Das Weib fuhr auf ihn los: «Was hast gesagt? was hast gesagt?!» Erschrocken suchte er nach einer Ausrede; schließlich äußerte er freundlichverbindlich: «Scheiße.» - «Was hast ihm gesagt?!» Sie ließ nicht locker, und in die Enge getrieben, wiederholte er voll erzwungenen Mutes seiner neuen Überzeugung gemäß: «Fünfe.» - «Das sagst noch, du Schlauch, du Weinbauch... und 5s Fressen soll ich für euch herschaffen... ohne Geld soll ich es schaffen...» Es machte auf den Dicken keinen Eindruck: «Wein... kriegst auch Wein», fistelte er glückselig, als müßte er jetzt für seinen Mut belohnt werden. Sie hatte ihn an der Tunica gepackt: «Das ganze Geld tragt er zu der Schlampen... sechse muß er zahlen, hörst, sechse...» - «Sechse», sprach der Turm fügsam nach und machte Anstalten, sich niederzusetzen, was ihm freilich unter der haltenden Hand der Frau nicht gelang. Für den Dürren war es ein Quell nicht enden wollenden, grölenden, stockfuchtelnden Vergnügens: «Fünfe hat er gesagt, und fünfe zahl ich ihm; dabei bleibt5s!» - «Nicht wahr is», fauchte sie, und den Fettwanst immer noch an der Tunica haltend, schrie sie ihm ins Gesicht: «Sag5s ihm, sechse sind5s, sag5s ihm!» Bei alldem verlor ihre Stimme, mochte sie sich auch noch so sehr überschlagen, nicht den werbend anbieterischen Unterton; nur war nicht festzustellen, wem der zu gelten hatte. Immerhin wurde der Dürre, seine Heiterkeit etwas unterbrechend, jetzt um einen Grad versöhnlicher: «Was willst denn? Mehl kriegst sowieso vom Cäsar umsonst...» Sie Stutzte, und dies gab dem Dicken, der sich unter ihrem zerrenden Griff wand, nicht nur eine Atempause, sondern auch die Gelegenheit, von der leidigen Sesterzenangelegenheit endlich loszukommen: «Heil dem Augustus!» krähte er zu der kaiserlichen Wohnstatt herüber, und hochgezückten Stockes bekräftigte der andere, der sich gleichfalls dem Palaste zugewandt hatte, den fröhlich quäkenden Ruf mit einem dröhnenden «Heil ihm!», und nochmals erscholl es quäkend begeistert «Heil dem Augustus!», und nochmals salutierte der Dürre mit dröhnendem «Heil ihm!» - «Maul halten, Maul halten, alle beide!», fuhr das Weib angewidert zornig dazwischen, und tatsächlich, für ein paar Sekunden hatte es eine Wirkung: wohl nicht gerade aus Achtung vor dem Befehl der Frau, eher noch aus Achtung vor dem angerufenen Cäsar, es verstummten die beiden, ja sie erstarrten sogar, offenen Mundes der Dicke, erhobenen Stockes der Dürre, und während der stockbewehrte Schatten im aufprasselnden Feuerschein an der Mauer hochflackte und die Frau, die schweren Arme in die Hüften gestützt, die schöne Wirkung betrachtete, hätte man meinen können, es würde die Regungslosigkeit nunmehr für alle Ewigkeit andauern, bis sie eben doch durch das neuanhebende, neuaufdröhnende Lachgebell abgebrochen wurde, jählings abgehackt durch ein Lachen, in das nun auch das dicke Paar einstimmte, zuerst tenorig hell, geradezu rosig zwitschernd der Fettwanst, sodann willenlos kollernd, schwabbelig gackernd die Frau, und der Stock schlug den Takt, dreimäulig das Lachen, das schüttelnde Lachen, das aus einer unbekannten Feuertiefe feucht heraufquoll, dreiköpfig der Hohn, mit dem sie sich selbst und einander verspotteten, dreileibig der unbekannte, der unbekannteste Gott. Es drängte zu einem Höhepunkt und der Magere fand ihn: «Wein», schrie er, «kriegst dein5 Wein, Dicker, Wein für alle, Wein aufs Wohl vom Cäsar!» - «Hui, hui, hui», gackerte die Frau, und ihr Lachen purzelte über sich hinaus, ins Zornige und dabei erst recht ins anbieterisch Unzüchtige,«dein5 Cäsar, den kenn ich...» - «Mehl vom Cäsar», belehrte sie hold der patriotische Turm und begann, sich von der Mauer zu lösen, «Mehl vom Cäsar, hast es selbst gehört... Heil ihm!» Fast wäre zu erwarten gewesen, daß sie daraufhin wieder ihren Knoblauchruf hätte ausstoßen müssen, so sehr war es wie ein Herumirren auf der nämlichen Stelle, und als nun gar noch der andere, grölend und sich verschluckend, mit der Bestätigung anrückte: «Jawohl, morgen wird's austeilt, morgen läßt er5s austeilen... kost dich garnix!», da riß ihr die Geduld: «Ein Dreck wird austeilt», - sie kreischte, daß es über den ganzen Platz hingellte -, «einen Dreck gibt der Cäsar her... ein Dreck is dein Cäsar, ein Dreck ist er, der Cäsar; tanzen und singen und ficken und huren kann er, der Herr Cäsar, aber sonst kann er nix, und ein Dreck gibt er her!» - «Ficken... ficken... ficken...», wiederholte der Dicke beseligt, als hätte sich ihm mit diesem einen zufälligen Wort die gesamte Weltgeilheit in ihrer ganzen Zufallsbrunst eröffnet, «der Cäsar fickt, Heil dem Cäsar!» Der Dürre war unterdessen einige Schritte weitergehumpelt, möglicherweise besorgend, daß die Wache sich nähern könnte, und obschon sein Nachtlachen nach wie vor kehlgrölig anhielt, so klang es doch beunruhigt, als er jetzt über die hochgezogene Schulter hin zurückrief: «Vorwärts... kriegst Wein, vorwärts!» Freilich fruchtete es nichts, und vermutlich gab es da überhaupt nichts mehr was hätte fruchten können, denn der Dickwanst, obstinat entzückt von dem tanzenden und fickenden Cäsar, war unmißverständlich darauf aus, es dem Erhabenen gleichzutun, und patriotisch bemüht, sein Liebeswerben mit Heilrufen auf den Augustus Vater, auf den Augustus Cäsar, auf den Retter Augustus, vornehm zu unterstützen, trachtete er, lüstern bittend die Hände vorgestreckt, an die schimpfend und fluchend zurückweichende Frau heranzugelangen, tappend und täppisch, kleine Krählaute ausstoßend, ein vergnüglich zwitschernder, begattungsbereiter Koloß, der infolge seiner Giertrunkenheit in hüpfendes, geradezu leichtfüßiges Tänzeln geraten war, taubblind auf sein Ziel gerichtet und sicherlich nicht gewillt davon abzulassen, hätte nicht ein überraschender Stockhieb des leise Herbeigehinkten dem Spiel plötzlich ein Ende bereitet: es war unbeschreiblich rasch und still vor sich gegangen, man hatte nichts gehört, es war als hätte der Stock in einen Haufen Daunen geschlagen, und auch nicht ein einziger Laut des Erschreckens oder des Schmerzes war hörbar geworden, kein Ächzer und kein Seufzer wurde vernommen, der Dicke war einfach hingeplumpst, wälzte sich ein wenig und blieb dann ruhig liegen -, der Mörder jedoch scherte sich nicht weiter um ihn, sondern entfernte sich, ohne sich auch nur umzuschauen, er hinkte gleichmütig von dannen, allerdings nicht dem Hafen und dem Weine und der Schlampen zu, vielmehr trat er den ihm von der Frau befohlenen Heimweg an, bekümmert um diese, die wie unschlüssig - vielleicht betroffen und gerührt ob der Plötzlichkeit des Verlöschens oder ob der so plötzlich verloschenen Zufallsbrunst - sich in einem gleichsam theaterhaft trauernden Verweilen über den Leichnam gebeugt hatte, ehe sie es nach wenigen Augenblicken von sich abtat und entscheidungsrasch sich beeilte den Davonhinkenden einzuholen; dies alles geschah derart geschwind, derart ferne, derart tief ein gewoben in den fiebrig unbeweglichen Nacht glast, daß wohl niemand vermocht hätte hier hindernd einzugreifen, am allerwenigsten ein Kranker, der vom Fenster aus den Vorgang hatte verfolgen müssen, unfähig zu einem Schrei, unfähig zu einem Winken, gelähmt und erstarrt und gebannt infolge der ihm geheißenen Wachsamkeit, infolge der ihm auferlegten Pein, überdies aber, weil er kaum zur Besinnung des Geschehenen hatte gelangen können, denn bevor noch das flüchtende Mörderpaar dort unten hinter dem zinnengekrönten, scharf vorspringenden Eck der Umfassungsmauer verschwunden war, da regte sich der Gefallene, und nachdem er es zustande gebracht hatte, sich in die Bauchlage zu drehen, krabbelte er auf allen vieren wie ein Tier, wie ein großer plumper Käfer, der ein Beinpaar verloren hat, eilends den Gefährten nach. Nicht Komik, nein, Schrecknis und Furchtbarkeit umwitterten das Fabeltier, und Schrecknis wie Furchtbarkeit hielten noch an, als es sich endlich auf die Hinterbeine stellte, um sein Wasser an der Hausmauer abzuschlagen, hernach aber, bei jedem Schritt den Halt verlierend und die Mauer abtastend, an ihr weitertorkelte. Wer waren die drei gewesen? waren sie Abgesandte der Hölle, entsandt aus dem Elendsquartier, in dessen Fensterreihen er geblickt hatte, unbarmherzig vom Schicksal zum Blick genötigt?! was würde er noch alles sehen, was noch alles an treffen müssen? war es noch immer, noch immer nicht genug?! Oh, nicht ihm hatten diesmal die Schimpfworte gegolten, nicht ihm galt der Hohn und das Lachen, von dem die drei geschüttelt worden waren, dieses grölende, bellende, mitreißende Mannslachen, das mit dem Weiberlachen aus der Elendsgasse keinerlei Ähnlichkeit besaß, nein, Ärgeres regte sich in diesem Lachen, Schrecknis und Furchtbarkeit, und es war die Furchtbarkeit des Sachlichen, das sich nicht mehr an den Menschen wendet, weder an ihn, der es hier am Fenster gesehen und vernommen hatte, noch sonst an irgendeinen Menschen, gleichsam eine Sprache, die nicht mehr Brücke zwischen Menschen ist, gleichsam ein außermenschliches Lachen, dessen Hohnbereich den sachlichen Weltbestand als solchen umfaßt, und das, über jeden menschlichen Bereich hinausreichend, den Menschen nicht mehr verlacht, wohl aber mit der Bloßstellung der Welt ihn einfach vernichtet; oh, so hatte es im Lachen der drei Gestalten geklungen, Entsetzen ausdrückend, Entsetzen vermittelnd, das Mannslachen, das spaßgrölende Lachen des Entsetzens! Warum, oh, warum war es zu ihm geschickt worden?! welche Notwendigkeit hatte es hergeschickt? Er beugte sich hinaus, um den dreien nachzulauschen dort am Südhimmel, dort spannte unbewegt-stumm der Schütze den Bogen gegen den Skorpion hin, schützenwärts waren die drei verschwunden, und aus der Stummheit flatterten noch ein und das andere Mal, erst roh zerrissen, dann leicht zerfranst, erst bunt, dann grau, und schließlich verflatternd die restlichen Unflatsfetzen ihrer Schimpfreden heran, ein glitschig fettes, keifendes Auflachen der Weibsstimme, anbieterisch-gebieterisch in ihrem greinenden Jammer, ein paar Worte aus dem kehligen Baß des Hinkenden, ein und das andere Mal seine bellende Lache, zuletzt nur noch ein Dämmerfluchen, beinahe fernwehhaft, beinahe zart geworden und eingegangen in die übrigen Geräusche der Nachtferne, eingesponnen und einsgeworden mit jedem Ton, mit jedem letzten Tonrest, der sich der Ferne entlöste, einsgeworden mit dem Traumkrähen eines silberschläfrigen Hahnes, einsgeworden mit dem Verlorenheitsbellen zweier Hunde, die irgendwo draußen im verschimmernd Freien, vielleicht auf irgendeiner Baustelle, vielleicht bei irgendeinem Landhaus, einander ihr Monddasein zuriefen, das brückenlose Zwiegespräch des Tieres einsgeworden mit den Tönen eines Menschenliedes, das bruchstückweise aus der Hafenzone heraufdrang, erkennbar zwar noch in seinem Ursprung, nördlich herangeweht, dennoch schon beinahe richtungslos, zart auch dies, obwohl es vermutlich zu einem lachenumbrüllten obszönen Matrosensang aus weinstinkender Taverne gehörte, zart und fernwehhaft, als sei die stumme Ferne, als sei das starr Jenseitige in ihr der Ort, an dem die stumme Sprache des Lachens und die stumme Sprache der Musik, beides Sprache außerhalb der Sprache, unterhalb und oberhalb der Grenze menschlicher Gebundenheit, sich zu neuer Sprache verbündeten, zu einer Sprache, in der die Furchtbarkeit des Lachens wundersam von der Holdheit des Schönen aufgenommen, indes nicht aufgehoben, sondern zu verdoppelter Furchtbarkeit verstärkt wird, zur stummen Sprache der außermenschlicherstarrtesten Ferne und Verlassenheit, zur Sprache außerhalb jeglicher Muttersprache, zur unerforschlichen Sprache der vollkommenen Unübersetzbarkeit, unverständlich in die Welt eingegangen, unverständlich und unerforschlich die Welt mit ihrer eigenen Ferne durchdringend, notwendig in der Welt vorhanden ohne sie verändert zu haben, und eben darum doppelt unverständlich, unsagbar unverständlich als die notwendige Unwirklichkeit im unverändert Wirklichen!

