und wenn ich jetzt denk', daß das alles für nix war, daß 's letzte, was sie begehrt, nit sein soll, daß man sie – als Selbstmörderin – außer'n Friedhof, wie ein' Hund, verscharren wird!
HELL fährt empor, Sepps Schultern mit beiden Händen anfassend. Sepp, Sepp, was willst du denn aus mir machen?! Nicht dir, noch irgend einem weigere ich die geweihte Erde für seine Toten! O, Sepp, kennst du mich denn gar so wenig, daß du nicht wußtest, bevor du deine Bitte vorgebracht, daß ich nicht nein sagen werde, nicht kann, ja nicht darf, wenn jene Stimme in mir recht hat, die laut aufschreit über diese letzte Barbarei, an dem Wehrlosesten, nicht an dem Toten, an den unser Gericht nicht mehr reicht, nein, an den trauernden Hinterbliebenen, in deren vor Weh erzitterndes Herz wir den glühenden Stachel der Unduldsamkeit drücken! Laß das – davon nichts mehr, Sepp! Deine Furcht war kindisch, deine Bitte ehrt dich, deine arme Mutter soll ehrlich begraben werden.
SEPP sieht ihn groß an. Verzeih mir, Pfarrer, so hab' ich dich nit 'glaubt, du redst viel anders als der frühere; aber die Leut' im Ort denken vielleicht doch noch so wie der! Bitter. Und ich, grad ich, hab's sein müssen, der dir's abg'red't hat!
HELL. Beruhige dich, ich werde ja selbst die Leiche zu Grabe geleiten, ich werde für die Tote sprechen, ich werde die Gemeinde für sie beten lassen und alle werden sie Amen sprechen und keiner wird ihr die geweihte Scholle neiden.
SEPP faßt Hells Hände zitternd in seine beiden. So thust du an mir?! – Das vergiß ich dir all mein Lebtag net! Ich dank' dir zu tausend- und tausendmal! Wendet sich.
HELL. Noch eins, Sepp, ich habe an dich eine Bitte.
SEPP. Du an mich?
HELL. Wenn man die Leiche deiner Mutter zur Kirche bringt, so wirst du nicht außen bleiben können; du wirst sie nach langer Zeit wieder einmal betreten müssen; solltest du etwa Stimmen um dich flüstern hören: daß du nun doch einmal dort bist, so bitte ich dich, verzeihe das, laß dir deinen Schmerz nicht durch ein Gefühl der Demütigung verbittern, denn du kommst ja nicht mir, dein Kommen bereitet mir keine Freude; du kommst ja auch nicht zurück, denn dir steht es frei, zu gehen und wieder fern zu bleiben, wie früher, als ob du nie gekommen wärest.
SEPP ergriffen. Du redst ein' in die Seel' hinein, als ob d' wüßt', was einer sich z' tiefst drein denkt. O du mein Gott, wann du früher kämma wärst, ich wär' nit a so, wie ich jetzt bin!
HELL. Und mußt du denn so bleiben, wie du bist? Sepp, ich habe dich lange gesucht und du wolltest dich nicht finden lassen, und heute suchtest du mich und ich glaube, du hast mich gefunden, wie du mich gesucht hast! Geh darum nicht von mir, ohne mich gehört zu haben. Ich weiß, dir ist in der Zeit des Leidens der Funke der Hoffnung ausgegangen, wie ein Licht, das die Nacht nicht überdauern kann, und der aufsteigende Qualm verschleierte dir den Glauben. Der göttliche Funke kam von oben und wenn er nimmer in dir glimmt, hab' ich ihn anzufachen keine Macht; du glaubst zurückweisen zu können, was Tausenden zu glauben und zu hoffen Trost bringt, und siehe, ich dringe nicht in dich und rufe: glaube und hoffe! Aber eins, Sepp, kannst du nicht zurückweisen, du bedarfst's – du bedarfst es, du hast es bei mir gesucht mit Bangen und Zagen, du rufst es nun bei allem an, dir bringt es Trost, daß ich keinen Vorwurf, kein hartes Wort für dich habe, dir thut es wohl in deinem Leid, daß das ganze Dorf noch wach und betend auf ist – nenn es, wie du willst, nenn es Teilnahme, Mitleid, Erbarmen, es ist eins: es ist die Liebe – es ist die Menschenliebe! O laß dich halten an diesem einzigen Faden, den ich habe, dich zu binden, laß dich herausführen aus deinen Wildnissen, in denen du selbst verwilderst, heraus wieder zu uns, aus der Vereinsamung in die Gemeine – sei wieder unser! Was verlange ich denn von dir, das ich dir nicht wieder zu geben bereit bin? Sei wieder für alle, damit alle wieder für dich seien! Die Arme nach ihm ausstreckend. Willst du, Sepp?
