Eine Pause der Verwirrung.

 

SOPHIE indem sie an der Rose riecht.

Hat einen starken Geruch. Wie Rosen, wie lebendige.

OCTAVIAN.

Ja, ist ein Tropfen persischen Rosenöls darein getan.

SOPHIE.

Wie himmlische, nicht irdische, wie Rosen

vom hochheiligen Paradies. Ist Ihm nicht auch?

OCTAVIAN neigt sich über die Rose, die sie ihm hinhält; dann richtet er sich wie betäubt auf und sieht auf ihren Mund.

SOPHIE.

Ist wie ein Gruß vom Himmel. Ist bereits zu stark!

Zieht einen nach, als lägen Stricke um das Herz.

Wo war ich schon einmal

und war so selig!

OCTAVIAN zugleich mit ihr wie unbewußt und leiser als sie.

Wo war ich schon einmal

und war so selig?

SOPHIE.

Dahin muß ich zurück! und wärs mein Tod.

Wo soll ich hin,

daß ich so selig werd?

Dort muß ich hin und müßt ich sterben auf dem Weg.

OCTAVIAN die ersten Worte zugleich mit ihren letzten, dann allein.

Ich war ein Bub,

wars gestern oder wars vor einer Ewigkeit.

Da hab ich die noch nicht gekannt.

Die hab ich nicht gekannt?

Wer ist denn die?

Wie kommt sie denn zu mir?

Wer bin denn ich? Wie komm ich denn zu ihr?

Wär ich kein Mann, die Sinne möchten mir vergehn.

Aber ich halt sie fest, ich halt sie fest.

Das ist ein seliger, seliger Augenblick,

den will ich nie vergessen bis an meinen Tod.

 

Indessen hat sich die Livree Octavians links rückwärts rangiert, die Faninalschen Bedienten mit dem Haushofmeister rechts. Der Lakai Octavians übergibt das Futteral an Marianne. Sophie schüttelt ihre Versunkenheit ab und reicht die Rose der Marianne, die sie ins Futteral schließt. Der Lakai

mit dem Hut tritt von rückwärts an Octavian heran und reicht ihm den Hut. Die Livree Octavians tritt ab, während gleichzeitig die Faninalschen Bedienten drei Stühle in die Mitte tragen, zwei für Octavian und Sophie, einen rück- und seitwärts für die Duenna. Zugleich trägt der Faninalsche Haushofmeister das Futteral mit der Rose durch die Mitteltüre ab. Sophie und Octavian stehen einander gegenüber, einigermaßen zur gemeinen Welt zurückgekehrt, aber befangen. Auf eine Handbewegung Sophies nehmen sie beide Platz, desgleichen die Duenna.

 

SOPHIE.

Ich kenn Ihn schon recht wohl.

OCTAVIAN.

Sie kennt mich, ma cousine?

SOPHIE.

Ja, aus dem Buch, wo die Stammbäumer drin sind, mon cousin.

Dem Ehrenspiegel Österreichs.

Das nehm ich immer abends mit ins Bett

und such mir meine künftige Verwandtschaft drin zusammen.

OCTAVIAN.

Tut Sie das, ma cousine?

SOPHIE.

Ich weiß, wie alt Euer Liebden sind:

Siebzehn Jahr und zwei Monat.

Ich weiß alle Ihre Taufnamen: Octavian Maria Ehrenreich Bonaventura Fernand Hyazinth.

OCTAVIAN.

So gut weiß ich sie selber nicht einmal.

SOPHIE.

Ich weiß noch was.

 

Errötet.

 

OCTAVIAN.

Was weiß Sie noch, sag Sie mirs, ma cousine.

SOPHIE ohne ihn anzusehen.

Quin-quin.

OCTAVIAN lacht.

Weiß Sie den Namen auch?

SOPHIE.

So nennen Ihn halt seine guten Freund

und schöne Damen, denk ich mir,

mit denen er recht gut ist.

 

Kleine Pause.

 

SOPHIE mit Naivität.

Ich freu mich aufs Heiraten! Freut Er sich auch darauf?

Oder hat Er leicht noch gar nicht drauf gedacht, mon cousin?

Denk Er: Ist doch was anders als der ledige Stand.

OCTAVIAN leise, während sie spricht.

Wie schön sie ist.

SOPHIE.

Freilich. Er ist ein Mann, da ist Er, was Er bleibt.

Ich aber brauch erst einen Mann, daß ich was bin.

Dafür bin ich dem Mann dann auch gar sehr verschuldet.

OCTAVIAN wie oben.

Mein Gott, wie schön und gut sie ist.

Sie macht mich ganz verwirrt.

SOPHIE.