Denn nichts hatte sich verändert: gestaltenerstarrt und stumm, unverändert im Sichtbaren, tiefeingesenkt unter die Oberfläche des Himmels stand die Vielfalt der Sterne, nordwärts die vom Arme des Herkules bezwungene Schlange, südwärts der drohende Schütze, unverändert drunten im Unsichtbaren standen die dunkelheitstarrenden Wälder durchschlängelt von mondknisternden Nachtwegen, durcheilt vom traumsatten Wild, das die glitzernde Tränke sucht, unverändert im fernheimatlichsten Unsichtbaren grüßten mit leuchtenden Gipfeln stillüberglänzt die Berge den bergüberglänzenden Mond, unsichtbarfernst ein silbernes Rauschen das Meer, so stand die Nacht aufgetan im Sichtbaren und Unsichtbaren unverändert vor ihm, eine von den Nachtmyriaden in unabänderlicher Unveränderlichkeit seit Urbeginn, aufgetan die Welt im Aber-Unsichtbaren, Sphäre um Sphäre voneinander getrennt, unverändert der Vorhof der Wirklichkeit; oh, nichts hatte sich verändert, doch alles war in jene neue Ferne gerückt, welche jegliche Nähe aufhebt, jegliche Nähe durchdringt und sie ins Unerforschliche übersetzt, die eigene Hand fremd macht und den eigenen Blick zum Unsichtbaren hin erstreckt, in eine allgegenwärtige Ferne, die das Licht und selbst da unten den mauerverdeckt abprasselnden Feuerschein in ihr Nirgendwo aufsaugt, Ferne, die jeden Ton des Lebens, ja selbst auch da unten den einsam seltenen Wachtpostenschritt entsinnlicht und im Unerlauschbaren beheimatet, Ferne in der Nähe, Überferne in der Ferne, äußerste und zugleich innerste Grenze beider, das Unwirkliche in ihrer beider Wirklichkeit, verzaubert in ihnen beiden das Fern-Entrückte -, die Schönheit.