SEPP mit voller Leidenschaft seine Kniee umfassend. Mach du mit mir, was du willst; – du – du bist doch der Rechte!
Gruppe.
Vierter Akt.
In der Tiefe Wald mit mächtigen Föhren, darüber Gebirge. Etwas weiter vorne rechts das Portal der Dorfkirche, die vom Dorfe abseits liegt, dessen letzte Hütten man links rückwärts noch gewahrt, von welchen über einen Bach ein breiter praktikabler Steg schief gegen den Vordergrund rechts führt. Links ganz vorne ein Baum, vor welchem eine Rasenbank. Morgendämmerung.
Erste Scene.
HELL während der Vorhang aufgeht, sieht man denselben über den Steg schreiten; er kommt gedankenvoll nach links – aufatmend. Waldeinsamkeit! Hier erwarte ich den Tag, hier ist es still und ruhig ringsumher, hier will ich mein Inneres durchblättern wie ein Buch, in dem man nach verbot'nen Stellen fahndet! ... Im Dorfe ist mir's schon zu lebendig, dort rüsten sie sich zu dem Ehrentage, dem Ehrentage der Brautleute und meinen, der den Schlußstein auf das lang schon wieder gewonnene Vertrauen der Gemeinde setzt. Wendet sich. Dort liegen die letzten Häuschen des Ortes im Morgengrau und jenes, vor dem ein Hügel Gerberlohe liegt, es ist das Wurzelsepps, aus ihm ist doch der alte Gerbersepp geworden. Kein Mißton quält mich mehr, ich habe wieder Herz und Hände frei. Gegen das Dorf. Da drinnen ist alles mit mir in Ordnung, Auf sein Herz. warum denn nicht auch hier? Was ist es denn, das in mir nun auch noch die Anerkennung meiner Obern fordert? Ehrsüchtig war ich sonst doch nie und dachte nie daran, erfüllte Pflicht mir lohnen zu lassen! Ein ander's ist's, ein böser Gast ist bei mir eingekehrt – der Zweifel! Den Keim dazu, den legten Briefe meines Gönners, des Propstes aus Rom, in denen er mir sanft abrät, die Wege zu verfolgen, die ich bisher ging – und vollends großgezogen wurde er, als ich es sehen mußte, daß eben jenen Anerkennung und Auszeichnung ward, die nicht meine Wege gingen. Der Propst, er schreibt: bald würde alles klar, denn neue Meilenzeiger würden jetzt zu Rom gesetzt – geh' ich denn in der Irre, ohne es zu wissen? Das alles paßt zu dem, was jener Finsterberg mir sagte; macht denn heutzutage Aberwitz uns klug? Schlimm, schlimm, wenn ich an mir selber zweifeln müßte, und schlimmer, müßte ich's an andern –! Da – da – angesichts des schweigenden Waldes und der starrenden Berge, Hell, mach es dir klar, ob je ein Schritt, den du gethan, verstoßen hat gegen heil'ge Satzung. – Diese Föhren, diese Berge, an deren Fuße du jetzt der Sonne wartest, sie waren ja schon einmal – – mondbeglänzt – die Zeugen jener Nacht, wo du vor dir selbst geflohen, wo du vor Schmerz verzagend dort in ihrem Schatten saßest – und – Böllerschuß. Echo in den Bergen.
1 comment