Hätte er sich ihnen, seinen Jugendplänen gemäß, als Arzt genähert, sie hätten seine Hilfe, und wäre sie noch so kostenlos gewesen, verspottet und verschmäht, um ihr die irgendeiner Kräuterhexe vorzuziehen; so verhielten sie sich, so verhielt es sich, und daß dem so war, hatte mit zu den Gründen seines schließlichen Berufswechsels gehört, doch so stichhaltig diese Gründe ihm damals gedünkt hatten, es zeigte sich heute, daß sie bereits seinen eigenen Abstieg zur Pöbelhaftigkeit eingeleitet hatten, daß er die ärztliche Wissenschaft nie hätte verlassen dürfen, daß selbst die von ihr gebotene Nicht-Hilfe ehrenhafter gewesen wäre als die verlogenen Hilfeleistungs-Hoffnungen, mit denen er seitdem sein Dichtertum ausgestattet hatte, wider besseres Wissen hoffend, es werde die Macht der Schönheit, es werde des Liedes Zauberkraft den Abgrund der Sprachstummheit zu guter Letzt überbrücken und ihn, den Dichter, zum Erkenntnisbringer in der wiederhergestellten Menschengemeinschaft erhöhen, enthoben der Pöbelhaftigkeit und eben hierdurch auch die Pöbelhaftigkeit selber auf hebend, Orpheus erkoren zum Führer der Menschen. Ach, nicht einmal Orpheus hatte solches je erreicht, nicht einmal er in seiner Unsterblichkeitsgröße rechtfertigte solch überheblich eitle Ehrgeizträume und solch sträfliche Überschätzung des Dichtertums! Gewiß, vielerlei in der irdischen Schönheit, ein Lied, die dämmernde See, ein Leierton, eine Knabenstimme, ein Vers, ein Bildwerk, eine Säule, ein Garten, eine einzige Blume, dies alles besitzt die göttliche Gabe den Menschen zu den innersten und äußersten Grenzen seines Daseins hinlauschen zu lassen, und kaum verwunderlich ist es daher, daß der orphischen Kunst und Erhabenheit die Macht zugemessen wurde, die Ströme zur Änderung ihres Laufes zu nötigen, das wilde Getier des Waldes sanftgebannt heranzulocken, das weidende Vieh auf den Triften zu leisem Innehalten zu bewegen, traumhaft und verzaubert erfüllt der Traumeswunsch alles Künstlertums: die zum Lauschen unterworfene Welt, empfangsbereit für den Gesang und die ihm entströmende Hilfe. Indes, selbst wenn dem so war, nicht länger als der Gesang währet die Hilfe, währet das lauschende Innehalten, und es darf das Lied beileibe nicht zu lange erklingen, sollen die Ströme nicht schon vorher zu ihrem alten Bett sich heimstehlen, soll nicht schon vorher das wilde Getier des Waldes würgend wieder das unschuldige Weidevieh anfallen, soll nicht schon vorher der Mensch in seine altgewohnte Grausamkeit zurückstürzen, denn nicht nur, daß kein Rausch, also auch nicht der von der Schönheit erzeugte, lange vorhält, es ist überdies auch die Milde, der Mensch und Tier sich da gefangen gegeben haben, bloß die eine Hälfte des Schönheitsrausches, während die andere, nicht minder starke und zumeist sogar weitaus stärkere die der ärgsten Grausamkeitsübersteigerung ist - gerade der Grausamste liebt es, sich an einer Blume zu entzücken -, so daß die Schönheit und gar die von der Kunst getragene Schönheit sehr bald ihre Wirkung verliert, wenn sie, des waaghaltenden Wechselspieles ihrer beiden Hälften nicht achtend, sich bloß mit einer von ihnen an den Menschen wenden will. Wo immer, wie immer Kunst geübt wird, sie folgt dieser Regel, ja ihre Befolgung ist eine der wesentlichsten Tugenden des Künstlers und sehr oft, wenngleich nicht immer, auch die seines Helden: wäre der tugendhafte Äneas so weichherzig geblieben, wie man es einen Augenblick lang hätte erwarten können, als er, ob in aufkeimendem Mitleid oder um des Gedichtes schöner Spannung willen, zögernd zurückschreckte, den Todfeind zu erschlagen, hätte er sich da nicht alsobald eines Bessern besonnen und zur grausen Tat entschlossen, er wäre keineswegs zu einem Beispiel nachstrebenswerter Milde, vielmehr zu dem eines langweiligen Unhelden geworden, den darzustellen kein Gedicht hätte wagen dürfen; sei es Äneas, sei es sonst irgendein Held und seine Taten, es geht allüberall in der Kunst um das waaghaltende Gleichgewicht, um das große Grenzgleichgewicht entrücktester Ferne, es geht um ihr unsäglich schwebendes, unsäglich flüchtiges Sinnbild, und dieses nimmt überhaupt keine einzelnen Inhalte, sondern immer nur deren Zusammenhänge in sich auf, weil nur von hier aus die Absicht zu erreichen ist, weil nur in ihren Zusammenhängen die Gegensätzlichkeiten des Seins sich zum Gleichgewicht fügen, vereinigt die Gegensätze aller menschlichen Triebe - wie anders könnte Kunst sonst vom Menschen geschaffen und begriffen werden! - Milde und Grausamkeit vereinigt im Gleichgewicht der Schönheitssprache, im Sinnbild des Gleichgewichtes zwischen dem Ich und dem All, in der rauschhaften Verzauberung einer Einheit, die so lange währt wie der Gesang, doch nicht länger. Und nicht anders mußte es um Orpheus und um sein Gedicht bestellt gewesen sein, da er ein Künstler, da er ein Dichter gewesen war, ein Bezauberer der Lauschenden, Sänger wie Hörer gleicherweise dämmerungsumfangen, er wie sie dämonisch der Schönheit verhaftet, dämonisch trotz seiner göttlichen Gabe, ein Rauschbringer, doch nicht ein Heilsbringer der Menschen - und das durfte er niemals werden: der heilsbringende Führer nämlich hat die Sprache der Schönheit abgestreift, er ist unter ihre kalte Oberfläche, unter die Oberfläche der Dichtung gelangt, er ist zu den schlichten Worten vorgedrungen, die kraft ihrer Todesnähe und Todeserkenntnis die Fähigkeit gewonnen haben, an die Versperrtheit des Nebenmenschen zu pochen, seine Angst und seine Grausamkeit zu beruhigen und ihn der echten Hilfe zugänglich zu machen, er ist vorgedrungen zu der schlichten Sprache unmittelbarer Güte, zur Sprache der unmittelbaren menschlichen Tugend, zur Sprache der Erweckung. War es nicht auch eben diese Sprache, die Orpheus gesucht hatte, als er, Eurydike zu suchen, sich aufgemacht hatte zum Abstieg ins Schattenreich? war nicht er gleichfalls ein Verzweifelter gewesen, einer, der des Künstlers Ohnmacht zur Bewältigung menschlicher Pflicht erkannt hat? Oh, wen das Schicksal in den Kerker der Kunst geworfen hat, der vermag diesem kaum mehr zu entweichen; er bleibt von der unüberschreitbaren Grenze eingeschlossen, an der das entrückt schöne Geschehen abläuft, und ist er unzureichend, so wird er in solcher Abgeschlossenheit zum eitlen Träumer, zum Ehrgeizling der Unkunst, ist er jedoch ein echter Künstler, so wird er zum Verzweifelten, da er den Ruf jenseits der Grenze hört und ihn bloß im Gedicht festhalten, nicht aber ihn befolgen darf, verbotsgelähmt an die Stelle gebannt, ein Schreibender diesseits der Grenze, obwohl er den sibyllischen Auftrag entgegengenommen und fromm gleich Äneas, eidleistend, der Priesterin hohen Altar berührt hat –
- leicht ist der Pfad, der zum Hades hinabführt, und immer findest du offen die plutonischen Tore, doch schwer ist die Rückkehr, denn sie ist bedroht von dunklen Forsten, bedroht vom kokytischen Strom, von seinen Buchten und Wirbeln, und sie glücket nur jenen, die tugendgekrönt oder von Göttergeblüt dem Jupiter selber genehm sind; du aber, lüstet dein Mut, dein Übermut nach solch zweifacher Fahrt über den Styx in des Tartaros Grauen, höre was nottut: geheiligt der unterweltlichen Göttin, sprießt inmitten dämmernder Täler, inmitten wildestem Waldes, inmitten dichtesten Strauchwerks goldschimmernd ein Zweig mit goldenen Blättern, und nicht eher wird dir der Abstieg gelingen, eh du nicht Proserpina zu Ehren, ihrem Willen gemäß, von des Baumes goldenem Gelaub das sich ewig erneuert, den glänzenden Schößling gebrochen; nach ihm also hast du spähend zu fahnden, und ist das Schicksal dir hold, so wirst du mit flüchtigstem Griff bloßhändig den Zweig dir erpflücken, indes, weder mit stärkster Gewalt, noch mit schneidendem Stahl reißt du ihn ab, wird's dir vom Schicksal verboten, dem allesgebietenden, das zudem noch andere Pflicht für dich bereit hält, da vorerst, fordernd das Sühnopfer von dir, des entseelten Freundes unbestatteter Leib nach dem Grabe verlangt, sein Recht und deine Verpflichtung -