Denn an der entrücktesten Grenze strahlt die Schönheit auf, aus entrücktester Ferne strahlt sie in den Menschen erkenntnisentrückt, frageentrückt, mühelos nur noch dem Blick erfaßbar, die von der Schönheit gestiftete Einheit der Welt, gegründet auf dem schönen Gleichgewicht der Überferne, die alle Punkte des Raumes durchdringt, mit Ferne sie sättigend und - schier dämonisch - nicht nur das Widersprechendste in Gleichrangigkeit und Bedeutungsgleichheit auflöst, sondern - noch dämonischer - an jedem Punkt auch die Raumesferne mit Zeitenferne erfüllt, stillstehend die Flutwaage der Zeit an jedem Punkt, nochmals ihr saturnischer Stillstand, nicht Aufhebung der Zeit, wohl aber ihr ewigwährendes Jetzt, das Jetzt der Schönheit, als dürfte in ihrem Anblick der Mensch, obwohl aufgerichtet und aufwärtswachsend, wieder zurücksinken in sein dämmerig liegendes Lauschen, neuerlich hinerstreckt zwischen den Tiefen des Oben und Unten, neuerlich einswerdend mit dem lauschenden Blick, den er aussendet, als erlaubte die Tiefe ein neuerliches Teilhaftigwerden, das frei von Erkenntnis und Frage urzeitlich und vorurzeitlich auf Erkenntnis und Frage verzichten darf, verzichtend auf die Unterscheidung von Gut und Böse, entfliehend der menschlichen Erkenntnispflicht, fliehend in eine neuerliche und darum falsche Unschuld, auf daß das Verwerfliche und das Pflichtgebotene, das Unheil und das Heil, das Grausame und das Gütige, das Leben und der Tod, das Unverständliche und das Verständliche zu einer einzigen unterscheidungslosen Gemeinsamkeit werden mögen, umschlossen von dem einheitsstiftenden Band der Schönheit, mühelos einverstrahlt in den sie umfassenden Blick, und ebendarum ist es wie Verzauberung, und verzaubert-verzaubernd, dämonisch allesaufnehmend ist die Schönheit, alleseinschließend ihr saturnisches Gleichgewicht, ebendarum aber auch ein Rückfall ins Vor-Göttliche, ebendarum Erinnerung des Menschen an etwas, das noch vor seinem Vor-Wissen stattgehabt hat, Erinnerung an eine vorgöttliche Werdezeit der Schöpfung. Erinnerung an eine unterscheidungslos dämmerhafte Zwischenschöpfung bar des Eides, bar des Wachstums, bar der Erneuerung, dennoch Erinnerung und als solche fromm, wenngleich eidlose, wachstumslose, erneuerungslose Frömmigkeit, die dämonische Frömmigkeit der Schönheitsentrückung in die Entrücktheit äußerster Grenzen, doch ohne den Willen, die Grenze zu überschreiten, rückgewendet zum Vor-Anfang, das Vor-Göttliche göttlichen Anscheins, die Schönheit;

