Im Vorübergehen sprach Heyward seinen Begleiterinnen mit wenigen Worten Mut zu und freute sich, sie zwar ermüdet von den Anstrengungen des Tages, doch von jedem Argwohn frei zu sehen. Gleich darauf kam er zu dem Platz, wo der trotzige Läufer noch immer an dem Baum lehnte.

»Du siehst, Magua«, sagte er unbefangen, »daß die Nacht einfällt und wir William Henry nicht näher als heut früh sind. Du hast den Weg verfehlt, und mir ist es nicht besser gegangen. Doch glücklicherweise haben wir einen Jäger getroffen - du kannst ihn mit dem Psalmensänger sprechen hören -, der die Fährten des Wildes und die Pfade der Wälder kennt. Er verspricht, uns an einen Ort zu führen, wo wir sicher bis zum Morgen lagern können.«

Der Indianer richtete sein funkelndes Auge auf Heyward und fragte in seinem gebrochenen Englisch: »Ist er allein?«

»Nein«, antwortete Heyward zögernd, »allein sicher nicht, Magua, denn du weißt ja, daß wir bei ihm sind.«

»So kann also Le Rénard subtil gehen«, erwiderte der Läufer kaltblütig, die bleichen Gesichter wollen nur Leute ihrer eigenen Farbe sehen.«

»Gehn? Wen nennst du denn Le Rénard subtil?«

»Es ist der Name, den seine Vorfahren aus Kanada Magua gegeben haben«, entgegnete der Läufer mit stolzer Miene. »Nacht und Tag sind Le Rénard subtil gleich, wenn Munro auf ihn wartet.«

»Welchen Bericht will dann Le Rénard subtil dem Befehlshaber von William Henry über seine Töchter geben? Wird er es wagen, dem hitzigen Schotten zu melden, daß seine Kinder ohne Führer sind?«

»Der Graukopf hat eine laute Stimme und einen langen Arm«, versetzte der Läufer, »aber wird Le Rénard subtil ihn in den Wäldern hören oder fühlen?«

»Doch was werden die Mohikaner sagen? Sie werden ihm Weiberröcke anziehen und ihn heißen, unter den Weibern zu bleiben; denn man kann ihm nicht mehr das Geschäft eines Mannes anvertrauen.«

»Le Rénard subtil kennt den Pfad zu den großen Seen und kann die Gebeine seiner Väter finden«, antwortete der ungerührte Läufer.

»Genug, Magua!« sagte Heyward. »Sind wir nicht Freunde? Was sollen diese kränkenden Worte zwischen uns beiden? Wenn die Damen sich erfrischt haben, wollen wir unseren Weg fortsetzen.«

»Die bleichen Gesichter machen sich zu Hunden ihrer Weiber«, murmelte der Indianer in seiner Muttersprache, »wenn sie essen wollen, müssen ihre Männer die Streitaxt ablegen.«

»Was sagst du?« fragte der Major.

»Le Rénard subtil sagt: es ist gut!«

Der Indianer richtete jetzt seine Augen scharf auf Heywards offenes Antlitz; als er seinem Blick begegnete, wandte er sie schnell ab, und während er sich bedächtig auf die Erde setzte, zog er aus einem kleinen Sack den Überrest einer früheren Mahlzeit hervor und fing an zu essen, nachdem er zuvor langsam und vorsichtig rings umhergeblickt hatte.

»So ist’s recht!« fuhr Hewyard fort. »Morgen früh wird Le Rénard subtil neue Kräfte und gestärkte Augen haben, um den Pfad zu finden.« Er schwieg, denn das Knistern dürrer Äste und das Rauschen der Blätter ließ sich in dem nahe gelegenen Gebüsch hören. Aber dann sprach er schnell gefaßt gleich weiter: »Wir müssen fort, ehe die Sonne aufgeht, oder Montcalm trifft uns auf dem Weg und schneidet uns vor der Festung ab.«

Maguas Hand sank von seinem Mund herab, und obgleich er seine Augen auf den Boden heftete, wandte er den Kopf seitwärts. Seine Nasenlöcher waren weit offen, und seine Ohren schienen sich wie gespannt aufzurichten.

Heyward, der seine Bewegungen wachsam beobachtete, zog nachlässig den einen Fuß aus dem Steigbügel, während er seine Hand zu seinem Pistolenhalfter ausstreckte. Er konnte aber den Punkt nicht entdecken, auf den sich die Augen des Läufers richteten. Während Heyward zögerte, was er tun sollte, stand der Verräter vorsichtig und geräuschlos auf. Heyward fühlte, daß er jetzt handeln mußte. Er schwang sich daher aus dem Sattel und stieg ab, behielt aber noch immer eine ruhige, freundliche Miene.

»Le Rénard subtil ißt ja nicht«, sagte er. »Ich will einmal sehen, vielleicht findet sich unter meinen eigenen Lebensmitteln etwas, was seiner Eßlust mehr zusagt.«

Magua hielt den Sack hin, um dem Anerbieten zuvorzukommen. Er duldete es, als ihre Hände zusammentrafen, ohne die mindeste Bewegung zu verraten oder seine aufmerksame Stellung zu verändern. Als aber Heywards Finger über seinen nackten Arm hinglitten, schlug er die Hand des jungen Mannes empor. Er stieß einen durchdringenden Schrei aus und stürzte sich mit einem einzigen Sprung in das gegenüberliegende Dickicht. Gleich darauf erschien Chingachgook in den Gebüschen und eilte quer über den Pfad. Einen Augenblick später erscholl der laute Ruf Unkas’, und der Wald wurde von einem plötzlichen Feuerstrahl erhellt, den der durchdringende Knall eines Schusses begleitete.

Fünftes Kapitel

 

Heyward blieb einige Augenblicke erstaunt und untätig stehen. Dann aber sprang er aufs Pferd und ritt in die nahen Gebüsche, sein Tier rasch antreibend. Doch hatte er kaum hundert Meter zurückgelegt, als er die drei Waldbewohner bereits von ihrer fruchtlosen Verfolgung zurückkommen sah.

»Warum habt ihr so schnell den Mut verloren?« sagte Heyward. »Der Schurke muß sich hinter einem von diesen Bäumen verborgen haben.«

»Wollen Sie dem Wind eine Wolke nachschicken?« erwiderte ärgerlich der Kundschafter. »Ich hörte den Satansgesellen über das dürre Laub hinschlüpfen wie eine schwarze Schlange und da ich ihn gerade über jener hohen Tanne flüchtig zu Gesicht bekam, spannte ich den Hahn und drückte ab, aber - es war nichts. Betrachtet einmal diesen Sumachbaum; seine Blätter sind rot, obwohl er im Juli gelb blüht.«

»Es ist das Blut Maguas. Er ist verwundet und kann vielleicht noch fallen.«

»Nein«, erwiderte der Kundschafter. »Ich verletzte ihm vielleicht nur die Haut, und eine Flintenkugel wirkt auf ein flüchtiges Tier, wenn sie es streift, wie Ihre Sporen auf ein Pferd.«

»Wir sind aber vier starke Leute gegen einen Verwundeten.«

»Sind Sie lebensüberdrüssig?« unterbrach ihn der Kundschafter. »Jener rote Teufel würde Sie nur unter die geschwungenen Streitäxte seiner Stammesgenossen locken. Es war eine unüberlegte Handlung, das Gewehr in der Nähe eines Hinterhaltes abzufeuern. Aber die Versuchung war zu groß.