-, also vom Gott wie vom Schicksal berufen, gemeinsam ihr Wille, ist jenem die Grenze geöffnet, dem die Heiligkeit letzter Pflichterfüllung und Hilfeleistung zusteht, doch wen solch schicksalsgöttlicher Doppelwille zum Künstler bestimmt hat, verdammt hat zum bloßen Wissen und Ahnen, zum bloßen Aufschreiben und bloßen Sagen, dem ist im Leben und Sterben die Entsühnung verwehrt, und selbst das Grabmal ist ihm nichts anderes als ein schönes Bauwerk, eine weltliche Behausung für den eigenen Leib, ist ihm weder Eingang noch Ausgang, weder Eingang des unermeßlichen Abstiegs noch Ausgang der unermeßlichen Wiederkunft; das Schicksal versagt ihm den goldenen Zweig der Führung, den Zweig der Erkenntnis, und Jupiters Schuldspruch trifft ihn darob. So war auch er zum Eidbruch und zugleich zur Preisgegebenheit des Eidbrüchigen verurteilt worden, und sein Blick, erdwärts gezwungen, hatte bloß die drei über das Steinpflaster einhertorkelnden Komplicen des Eidbruches, die Bringer des Schuldspruches treffen dürfen, sein Blick durfte nicht tiefer dringen, nicht unter die Oberfläche der Steine, nicht unter die Oberfläche der Welt, nicht unter die der Sprache, nicht unter die der Kunst; verwehrt war ihm der Abstieg, verwehrt erst recht die titanische Wiederkunft aus der Tiefe, die Wiederkunft, an der das Menschliche sich bestätigt, verwehrt war der Aufstieg zur Erneuerung des Schöpfungseides, und hatte er es stets gewußt, er wußte jetzt deutlicher denn je zuvor, daß er von der Eideshilfe des Heilbringers ausgeschlossen war, ein für allemal, weil Eideshilfe und Menschenhilfe einander bedingen und nur in ihrem Zusammenhalt die gemeinschaftstiftende, die menschheitstiftende Aufgabe des Titans sich erfüllt, erdgeboren, himmelszugekehrt, weil nur in der Menschheit, weil nur in der echten Gemeinschaft, spiegelnd die Ganzheit alles Menschentums, spiegelnd die Menschheit, der erkenntnisgetragene, erkenntnistragende Kreislauf göttlicher Frage und Antwort sich vollzieht, ausschließend den Hilfsunfähigen, den Pflichtunfähigen, den Eidunfähigen, ihn ausschließend, weil er sich von der titanischen Bewältigung und Verwirklichung und Vergöttlichung des Menschen-Seins, um das es da geht, selber ausgeschlossen hat; wahrlich, dies wußte er, und er wußte auch, daß das nämliche für die Kunst zu gelten hat, daß sie desgleichen nur so weit besteht - oh, besteht sie noch, darf sie noch bestehen? - so weit sie Eid und Erkenntnis enthält, so weit sie Menschenschicksal ist und Seinsbewältigung, so weit sie sich am Unbewältigten erneuert, so weit sie solches bewerkstelligt, indem sie die Seele zu fortgesetzter Selbstbewältigung aufruft und sie solcherweise Schichte um Schichte ihrer Wirklichkeit aufdecken, Schichte um Schichte tiefer dringen läßt, Schichte um Schichte ihres innersten Sein-Gestrüpps durchdringend, Schichte um Schichte hinabdringend zu den niemals erreichbaren, trotzdem stets erahnten, stets gewußten Dunkelheiten, aus denen das Ich stammt und zu denen es einkehrt, die Dunkelheitsregionen des Ich-Werdens und des Ich-Verlöschens, der Seele Eingang und Ausgang, doch zugleich auch Eingang und Ausgang alles dessen, was ihr Wahrheit ist, ihr angezeigt von dem wegweisenden, dem goldleuchtenden Zweig im Schattendunkel, vom goldenen Zweig der Wahrheit, der durch keine Gewaltsanstrengung gefunden und gebrochen werden kann, weil die Gnade des Fundes und die des Abstiegs ein und dieselbe ist, die Gnade eines Selbsterkennens, das ebensowohl der Seele wie der Kunst angehört, als ihre gemeinsame Wahrheit, als ihre gemeinsame Wirklichkeitserkenntnis; wahrlich, dies wußte er, und so wußte er auch, daß in solcher Wahrheit die Pflicht allen Künstlertums liegt, die Pflicht zur selbsterkennenden Wahrheitsfindung und Wahrheitsäußerung, dem Künstler zur Aufgabe gesetzt, damit die Seele, gewahr des großen Gleichgewichts zwischen dem Ich und dem All, sich im All wiederfinde, damit sie das, was dem Ich durch die Selbsterkenntnis zugewachsen ist, wiedererkenne als Seins-Zuwachs im All, in der Welt, ja im Menschentum überhaupt, und wenn dieser doppelte Zuwachs auch immer nur sinnbildhaft sein kann, gebunden von vorneherein an die Sinnbildhaftigkeit des Schönen, an die Sinnbildhaftigkeit der schönen Grenze, wenn es also auch immer nur sinnbildhafte Erkenntnis bleibt, sie ist gerade infolge solcher Sinnbildhaftigkeit imstande, die unüberschreitbaren innersten und äußersten Grenzen des Seins trotzdem, zu neuen Wirklichkeiten auszudehnen, keineswegs bloß zu neuen Formen, nein, zu neuen Inhalten der Wirklichkeit, weil sich eben hierin das tiefste Wirklichkeitsgeheimnis, das Geheimnis der Entsprechung auftut, die gegenseitige Entsprechung von Ich-Wirklichkeit und Welt-Wirklichkeit, jene Entsprechung, welche dem Sinnbild die Schärfe der Richtigkeit verleiht und es zum Wahrheits-Sinnbild erhebt, die wahrheitsgebärende Entsprechung, von der alle Wirklichkeitsschöpfung ausgeht, Schichte um Schichte vordringend, vortastend, vorahnend bis zu den unerreichbaren Dunkelheitsregionen des Anfangs und des Endes, vordringend zum unerforschlich Göttlichen im All, in der Welt, in der Seele des Nebenmenschen, vordringend zu jener letzten Gottesverborgenheit, die aufdeckungs- und erweckungsbereit allüberall und selbst noch in der verworfensten Seele da ist -dies, die Aufdeckung des Göttlichen durch das selbsterkennende Wissen um die eigene Seele, das ist die menschliche Aufgabe der Kunst, ihre Menschheitsaufgabe, ihre Erkenntnisaufgabe und ebendarum ihre Daseinsberechtigung, erwiesen an der ihr auferlegten dunklen Todesnähe, weil sie bloß in solcher Nähe zur echten Kunst zu werden vermag, weil sie bloß darum die zum Sinnbild entfaltete Menschenseele ist; wahrlich, dies wußte er, doch er wußte auch, daß die Schönheit des Sinnbildes, und sei es noch so sehr richtigkeitsscharfes Sinnbild, niemals Selbstzweck werden darf, daß immer, wenn solches geschieht und die Schönheit sich als Selbstzweck vordrängt, die Kunst in ihren Wurzeln angegriffen wird, weil dann ihre Schöpfungstat unweigerlich sich umkehrt, weil dann plötzlich das Erzeugende durch das Erzeugte ersetzt ist, der Wirklichkeitsinhalt durch die leere Form, das erkenntnishaft Richtige eben durch das bloß Schöne, in einer ständigen Verwechslung, in einem ständigen Vertauschungs- und Umkehrungskreis, dessen Insichgeschlossenheit keinerlei Erneuerung mehr zuläßt, nichts mehr erweitert, nichts mehr entdeckt, weder das Göttliche im Verworfenen, noch das Verworfene in des Menschen Göttlichkeit, sondern sich einfach an leeren Formen, an leeren Worten berauscht und in solcher Unterscheidungslosigkeit, ja Eidlosigkeit, die Kunst zur Unkunst, die Dichtung aber zum Literatentum herabwürdigt; wahrlich, dies wußte er, wußte es sehr schmerzlich, und ebendarum wußte er auch um die innersten Gefahren alles Künstlertums, ebendarum wußte er um die innerste Einsamkeit des zum Künstler bestimmten Menschen, um diese ihm eingeborene Einsamkeit, die ihn in die noch tiefere der Kunst und in die Sprachlosigkeit der Schönheit treibt, und er wußte, daß die meisten an solcher Vereinsamung scheitern, daß sie einsamkeitsblind werden, blind für die Welt, blind für das Göttliche in ihr und im Nebenmenschen, daß sie, einsamkeitsberauscht, nur noch die eigene Gottähnlichkeit, als wäre sie eine ihnen allein zukommende Auszeichnung, zu sehen vermögen, und daß sie daher solch anerkennungslüsterne Selbstvergötzung mehr und mehr zum einzigen Inhalt ihres Schaffens machen -, Verrat am Göttlichen wie an der Kunst, Verrat, weil auf diese Weise das Kunstwerk zum Un-Kunstwerk wird, zu einem unkeuschen Mantel der Künstlereitelkeit, zu einem Flitterstaat, in dessen Unehrlichkeit sogar die selbstgefällig zur Schau gestellte eigene Nacktheit sich zur Maske verfälscht, und wenn auch das unkeusch Selbstgenießerische, das Schönheitsverspielte und Wirkungsbedachte, das unerneuerbar Kurzfristige und unerweiterbar Begrenzte solcher Unkunst einen leichteren Weg zu den Menschen hat, als echte Kunst ihn je finden könnte, es ist nur ein Schein-Weg, ein Ausweg aus der Einsamkeit, nicht jedoch der Anschluß an die Menschengemeinschaft, den, die echte Kunst in ihrem Menschheitsstreben sucht, nein, es ist der Anschluß an die Pöbelhaftigkeit, ist Anschluß an deren eidbrüchige und eidunfähige Nicht-Gemeinschaft, die keinerlei Wirklichkeit bewältigt oder schafft, auch gar nicht gewillt ist solches zu tun, vielmehr im Wirklichkeitsvergessen dahindämmert, wirklichkeitsverlustig wie die Unkunst, wirklichkeitsverlustig wie das Literatentum, die innerste und tiefste Gefahr aller Künstlerschaft; oh, wie sehr schmerzlich wußte er darum, und er wußte deshalb auch, daß die Gefahr der Unkunst und des Literatentums ihn seit jeher umfangen gehalten hatte, ihn immerzu gefangen hielt, daß er daher - hatte er auch niemals gewagt sich dies ehrlich einzugestehen - seine Dichtung eigentlich nicht mehr Kunst nennen durfte, da sie, bar jeglicher Erneuerung und Erweiterung, nichts als unkeusche Schönheitserzeugung ohne Wirklichkeitsschöpfung gewesen war, da sie vom Anfang bis zum Ende, vom Ätnagesang bis zur Äneis lediglich der Schönheit gefrönt hatte, selbstgenügsam auf die Verschönerung von längst Vorgedachtem, längst Vorerkanntem, längst Vorgeformtem beschränkt, ohne richtigen innern Fortschritt, es sei denn der einer ständig zunehmenden Pracht und Überladung, eine Unkunst, die niemals imstande gewesen war, aus sich selbst heraus das Sein zu bewältigen und zu wirklichem Sinnbild zu erheben. Oh, an seinem eigenen Leben, am eigenen Werk hatte er die Verlockung der Unkunst erfahren, die Vertauschungsverlockung, die das Erzeugte an die Stelle des Erzeugenden setzt, das Spiel an die Stelle der Gemeinschaft, das Erstarrte an die Stelle der lebendig fortwirkenden Schöpfung, das Schöne an die Stelle der Erkenntnis, er wußte um diese Vertauschung und Umwendung, wußte es um so mehr, als es auch die seines Lebensweges gewesen war, des Unheilsweges, der ihn von der Heimaterde zur Großstadt geführt hatte, vom werktätigen Schaffen bis hinab zur selbstbetrügerischen Schönrednerei, von der Verantwortungspflicht der Menschlichkeit bis hinab zu einem verlogenen Scheinmitleid, das die Dinge von oben herab betrachtet und zu keiner wirklichen Hilfe sich aufrafft, sänftengetragen, sänftendurchtragen, ein Weg von der gesetzesbedingten Gemeinschaft hinab in die zufallsüberantwortete Vereinzelung, der Weg, nein, der Absturz in die Pöbelhaftigkeit und dorthin, wo sie am ärgsten ist, ins Literatentum!
