Reeder schnell.
Sie nickte.
»Ja, ich sagte es doch. Die Scheine habe ich auf meiner Bank eingezahlt.«
Mr. Reeder war höchst interessiert.
»Haben Sie eine Ahnung, woher er das Geld hatte?«
»Leider nicht. Ich weiß nur, daß ein ganzes Bündel Banknoten in seiner Brieftasche steckte.«
Nachdenklich strich sich der Detektiv mit der Hand über das Kinn, erwiderte aber nichts.
»Ich habe mir gleich gedacht, daß da irgend etwas nicht stimmte«, fuhr sie nach einiger Zeit besorgt fort. »Schließlich redete ich mir ein, daß er sich das Geld irgendwo geliehen hätte. Dazu paßte aber nicht, daß er sehr niedergeschlagen war – er sagte mir sogar, daß er vielleicht für einige Monate England verlassen müsse, ich solle mir in einem solchen Fall aber keine Sorgen machen.«
»Wie war er denn früher?«
»Oh, er war immer vergnügt und gut aufgelegt. Erst im letzten Jahr hat sich das geändert, als die Grundstücke, mit denen er spekulierte, plötzlich an Wert verloren. Ich glaube, daß er sehr viel verdient hat, bevor der plötzliche Rückschlag kam.«
»Hat er viele Bekannte und Freunde in London?«
»Nein, aus Gesellschaft machte er sich eigentlich nie viel.«
»Aber einige gute Freunde hat er doch sicher gehabt?«
»Nicht, daß ich wüßte, Mr. Reeder. Ab und zu kam zwar ein Mann in unsere Wohnung, aber das war eigentlich kein Freund von ihm – wohl eine Geschäftsbekanntschaft.« Sie zögerte. »Ich weiß nicht, ob ich meinem Bruder damit schade, wenn ich Ihnen das alles erzähle. Er ist im Grunde ein ehrlicher Mensch und nimmt seine Pflichten sehr genau. Aber in den letzten Monaten muß er allerhand mitgemacht haben. Die Bodenpreise sanken immer mehr, und er war ganz verzweifelt. In dieser Verfassung hat er dann Dinge getan, an die er früher nie gedacht hätte. Er litt unter starken Depressionen, und eines Abends sagte er mir, daß es für ihn besser sei, sein Gewissen zu beruhigen – selbst wenn er tatsächlich über alle diese Schwierigkeiten hinwegkäme. Er schrieb dann einen langen Brief an die Direktion der Bank. Die halbe Nacht saß er vor seinem Schreibtisch, aber später änderte er seine Absicht und schickte den Brief nicht ab. Am Morgen las er ihn noch einmal durch und warf ihn hinterher ins Feuer. Ich habe das Gefühl, Mr. Reeder, daß er nicht mehr Herr seiner Entschlüsse war, sondern daß jemand hinter ihm stand, dessen Befehle er ausführte.«
Mr. Reeder nickte.
»Das glaube ich auch, Miss Reigate. Und wenn Ihr Bruder ein solcher Mensch ist, wie Sie ihn schildern, wird er uns bestimmt manches sagen können.«
»Er stand unter dem Einfluß eines anderen«, entgegnete sie, »und ich glaube auch zu wissen, wer der Betreffende ist.«
Obwohl er sie drängte, ihm nähere Auskunft zu geben, konnte er nicht mehr aus ihr herausbringen.
»Darf ich ihm etwas ins Gefängnis schicken?« fragte sie und erfuhr jetzt erst, daß jemand für ihn gebürgt hatte und daß er seither auf geheimnisvolle Weise verschwunden war. Sie kannte nicht einmal den Namen von Sir George Polkley, und soviel sie wußte, stand ihr Bruder in keinerlei Verbindung mit ihm.
»Übrigens kennt mein Bruder Sie, Mr. Reeder«, erklärte sie dann plötzlich zu seinem Erstaunen. »Er hat zweimal Ihren Namen erwähnt, und einmal sagte er mir sogar, daß er die Absicht habe, Sie aufzusuchen und mit Ihnen zu sprechen.«
»Das hat er aber nicht getan. Er ist nie in meinem Büro gewesen.«
»Nein, dorthin wäre er auch nicht gekommen – er wollte Sie in Ihrem Haus in Brockley aufsuchen.« Mr. Reeder konstatierte überrascht, daß sie sogar die Hausnummer wußte. »Er hat mir erzählt, daß er einmal schon vor Ihrer Haustür gestanden hätte, daß ihm aber im letzten Augenblick dann doch der Mut fehlte, mit Ihnen zu sprechen.«
»Wann war das?«
»Vor ungefähr einem Monat.«
Als Mr. Reeder an diesem Abend nach Hause kam, war er sehr unzufrieden mit sich.
1 comment