Und werd ihm keine Schand nicht machen –

und meinen Rang und Vortritt,

tät eine, die sich besser dünkt als ich,

ihn mir bestreiten

bei einer Kindstauf oder Leich,

so will ich, meiner Seel, ihr schon beweisen,

daß ich die vornehmere bin

und lieber alles hinnehmen

wie Kränkung oder Ungebühr.

OCTAVIAN lebhaft.

Wie kann Sie denn nur denken,

daß man Ihr mit Ungebühr begegnen wird,

da Sie doch immerdar die schönste sein wird,

daß es keinen Vergleich wird leiden.

SOPHIE.

Lacht Er mich aus, mon cousin?

OCTAVIAN.

Wie, glaubt Sie das von mir?

SOPHIE.

Er darf mich auch auslachen, wenn Er will.

Von Ihm will ich mir alles gerne geschehen lassen,

weil mir noch nie ein junger Kavalier ...

Jetzt aber kommt mein Herr Zukünftiger.

 

Die Tür rückwärts geht auf. Alle drei stehen auf und treten nach rechts. Faninal führt den Baron zeremoniös über die Schwelle und auf Sophie zu, indem er ihm den Vortritt läßt. Die Lerchenausche Livree folgt auf Schritt und Tritt: zuerst der Almosenier mit dem Sohn und Leibkammerdiener. Dann folgt der Leibjäger mit einem ähnlichen Lümmel, der ein Pflaster über der eingeschlagenen Nase trägt, und noch zwei von der gleichen Sorte, vom Rübenacker her in die Livree gesteckt. Alle tragen, wie ihr Herr, Myrtensträußchen. Die Faninalschen Bedienten bleiben im Hintergrund.

 

FANINAL.

Ich präsentier Euer Gnaden Dero Zukünftige.

DER BARON macht die Reverenz, dann zu Faninal.

Deliziös! Mach Ihm mein Kompliment.

 

Er küßt Sophie die Hand, langsam, gleichsam prüfend.

 

Ein feines Handgelenk. Darauf halt ich gar viel.

Ist unter Bürgerlichen eine seltene Distinktion.

OCTAVIAN halblaut.

Es wird mir heiß und kalt.

FANINAL.

Gestatten, daß ich die getreue Jungfer

Marianne Leitmetzerin –

 

Mariannen präsentierend, die dreimal tief knixt.

 

DER BARON indem er unwillig abwinkt.

Laß Er das weg.

Begrüß Er jetzt mit mir meinen Herrn Rosenkavalier.

 

Er tritt mit Faninal auf Octavian zu, unter Reverenz, die Octavian erwidert. Das Lerchenausche Gefolge kommt endlich zum Stillstand, nachdem es Sophie fast umgestoßen, und retiriert sich um ein paar Schritte.

 

SOPHIE mit Marianne rechtsstehend, halblaut.

Was sind das für Manieren? Ist das leicht ein Roßtäuscher

und kommt ihm vor, er hätt mich eingekauft?

MARIANNE ebenso.

Ein Kavalier hat halt ein ungezwungenes,

leutseliges Betragen.

Sag dir vor, wer er ist

und zu was er dich macht,

so werden dir die Faxen gleich vergehn.

DER BARON während des Aufführens zu Faninal.

Ist gar zum Staunen, wie der junge Herr jemand gewissem ähnlich sieht.

Hat ein Bastardl, recht ein sauberes, zur Schwester.

 

Plump vertraulich.

 

Ist kein Geheimnis unter Personen von Stand.

Habs aus der Fürstin eigenem Mund,

und da der Faninal gehört ja sozusagen jetzo zu der Verwandtschaft.

Macht dir doch kein dépit, Cousin Rofrano,

daß dein Herr Vater ein Streichmacher war?

Befindet sich dabei in guter Kompagnie, der selige Herr Marchese.

Ich selber exkludier mich nicht.

Seh' Liebden, schau dir dort den Langen an,

den blonden, hinten dort.

Ich will ihn nicht mit Fingern weisen,

aber er sticht wohl hervor,

durch eine adelige Contenance.

Ist auch ein ganz besonderer Kerl,

sags nicht, weil ich der Vater bin,

hats aber faustdick hinter den Ohren.

SOPHIE währenddessen.

Jetzt laßt er mich so stehn, der grobe Ding!

Und das ist mein Zukünftiger.

Und blattersteppig ist er auch, mein Gott!

MARIANNE.

Na, wenn er dir von vorn nicht gfallt, du Jungfer Hochmut,

so schau ihn dir von rückwärts an.

da wirst was sehn, was dir schon gfallen wird.

SOPHIE.

Möcht wissen, was ich da schon sehen werd.

MARIANNE ihr nachspottend.

Möcht wissen, was sie da schon sehen wird.

