Herr, wir sprachen davon, daß unsre Kleider jetzt noch so frisch aussehn, als da wir in Tunis bei der Vermählung Eurer Tochter waren, die nun Königin ist.

ANTONIO. Und zwar die herrlichste, die je dahin kam.

SEBASTIAN. Mit Erlaubnis, bis auf Witwe Dido.

ANTONIO. Oh, Witwe Dido! Ja, Witwe Dido.

GONZALO. Ist mein Wams nicht so frisch, Herr, als den ersten Tag, da ich es trug? Ich will sagen, auf gewisse Weise.

ANTONIO. Die Weise hat er zu rechter Zeit aufgefischt.

GONZALO. Da ich es bei der Vermählung Eurer Tochter trug?

ALONSO.

Ihr stopft mir diese Wort' ins Ohr, ganz wider

Die Neigung meines Sinns. Hätt' ich doch nie

Die Tochter dort vermählt! Denn auf der Heimkehr

Verlor ich meinen Sohn; in meinen Augen

Auch sie, die so entfernt ist, daß ich nie

Sie werde wieder sehn. O du, mein Erbe

Von Napel und von Mailand, welcher Meerfisch

Hat dich verschlungen?

FRANCISCO.

Herr, er lebt vielleicht.

Ich sah ihn unter sich die Wellen schlagen,

Auf ihrem Rücken reiten; er beschritt

Das Wasser, dessen Anfall von sich schleudernd,

Und bot die Brust der hochgeschwoll'nen Woge,

Die ihm entgegen kam. Das kühne Haupt

Hielt aus den streitbar'n Fluten er empor

Und ruderte sich selbst mit wackern Armen

In frischem Schlag ans Ufer, das zu ihm

Sich über seinen unterhöhlten Grund

Hinneigt', als wollt' es helfen: ohne Zweifel

Kam er gesund ans Land.

ALONSO.

Nein, er ist hin.

SEBASTIAN.

Herr, dankt Euch selber nur für den Verlust:

Ihr gönntet nicht Europa Eure Tochter,

Verlort sie an den Afrikaner lieber,

Wo sie verbannt doch lebt von Eurem Auge,

Das diesen Gram zu netzen Ursach' hat.

ALONSO.

O still doch!

SEBASTIAN.

Wir alle knieten und bestürmten Euch[620]

Vielfältig, und die holde Seele selbst

Wog, zwischen Abscheu und Gehorsam, wo

Die Schale sinken sollte. Euern Sohn

Verloren wir für immer, wie ich fürchte.

Mailand und Napel hat der Witwen mehr,

Die dieser Handel machte, als wir Männer,

Um sie zu trösten, bringen; und die Schuld

Ist Euer.

ALONSO.

Auch das Schwerste des Verlustes.

GONZALO.

Mein Prinz Sebastian,

Der Wahrheit, die Ihr sagt, fehlt etwas Milde

Und die gelegne Zeit: Ihr reibt den Schaden,

Statt Pflaster aufzulegen.

SEBASTIAN.

Gut gesagt!

ANTONIO.

Und sehr feldscherermäßig.

GONZALO.

Es ist schlecht Wetter bei uns allen, Herr,

Wenn Ihr betrübt seid.

SEBASTIAN.

Schlecht Wetter?

ANTONIO.

Sehr schlecht.

GONZALO.

Hätt' ich, mein Fürst, die Pflanzung dieser Insel –

ANTONIO.

Er säte Nesseln drauf.

SEBASTIAN.

Oder Kletten, oder Malven.

GONZALO.

Und wäre König hier: was würd' ich tun?

SEBASTIAN.

Dem Trunk entgehn, weil er keinen Wein hätte.

GONZALO.

Ich wirkte im gemeinen Wesen alles

Durchs Gegenteil; denn keine Art von Handel

Erlaubt' ich, keinen Namen eines Amts;

Gelahrtheit sollte man nicht kennen; Reichtum,

Dienst, Armut gäb's nicht; von Vertrag und Erbschaft,

Verzäunung, Landmark, Feld- und Weinbau nichts;

Auch kein Gebrauch von Korn, Wein, Öl, Metall,

Kein Handwerk; alle Männer müßig, alle;

Die Weiber auch, doch völlig rein und schuldlos;

Kein Regiment –

SEBASTIAN.