denn so allesaufnehmend war die Nacht vor ihm hingebreitet, so sehr entrückt, so sehr erfüllt von dem silbernen Echostaub, der aus ihren fernsten Grenzen hertönte, daß sie mit allem, was sie barg, ununterscheidbar wurde, ein Sang, ein Lachensgegröle, ein Tierstimmenhauch, ein Windesrauschen, man wußte es nicht. Und dieses wissensfeindliche Nichtwissen, mit dem die Schönheit sich wie zum Schutz ihrer Zartheit und Zerbrechlichkeit einhüllt, ja einhüllen muß, weil die von ihr gestiftete Welteneinheit flüchtiger, widerstandsloser, anfechtbarer ist als die der Erkenntnis, außerdem aber, im Gegensatz zu jener, jederzeit vom Wissen beschädigt werden kann, dieses Nichtwissen wurde ihm vom ganzen Rund des Erschaubaren zusammen mit der Schönheit zugestrahlt, zart und dabei fast dämonisch als Verlockung, als die überhebliche Verführung der Bedeutungsgleichheit, dämonisch von der äußersten Grenze her zugeflüstert, zur innersten hindringend, ein schimmerndes ozeanisches Flüstern, monddurchströmt ihn durchströmend, gleichgewichtig wie die schwebenden Gezeiten des Alls, deren flüsternde Gewalt das Sichtbare und das Unsichtbare ineinandervertauscht, die Dingvielfalt in die Einheit des Selbst, die Denkvielfalt in die Einheit der Welt bindet, beides aber zur Schönheit entwirklicht: Wissenlosigkeit ist das Wissen der Schönheit, Erkenntnislosigkeit ist ihr Erkennen, jenes ohne Vorsprung von Denken, dieses ohne Überschuß von Wirklichkeit, und in der Erstarrung ihres Gleichgewichtes, erstarrt das flutende Gleichgewicht zwischen Denken und Wirklichkeit, erstarrt das weltzeugende Wechselspiel von Frage und Antwort, des Erfragbaren und des Beantwortbaren, bringt die Schönheit die Flutwaage des Innen und Außen zum Stillstand, wird sie erstarrten Gleichgewichtes zum Sinnbild des Sinnbildes. So war die Nacht um ihn herumgewölbt, gleichgewichtig in ebenmäßiger Schönheit, der dunkelglänzende Raum der Nacht saturnisch über alle Zeiten hinerstreckt, freilich so auch in der Zeit verbleibend und nicht über das Irdische hinausreichend, von Grenze zu Grenze gespannt und selber äußerste wie innerste Grenze an jedem Punkt, so war die Nacht um ihn und in ihm ausgespannt, und es ward ihm von ihr, von ihrem irdischen Gleichgewicht her, mit ihrer Schönheit das Sinnbild des Sinnbildes zugeflutet, alle Fremdheit der äußersten und innersten Grenzfernen mit sich bringend und dabei doch von seltsamer Vertrautheit, verhüllt im Nichtwissen und dabei doch seltsam enthüllt, da es sich ihm nun, wie unter einer zauberhaft plötzlichen zweiten Beleuchtung, als das Sinnbild seines eigenen Bildes zeigte, bei aller Überferne, so deutlich, als wäre es von ihm selber geschaffen, die Versinnbildlichung des Ichs im All, die Versinnbildlichung des Alls im Ich, das ineinanderverschränkte Doppelsinnbild des irdischen Seins: die Nacht durchglänzend, die Welt durchglänzend, erfüllte die Schönheit alle Grenzen des grenzenlosen Raumes, und mit diesem in die Zeit gesenkt, durch die Zeiten hindurchgetragen, wurde sie zu deren ewigwährendem Jetzt, wurde sie zur grenzenlosen Begrenztheit der Zeit, wurde sie zum Ganzheits-Sinnbild derzeiträumlich begrenzten Irdischkeit, die Trauer der Begrenztheit offenbarend, und eben darum Schönheit im Diesseitigen;