Daß es ein kaiserlicher Kämmerer ist,

den dir dein Schutzpatron

als Herrn Gemahl spendiert hat.

Das kannst sehn mit einem Blick.

 

Der Haushofmeister tritt verbindlich auf die Lerchenauschen Leute zu und führt sie ab. Desgleichen tritt die Faninalsche Livree ab, bis auf zwei, welche Wein und Süßigkeiten servieren.

 

FANINAL zum Baron.

Belieben jetzt vielleicht? – ist ein alter Tokaier.

 

Octavian und Baron bedienen sich.

 

DER BARON.

Brav, Faninal, Er weiß was sich gehört.

Serviert einen alten Tokaier zu einem jungen Mädel.

Ich bin mit Ihm zufrieden.

 

Zu Octavian.

 

Mußt denen Bagatelladeligen immer zeigen,

daß nicht für unseresgleichen sich ansehen dürfen,

muß immer was von Herablassung dabei sein.

OCTAVIAN.

Ich muß Deine Liebden sehr bewundern.

Hast wahrhaft große Weltmanieren.

Könntst einen Ambassadeur vorstellen heut wie morgen.

DER BARON.

Ich hol mir jetzt das Mädel her.

Soll uns Konversation vormachen,

daß ich seh, wie sie beschlagen ist.

 

Geht hinüber, nimmt Sophie bei der Hand, führt sie mit sich.

 

DER BARON.

Eh bien! nun plauder Sie uns eins, mir und dem Vetter Taverl!

Sag Sie heraus, auf was Sie sich halt in der Eh am meisten gfreut!

 

Setzt sich, will sie auf seinen Schoß ziehen.

 

SOPHIE entzieht sich ihm.

Wo denkt Er hin?

DER BARON behaglich.

Seh, wo ich hindenk! Komm Sie da ganz nah zu mir,

dann will ich Ihr erzählen, wo ich hindenk.

 

Gleiches Spiel, Sophie entzieht sich ihm heftiger.

 

DER BARON behaglich.

Wär Ihr leicht präferabel, daß man gegen Ihrer

den Zeremonienmeister sollt hervortun?

Mit »mill pardon« und »Devotion«

und »Geh da weg« und »hab Respeck«?

SOPHIE.

Wahrhaftig und ja gefiele mir das besser!

DER BARON lachend.

Mir auch nicht! Da sieht Sie! Mir auch ganz und gar nicht!

Bin einer biedern offenherzigen Galanterie recht zugetan.

 

Er macht Anstalt, sie zu küssen, sie wehrt sich energisch.

 

FANINAL nachdem er Octavian den zweiten Stuhl zum Sitzen angeboten hat, den dieser ablehnt.

Wie ist mir denn, da sitzt ein Lerchenau

und karessiert in Ehrbarkeit mein Sopherl, als wär sie ihm schon angetraut.

Und da steht ein Rofrano, grad als müßts so sein,

wie ist mir denn? Ein Graf Rofrano, sonsten nix,

der Bruder vom Marchese Obersttruchseß.

OCTAVIAN zornig.

Das ist ein Kerl, dem möcht ich wo begegnen

mit meinem Degen da,

wo ihn kein Wächter schrein hört.

Ja, das ist alles, was ich möcht.

SOPHIE zum Baron.

Ei laß Er doch, wir sind nicht so vertraut!

DER BARON zu Sophie.

Geniert Sie sich leicht vor dem Vetter Taverl?

Da hat Sie Unrecht. Hör Sie, in Paris,

wo doch die Hohe Schul ist für Manieren,

hab ich mir sagen lassen, gibts frei nichts

was unter jungen Eheleuten geschieht,

wozu man nicht Einladungen ließ ergehn

zum Zuschaun, ja gar an den König selber.

 

Er wird immer zärtlicher, sie weiß sich kaum zu helfen.

 

FANINAL.

Wär nur die Mauer da von Glas,

daß alle bürgerlichen Neidhammeln von Wien uns könnten

so en famille beisammensitzen sehn!

Dafür wollt ich mein Lerchenfelder Eckhaus geben, meiner Seel!

OCTAVIAN wütend.

Ich büß all meine Sünden ab!

Könnt ich hinaus und fort von hier!

DER BARON zu Sophie.

Laß Sie die Flausen nur: gehört doch jetzo mir!

Geht alls gut! Sei Sie gut. Geht alls so wie am Schnürl!

 

Halb für sich, sie kajolierend.

 

Ganz meine Maßen! Schultern wie ein Henderl!

Hundsmager noch – das macht nichts, aber weiß

und einen Schimmer drauf, wie ich ihn ästimier!

Ich hab halt ja ein lerchenauisch Glück!

SOPHIE reißt sich los und stampft auf.