Und doch wollte er König sein!

ANTONIO.

Das Ende seines gemeinen Wesens vergißt den Anfang.

GONZALO.

In der gemeinsamen Natur sollt' alles[621]

Frucht bringen ohne Müh' und Schweiß; Verrat, Betrug,

Schwert, Speer, Geschütz, Notwendigkeit der Waffen

Gäb's nicht bei mir; es schaffte die Natur

Von freien Stücken alle Hüll' und Fülle,

Mein schuldlos Volk zu nähren.

SEBASTIAN.

Keine Heiraten zwischen seinen Untertanen?

ANTONIO. Nichts dergleichen, Freund: alle los und ledig, Huren und Taugenichtse.

GONZALO.

So ungemein wollt' ich regieren, Herr,

Daß es die goldne Zeit verdunkeln sollte.

SEBASTIAN. Gott erhalte Seine Majestät!

ANTONIO. Lang' lebe Gonzalo!

GONZALO. Und, – Ihr versteht mich, Herr?

ALONSO. Ich bitt' dich, schweig'! Du sprichst von Nichts zu mir.

GONZALO. Das glaube ich Eurer Hoheit gern; und ich tat es, um diesen Herrn Gelegenheit zu machen, die so reizbare, bewegliche Lungen haben, daß sie immer über nichts zu lachen pflegen.

ANTONIO. Wir lachten über Euch.

GONZALO. Der ich in dieser Art von lustigen Possen gegen Euch nichts bin; Ihr mögt daher fortfahren und ferner über nichts lachen.

ANTONIO. Was ward da für ein Streich versetzt!

SEBASTIAN. Ja, wenn er nicht flach gefallen wäre.

GONZALO. Ihr seid Kavaliere von herzhaftem Gemüt: Ihr würdet den Mond aus seiner Sphäre heben, wenn er fünf Wochen darin bleiben wollte, ohne zu wechseln.

 

Ariel kommt, unsichtbar, und spielt eine feierliche Melodie.

 

SEBASTIAN. Ja, das würden wir, und dann mit ihm ein Klopfjagen bei Nacht anstellen.

ANTONIO. Lieber Herr, seid nicht ungehalten!

GONZALO. Nein, verlaßt Euch drauf, ich werde meine Vernunft nicht so leichtsinnig dran wagen. Wollt Ihr mich in Schlaf lachen, denn ich bin sehr müde?

ANTONIO. Geht schlafen und hört uns zu!

 

Alle schlafen ein, außer Alonso, Sebastian und Antonio.[622]

 

ALONSO.

Wie? All' im Schlaf? O schlössen meine Augen

Mit sich auch die Gedanken zu! Ich fühle,

Sie sind dazu geneigt.

SEBASTIAN.

Beliebt's Euch, Herr,

Versäumet nicht die müde Einladung.

Sie naht dem Kummer selten: wann sie's tut,

So bringt sie Trost.

ANTONIO.

Wir beide wollen Euch

Behüten, gnäd'ger Herr, indes Ihr ruht,

Und Wache halten.

ALONSO.

Dank Euch! Seltsam müde –

 

Alonso schläft ein.

 

Ariel ab.

 

SEBASTIAN.

Welch eine fremde Schläfrigkeit befällt sie?

ANTONIO.

Es ist die Art des Himmelstrichs.

SEBASTIAN.

Warum

Drückt sie denn unsre Augenlider nicht?

Ich fühl' in mir zum Schlafen keinen Trieb.

ANTONIO.

Auch ich nicht, meine Sinne sind ganz munter.

Sie fielen alle wie auf einen Wink,

Sie sanken, wie vom Blitz gerührt. Was könnte –

 

Würd'ger Sebastian? – Oh, was könnte? – Still! –

 

Und doch ist mir, ich säh' auf deiner Stirn,

Was du verdienst; der Anlaß ruft, und meine

Lebend'ge Einbildung sieht eine Krone

Sich senken auf dein Haupt.

SEBASTIAN.

Wie? Bist du wach?

ANTONIO.

Hörst du mich denn nicht reden?

