Doch das elfische Lachen des Kindes, war es auch voll Munterkeit und Musik, führte Hester stets nur noch tiefer in ihre Angst hinein.

Verzweifelt über diesen ungreifbaren Spuk, der sich so oft zwischen sie und ihr Kind stellte, brach die Unglückliche manchmal in ein hoffnungsloses Weinen aus. Perles Züge nahmen dann nicht selten einen harten, verschlossenen Ausdruck an. Sie runzelte die Stirne und ballte ihre Händchen vor Zorn. Manchmal brach sie dann in ein lautes Gelächter aus, als wäre sie unfähig, menschlichen Kummer zu teilen, manchmal auch begann sie krampfhaft zu schluchzen und in abgerissenen Worten die Mutter ihrer Liebe zu versichern, während ihr eigenes Herzchen klopfte, als wollte es zerspringen. Wie immer aber auch die Tränen der Mutter auf sie wirkten, stets ging der Anfall so schnell vorüber, wie er gekommen war. Der Mutter aber war bei all dem zu Mute, als hätte sie einem Elfenkinde das Leben gegeben, doch das Zauberwort vergessen, das ihr die Macht darüber verlieh. Völlig ruhig und zufrieden fühlte sie sich nur, wenn das Kind im tiefen Schlummer lag. Dann allein war sie seiner sicher und genoß ein paar Stunden stillen, zarten Glückes, bis das Kind die Augen wieder öffnete und vielleicht schon beim Erwachen ihr wieder entschwand.

Wie bald jedoch und mit welcher für jede Mutter unbegreiflichen Schnelligkeit kam die Zeit heran, wo Perle alt und klug genug war, um über mütterliches Lächeln und Tändeln hinaus auch an anderer menschlicher Gesellschaft teilzuhaben. Welches Glück hätte es für Hester Prynne bedeuten können, wenn ihr helles Stimmchen sich nun in den Jubel anderer Kinder gemischt, aus dem Freudengeschrei der Spielenden herausgeklungen hätte! Doch dies war gänzlich unmöglich, Perle war ausgestoßen aus dieser kindlichen Welt. Mit merkwürdigem Instinkt begriff sie früh ihre Einsamkeit und die ganze Eigentümlichkeit ihres Verhältnisses zu den anderen Kindern, von denen sie eine unüberwindliche Scheidewand trennte.

Nie noch, seit ihrer Entlassung aus dem Gefängnisse, hatte sich Hester ohne das Kind in der Öffentlichkeit gezeigt, bei all ihren Gängen in die Stadt nahm sie es mit. Zuerst trug sie Perle als Säugling auf dem Arm, später trippelte die Kleine mit eifrigen Schritten neben ihr her, während ihr Händchen einen Finger der Mutter ängstlich umklammert hielt. Sie sah die Kinder der Ansiedlung auf der Straße oder vor der Haustüre hei ihren seltsamen Spielen, wie sie die puritanische Erziehung erlaubte: Bald zogen sie feierlich in die Kirche oder peitschten einen Quäker aus, bald kämpften sie mit Indianern oder schreckten einander mit allerlei kindlichen Hexereien. Perle wandte kein Auge von diesen Spielen, doch versuchte sie nie, daran teilzunehmen. Wurde sie von den Kindern angesprochen, so gab sie keine Antwort, ja, sie konnte in schrecklichen Zorn geraten, wenn sich die Kinder, wie es manchmal geschah, um sie herumscharten. Dann packte sie wohl Steine, warf nach ihnen und stieß zornige Schreie aus, die wie Flüche in einer unbekannten Sprache klangen, so daß ihre Mutter, von Angst erfüllt, sie schnell wieder mit sich fortzog.

