Wir werden uns leichter verstehen, wenn wir uns ganz auf den Boden der Wirklichkeit begeben. Es geht nicht anders. Wenn ich mir erlauben dürfte, Sie auf Fehler aufmerksam zu machen, die Sie bisher in Ihrer Amtsthätigkeit gemacht, das dürfte Ihnen vielleicht besser frommen, als mein theoretischer Kurs.

HELL. Ei, ganz gewiß.

FINSTERBERG. Da ergibt sich ganz von selbst ein kleines Normale, denn durch Schaden wird man klug.

HELL. Jawohl, jawohl; doch dünkt mich das noch immer besser, als man wird – durch Nutzen dumm! Ich bitte, meine Fehler!

FINSTERBERG. Ja, ja, lassen Sie mich nur besinnen!

HELL. Sind ihrer so viele?

FINSTERBERG. Das nicht, das nicht, hähähä! Für sich. Mir scheint, der schraubt mich. Trocken belehrend. Ich will bei Ihrem größten Fehler, weil unverzeihlichsten, beginnen, wenn auch die andern gerade nicht die kleinsten sind. Jetzt, wo rings im Lande die fromme Stimmung im schönsten Flusse ist, wo das Volk zu den Versammlungen wallfahret, warum halten Sie Ihre Gemeinde davon ab?

HELL. Das thu' ich, ja, und heut und morgen thu' ich's und immer wieder. Das ist eine selbstmörderische Bewegung gegen das sich verjüngende Vaterland.

FINSTERBERG. Was Vaterland – mit solchen Gesetzen? Herr, dort ist unser Vaterland, jenseits Weist gegen die Berge, verbessert aber rasch die Richtung des Armes gegen den Himmel. das heißt dort, dort ist unser Vaterland, jenseits! Was wollen Sie? Die Gesetze der Kirche und die Gesetze des Staates dürfen nicht miteinander in Kollision geraten!

HELL. Sonst heben sie sich gegenseitig auf, das war auch meine Furcht, darum handelte ich so und anders nicht!

FINSTERBERG. Schreckt Sie der Kampf? Pah, die Kirche hat dabei nichts zu fürchten, die Kirche ist ewig!

HELL. Der Mensch jedoch ist's nicht, sollen alle Segnungen und Tröstungen der Kirche für diese und vielleicht für mehrere Generationen sistiert werden – und warum? Um Sturm zu laufen gegen das Vaterland? Herr, das kann niemand fordern!

FINSTERBERG. Man kann's, man wird's! Glaubt Ihr, umsonst ist jetzt die ganze Christenheit zu Rom versammelt? Von dort wird Euch der Tagbefehl und, Hell, ich rat's Euch gut, dem gehorcht!

HELL schmerzlich. Also doch?! Wie oft schon lag wie hier das Morgengrau, eine nahende, neue Zeit, über der schweigenden Erde, da traten sie zur Kirche heran, die vorwärtsdrängenden Gestalten, da bot Calvin, da bot der Wittenberger Mönch die Hand, jedoch die Hand ward nicht erfaßt, der Schritt ward vorwärts nicht gethan; in dem Entsetzen, das die Lenker faßte, geschah er stets zurück! Zum Himmel. Und doch, die Sonne neuer Zeit, sie fand noch immer deine Kirche, o laß sie jetzt doch nimmermehr sündigen auf ihre Ewigkeit!

FINSTERBERG. Das ist Gefasel, junger Mann; wer sündigt je durch festes Vertrauen auf eine heilige Verheißung! Aufrecht muß sie erhalten werden, die alte Ordnung mit allen Mitteln, die uns zu Gebote stehen, das fordert diese Zeit; gestützt, gestachelt müssen die Schwachen, genährt die Feuergeister werden, das hat man als notwendig erkannt. Wißt Ihr vielleicht es besser, was der Herde frommt, als die, die deren Hirtenstäbe führen?

HELL. Und sind sie denn darüber so einig, alle, alle wie ein Mann?! Und warum, warum frag' ich Euch, könnt' ich es nicht am Ende besser wissen, als wie ein anderer, der meinen Sprengel nie mit Augen sah? Warum gerade sollen wir nicht wissen, was da not thut, wir, die wir dem gläubigen Volke unvermittelt, unvertreten bei Tag und Nacht, in Frost und Glut zur Seite stehn? Wir trösten sie auf ihren Sterbelagern, wir stehen an den Wiegen ihrer Kinder, wir segnen sie am Traualtare, wir nehmen unters Beichtsiegel, was sie reuzerknirscht in unsere Ohren flüstern – und wir, wir sollten es nicht wissen, was in des Volkes Herzen pocht und hämmert?! Wenn's sonst in der Welt gestürmt hat und getobt, wenn's rings von Zwiespalt und von rauhen Kämpfen widerhallte, da konnten die Bedrängten noch zur Kirche flüchten, da standen die zwei gewaltigsten Gedanken Wacht, die je ein sterblich Gehirn erfaßte, die Ewigkeit, der Gottgedanke, in ihrer Größe schmolz die Zeit und alle Not und Sorge, wie Schnee auf den Gebirgen vor der Maiensonne, und Frühling ward's in den kummervollen Herzen! – Nun lasset die Beladnen kommen! – Nun setzt sich in der Kirche fort der Kampf des Tages, das heilige Buch ist von der Kanzel ganz verschwunden und wie wenn er sie als Verlobte verkündigen wollte, wirft der Prediger den Glauben und die Politik von der Kanzel unters Volk. Wollt Ihr der Sorge und der Not ihr heiliges Asyl, die Kirche, rauben? O, seht doch zu, was Ihr beginnt! Ich hab's zum öftern gesagt nach der Schrift: »Der Obrigkeit sollt ihr gehorchen.« Soll ich nun sagen: Der Obrigkeit sollt ihr nicht gehorchen? Ich hab' gesagt, für eure Feinde sollt ihr beten – sag' ich nun das Gegenteil? Soll ich statt Trost den Zweifel bieten, statt Friede Zwiespalt säen? Und was nun, wenn sie kommen fragen: Sind meine Eltern selig, die dort auf dem kleinen Friedhof ruhn? Was sag' ich, sag' ich ja oder nein? Sag' ich ja, so werden sie erwidern: Die haben all das nicht geglaubt, was du uns nun sagst und sind doch selig, so brauchen wir es auch nicht zu glauben! Sag' ich nein, so treff' ich sie ins Herz und sie werden fragen, warum man denn nach Christi Geburt schon 1800 schreibt, da der Erlöser heut doch erst gekommen und niemand früher selig werden konnte?! Und die, die gar nicht fragen kommen, die haben wir wohl nötiger, wie sie uns, ganz wirklich, Herr, nicht bildlich gesprochen.

FINSTERBERG verbissen. Wie Ihr bei solcher Ansicht noch in unserer Gemeinschaft bleiben mögt, begreif' ich nicht.

HELL. Das ist's, so war's noch immer! Wenn einem sein Gewissen höher galt, als Euer Meinen und heiliger sein Beruf, als Euer Vorteil, da saht Ihr zu, wie er mit Geschick wohl zu verlieren war, dann hieß es: Er war ein Apostat! Mit Denkenden unter Euch könnt Ihr nur in zwei Arten rechnen, als Gleichgültige oder Abtrünnige löst Ihr sie auf; ich bin weder zu dem einen noch zu dem andern zu gebrauchen, ich bleibe, wie ich bin!

FINSTERBERG. Dann hütet Euch vor der Exkommunikation!

HELL auffahrend.