War es ihm auch selten bewußt geworden, er war immer wieder dem Rauschhaften erlegen, möge es sich ihm als Schönheit, als Eitelkeit, als künstlerische Verspieltheit, als spielerisches Vergessen dargeboten haben, von hier aus war sein Leben bestimmt worden, als ob es von kreisend gleitenden Schlangenringen umfangen gewesen wäre, schwindelerregend der Rausch der unablässigen Umwendung und Umkehrung, der verlockende Rausch der Unkunst, und mochte er jetzt, da er auf dieses Leben zurückblickte, auch Scham darob empfinden, mochte er jetzt, da die Zeitengrenze erreicht war und der Abbruch des Spieles bevorstand, sich auch in kalter Rauschernüchterung sagen müssen, daß er ein nichtswürdig armseliges Literatenleben geführt hatte, nicht besser als das eines Bavius oder Mävius oder das irgendeines ändern der von ihm so verachteten eitlen Wortemacher, ja, mochte sich gerade daran wieder zeigen, daß in jeder Verachtung auch ein Stück Selbstverachtung steckt, da diese jetzt mit einer so schamerfüllten und so schneidenden Schmerzhaftigkeit in ihm hochstieg und ihn aufwühlte, daß es nur noch eine einzige, zulässige und wünschenswerte Lösung gab, nämlich Selbstauslöschung und Tod, so war trotzdem das, was ihn überkommen hatte, etwas anderes als Scham, war mehr als Scham: wer ernüchtert auf sein Leben zurückblickt und hierbei erkennt, daß jeder Schritt seines Fehlweges notwendig und unvermeidlich, ja selbstverständlich gewesen war, daß durch Schicksalsgewalt und Göttergewalt der Umkehrungsweg ihm vorgeschrieben ist, daß es ihn deshalb unbeweglich an den Platz gebannt hält, unbeweglich bei all seinem Vorwärtsstreben, verirrt im Gestrüpp der Bilder, der Sprache, der Worte, der Töne, schicksalsbefohlen die Verstrickung im Gezweige des Innen und Außen, schicksalsverboten, götterverboten die Hoffnung des Führerlosen, die Hoffnung auf den golden auf leuchtenden Zweig im Gestrüpp der Kerkerwände, wer solches erkannt hat, wer solches erkennt, der ist noch mehr beschämt, der ist von Entsetzen erfüllt, denn er erkennt, daß für die Himmlischen alles Geschehen in Gleichzeitigkeit vor sich geht, daß eben darum Jupiters Wille und der des Schicksals zu einem einzigen hatten werden können, in furchtbarer Gleichzeitigkeit als unzersprengbare Einheit von Schuld und Strafe sich dem Irdischen offenbarend. Oh, tugendhaft ist nur der, den das Schicksal zur gemeinschaftstragenden, helfenden Pflichterfüllung bestimmt hat, nur er wird von Jupiter auserwählt, auf daß aus dem Dickicht das Schicksal ihn führe, doch wenn ihr gemeinsames Wollen die Pflichterfüllung nicht zuläßt, dann gilt ihnen Hilfsunfähigkeit und Hilfsunwilligkeit gleich, und sie bestrafen beides mit Hilflosigkeit: hilfsunfähig, hilfsunwillig, hilflos in der Gemeinschaft, gemeinschaftsscheu und eingeschlossen in den Kerker der Kunst ist der Dichter, führungslos und führungsunfähig in seiner Preisgegebenheit, und wollte er sich auflehnen, wollte er trotzdem zum Helfenden, zum Erwecker in der Dämmerung werden, um damit zum Eid und zur Gemeinschaft zurückzufinden, er wäre mit solchem Streben - oh, daß er mit entsetzter Scham dessen gewahr werde, waren die drei zu ihm hergesandt worden! - von vorneherein zum Scheitern verurteilt; seine Hilfe wäre Scheinhilfe, seine Erkenntnisse wären Scheinerkenntnisse, und würden sie von den Menschen überhaupt angenommen werden, sie wären ihnen immer nur unheilbringende Mißleitung, fern jeder heilsweisenden Leitung, fern dem Heile. Ja, das war das Ergebnis: der Erkenntnislose als Erkenntnisbringer für die Erkenntnisunwilligen, der Wortemacher als Spracherwecker für die Stummen, der Pflichtvergessene als Verpflichter der Pflichtunwissenden, der Lahme als Lehrer der Torkelnden.
Wiederpreisgegeben war er, preisgegeben an eine wiederpreisgegebene Welt, oh, keine Hand hielt ihn mehr, nichts war mehr da, das ihn barg und aufrichtete; er war fallengelassen worden, und hingebrochen über die Fensterbrüstung, leblos an die staubig heiße Leblosigkeit der Ziegel angeklammert, die Staubigkeit dieses überhitzten Ur-Lehms scharf unter den Fingernägeln spürend, angeklammert an das erstarrt Ur-Erdige, hörte er das schweigende Lachen im steinheißen, gestaltstarren Nachtschweigen ringsum, hörte er darin das Schweigen des vollzogenen Eidbruches, das verstockte Schweigen des sprachberaubten, erkenntnisberaubten, erinnerungsberaubten Schuldbewußtseins, das Schweigen der Vorschöpfung und ihres grausam anwachsenden Todes, für dessen Unbedingtheit es keine Wiedergeburt und keine Erneuerung der Weltschöpfung gibt, weil das von ihm verhängte Sterben keinerlei Göttlichkeit kennt: oh, kein anderes Geschöpf ist so unbedingt und so ungöttlich sterblich, wie der Mensch es ist, denn kein anderes kann so eidbrüchig werden wie der Mensch, und je verworfener er wird, desto sterblicher wird er, aber am eidbrüchigsten und sterblichsten ist jener, dessen Fuß sich der Erde entwöhnt hat und nur noch Steinpflaster berührt, der Mensch, der nicht mehr ackert und nicht mehr säet, für den sich nichts mehr nach dem Rund der Gestirne vollzieht, dem der Wald nicht mehr singt und nicht die grünenden Felder; wahrlich, niemand und nichts ist so sterblich wie der Großstadtpöbel, der durch die Straßen hinkrabbelt, hinschleicht, hinwimmelt und vor lauter Getorkel das Gehen verlernt hat, von keinem Gesetz mehr getragen, keines in sich tragend, die wiederzersplitterte Herde, verlustig ihrer einstigen Weisheit, unwillig der Erkenntnis, tierhaft, ja untertierhaft jeglichem Zufall anheimgegeben und schließlich dem Zufallsverlöschen ohne Erinnerung, ohne Hoffnung, ohne Unsterblichkeit; so war es ihm gleichfalls beschieden, ihm zusammen mit der aufgesplitterten Pöbelherde, der er als einer ihrer Splitter angehörte, so war es ihm mit Schicksalsnotwendigkeit auferlegt, unvermeidlich. Die Regionen des Schreckens hatte er hinter sich gelassen, doch nur, um mit Entsetzen zu sehen, wie er ins Pöbelhafte abgestürzt war, abgestürzt zu einer Oberfläche, die zu keiner Tiefe Einlaß bietet -, wird sich dieser Absturz noch weiter fortsetzen, sich noch weiter fortsetzen müssen? von Oberfläche zu Oberfläche bis hinab zur letzten, bis zu der des schieren Nichts? bis zur Oberfläche des letzten Vergessens? Immer stehen die plutonischen Tore geöffnet, unvermeidlich ist der Absturz, von dem es keine Rückkehr gibt, und im Rausch des Sturzes meint der Mensch, es sei ein Sturz nach aufwärts, meint es so lange, bis er dort, wo die Zeitlosigkeit der himmlischen Geschehnisse sich plötzlich als Gleichzeitigkeit und als ein Zusammentreffen im irdischen Bereich offenbart, bis er an solcher Zeitgrenze dem entgöttlichten Gott begegnet, eingeholt und überholt von ihm, der ummantelt und umflattert vom Äonengelächter gleicherweis abwärtsstürzt, sie beide in die selbige Ernüchterung und Selbstpreisgabe geschleudert, einem Entsetzen preisgegeben, das in verstockt trotziger Scham zwar noch lacht, doch zugleich auch schon ein künftiges, noch entsetzlicheres Entsetzen ahnt und dieses weglachen will: zu noch nackterem Entsetzen, zu noch nackterer Scham, zu noch nackterer Entlarvung ging die schicksalsgetriebene Fahrt, ging der Absturz, es ging in eine neue Vernichtung und Selbstvernichtung, ärger als alle bisherige, in eine neue Abgeschiedenheit, die alle bisherige Einsamkeit, alle Nachteinsamkeit, alle Welteinsamkeit übertreffen sollte, verlassen nicht nur von jedwedem Menschentum, sondern sogar auch von jedweder Dinglichkeit; die leere Oberfläche des unbewältigten Seins hatte sich mit einem Male da entblößt, und in der Unzulänglichkeit der inneren und äußeren Sphären hatte die Nacht, obwohl unverändert strahlend im vollen Rund ihrer Dunkelheit, sich zu einem Nirgendwo aufgelöst, das mit seiner Zufallsanheimgegebenheit sowohl Erkenntnis wie Wissen überflüssig macht und in Nutzlosigkeit hinschwinden läßt. Verschwunden waren Erinnerung wie Hoffnung, verschwunden vor der Gewalt des unbewältigten Zufalls, denn dieser war es, der sich in alldem zeigte, unentrinnbar der die Unschöpfung beherrschende Zufall, und umwittert vom Rausch und von der Unerinnerung aller vorschöpferischen Preisgegebenheit, umblinkt von den kalten Flammen der Vorschöpfung, von ihrer Ungeborenheit und Vorgestorbenheit, meldete er, der nackte Zufall, der die namenloseste Einsamkeit ist, nun seinen Herrschaftsanspruch wieder an -, dies war das Ziel der Fahrt, das nun sichtbare Ziel des Absturzes, das Namenlose selber.