Diese kleinen Puritaner, echte Kinder ihres Zeitalters, gehörten auch zu der unduldsamsten Sippe, die je gelebt hat. Sie fühlten irgendwie das Fremde, Unheimliche um Hester Prynne und ihr Kind, etwas, was von den gewohnten Verhältnissen völlig abwich, und sie verachteten sie dafür von Herzensgrund und verhöhnten sie nicht selten mit lauten Schmährufen. Perle spürte diese Feindseligkeit nur zu gut und beantwortete sie mit dem bittersten Hasse, dessen ein Kind fähig ist. Solche Ausbrüche ihres leidenschaftlichen Temperamentes waren für ihre Mutter in gewisser Hinsicht ein Trost, waren es doch verständliche Regungen, fern von jener elfischen Besessenheit, welche sie so ängstigte. Nichtsdestoweniger erschrak Hester über diesen Widerschein ihres eigenen schuldbeladenen Daseins, der sich darin offenbarte, Allen Groll, alle Leidenschaftlichkeit, alle jene Elemente der Unrast und Unruhe, die sie selbst vor der Geburt des Kindes in so hohem Maße erfüllt hatten und die erst unter dem Einflüsse ihrer Mutterschaft etwas gemildert worden waren, fand sie so in dem Kinde wieder. Ja, sie waren beide, Mutter und Kind, gleichermaßen ausgestoßen aus der menschlichen Gemeinschaft!

Zu Hause, in der Mutter Hütte und deren nächster Umgebung, verlangte Perle nach keiner weiteren Gesellschaft. Ihre schöpferische Phantasie wußte alle Dinge um sie zu beleben, so wie die Fackel überall Flammen zu entzünden vermag, wo man sie hinbringt. Die unscheinbarsten Gegenstände, einen Stock, einige Lappen, eine Blume verwandelte sie mit ihrer Zauberkraft, ohne die geringste äußere Veränderung an ihnen vorzunehmen, in jedwede Gestalt, die ihre innere Welt, ihr Spiel forderte. Ihre kindliche Stimme diente dabei all diesen Phantasiegestalten, ob alt oder jung, zum Gespräch. Die ernsten, dunklen Tannen, die so feierlich dastanden und leise im Winde stöhnten, stellten puritanische Kirchenälteste vor, das häßliche Unkraut im Garten deren Kinder, welche Perle in unbarmherzigster Weise umhieb oder samt der Wurzel ausriß. Es war bewundernswert, welch mannigfaltige Fülle der Gestalten ihre kindliche Einbildungskraft hervorrief. Doch geschah dies nicht in einer ruhigen Aufeinanderfolge, sondern es war wie ein Taumeln von einer Höhe fieberhafter Erregung in die andere, nur unterbrochen von kurzen Pausen der Erschöpfung. Zwar mag man ein ähnliches Spiel der Phantasie auch an anderen begabten Kindern beobachten, doch Perle, in Ermangelung menschlicher Spielgefährten, war ausschließlich auf diese Gestalten ihrer eigenen Erfindungskraft angewiesen. Die Absonderlichkeit lag in der unbewußten Feindschaft, die sie all diesen Schöpfungen ihrer eigenen Phantasie entgegenbrachte. Niemals schuf sie sich einen Freund, stets schien es, als wüchsen aus den Drachenzähnen ihrer Saat immer neue Scharen von Feinden empor, mit denen sie dann zu kämpfen hatte. Es war für die Mutter unaussprechlich schmerzlich, dies Bewußtsein einer absolut feindlichen Umwelt in dem Kinde wachsen zu sehen und die kindlichen Kämpfe zu beobachten, in denen Perle ihre Kräfte und ihren Widerstandswillen für den späteren Lebenskampf stärkte.

Wenn Hester Prynne solchen Spielen des Kindes zusah, ließ sie gar oft ihre Arbeit sinken und ein qualvolles Flüstern rang sich aus ihrer Brust: „O Vater im Himmel, was ist das doch für ein Wesen, das ich zur Welt gebracht habe!“ Und Perle, welche diese Worte hörte oder vielleicht auch unbewußt die Kümmernis der Mutter ahnen mochte, wandte ihr das lebhafte, schöne Gesichtchen zu und ein unergründliches Lächeln huschte über ihre feinen Züge.

Eine besondere Eigenheit im Betragen des Kindes soll noch erzählt werden. Das erste, was im Leben seine Aufmerksamkeit erregte, war keineswegs, wie dies bei anderen Kindern der Fall ist, etwa das Lächeln der Mutter, das sich in einem feinen Lächeln des Kindes widerspiegelt und so als glückhaftes Zeichen des erwachenden Bewußtseins gelten darf. Nein, der erste Gegenstand, den Perle erfaßte, war – der scharlachrote Buchstabe an Hesters Brust! Als sich ihre Mutter eines Tages über die Wiege beugte, wurde der Blick des Kindes vom Glanze der prächtigen Stickerei gefesselt.