also in trauernder Traurigkeit, also enthüllt sich dem Menschen die Schönheit, enthüllt sich ihm in ihrer Insichgeschlossenheit, welche die des Sinnbildes und des Gleichgewichtes ist, verzaubernd schwebend in dem Gegenüber von schönheitsschauendem Ich und schönheitserfüllter Welt, ein jedes der beiden im eigenen Raum, ein jedes der beiden in sich begrenzt, ein jedes in sich geschlossen im eigenen Gleichgewicht, und ebendeshalb beides im Gleichgewicht zueinander, ebendeshalb in einem gemeinsamen Raum; es enthüllt sich darin dem Menschen die Insichgeschlossenheit der schönen Irdischkeit, die Insichgeschlossenheit des zeitgetragenen, zeiterstarrten Raumes, des schwebend hingebreiteten, des zauberhaft schönen, der sich an keiner Frage mehr erneuert, an keiner Erkenntnis mehr erweitert, die unerneuerbar-unerweiterbar stete Raumesganzheit, gehalten vom Gleichgewicht der in ihr wirkenden Schönheit, und diese insichgeschlossene Ganzheit des Raumes offenbart sich in jedem seiner Teile, in jedem seiner Punkte, als sei ein jeder seine innerste Grenze, offenbart sich in jeder einzelnen Gestalt, in jedem Ding, in jedem Menschenwerk, in jedem als das Sinnbild seiner eigenen Raumhaftigkeit, als deren innerste Grenze, an der jede Wesenheit sich selbst aufhebt, das raumaufhebende Sinnbild, die raumaufhebende Schönheit, raumaufhebend kraft der Einheit, die sie zwischen innerer und äußerer Grenze herstellt, kraft der Insichgeschlossenheit des unendlich Begrenzten, die begrenzte Unendlichkeit, die Trauer des Menschen;

also enthüllt sich ihm die Schönheit als ein Geschehen der Grenze, und die Grenze, die äußere wie die innere, sei sie die des fernsten Horizontes, sei sie die eines einzigen Punktes, ist zwischen dem Unendlichen und dem Endlichen gespannt im Entrücktesten, trotzdem immer noch im Irdischen, immer noch in der irdischen Zeit, ja sie begrenzt die Zeit und bewirkt deren Verweilen, ihr in sich ruhendes Verweilen an der Raumesgrenze, doch sie hebt die Zeit nicht auf, ist bloßes Sinnbild, irdisches Sinnbild der Zeitaufhebung, bloßes Sinnbild der Todesaufhebung, nimmermehr diese selber, Grenze des Menschlichen, das noch nicht über sich hinausgelangt ist und sohin auch Grenze des Unmenschlichen;

es enthüllt sich dem Menschen das Geschehen der Schönheit als das, was es ist, als das, was die Schönheit ist, als das Unendliche im Endlichen, als die irdische Scheinunendlichkeit und darum Spiel, als das Unendlichkeitsspiel des irdischen Menschen in seiner Irdischkeit, als das Sinnbildspiel an der äußersten irdischen Grenze, Schönheit, das Spiel an sich, das Spiel, das der Mensch mit seinem eigenen Sinnbild spielt, um damit sinnbildhaft - anders glückt's nicht - der Einsamkeitsangst zu entgehen, die schöne Selbsttäuschung aufs neu und aufs neu wiederholt, die Flucht in die Schönheit, das Fluchtspiel; 

da enthüllt sich dem Menschen die Starrheit der verschönten Welt, ihre Unfähigkeit zu jeglichem Wachstum, die Begrenzung ihrer Vollkommenheit, die bloß in der Wiederholung unvergänglich wird und um solcher Schein-Vollkommenheit willen stets aufs neue gesucht werden muß, es enthüllt sich ihm das Spiel der schönheitsdienenden Kunst, ihre Verzweiflung, ihr verzweifelter Versuch, aus vergänglichem Sein das Unvergängliche zu schaffen, aus Worten, aus Tönen, aus Steinen, aus Farben, auf daß der gestaltete Raum die Zeiten überdauere als schönheitstragendes Mal. für kommende Geschlechter, die Kunst raumbauend in jedem Bilde, das Unsterbliche im Raum, nicht im Menschen und darum wachstumslos, gebunden an nur wiederholbare, wachstumslose Vollkommenheit, die niemals sich selbst erreicht, wachsend verzweifelt, je vollkommener sie wird, verkerkert der ewigen Wiederkehr zu ihrem Ausgang in sich selber und darum hart, hart gegen menschliches Leid, weil es ihr nicht mehr bedeutet als vergängliches Sein, nicht mehr als Wort, Gestein, Getön oder Farbe, benützt zur Schönheitssuche und Schönheitsentdeckung in steter Wiederholung;

und es enthüllt sich dem Menschen die Schönheit als Grausamkeit, als die wachsende Grausamkeit des ungezügelten Spieles, das im Sinnbild Unendlichkeitsgenuß verspricht, erkenntnisverachtenden, genießerischen Genuß irdischer Schein-Unendlichkeit und darob unbedenklich Leid und Tod zuzufügen vermag, da es im grenzentrückten Gebiet der Schönheit geschieht, nur dem Blick noch erreichbar, nur der Zeit noch erreichbar, aber nicht mehr der Menschlichkeit und der menschlichen Pflicht;

so enthüllt sich dem Menschen die Schönheit als Gesetz ohne Erkenntnis, die Verworfenheit einer Schönheit, die sich selbst zum Gesetz gesetzt hat um ihrer selbst willen insichbeschlossen, unerneuerbar, unerweiterbar, unentwickelbar, der Genuß als Spielgesetz der Schönheit genießerisch, wollüstig, unkeusch, unveränderbar das schönheitsdurchtränkte, schönheitsdurchtränkende Spiel, das selber schönheitsverspielt an der Wirklichkeitsgrenze abläuft und die Zeit vertreibend, doch nicht sie aufhebend, den Zufall ausspielend, doch ihn nicht beherrschend, endlos wiederholbar, endlos fortsetzbar, dennoch von vorneherein zum Abbruch bestimmt, weil nur das Menschliche göttlich ist; und so enthüllt sich dem Menschen der Schönheitsrausch als das von vorneherein verlorene Spiel, verloren trotz der Unvergänglichkeit des Gleichgewichtes, in dem es statthat, trotz der Notwendigkeiten der es immer wiederholt werden muß, verloren, weil die Unvermeidlichkeit der Wiederholung zugleich auch die Unvermeidlichkeit des Verlustes ist, unvermeidlich einander verhaftet der Rausch der Wiederholung und der des Spieles, beide der Dauer untertan, beide dämmerhaft, wachstumslos sie beide, freilich in wachsender Grausamkeit, indes das wahre Wachstum, das Wissenswachstum des erkennenden Menschen unbegrenzt von Dauer und frei von Wiederholung sich in der Zeit entfaltet, entfaltend die Zeit zur Zeitlosigkeit, so daß sie, die jede Dauer verzehrt, mit wachsender Wirklichkeit Grenze um Grenze, innerste wie äußerste, aufreißt und überschreitet, Sinnbild um Sinnbild hinter sich zurücklassend, und mag auch der Schönheit letzte Sinnbildhaftigkeit nicht dadurch zerstört werden, unangetastet die Notwendigkeit ihres letzten Ebenmaßes, es wird, nicht minder notwendig, das Irdische ihres Spieles entlarvt, entlarvt die Unzulänglichkeit des irdischen Sinnbildes, es wird der Schönheit Trauer und Verzweiflung aufgedeckt, aufgedeckt der ernüchterte Schönheitsrausch, erkenntnisverlustig und verloren in Erkenntnislosigkeit das ernüchterte Ich, seine Armut -