Die namenlose Zufallseinsamkeit, ja, die sah er vor sich, der sturzbereit und doch schon stürzend hier am Fenster stand. Unbewältigt und unbewältigbar in ihrer Preisgegebenheit war die fremd gewordene Nacht vor seinen fiebernden Blicken aufgetan, unverändert unbeweglich, dennoch fremd, wurde sie von des Mondes mildhartem Atem bestrichen, unverändert unbeweglich von der Milchstraße sanftleise durchflutet, einversenkt in das schweigende Sternsingen, einversenkt in die Schönheit und in ihre verzauberte Zaubereinheit, in die verschwebende Einheit der schöngewordenen Welt, einversenkt in deren erstarrt-erstarrende Überferne, und raumschön, raumstarr, raumgroß wie diese, dämonisch gleich dieser zu Fremdheit verzaubert, wurde sie mit ihr durch die Zeiten dahingetragen, Nacht und doch das Unsterbliche innerhalb der Zeit, äonisch und doch ohne Ewigkeit, fremdgeworden allem Menschlichen, fremd der Menschenseele, da die stille Einswerdung, die sich fernedurchtränkt, fernedurchtränkend so vollzog, keinerlei Teilhaftig werden mehr erlaubte; der Vorhof der Wirklichkeit hatte sich zu dem der Unwirklichkeit verwandelt. Erloschen waren die Sphärenordnungen des Seins, es schwieg ihr stummklingender Silberraum, eingeschlossen und entfremdet vom Überunerfaßlichen, als Fremdheit das Überunerfaßliche jedweden Menschentums in sich einschließend, und Mond und Milchstraße und Gestirne, sie hatten keine Namen mehr, unbekannt waren sie ihm im Unzugänglichen, in ihrer Abgeschiedenheit, die unüberbrückbar-unüberrufbar war und trotzdem auf ihm lastete, niederzwingend und drohend, durchsichtig und heiß, die überhitzte Kälte des Weltenraumes; was um ihn herum war, umschloß ihn nicht mehr, und obschon von ihr umschlossen, stand er außerhalb der Nachthöhle, abgeschieden vom Schicksal, sowohl vom eigenen wie vom fremden, abgeschieden vom Schicksal der unsichtbarsichtbaren Welt, abgeschieden von allem Göttlichen, abgeschieden von allem Menschlichen, abgeschieden von der Erkenntnis, abgeschieden von der Schönheit, denn auch die Schönheit der sichtbar-unsichtbaren Welt war im Namenlosen entschwunden, war kaum mehr Erinnerung -
- oh, Plotia, weiß ich noch deinen Namen? in deinen Haaren wohnte die Nacht, sternenübersät, sehnsuchterahnend, lichtverheißend, und ich, über ihre Nächtlichkeit gebeugt, trunken des glitzernd süßen Nachtatems, ich bin nicht in sie versunken!
oh, verlorenes Sein, vertrauteste Fremdheit, fremdeste Vertrautheit, du fernste Nähe, allernächste aller Fernen, erstes und letztes Lächeln der Seele in ihrer Ernsthaftigkeit, du, o du, die du alles warst und bist, vertraut und fremd und ein nahfernes Lächeln, du schicksalstragende Blume, ich konnte dein Leben nicht in mich eindringen lassen ob seiner überschweren Ferne, ob seiner überschweren Fremdheit, ob seiner überschweren Nähe und Vertrautheit, ob seines überschweren Nachtlächelns, ob des Schicksals, ob deines Schicksals, das du in dir trugst und immer tragen wirst, unerreichbar für dich, unerreichbar für mich, das ich nicht auf mich nehmen durfte, da seine überschwere Unerreichbarkeit mein Herz gesprengt hätte, und ich habe bloß deine Schönheit, nicht dein Leben gesehen! oh, du zögernd Hinweggeeilte, die ich nicht zurückrief, du Sehnsuchtsbegnadete, die zurückzurufen mir verwehrt war, du nimmerwiederkehrender, ach, so leichter Schritt im unerforschlich Unerlauschbaren, du verlorener Schein hinter den Schatten, wo ist deine Heimkehr? wo bist du?! du warst; und du ließest mir den Ring von deinem Finger und stecktest ihn an meine Hand, und es war, mit Dunkel uns einschließend, die dunkelheitsumschlossene, dunkelheitseinschließende, die hinrauschende Zeit, oh, Plotia, ich weiß es nicht mehr -
- kaum mehr Erinnerung war das Entschwundene, das einstmals Wirkliche und mehr als Wirkliche, kaum mehr ein Name war die Frau, die er geliebt hatte, kaum mehr ein Schein, kaum mehr ein Schatten, sie war ihm ins unerforschlich Zufällige zurückversunken, und nichts war geblieben als das verwunderte Wissen um ein Gewesenes, um ein Verklungenes, um die verklungene Musik der Schönheit, um eine einstmalige Verwunderung und ein einstmaliges unerklärlich gewaltiges Vergessen, nach dem er mit all der verwunderten Beharrlichkeit eines Rauschsüchtigen gefahndet hatte, oh, selbst noch in der Erinnerung verwundert, daß es vorhanden gewesen war, daß Schönheit aufgeklungen hatte, daß sie hatte aufklingen können, daß sie, eingesenkt in das Menschenantlitz wie ein leiser, ewigkeitsgeborener, ewigkeitsentatmeter Rauch, immer wieder aus dem menschlichen Antlitz leuchtet, vertrautfernes, fremdnahes nachtlächelndes Schimmern und Verschimmern, verwelkbar wie weißer Liguster, das zarte Schleiergewebe des Sterbens, das über alles Menschliche gebreitet ist, der Schleier des Menschlichen, verdichtet in der Schönheit, doch zugleich auch in ihr durchsichtiger geworden, als hätte sich damit das Vergessen selber in die Seele eingeschmiegt, als hätte sich die Seele selber zu ihrer irdischen Unsterblichkeit in der Schönheit vergessen, zum Schönheitsvergessen schlechthin, als schimmerte in der menschlichen Schönheit noch ein letzter Rest jener längst entlarvten Hoffnung auf, die dem unerlauschbar unerreichbaren Wissen um das Sterben zugewandt ist: nichts war davon geblieben, nur der unbewältigbare Tod stand hinter der immerwiederkehrenden sterbenssüßen Gestalt, unbewältigt und großaufgerichtet erhob er sich im Unermeßbaren, aufgerichtet bis zu den Sternen, sphärenerfüllend, sphärenverbindend, und zusammt mit ihm, aufgerufen von seiner Stummheit, von ihr bewegt, sie erfüllend, sie seiend, war jählings all das aufgerauscht, was von ihm umfaßt wird, stummaufrauschend der Tod, stummaufrauschend das von ihm Umfaßte, das Todes verfallene, Todesgebannte, das Zufallsgeborene und Zufallsverhaftete, die todeserwartende Gestaltenvielfalt der Menschen, vervielfältigt das Hinkende, vervielfältigt das Fettwanstige, vervielfältigt das Schwabbelnde und Keifende, vervielfältigt zu einem so dichten Gestaltengewimmel, daß das leere Steingehäuse des Platzes davon überquoll, daß es in alle Sphärenräume drang, freilich ohne die Leere des Platzes, ohne die Leere der Räume zu verändern, daß es wie ein Aufbrechen und Ausschütten der Zeit selber war, die Totenherde der Gleichzeitigkeit, die irdischmenschliche Mannigfaltigkeit, der irdische Mensch im Mannigfaltigkeitskreis seiner Abwandlungen, mitsamt seinem Knochengerüst und seinem Schädel, mit seinem Rundschädel, seinem Flachschädel, seinem Turmschädel, bewollt, begrast, beflachst, glatzig und besträhnt, Schädel an Schädel, der schädeltragende Mensch mit seiner Gesichtsvielfalt, tiergesichtig, pflanzengesichtig, steingesichtig, seltsam hautüberzogen, glatt oder finnig oder runzelig, fleischgepolstert oder schlaff, mit seinen Kau- und Sprechkiefern, steinern zahnbesetzt in seiner Gesichtshöhle, der gesichtstragende Mensch mit seinen vielfältigen Haut- und Höhlungsgerüchen, mit seinem Lächeln, dem blöden wie dem listigen, dem bleckenden wie dem hilflosen, mit seinem selbst in letzter Verworfenheit göttlichrührenden Lächeln, das ihm das Gesicht öffnet, ehe das Lachen es wieder ihm schließt, auf daß sein Auge nicht das Unmenschliche der Schöpfungszertrümmerung sehe, der blickbegnadete Mensch, augengroß, augenstarr, augenkristallen, augendunkel, augenlebend, im Auge sein Schicksal enthüllend, sich selber im Auge verborgen, der schicksalstragende Mensch, gerade in seiner Augenkraft vom Schicksal zur Scham verurteilt, der schamerfüllte und dennoch sprechende Mensch mit seiner schamlos von Kiefer, Zunge, Lippe feucht gelenkten Stimme, der atemtragenden Stimme, der worttragenden, gemeinschaftstragenden Stimme, die aus ihm herausdringt, rauh, fett, schmeichlerisch, dröhnend, beweglich und steif, japsend, dürr, quäkend, bellend, und doch immer fähig, sich zum Liede zu verklären, der Mensch, dieses wunderbare und entsetzliche Ganzheitswerk aus anatomischem