.«

»Ein Indianer sollte sich in den Wäldern verirrt haben!« sagte Falkenauge, zweifelnd den Kopf schüttelnd. »Die brennende Sonne auf den Wipfeln der Bäume, die vollen Ströme, das Moos an jedem Uferrand muß ihm ja sagen, wo der Polarstern nachts stehen wird. Die Wälder sind voll Fährten des Wildes, die zu den Strömen und Plätzen hinlaufen, die jedermann kennt. Es ist seltsam, daß ein Indianer sich zwischen dem Horican und dem Hudson verirren sollte. Ist er ein Mohikaner?«

»Nicht von Geburt, aber er ist in diesem Stamm aufgenommen. Ich glaube, sein Geburstort liegt mehr nördlich, und er gehört zu den Irokesen.«

»Hugh!« riefen die beiden Begleiter des Kundschafters, die unbeweglich und gleichgültig dagesessen hatten, jetzt aber aufsprangen.

»Ein Irokese!« wiederholte der Kundschafter, abermals sein Haupt bedenklich schüttelnd. »Das ist ein diebisches Gesindel! Man kann aus einem Irokesen nie etwas Besseres machen als einen Wegelagerer und Vagabunden. Wenn ihr euch der Obhut eines Menschen aus diesem Stamm anvertraut habt, wundere ich mich nur, daß ihr nicht mit noch mehreren zusammengeraten seid.«

»Damit hat es keine Gefahr, da William Henry noch so viele Meilen entfernt ist. Ihr vergeßt, was ich vorhin sagte, daß unser Führer jetzt ein Mohikaner ist und daß er in unseren Truppen dient.«

»Und ich sag’, wer als Mingo geboren ist, der stirbt auch als Mingo!« erwiderte der andere mit festem Ton. »Ein Mohikaner! Nein, da lob’ ich mir einen Delawaren oder einen echten Mohikaner, ihnen kann man trauen.