SEBASTIAN.

Ja, und wahrlich,

's ist eine Träumersprache, und du sprichst

Aus deinem Schlaf. Was war es, das du sagtest?

Dies ist 'ne wunderbare Ruh', zu schlafen

Mit offnen Augen, stehend, sprechend, gehend,

Und doch so tief im Schlaf.

ANTONIO.

Edler Sebastian,

Du läßt dein Glück entschlafen, sterben; taumelst,

Indessen du doch wachst.[623]

SEBASTIAN.

Du schnarchst verständlich;

Dein Schnarchen hat Bedeutung.

ANTONIO.

Ja, ich bin ernster, als ich pflege, Ihr

Müßt's auch sein, wenn Ihr mich begreift; und das

Verdreifacht dich.

SEBASTIAN.

Wohl, ich bin steh'ndes Wasser.

ANTONIO.

Ich will Euch fluten lehren.

SEBASTIAN.

Tut das doch:

Denn ebben heißt mich angeerbte Trägheit.

ANTONIO.

Oh, wüßtet Ihr, wie Ihr den Anschlag hegt,

Da Ihr ihn höhnt, wie, da Ihr ihn entblößt,

Ihr mehr ihn schmückt! Denn freilich, wer da ebbt,

Muß häufig auf den Grund beinah' geraten

Durch eigne Furcht und Trägheit.

SEBASTIAN.

Fahre fort,

Ich bitte dich: dein Blick und deine Wange

Verkünden etwas; die Geburt, fürwahr,

Macht große Wehen dir.

ANTONIO.

So hört! Obschon

Der an Erinn'rung schwache Herr da, dieser,

Der auch nicht stärker im Gedächtnis sein wird,

Wenn er beerdigt ist, den König hier

Fast überredet hat – er ist ein Geist

Der Überredung, gibt mit nichts sich ab

Als überreden –, daß sein Sohn noch lebe:

's ist so unmöglich, daß er nicht ertrank,

Als daß der schwimme, der hier schläft.

SEBASTIAN.

Ich bin

Ganz ohne Hoffnung, daß er nicht ertrank.

ANTONIO.

Aus diesem ohne Hoffnung, oh, was geht Euch

Für große Hoffnung auf! Hier ohne Hoffnung, ist

Auf andre Art so hohe Hoffnung, daß

Der Blick der Ehrsucht selbst nicht jenseits dringt

Und, was er dort entdeckt, bezweifeln muß.

Gebt Ihr mir zu, daß Ferdinand ertrunken?

SEBASTIAN.

Ja, er ist hin.

ANTONIO.

So sagt mir, wer ist denn

Der nächste Erbe Napels?[624]

SEBASTIAN.

Claribella.

ANTONIO.

Sie, Königin von Tunis? Die am Ende

Der Welt wohnt? Die von Napel keine Zeitung

Erhalten kann, wofern die Sonne nicht

Als Bote liefe (denn zu langsam ist

Der Mann im Mond), bis neugeborne Kinne

Bebartet sind? Von der uns alle kommend

Die See verschlang, doch ein'ge wieder auswarf;

Und dadurch sie ersehn zu einer Handlung,

Wovon, was jetzt geschah, ein Vorspiel ist,

Doch uns das Künft'ge obliegt.

SEBASTIAN.

Was für Zeug ist dies?

Was sagt Ihr? – Wahr ist's, meines Bruders Tochter

Ist Königin von Tunis, ebenfalls

Von Napel Erbin, zwischen welchen Ländern

Ein wenig Raum ist.

ANTONIO.

Ja, ein Raum, wovon

Ein jeder Fußbreit auszurufen scheint:

»Wie soll die Claribella uns zurück

Nach Napel messen?« – Bleibe sie in Tunis,

Sebastian wach'! – Setzt, dies wär' der Tod,

Was jetzt sie überfallen: nun, sie wären

Nicht schlimmer dran als jetzt. Es gibt der Leute,

Die Napel wohl so gut, als der hier schläft,

Regieren würden; Herrn, die schwatzen können,

So weit ausholend und so unersprießlich

Wie der Gonzalo hier; ich könnte selbst

So elsterhaft wohl plaudern.