-und er, dem dieses Ich als Sinnbild, dem diese Schönheit, dem dieses Spiel, dem dieser Ablauf ein verstrahlt wurde, zugestrahlt in unentrinnbarer Notwendigkeit von den innersten und äußersten Grenzen der Welt, von den innersten und äußersten Raumesgrenzen der Nacht, so daß er dieses ganze Geschehen in sich trug, in sich barg und zugleich davon eingeschlossen wurde, hineingehalten in den Raum der Notwendigkeit, in den Grenzraum seines Ichs, hineingehalten in den Grenzraum der Welt, in das Sinnbild ihrer Raumlosigkeit, hineingehalten in den Raum des Spieles, den Raum der überfernen Nähe, den Schönheitsraum, den Sinnbildsraum, der in jedem seiner Punkte fraglich ist und doch alle Fragen verwehrt und erstarrt, hineingehalten in alle Räume der Erstarrung, erstarrt er selber, erstickt von der Erstarrung, er fühlte, er erfaßte, daß keiner dieser Räume über die durchsichtige Decke hinausreicht, welche zwischen dem Oben und Unten gespannt ist, daß sie alle noch im Zwischenreich des Nochnicht-Unendlichen liegen, daß ihre Grenze wohl schon die zum Unendlichen ist, selbst aber noch zum Irdischen gehört: das Noch-Irdische, der Bereich der Schönheit, das irdisch, das nochirdisch Unendliche! in dieses war er hineingehalten, von diesem war er eingeschlossen; er war eingeschlossen vom Raum des irdischen Atmens, doch ausgeschlossen aus dem Raum der Sphären, aus dem Raum des wahrhaften Atmens. Und fühlend die Eingeschlossenheit, fühlend in ihr den Grund aller Erstarrung, den Grund aller Atem-Erstarrung, fühlte er ringsum die Zersprengungsgewalt, die sich gegen das Einschließende richtete, fühlte er die Notwendigkeit, die Unausweichlichkeit der Zersprengung, fühlte sie bis in die Tiefe seines Selbst, bis in die Tiefe seiner Seele, bis in die Tiefe seines Atmens und Nicht-Atmens; er spürte diese Zersprengung und er wußte um sie, spürend und wissend, wie sie sich in ihm und in der Welt vorbereitete, wie sie in ihm saß und zugleich ihn umschloß, er spürte sie geradezu körperlich, als ein körperlich lauerndes Etwas, das ihm wie der ganzen sichtbar-unsichtbaren Welt würgend den Atem raubte, trotzdem aber als dämonische Verlockung in ihm und um ihn webte, zu ihm heranwallend und in ihm hochwallend und über ihm zusammenschlagend, körperlichentkörperlicht, die Verlockung zur Vernichtung und Allvernichtung, zur Zerschmetterung und Allzerschmetterung, zur Selbstpreisgabe, Selbstverhöhnung, Selbstvernichtung, erstickend, würgend, durchschüttelnd, dennoch befreiungsversprechend, so fühlte er die lauernde Sprungbereitschaft und Sprengungsbereitschaft, die Nähe einer unerforschlich vorzeithaften Unerinnerung, so spürte er es, so wußte er es, so wünschte er es sich herbei, in einer schier urzeitlichen Auflehnung gegen das Starre, gegen das Gewordene, gegen das Gehäuse des begrenzten Raumes, gegen das Unstimmige, gegen das Noch-Bestehende, aber daneben auch gegen die Trauer, die allem Spiel und aller Schönheit hintergründig innewohnt, oh, es war die Verlockung einer ungeheuren Ur-Lust, es war eine ungeheure Kitzel-Lust, der Kitzel zur Allzersprengung, zur Weltzersprengung und zur Ich-Zersprengung, durchschüttelt von der Lust eines noch größeren, noch vorzeitigeren Wissens, oh, es war Erfühlen, es war Erspüren, es war Erwissen und darüber hinaus sogar ein Erkennen, es wurde ihm zum Erkennen, ja zum Selbsterkennen, da ihm aus dem Raum seines tiefsten Vor-Wissens, in den er hineingehalten war, ein letztes Begreifen zugeflutet wurde und er blitzhaft erkannte, daß die Zersprengung der Schönheit einfach das nackte Lachen ist und das Lachen die vorbestimmte Aufsprengung der Weltenschönheit, daß das Lachen von Anbeginn an der Schönheit beigegeben ist und ihr für immerdar innewohnt, daß es als Lächeln in ihr schillert an den Unwirklichkeitsgrenzen der Überferne, dann aber brüllend aus ihr hervorbricht an der Wendegrenze ihrer Dauer, hervorbricht als die dröhnende, donnernde Zeitenzertrümmerung, als die dämonische Kraft zur Alleszertrümmerung, das Lachen, Widerpart der Weltenschönheit, das Lachen, verzweifelter Ersatz für die verlorene Erkenntniszuversicht, das Lachen als Ende für die abgebrochene Flucht in die Schönheit, das Ende des abgebrochenen Schönheitsspieles; oh, Trauer ob der Trauer, Spiel mit dem Spiele, Genuß an der Austreibung des Genusses, verdoppelte Trauer, verdoppeltes Spiel, verdoppelter Genuß, es ist das Lachen immer wieder die Flucht aus der Zufluchtsstätte, spielüberhoben, weltenüberhoben, erkenntnisüberhoben, die Zersprengung der Weltentrauer, der in den Mannskehlen sitzende Unendlichkeitskitzel, die Zersprengung des schönheitserstarrten Raumes zu einem Auf klaffen, in dessen namenloser Sprachlosigkeit sogar das Nichts verlorengeht, wild vor Stummheit, wild vor Lachen, göttlich auch dies noch:

denn Vorrecht der Götter und der Menschen ist das Lachen, urferne stammt es von dem Gott, der sich selbst erkannt hat, stummahnend stammt es aus seinem Vorwissen, aus seinem Vorwissen um die eigene Vernichtbarkeit, aus seinem Vorwissen um die Vernichtbarkeit des Geschaffenen, in dem er als mitgeschaffener und mitschaffender Teil sein Dasein lebt, wachsend kraft Welterkenntnis zur Selbsterkenntnis und über diese hinaus rückgewendet zum Vorwissen, aus der das Lachen stammt;

oh, Göttergeburt und Menschengeburt, oh, Göttertod und Menschentod,

oh, ihrer beider Anfang und Ende für ewig miteinander verstrickt,

oh, es stammt das Lachen aus dem Wissen um die Ungöttlichkeit der Götter,

aus diesem dem Gott und dem Menschen gemeinsamen Wissen, es stammt aus jener unruhigen, beunruhigend durchsichtigen Zone der Gemeinsamkeit,

die dämonisch zwischen dem Jenseitigen und dem Diesseitigen gespannt ist,

damit in ihr, in solch dämmerhafter Dämonenzone Gott und Mensch einander begegnen können, begegnen mögen,

und ist es Zeus, der das Lachen im Kreise der Göttermänner anstimmt, so ist es der Mensch, der das Lachen der Götter erweckt, gleichwie in unaufhörlichem Kreislauf spaßigernsten,Wiedererkennens das Lachen des Menschen vom Gebaren des Tieres erweckt wird,

gleichwie der Gott sich im Menschen, der Mensch sich im Tiere wiederfindet,

so daß das Tier vom Menschen zum Gott erhoben wird, der Gott aber durch das Tier in den Menschen zurückkehrt, Gott und Mensch trauernd vereint, trotzdem vom Lachen übermannt, weil es das Spiel der urplötzlichen Vermischung aller Sphären ist, von dessen Schicksalsregel sie erfaßt worden sind,

das Spiel der urplötzlich enthüllten Ur-Nachbarschaft, das große Spiel des Sphären-Durcheinanders, ein Götterspiel, das schönheitsvernichtend und ordnungsaufhebend Schöpfungs-Gottheit und Geschöpflichkeit unheimlich miteinander verquickt und beides lustig dem Zufall preisgibt, Greuel und Zorn der wissenden Muttergöttin, Spaß und Wagnis des erkenntnisbefreiten, erkenntnisverachtenden Gottes, lachensüberströmt,

weil solcher Spaß jähester Sphärenvereinigung, ohne daß hiezu auch nur die leiseste Spur von Erkenntnis oder von Frage oder sonst irgendeiner Leistung vonnöten gewesen wäre, sich als Selbstpreisgabe vollzieht, als fröhlich leichtsinnige Preisgabe an den Zufall, an die Zeit,

an das unvermutet Vorgewußte, vorgewußt Unvermutete, ans lustvoll Unvermittelte des Vorwissens und, sei's drum,

auch an den Tod;

Spaß aus dem Unerforschlichen, Spaß, der so groß ist, daß mit der spaßigen Zerschlagung der letzten Gesetzlichkeitsreste, mit dem spaßigen Zusammenbruch der Ordnungen, der Grenzen und der Brücken, mit dem Zusammenbruch der Raumerstarrungen und deren Schönheit, daß mit dem Zusammenbruch des Schönheitsraumes urgültig und endgültig die Umkehrung erfolgt, die Umkehrung ins grenzenlos Erkenntnislose, namenlos Sprachlose, brückenlos Raumlose, ineinanderstürzend die Trennungen, ineinanderstürzend das Vorwissen des Gottes mit dem des Menschen, zusammenstürzend ihre gemeinsame Schöpfung, und dagegen aufbrechend die zur unmittelbaren Nähe umgestülpte Äonenferne, aufbrechend die Äonenferne der Vorschöpfung, aufbrechend das Vorschöpfungsbild in einer Unerinnerung, die nicht einmal dem Vorwissen des Gottes zugänglich ist, aufbrechend zu einer Ununterscheidbarkeit, in der Wirkliches und Unwirkliches, Lebendes und Lebloses, Sinnvolles und Gräßliches zu nämlicher Ungedachtheit vergattet sind, aufbrechend das unerahnbare Nirgendwo, in dem die Sterne auf dem Grund der Gewässer fluten und nichts so weit auseinanderliegen könnte, daß es sich nicht als ineinanderverschachtelt zeigte, witzig vor Auseinandergestülptheit und Ineinandergestülptheit, zufällig ineinandergeraten und zufällig auseinander hervorgesprossen, witzig die ununterscheidbaren Zufallswesenheiten des Zeitenablaufs, Götterherden, Menschenherden, Tierherden, Pflanzenherden, Sternherden ineinander verhaust;

aufgebrochen das Nirgendwo des Gelächters, lachend aufgebrochen die Weltenumstülpung schlechthin, als hätte es niemals jenen Eid der Schöpfung gegeben, den Eid, mit dem Gott und Mensch sich gegenseitig verpflichtet haben, verpflichtet zur Erkenntnis und wirklichkeitsschaffenden Ordnung, verpflichtet zur Hilfe, welche die Pflicht zur Pflicht ist;