Sein, aus Sprache, aus Ausdruck, aus Erkenntnis und Nicht-Erkenntnis, aus stumpfem Dahindämmern, aus Sesterzenrechnerei, aus Begierden, aus Rätselhaftigkeit, dieses Ganzheitswesen, zerteilt in Organe, in Lebenszonen, in Substanzen, in Atome, vervielfältigt und abervervielfältigt, all diese Wesensvielfalt, dieses Gewirr von Menschenbestandteilen, kaum richtig zusammengesetzt, dieses Geschöpflichkeitsdickicht, irdisch in seiner Wirklichkeit, irdisch wie ihr steinernes Knochengerüst, irdisch wie das Knochengerüst des Todes, all dieses Leibergestrüpp, Gliedergestrüpp, Augengestrüpp, Stimmengestrüpp, dieses Dickicht der Halb-Erschaffenheit und Unfertigkeit, entstanden aus Zufallsbrunst und immer wieder auseinander hervorsprießend, in stets erneuter Zufallsbrunst verpaart, vermengt, verfickt, verflochten, verzweigt, immer weiter sich verzweigend und sich erneuernd, um dabei unaufhörlich abzusterben, so daß das Abgestorbene, das Verdorrte und Verwelkte zur Erde fällt, dieses Menschen-Dickicht in seiner pflanzlichtierischen Lebendigkeit und Todgeweihtheit, es war nun mit der Gestalt des Todes aufgeflutet, war mit dem Tod aufgerauscht, aufgelärmt und aufgestummt, es war selber der sphärenfiillende Tod, das menschliche Zufallschaos, so zufällig und so sterblich, daß wir kaum wissen, ob der, welcher als Lebender zufällig vor uns auftaucht, nicht etwa schon im Einst verstorben oder noch nicht einmal geboren ist, in Vorgestorbenheit, in Ungeborenheit-, Plotia, o Plotia, niemals Gefundene, Unauffindbare! Oh, sie war ihm unauffindbar im Totengestrüpp, sie war ihm ins untergründig Wiederpreisgegebene zurückgesunken, und er hatte weniger Gemeinschaft mit ihr als mit einer Toten, da er selber gestorben war, abgestorben in den Vortod der Unschöpfung, abgestorben ins Meineidige, ins Hinkende, ins Verbogene, abgestorben in die Wiederpreisgegebenheit eines städtisch verpöbelten Literatentums, das in den Scheinweg seiner Scheinumkehrungen sogar auch noch den Tod einbezieht, den Tod mit der Schönheit, die Schönheit mit dem Tode verquickend, um an solch unkeuscher, verwesungslüsterner Gleichsetzung selbstbetrügerisch die Erreichung des Unerreichbaren zu gewinnen, um sich das unerlauschbare Sterbenswissen vorzutäuschen, sicherlich aber auch, um das Genießerische solcher Vertauschungen selbst auf die Liebe auszudehnen, ja um in ihr das spielerisch-unkeusche Spiel zu seinem eigentlichen Höhepunkt zu treiben; denn wer zur Liebe unfähig ist, wer unfähig ist zu ihrer Gemeinschaft, der muß aus der Brückenlosigkeit seiner Vereinsamung sich in die Schönheit retten, grausamkeitsgekitzelt wird er zum Schönheitssucher, zum Schönheitsanbeter werden, niemals zum Liebenden, wohl aber statt dessen zu einem Beobachter der Schönheit in der Liebe, zu einem, der Liebe durch Schönheit erzeugen will, weil er das Erzeugte mit dem Erzeugenden verwechselt, weil er auch in der Liebe den Rausch erahnt und aufspürt, den Todesrausch, den Schönheitsrausch, den Rausch des Vergessens, weil er in der dämmerigen Versunkenheit des Schönheitsspieles und der Todesliebe sich den Genuß dieses Vergessens verschafft, willig und willentlich vergessend, daß Liebe, obwohl zur Schönheitsschaffung begnadet, nimmermehr auf Schönheit, sondern einzig und allein auf ihre ureigenste Aufgabe gerichtet ist, auf jene menschlichste aller Aufgaben, die allzeit und ausschließlich Schicksal-auf-sich-Nehmen heißt; oh, dies allein ist Liebe, doch es halten die Toten keinerlei Gemeinschaft untereinander, sie haben einander vergessen -
- oh, Plotia! unvergeßbar Unvergessene! Schönheitsumflossene! oh, gäbe es Liebe, gäbe es der Liebe Schiedkraft im Menschen-Dickicht, es hieße, daß wir gemeinsam den goldenen Zweig finden dürften, daß wir gemeinsam hinabstiegen zum Quell des Vergessenheit-Nichts, zur letzten Unterwelts-Nüchternheit, daß wir hinabstiegen, wir selber traumlos nüchtern, hinab zum Urgrund, nicht durch die elfenbeinern schöne Traumespforte, die keinen mehr entläßt, sondern durch den nüchtern hörnernen Eingang, der uns die Rückkehr gestattet, den gemeinsamen Wiederaufstieg, heimbringend aus letztem Schicksalsverlöschen das neue Schicksal, heimbringend aus letzter Nicht-Liebe die Liebe, das neugeschaffene, das werdende Schicksal! oh, Plotia, du Kindhafte und doch nicht mehr Kindhafte! nur das werdende, nicht das gewordene Schicksal können wir auf uns nehmen, nur das werdende ist die Liebeswirklichkeit, die wir in allem frühlingshaft Keimenden und Aufblühenden, in jedem Grashalm, in jeder Blume, in jeder wachsend jungen Geschöpflichkeit, am innigsten aber wohl im Kinde suchen, aufnehmend des unentfalteten Schicksals Formungsbereitschaft um derentwillen wir uns allem Unberührten zuneigen, aufnehmend das Werdende in das Gewordene, aufnehmend den Knaben in die Formungsstärke des Mannes, oh, Plotia, es ist das werdende Schicksal, es ist dieses, das uns beschieden wäre, wenn es Liebe gäbe, wenn ihre Schiedkraft, enthoben aller Zufallsbrunst, wahrste Liebessicherheit verbürgen könnte, und es wäre dann das Schicksal selber die Liebe, wäre sie in ihrem Werden und in ihrem Sein, wäre sie als Abstieg in tiefste Un-Erinnerung und Wiederaufstieg ins All-Erinnerte, als Auslöschung zum Nichts und als Heimkunft ins unverändert Gleiche, wäre sie als Grashalm und Blume und Kind so unverändert, wie Grashalm, Blume, Kind es immer gewesen sind, dennoch gewandelt zur Liebe, überglänzt vom goldenen Zweig der Liebe, dem unauffindbaren -
- oh, von keinem goldenen Zweig überglänzt, halten die Toten keinerlei Gemeinschaft untereinander, sie haben einander vergessen, und Plotias Gestalt, Plotias unvergessenvergessenes Sein, das ihm einstmals der Lichtschimmer hinter allen Schatten gewesen war, hatte sich in die Schatten verflüchtigt, war ununterscheidbar geworden im Schattenreich, war hineingesunken in das Totengewimmel, ein Teil und kaum mehr ein Teil in der Fülle der Abgestorbenheit, in der Fülle der Gesichter, der Schädel, der Gestalten, sie allesamt für ihn ununterscheidbar, sie allesamt für ihn namenlos, sie allesamt für ihn verschwunden und verflüchtigt, da sie für ihn von vorneherein verstorben gewesen waren, da er nicht einmal den Lebenden je wirklich werktätige Hilfe hatte sein wollen, vielmehr - vom Schicksal wie von den Göttern zu solchem Nicht-Wollen verdammt, unschuldig und trotzdem schuldig - schon für den ersten ungetanen Versuch zur Hilfe, schon für den ersten ungetanen Schritt, schon für den ersten ungetanen Scheinansatz zu solchem Scheinschritt ein ganzes Leben gebraucht hatte, außerstande, sich in irgendeine lebendige Hilfsgemeinschaft einzureihen, geschweige also, daß er irgendeines lebendigen Wesens Schicksal hiefür auf sich hätte nehmen können, oh, er hatte ein Leben in der Nicht-Gemeinschaft der Toten verbracht, er hatte immer nur mit Toten gelebt und desgleichen die Lebenden zu ihnen gerechnet, er hatte die Menschen immer nur als Tote gesehen, hatte sie immer nur als Bausteine zur Errichtung und Erzeugung von todeserstarrter Schönheit genommen, und es waren die Menschen ihm darum allesamt ins Unbewältigte entschwunden, in die Unerkenntnis ewiger Unerschaffenheit. Denn nur in den Aufgaben, die der Mensch menschlich auf sich nimmt, liegt auch sein Erkenntnisheil, und ohne Aufgabe hat er auch dieses verwirkt. Unfähig war er zur tätigen Hilfe, unfähig war er zur liebenden Tat, unbewegt hatte er Menschenleid beobachtet, lediglich um des zur Unkeuschheit erstarrten Gedächtnisses willen, lediglich um der unkeusch schönen Aufzeichnung willen hatte er die Geschehensfurchtbarkeit betrachtet, und ebendarum war es ihm niemals gelungen, wahrhaft Menschen zu gestalten, Menschen, die essen und trinken, die Heben und geliebt werden können, und noch viel weniger solche, die durch die Straßen dahinhinken und dahinfluchen, ungestaltbar für ihn, ungestaltbar in ihrer Tierhaftigkeit, ungestaltbar in deren übergroßer Hilfsbedürftigkeit, ungestaltbar