DER BARON vergnügt.

Ist Sie ein rechter Kaprizenschädel?

 

Auf und ihr nach, die ein paar Schritte zurückgewichen ist.

 

Steigt Ihr das Blut gar in die Wangen,

daß man sich die Händ verbrennt?

SOPHIE rot und blaß vor Zorn.

Laß Er die Händ davon!

 

Octavian, vor stummer Wut, zerdrückt das Glas, das er in der Hand hält, und schmeißt die Scherben zu Boden.

 

DIE DUENNA läuft mit Grazie zu Octavian hinüber, hebt die Scherben auf und raunt ihm mit Entzücken zu.

Ist recht ein familiärer Mann, der Herr Baron!

Man delektiert sich, was er alls für Einfäll hat!

DER BARON dicht bei Sophie.

Geht mir nichts drüber!

Könnt mich mit Schmachterei und Zärtlichkeit

nicht halb so glücklich machen, meiner Seel!

SOPHIE scharf, ihm ins Gesicht.

Ich denk nicht dran, daß ich Ihn glücklich machen wollt!

DER BARON gemütlich.

Sie wird es tun, ob Sie daran wird denken oder nicht.

OCTAVIAN vor sich, blaß vor Zorn.

Hinaus! Hinaus! und kein Adieu,

sonst steh ich nicht dafür,

daß ich nicht was Verwirrtes tu!

 

Indessen ist der Notar mit dem Schreiber eingetreten, eingeführt durch Faninals Haushofmeister. Dieser meldet ihn dem Herrn von Faninal leise; Faninal geht zum Notar nach rückwärts hin, spricht mit ihm und sieht einen vom Schreiber vorgehaltenen Aktenfaszikel durch.

 

SOPHIE zwischen den Zähnen.

Hat nie kein Mann dergleichen Reden nicht zu mir geführt!

Möcht wissen, was Ihm dünkt von mir und Ihm?

Was ist denn Er zu mir!

DER BARON gemütlich.

Wird kommen über Nacht,

daß Sie ganz sanft

wird wissen, was ich bin zu Ihr.

Ganz wies im Liedl heißt – kennt Sie das Liedl?

»Lalalalala – wie ich dein Alles werde sein!

Mit mir, mit mir keine Kammer dir zu klein,

ohne mich, ohne mich jeder Tag dir so bang,

mit mir, mit mir keine Nacht dir zu lang!«

 

Sophie, da er sie fester an sich drückt, reißt sich los und stößt ihn heftig zurück.

 

DIE DUENNA zu ihr eilend.

Ist recht ein familiärer Mann, der Herr Baron!

Man delektiert sich, was er alls für Einfäll hat!

OCTAVIAN ohne hinzusehen, und doch sieht er auf alles was vorgeht.

Ich steh auf glühenden Kohlen!

Ich fahr aus meiner Haut!

Ich büß in dieser einen Stund

all meine Sünden ab!

DER BARON für sich, sehr vergnügt.

Wahrhaftig und ja, ich hab ein lerchenauisch Glück!

Gibt gar nichts auf der Welt, was mich so enflammiert

und also vehement verjüngt als wie ein rechter Trotz!

 

Faninal und der Notar, hinter ihnen der Schreiber, sind an der linken Seite nach vorne gekommen.

 

DER BARON sowie er den Notar erblickt, eifrig zu Sophie, ohne zu ahnen, was in ihr vorgeht.

Da gibts Geschäften jetzt, muß mich dispensieren,

bin dort von Wichtigkeit. Indessen

der Vetter Taverl leistet Ihr Gesellschaft!

FANINAL.

Wenns jetzt belieben tät, Herr Schwiegersohn!

DER BARON eifrig.

Natürlich wirds belieben.

 

Im Vorbeigehen zum Octavian, den er vertraulich umfaßt.

 

Hab nichts dawider,

wenn du ihr möchtest Augerln machen, Vetter,

jetzt oder künftighin.

Ist noch ein rechter Rühr-nicht-an.

Betrachts als förderlich, je mehr sie degourdiert wird.

Ist wie bei einem jungen ungerittenen Pferd.

Kommt alls dem Angetrauten letzterdings zugute,

wofern er sich sein ehelich Privilegium

zunutz zu machen weiß.

 

Er geht nach links. Der Diener, der den Notar einließ, hat indessen die Türe links geöffnet. Faninal und der Notar schicken sich an, hineinzugehen. Der Baron mißt Faninal mit dem Blick und bedeutet ihm, drei Schritte Distanz zu nehmen. Faninal tritt devot zurück. Der Baron nimmt den Vortritt, vergewissert sich, daß Faninal drei Schritte Abstand hat, und geht gravitätisch durch die Tür links ab.