Er lebte mit einer Halbschwester, die ihm den Haushalt führte, in einer kleinen Wohnung in Hamstead und hatte anscheinend keine Untugenden. Die meisten Abende verbrachte er zu Hause; er trank nicht, und sogar sein Zigarettenverbrauch war nur mäßig.
Dies alles entnahm Mr. Reeder dem Bericht des Bankdetektivs. Er prüfte auch die anderen Berichte sorgfältig, denn gerade aus Kleinigkeiten ließen sich oft wichtige Schlüsse ziehen.
Schließlich landete er mit seinen Überlegungen wieder bei Mr. Reigate. Er hatte das Gefühl, daß es sich lohnen würde, diesem Mann ein wenig auf den Zahn zu fühlen.
Mit seinen Nachforschungen hatte er bald Erfolg. Schon in der dritten Bank, bei der er anfragte – es handelte sich um eine kanadische Firma, erfuhr er, daß dort ein Auftrag vorlag, in den nächsten Tagen eine große Summe englischen Geldes in Dollars umzuwechseln. Der Auftrag war allerdings nicht von einem Bankbeamten, sondern von einem Kunden der Bank, bei der Mr. Reigate tätig war, erteilt worden. Mr. Reeder setzte seine Ermittlungen mit größter Vorsicht fort, und es gelang ihm, noch einen zweiten ähnlichen Auftrag desselben Mannes festzustellen.
Nun trug er dem Bankdirektor die Angelegenheit vor. Er erfuhr, daß Reigate ein sehr gewissenhafter junger Mann war, dem man außer Grundstücksspekulationen nichts vorwerfen konnte.
»Wer ist denn der Leiter dieser Bankfiliale?« fragte Mr. Reeder dann.
»Ein sehr tüchtiger Bankbeamter, dem man außer einer gewissen Neigung zum Jähzorn nichts nachsagen kann. Da er sich außerdem stets nur im Interesse der Bank aufregt, können wir uns nicht ernsthaft über ihn beschweren.«
Der Geschäftsführer, von dem hier die Rede war, hieß Wallat. Er hatte in derselben Woche ein sonderbares Erlebnis. Zu seiner Verwunderung erhielt er nämlich einen Brief von einem Herrn, auf dessen Namen er sich nicht besinnen konnte, der aber allem Anschein nach ein guter Kunde der Bank sein mußte. Der Brief lautete wie folgt:
›Ich möchte mich bei Ihnen erkundigen, ob Sie nicht auf einer Luxusjacht eine vierzehntägige Erholungsreise nach Norwegen machen wollen. Einer meiner Geschäftsfreunde hat zwei Plätze belegt, ist aber leider verhindert. Er hat die Plätze mir zur Verfügung gestellt, und ich kann sie ganz nach Belieben einem meiner Freunde überlassen. Da Sie mir in der letzten Zeit manchen Gefallen getan haben, möchte ich mich gern erkenntlich zeigen und sie Ihnen anbieten. Wahrscheinlich wissen Sie gar nicht, was Sie für mich getan haben, aber ich darf Ihnen versichern, daß Sie mir als einem alten Kunden Ihrer Bank – meinen richtigen Namen will ich nicht nennen – schon verschiedene Dienste erwiesen haben. Bitte nehmen Sie mein Angebot also an, Sie würden mir damit eine große Freude machen.‹
Merkwürdigerweise hatte Mr. Wallat eine Woche vorher gesprächsweise erwähnt, daß er sehr gerne einmal nach Norwegen fahren würde. Nun bot sich ihm plötzlich diese Gelegenheit! Er war zwar ein wenig verwundert, gab sich schließlich aber mit dem Gedanken zufrieden, daß es sich sicher um einen kauzigen reichen Sonderling handelte, wie sie ihm in seinem Beruf schon öfters begegnet waren.
Sein Urlaub war fällig, und Wallat stellte sofort bei der Direktion den Antrag, ihn antreten zu dürfen. Selbstverständlich erhielt er die Genehmigung und traf darauf in aller Eile seine Reisevorbereitungen.
Das Schiff sollte am Donnerstagabend in See stechen, und der Geschäftsführer brachte noch schnell verschiedene laufende Bankangelegenheiten in Ordnung. Am Dienstagmorgen hatte er plötzlich den Einfall, die Bücher noch einmal zu überprüfen, damit er auch wirklich ganz beruhigt fortfahren könne.
Was er dabei fand, jagte ihm einen so furchtbaren Schrecken ein, daß er alle Gedanken an eine Urlaubsreise vergaß. Am Mittwoch ließ er Mr. Reigate zu sich kommen, und der junge Mann war starr vor Entsetzen, als ihm sein Vorgesetzter alle Unregelmäßigkeiten vorhielt, die er begangen hatte.
Mr. Wallat war völlig außer sich, drohte mit sofortiger Anzeige bei der Polizei und rief auch tatsächlich das nächste Polizeirevier an, ohne sich zu überlegen, daß eine solche Entscheidung eigentlich nur die Direktion der Bank treffen konnte. Die Folgen waren nicht erfreulich, denn als er den Hörer wieder auflegte, mußte er entdecken, daß Reigate das Zimmer bereits verlassen hatte.
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