erst recht das Menschenwunder, mit dem selbst solche Tierhaftigkeit begnadet ist; nichts waren ihm die Menschen, Fabelwesen waren sie ihm, schönheitsumhüllte Schönheitsschauspieler, und als solche hatte er sie gebildet, als Fabelkönige, als Fabelhelden, als Fabelhirten, als Traumgeschöpfe, an deren schönheitsverspielter, schönheitsverträumter, unwirklicher Gottähnlichkeit er selber, sogar noch hierin dem Pöbel gleichend, gerne teilgenommen hätte, vielleicht auch hätte teilnehmen dürfen, soferne sie echte Traumerscheinungen gewesen wären, indes, weit davon entfernt, waren sie nichts als bloße Wortgebilde, kaum lebend in seinem Gedicht, tot jedoch, sobald sie um die nächste Ecke biegen, aufgetaucht aus dem Dunkel des Sprachgestrüpps und wieder eingegangen in den Zufall, ins Ungeliebte, in die Erstarrung, in den Tod, in die Stummheit, ins Unwirkliche, genau so wie jene drei, die nun auf Nimmerwiedersehen verschwunden waren. Und aus ihrer Entflüchtung dröhnte weltenzersprengend die böse Stummheit des Hohngelächters, von dem sie durchschüttelt worden waren, dröhnte als eine zweite Stille bösartig durch die Stille des Platzes und der Gassen da unten, dröhnte durch die Stille der Nacht, zufallsgeboren, fremdheitserfüllt, dröhnte raumzersprengend, raumaufhebend, freilich nicht zeitaufhebend das Gelächter des vollzogenen Eidbruches, das stumme Dröhnen der im Stiche gelassenen zersprengten Schöpfung.
Nichts war geblieben als die hohngeblendete Scham eines erloschenen Gedächtnisses, das zur Unkeuschheit eines toten Scheingedächtnisses geworden ist. Von keiner irdischen Flamme erweckt, waren die Feuer des Himmels zur Namenlosigkeit erschwiegen; es schwieg die Mitte, zugedeckt von den Steinplatten der Städte, sie waren einsgeworden mit den äußersten Grenzen, erkaltet unter dem Hauche des Nichts, und es erstarrte nun auch die fließende Gleichzeitigkeit, in der das Ewige ruht: wehe den Scheinumkehrungen des Irrweges, sie täuschen den großen Kreislauf vor, in welchem das Vergangene und das Zukünftige sich zum ewigen Jetzt der Zeitlosigkeit binden sollen, wehe der eidbrüchigen Umkehrung, wehe dieser Schein-Zeitlosigkeit, die das Wesen alles Rausches ist und zur Aufrechterhaltung solcher Belustigung stets aufs neue das Erzeugte für das Erzeugende setzen muß, schönheitsdürstig, blutdürstig, todesdürstig, das Opfer umgelogen und umgebogen zum genießerischen Lustrausch, wehe der unkeuschen Eitelkeit eines Gedächtnisses, für das es niemals Wirklichkeit gegeben hat, und das sich bloß um der schieren Erinnerung willen erinnert, wehe dieser Umkehrung des Seins, unerneuerbar bleibt der Eid, unanfachbar die Flamme, das Spielerische muß da versagen und versagt, mag noch so viel Schönheit, noch so viel Blut, noch so viel Tod hiezu aufgeboten werden, wirkungslos bleibt es an der Zeitenwende, und an ihr zerreißt die irdische Unendlichkeit; wahrlich, solange Opferung nicht wieder zu echtem Opfer geworden sein wird, ist das Unheil unabwendbar, gibt es keine Erweckung aus dem Dämmerschlaf, und gefangen im Unheilkreis bleibt der Überhebliche ein für allemal verkerkert, der Überhebliche, der sich zur Vernachlässigung seines Eides berechtigt erachtet, weil er die verlockende Gleichzeitigkeit des Innen und Außen, weil er die ein- und ausströmenden Gezeiten der Welt, weil er den verlockenden Anblick der schönheitsumsäumten Weltengrenzen, weil er die Verlockung als Erlaubnis zu jener Scheinumkehrung nimmt, die ebensowohl die des Erinnerungs- wie die des Vergessensberauschten ist, in beiden gleicherweise wirklichkeitsverlustig -, wehe dem Berauschten, der überheblich verstockt im Meineidigen verharrt und, ob erinnerungsüberflutet oder nicht, hierbei seines Menschentums vergißt, er hat die flammende Mitte des Seins verloren, und er weiß nicht mehr, ob er aufwärts oder abwärts stürzt, ob er vorwärts oder rückwärts blickt, richtungslos ist die Kreisbahn, aber sein Kopf ist in den Nacken gedreht, starr und lächerlich. Unerweckbar sind die Toten, unerweckbar war die Tote, der Raum des Vergessens war grauflutig über ihr zusammengeschlagen, und es, war, als hätten die Weiber in der Elendsgasse gewußt, daß da einer, der sein Leben nicht gesehen hatte, in seine letzte Ernüchterung und in sein letztes Vergessen getragen wurde. Hatte nun wirklich ihr Hohn sich gerechtfertigt?
Gab es wirklich nur noch den schamvollen Absturz ins Nichts und in die Regionen der leeren Oberfläche, die unter der Grenze des Nichts sich unterweltlich breiten? Oh, sie hatten recht behalten, und mit entsetzter Scham hatte er die höhnischen Verwünschungen hinzunehmen, denn die Unkeuschheit, deren er schuldlos sich schuldig gemacht hatte, war verworfener als jede noch so schamlose Zufallsunzucht der Pöbelmasse, denn er war der Unkeuschheit des freiwilligen Absturzes schuldig geworden, und wenn auch schicksalsbefohlen, er hatte sich freiwillig eingereiht in das meineidige und verlorene Geschlecht, das bar jeder Bindung über die Steinfliesen des Nichts dahintorkelt, feuerlos wie das Tier, kalt wie die Pflanze, unerweckbar wie der Stein, verirrt im Gestrüpp und selber Gestrüpp, untergegangen im Ununterscheidbaren einer endgültigen Versteinerung; er war der Bedrohung anheimgefallen, von der die Verworfenen, er verworfen mit ihnen, umfangen wurden, er war versteckt mit den Versteckten, und die Bedrohung, schicksalsgewaltig aus dem Überbedrohlichen stammend, durch keinerlei Lachensgedröhn aufzuhalten, schweigend und aberschweigend, tonzerstarrend, lichtzerstarrend in dem kristallenen Dunkel steinerner Unentrinnbarkeit, nachtaufgelöst und nachterstarrt, die Bedrohung stieg und stieg. Alles war bedroht, alles unsicher geworden, sogar die Bedrohung selber, da die Gefahr sich gewandelt hatte, übersetzt aus der Zone des Geschehens in die des Verharrens. Unerschütterlich verharrte die Nacht, kaltglühend ihr schwarzdurchsichtiger goldener Fittich, gespannt über das Menschenbehauste ringsum, das steinern auf der Erderstarrung lastete, bemalt von trockenem Mondlicht, und das Erstarrte trank das Licht der Gestirne tief in sich hinein, war bis in seine tiefsten Feuertiefen zu durchsichtigem Stein verwandelt, ward zum durchsichtigen Steinschatten in den geöffneten Kristallschächten der Erde, zum Kristallecho des Unerlauschbaren, hinabwebend bis ins Unerforschliche, heraufwebend bis ins Hörbare, so daß dieses wie ein letztes atemloses Atemringen der Versteinerung war, ein Steinkeuchen, flehend um den Atem des Seins; schattenversteinert, schattenversteinernd wallte es auf und ab, selbst die Postenschritte hinter der Mauer, nach wie vor beharrlich die Zeit abzählend, nahmen daran teil, sie waren dem Stein einverleibt, klingende, feierliche Schattenschritte des Nichts, die aus dem klingenden Pflaster heraus- und wieder in es hineinwuchsen, und während unter dem ständig härter werdenden Lichte nun der steifspitzige, scharfschattige Kamm der Eisenbolzen am Saume der Mauerkrone sichtbar wurde, tat sich nicht minder lichtaufgehellt und schattenklar der Schacht zwischen Mauer und Haus auf, bis in seine Tiefe silbergrün vom Sphärenschein durchflossen, lichtversteint, lichttrocken, lichtklingend vor Stummheit bis hinunter zum sandigkiesigen Boden, bis in das scharfregungslose Ungefähr des Schachtgrundes, das im trockenen Schatten etlichen Gesträuches allerlei Rümpelwerk zeigte, kaum benennbar, halb von den grünversilberten Zweigen des Gestrüpps verdeckt, Bretterzeug und Gerät, selber schattenwerfend, dabei aber auf eine so fürchterliche Art feierlich, daß es wie einsames und seltsam würdeloses Echo zu der steinernen Allstummheit war, gefahrspiegelnd, rachespiegelnd, drohungspiegelnd, weil das Nichts sich im Nichts spiegelte, das Durchsichtige gespiegelt im Staube, das eine wie das andere bestrichen von dem unbewegten Fittich, beides von Trauer gelähmt, dennoch in beiden, zerhetzt und zerrissen, das unhörbare Keuchen des Todes -- aber kikomsche Weiber, die er aus Liebe zur Toten verschmäht, rissen in Stücke den Mann beim Feste der Götter im bacchantischen Taumel, und weit umher in den Feldern zerstreut westen die Glieder; auch sein Haupt war vom marmornen Nacken gerissen, allein es hatte noch Stimme, und, bereits vom väterlichen Strom des Hebrus im rollenden Strudel ergriffen, «Eurydike» rief es mit fliehendem Hauche, «Eurydike, du Arme», und von den Ufern am Strome «Eurydike» hallt es zurück- und echolos war er, echolos toter Widerhall in den zu unabänderlicher Endgültigkeit emporgeschossenen Wüstenbergen des Tartarus, stummer Widerhall im regungslos versiegenden Innen und Außen, stummer Widerhall stummatemringenden Keuchens in den trockenen Schluchten und in den Kristallschächten der Versteinerung, er war ein blickloser Schädel, hingerollt in das Steingeröll am Schattengestade des Vergessens, hingerollt unter das dürrundurchdringliche Ufergebüsch am Dämmerstrom, hingerollt zum Nichts, vor dessen Ausweglosigkeit sogar das Vergessen erlischt, er war nichts als ein blindstarrendes Auge, er war rümpf los, stimmlos, lungenlos, atmungsentblößt, ja, so war er hin geschleudert zur unterweltlich luftleeren Blindheit: Schatten zu lösen war sein Auftrag gewesen, und er hatte Schatten geschaffen, der große Bündniseid der Erde war ihm auferlegt worden, und er war von vorneherein eidbrüchig gewesen, oh, es war der Auftrag an ihn ergangen, noch einmal die Steine des Grabes zu rücken, auf daß das Menschliche zur Wiedergeburt erstehe, auf daß die lebendige Schöpfung als Gesetz, auf daß diese ständige Gleichzeitigkeit in allem Zeitenablauf nicht unterbrochen werde, auf daß der Gott immer wieder vom Jetzt der Opferflamme zur Gleichzeitigkeit erweckt und zum Eide seiner Selbsterschaffung zurückgezwungen werden möge, vom Eide der Gott erschüttert, vom Eide die Erstarrung hintangehalten, vom Eide die Flamme geschürt, oh, dies war sein Auftrag gewesen, und er hatte ihn nicht ausgeführt, hatte ihn nicht ausführen dürfen; noch ehe es ihm gestattet gewesen war, zur Erfüllung des unbekannten Eides die Gruftplatten zu rücken, ja, auch nur anzutasten, noch ehe er die Arme hatte heben können, waren sie ihm schwer und gelähmt und durchsichtig geworden, waren hineingewachsen in die Steinversteinerung, sie waren hineingewachsen in das unbeweglich-ununterscheidbare, trockendurchsichtige Steinfluten, und dieses unbewegliche Fluten, versteinert und versteinernd, aus allen Sphären bis zur Mitte herandringend und wieder zurückebbend bis zu den Sphärengrenzen, Lebendiges wie Unlebendiges ins Schattenkristallene aufsaugend, wurde ein einziger Stein, wurde zum Opferstein des Alls, unbekränzt, unerwärmt, unerschüttert, unverrückbar, wurde zum opferentblößten Weltengrabstein, der das Unerfaßliche zudeckt und selber es ist. Oh, Los des Dichters!
Der Liebe Erinnerungsstärke hatte Orpheus den Eintritt in die Hadestiefe erzwungen, allerdings um ihm zugleich den letzten Abstieg zu verwehren, so daß er, verloren in der Unterweltlichkeit des Gedächtnisses, Zur vorzeitigen Umkehr genötigt war, unkeusch noch in der Keuschheit und zerrissen im Unheil Er hingegen, . liebelos von Anbeginn., unfähig das liebende Gedächtnis voranzuschicken und von keiner Erinnerung geführt, er war nicht einmal in die ersten Tiefen des erzbeherrschenden Vulcanus gelangt, geschweige denn zu den Bereichen der gesetzesstiftenden Väter, geschweige denn noch tiefer in die des weit gebärenden er innerunggebärenden, heilgebärenden Nichts, und er war in der erstarrten Leere der Obefläche geblieben.
Die Unbewältigung, einmal geschehen, läßt nichts zurück, was noch zu bewältigen wäre, und, aufgesaugt vom großen Schweigen der erkenntnisentleerten, gesetzesentleerten Namenlosigkeit, waren nun auch die lebenstragenden Großgezeiten des Entflammens und Verlöschens er schwiegen; es erschwiegen die Gezeiten des Anfanges und des Endes, die Gezeiten der feuerleuchtenden Erschütterung und der mildrieselnden Beruhigung, es erschwieg ihre wechselseitige Zeugung, die das eine zum ändern macht, es wurde die Weltganzheit unabänderlich ihres Atems, ihrer Dinglichkeit, ihres Geschehens, ihres Ablaufes verlustig, und umgeben vom Allschweigen wurde sie zum schweigenden Blick entblößt, zum Allblick der sichtbar-unsichtbaren Nacktheit schlechthin, entblößt zu ihrer blicklosblickenden, unabänderlich endgültigen Nichtmehr-Vorhandenheit: steinern starrendes Auge oben, steinern starrendes Auge unten, oh, nun war es da, das seit langem Erwartete, immer Gefürchtete, endlich war es da, nun sah er es, nun mußte er hineinblicken in das namenlos Unerahnbare, in die unerahnbare Namenlosigkeit, um derentwillen er ein Leben hindurchgeflüchtet war, um derentwillen er alles getan hatte, um diesem Leben ein vorzeitiges Ende zu bereiten, und es war nicht das Auge der Nacht, denn die Nacht war in die Versteinerung verflüchtigt, und es war nicht Furcht und nicht Entsetzen, denn es war größer als jede Furcht und jedes Entsetzen, es war das Auge der steinernen Leere, das aufgerissene Schicksalsauge, das an keinem Geschehen mehr teilhat, nicht am Zeitenablauf und nicht an der Zeitenaufhebung, nicht am Raum und nicht an der Raumlosigkeit, nicht am Tode und nicht am Leben, nicht an der Schöpfung und nicht an der Unschöpfung, ein unteilhaftiges Auge, in dessen Blick es keinerlei Anfang und keinerlei Ende und keine Gleichzeitigkeit gibt, abgelöst von allem Bestehenden und Noch-Bestehenden, mit diesem nur noch durch das Drohen und das dräuende Zuwarten, durch die Zeithaftigkeit der noch bestehenden Wartensfrist verbunden, widergespiegelt im Noch-Bestand des Bedrohten und in seinem drohungsfürchtenden Blick, aneinanderverbannt das Drohende und das Bedrohte im letzten Zeitenrest. Und es gab keine Flucht mehr, nur noch ihr atemloses Keuchen, es gab für sie kein Vorwärts mehr - wohin hätte sie noch führen sollen?! -, und das Keuchen glich dem des Läufers, der hinter dem Ziele erkennt, daß er nicht angelangt ist und niemals anlangen wird, weil im Unraum der Eidbrüchigkeit, durch den es ihn hindurchgehetzt hat, um ihn immer weiter zu hetzen, das Ziel nicht zu beschwören ist und unbeschworen bleibt, ziellos die Schöpfung, ziellos der Gott, ziellos der Mensch, echolos die Schöpfung, echolos Gott und Mensch im gesetzlos Wiederpreisgegebenen, das den Unraum gebiert. Was um ihn herum war, versinnbildlichte nichts mehr, war Nicht-Sinnbild, war das Unspiegelbare, das Nichtsmehr-Spiegelnde an sich, und darüber hinaus war es die Trauer der Sinnbildverarmung, jene Trauer des Unraumes, die unräumlich allem Raumgeschaffenen und auch schon dem schlafenden Ur-Humus träumend einversenkt ist, sinnbildentblößt, dennoch den Keim eines jeden Sinnbildes in sich bergend, enträumlicht, dennoch wie ein letzter Rest der Zeiten getragenen Schönheit vom Raume bedingt, die Traumestrauer, die auf dem Grunde eines jeden Auges wohnt, im Tierauge, wie im Menschenauge, wie im Gottesauge, ja, selbst auch noch im All-Auge der Leerheit gleich einem letzten Hauch der Schöpfung schimmert, trauernd und betrauert in der Qual einer fernsterinnerten Vorerschaffenheit, als höbe der Unraum in der Trauer an und doch zugleich auch die Trauer immer wieder im Unraume, als wäre in diese Einheit unabänderlich das Ur-Verhängnis aller Schöpfung eingekeimt, das Unheil, von dem alles Menschliche und alles Göttliche urschicksalhaft bedroht wird, ihrer beider gemeinsame Schicksalsfurcht, ihrer beider gemeinsame Schicksalsstrafe, die Furcht des Meineidigen, der von vorneherein zum Abfall verdammt ist, und die von vorneherein für ungetanes Tun, für nicht begangene Untat verhängte Sühne, mit der das Schicksal selbst die Götter beherrscht, die vom unerkennbaren Gesetz verhängte Strafe des Erkenntnis Verlustes und der Verlassenheit im Kerker des blindnotwendigen Dahindämmerns, die Verlassenheit der Nicht-Erkenntnis in unerkennbarer Notwendigkeit: näher und näher rückte es heran, gehetzt von stummkeuchender, atemloser Unheilstraurigkeit, trotzdem unbewegt langsam, verloren in Trauer und Unheil, verloren in einer Inhaltlosigkeit, die sogar Trauer und Unheil in sich aufsaugte; aus allen Schächten des Innen und Außen stieg es steinbleiern auf, als Vollzug der Drohung, ansteigend die blickende Leere, gewittergleich stieg es auf, drohender und drohender wurde das Noch-nicht-Eingetroffene, steinerner die Blickeinschließung, herangeschoben als Schweigenswand, herangeschoben in einer betäubenden Stummheit, die ebensowohl die eigene wie die aller Sphären war, lastend und aberlastend, beklemmend und beklemmender, der blickwachsende Blick des Grauens, der sich der toten Mitte näherte, und das Ich, umfangen von der Mitte, eingekreist in ihr, eingepreßt zwischen den Blickwänden, gepreßt in die Ununterscheidbarkeit des Innen und Außen, erstickt von solch verdoppelter Trauer, von dieser grenzenlosen Alltrauer des noch bestehenden Seins, die jedwede Vielfalt und jedwede Verdoppelung ins Übermaß der eigenen Grenzenlosigkeit hebt und damit aufhebt, mitaufgehoben das Ich, aufgesaugt und erdrückt von der Grenzenlosigkeit und ihrer trauernden Leere, deren Grauensahnung den verdoppelten Schrecken, das verdoppelte Entsetzen heranträgt und zugleich in sich auflöst, mitaufgelöst das Ich, aufgelöst und einverstarrt in den Blick des ringsum Drohenden, das blickbedrohte Ich, längst selber nur noch starrender Blick, das drohungsunterworfene Ich, es ward auf den letzten Rest seiner Wesenheit zusammengepreßt, ward vernichtet zum Unraum seiner Unerschaffenheit, seines Undenkens, ward auf den kleinsten Punkt eines nicht mehr erkennbaren, nicht mehr erkennenden Dahinwesens zurückgeworfen, regungslos ausgeliefert der Leerheitsumschlingung, oh, es war zurückgeworfen und zurückgeschleudert, hineingeschleudert in die Zerknirschung seines Selbst, geschleudert in Zerknirschung und Aber-Zerknirschung, es war gedemütigt zur Notwendigkeit, ausweglos, zur Notwendigkeit seiner Zerknirschung, hineingedemütigt in die Zerknirschung des leeren, des schieren Nichtmehr-Bestehens; das Ich war seiner selbst verlustig geworden, war beraubt seines Menschentums, von dem nichts geblieben war, nichts als die nackteste Nacktheits-Schuld der Seele, so daß auch sie, ichverlustig und doch unzerstörbar als Menschenseele, nun nichts mehr war als zerknirscht leere Nacktheit, niedergezwungen und aufgesaugt von der spiegellosen Leere des drohungsschweigenden Auges, spiegellos die Zerknirschung, spiegellos das Ich, spiegellos die Seele, spiegellos preisgegeben der Kraft des erlöschenden Blickes und selber erloschen Schweigen, Leere, Unraum, stumm, aber hinter den schwarzkristallenen Wänden der Allstummheit, in der fernlosen Überferne grenzenloser Grenzenlosigkeit, verschwindend und vernehmbar, gleichsam ein verlassenstes Hörbild des Seins und bereits jenseits allen Seins, dünn und hell und weiblich und fürchterlich in unsäglicher Kleinheit, tönte ein einziger Punkt, tönte der entlegenste Punktton der Sphären, tönte ein winziges Kichern, und es war das leere Kichern der Leerheit, das Kichern des leeren Nichts. Oh, wo war noch Rettung?! wo waren die Götter?! war das, was geschah, ihre letzte Machtausstrahlung, ihre Rache und die Vergeltung für ihre Wiederpreisgegebenheit, die Rache an den preisgegebenpreisgebenden Menschen?! waren es die Gottweiber, welche ob der menschlichen Zerknirschung sich erfreuten und darob kicherten?! freuten sie sich ob des verlorenen Menschentums, freuten sie sich ob der Unentrinnbarkeit des Welten-Meineides?! Ertaubt für jede Antwort, horchte er ins Ununterscheidbare hinein, und die Antwort kam nicht, denn der Meineidige vermag keine Frage zu stellen, so wenig wie das Tier zu fragen vermag, und tot war der Stein, tot und ohne Widerhall für die ungefragte Frage, tot war das Steinlabyrinth des Alls, tot der Schacht, auf dessen tiefstem Grunde frageentkleidet und antwortentkleidet das zum Nichts zerknirschte nackte Ich weset. Oh, zurück! zurück ins Dunkle, in den Traum, in den Schlaf, in den Tod! oh, zurück, noch ein einziges Mal zurück, oh, fliehen, noch einmal zurückfliehen ins Seiende! oh, Flucht! Indes nochmalige Flucht? gab es überhaupt noch Flucht? war überhaupt noch Flucht gemeint? Er wußte es nicht; er hatte es vielleicht gewußt, und er wußte nichts mehr, er war jenseits aller Wissensfähigkeit, er war in der Wissens-Leerheit, er war in der All-Leerheit und damit sogar jenseits alles Gehetztseins, ach der Zerknirschte ist bereits jenseits aller Flucht: aber nun, jenseits der Flucht, niedergezwungen vom Meineid, als müßte der Eidbrüchige selber gebrochen werden, als dürfte er nie und nimmermehr aufrecht stehen, fühlte er sich auf die Knie geschleudert; und tiefgebückt unter der ungeheueren Last der blindunbewegten, unsichtbardurchsichtigen Weltenleere, fluchterstarrt, fluchtgelähmt, und die belasteten Schultern niedergebeugt, und mit trockenleblosen Händen blindfingerig nach der Zimmerwand. suchend, blindfingerig den blindfingerigen Schatten auf der mondhellen, mondtrockenen Fläche berührend, tastete er sich an ihr entlang, begleitet von seinem neben ihm hergleitenden tiefgebückten Schatten, tastete er sich hartzitternd ins Dunkle zurück, unwissend dessen, was er tat oder nicht tat, tastete er sich zu dem Wandbrunnen hin, tierartig vom Wasser angelockt, tierartig nach dem Noch-Irdischen, nach dem Noch-Lebendigen, nach dem Noch-Bewegten lechzend; und so, schädelhängend, tierartig kroch er durch die erstarrte Trockenheit dem urtierischesten aller Ziele, dem Wasser zu, um in urtierischester Notwendigkeit tiefgebückt wie ein Tier an der silberrieselnden Feuchte zu lecken.
Wehe dem Menschen, der sich der ihm widerfahrenen Gnade nicht gewachsen zeigt, wehe dem Zerknirschten, der seine Zerknirschung nicht erträgt, wehe dem kreatürlichen Seinrest, der das Seiende nicht abtun will, ach, nicht abtun kann, weil das ausgelöschte Gedächtnis in Leerheit weiter besteht; wehe dem Menschen, der trotz seiner Zerknirschung und unabänderlichungelöst zum Kreatürlichen verdammt bleibt! um ihn herum bricht aufs neue das Lachen auf, und es ist das Lachen des Grauens, kein Weibslachen mehr und kein Mannslachen, nicht das der Götter und nicht das der Göttinnen, es ist das leere Kichern des Nichts, es ist der für den Sterblichen niemals verschwindende Seinrest im Nichts, der kichert und zum Lachen aufbricht, der damit sich selbst als das Seiende im Nichts, als das Nichts im Seienden enthüllt, als die Vereinigung von Scheinsein und Scheintod, als das lachennahe Wissen um solch scheintotes Sein, als der furchtbare und furchttragende Wissensrest innerhalb der Leerheit, irrsinnsgeschwängert, irrsinnsverlockend in seinem stummen Lachen, das anschwillt und anschwillt, bis die Leerheit in nacktes Grauen umgeschlagen ist. Denn je mehr die Zerknirschung das Menschliche in seinen wesenhaften Eigenschaften ergreift, desto unmittelbarer greift sie auch das kreatürlich Tierhafte im Menschen an, desto unmittelbarer schießt ihr die tierische Angst entgegen, die entsetzensgejagte Angst des Menschen, der in seine kreatürliche Einsamkeit geschleudert worden ist und wie ein versprengtverirrtes Herdenstück nicht mehr zur Herde zurückfindet; es ist die allem Herdengeborenen von Urbeginn an einverpflanzte Grauensangst vor einer außerkreatürlichen Todesleere, es ist - in letzter Angstübersteigerung, in letzter Angstausgeliefertheit, fast schon jenseits des Todes - das stumme Grauen des Tieres, das kleineinsam im unsichtbar Übermächtigen bewußtseinsbar und zitternd unter das dunkle Gebüsch kriecht, damit kein Auge es sterben sehen möge. Wehe dem Zerknirschten, dessen Seele unfähig ist, die ihm auferlegte Einsamkeitskleinheit auf sich zu nehmen, es wird ihm die Kleinheit zur Bewußtlosigkeit, und die Gnade der Demut verwandelt sich ihm zur leeren Erniedrigung.
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