oh, es ist das Lachen des Verrates, das Lachen der unbeschwert mühelosen Treulosigkeit, es ist das Ungute und Unverpflichtete der Vorschöpfung, dies ist es, das ungute Erbe, der gelächterverhaltene Zersprengungskeim, der aller Weltenschöpfung von Anbeginn eingeboren ist, unausrottbar, aufscheinend bereits in der lächelnd heitern Hintergründigkeit, mit der sie sich vorschöpferischlieblich als Anmut kundtut, aufscheinend in dem vorschöpferischerbarmungslosen Wissen, mit dem selbst das Gräßliche schönheitsverspielt zur mitleidsbaren, mitleidserstarrenden Ferne verklärt wird, und darüber hinaus, über jedwede Ferne hinaus, äußerste und innerste vereint, aufscheinend in des raumlosen Un-Raumes witzig furchtbarer Oberfläche, zu der die Schönheit, ist die Zeitengrenze erreicht, sich umstülpt, aufstülpend ihren innersten, hintergründigsten Hintergrund, die ihr eingeborene und immer wieder aus ihr herausgeborene ungestaltbar ungestaltete Unerschaffenheit, aus ihr herausgeboren, aus ihr herausgestülpt, aus ihr herausgestürzt das Lachen, die Sprache der Vorschöpfung - denn nichts hatte sich verändert, oh, nichts: doch gestaltenstarr und stumm, tiefeingesenkt in die Wölbung des Himmels, lauerte der lachenumwitterte Meineid, doch in dem unantastbaren Sternengesang, die Erde mit Schweigen schwängernd, vom irdischen Schweigen geschwängert, im großschimmernden Weiterbestand der Welt, im Sichtbaren wie im Unsichtbaren und in der zum Liede verklingenden Schönheit, lauerte bebendgespannt und ausbruchsbereit, kitzelgewaltsam und atemerstickend, lauerte gewitterig das schönheitsverschwisterte Lachen, die zersprengungssüchtig lauernde Verlockung des Innen und Außen, sie umfing ihn und saß in ihm, entsetzenausdrückend, entsetzenvermittelnd, die Sprache der Vorschöpfung, die Sprache einer Unüberbrückbarkeit, für die es niemals etwas zu überbrücken gegeben hatte, namenlos der Raum, in dem sie wirkte, namenlos die Sterne, die darüber standen, namenlos, beziehungslos, ausdruckslos die Einsamkeit im Sprachraum der Sphärenvermischung, dem unausweichlichen Auflösungsraum jeglicher Schönheit, und im Anblick der Schönheit, doch bereits hineingehalten in den neuen Raum, entsetzensfiebernd der Raum, entsetzensfiebernd er selber, wurde ihm inne, daß sich kein Zugang zur Wirklichkeit mehr bot, kein Zurück mehr und keine Erneuerung, nur noch wirklichkeitsvernichtendes Gelächter, ja, daß der vom Gelächter bloßgestellte Bestand der Welt überhaupt kaum mehr eine gültige Wirklichkeit besaß, aufgehoben die Antwort, aufgehoben die Pflicht zur Erkenntnis und aufgehoben die große Hoffnung auf die Nicht-Vergeblichkeit der Erkenntnispflicht, nicht etwa wegen ihrer Vergeblichkeit, wohl aber wegen ihrer Überflüssigkeit im Raum der erstarrenden Schönheit, im Raume ihres Zusammenbruchs, im Raum des Gelächters böser und bösartiger als der Herdenschlaf ist das Gelächter, keiner lacht im Traume, es sei denn unter Schmerzen, es sei denn unter der Bösheit wachsender Todesgrausamkeit, wie sie ihm höchst spaßig von der Schönheit vorgegaukelt wird, oh, nichts ist der Bösheit so nahe, nichts ist ihr näher als der ins Scheinmenschentum abwärtsstürzende Gott oder der in eine Scheingöttlichkeit aufwärtsstürzende Mensch, sie beide zur Bösheit, zum Unheil, zum vorschöpferisch Tierhaften hingelockt, sie beide mit der Vernichtung, mit einer dämonischen Selbstvernichtung spielend, von der sie nur durch eine Zufallsspanne getrennt sind, da die pausenlos dahinrollende Zeit in jedem Augenblick alles erwarten läßt: sie beide lachend ob der zufallsanheimgegebenen Ungewißheit, lachend ob des hurtigen Umsprungs in ungewisser Zeitspanne, sie beide einem Gelächter verfallen, das sich der Mühelosigkeit gebrochener Pflicht und gebrochenen Eides freut, zufallsgekitzelt, zufallserregt, lachend ob der Aufhebung des Göttlichen wie des Menschlichen in der Überflüssigkeit jedweder Erkenntnis, lachend ob des Unheilsträchtigen, das aus der schönen Bösheit entsprungen ist, lachend ob der Wirklichkeit alles Unwirklichen, jubelnd, weil der Schöpfungseid gebrochen ist, toll geworden im Jauchzen über die gelungene Tat, die betrügerische Untat und Nicht-Tat, die Frucht gebrochenen Schwures. Da verstand er: jene drei, die drei Torkelnden da drunten, sie waren die Zeugen des Meineides gewesen.

 

Und sie hatten Zeugenschaft wider ihn abgelegt. Dies war ihre Notwendigkeit; dafür waren sie gekommen. Und dafür hatte er sie erwarten müssen. Als Zeugen und Ankläger waren sie erschienen, ihn bezichtigend, daß er mitschuldig war an ihrer Schuld, daß er als Komplice zu ihnen gehörte, eidbrüchig gleich ihnen und ebenso schuldig wie sie, weil er, gleich ihnen, nichts von dem Schwur wußte, der da gebrochen worden war und weiter gebrochen wurde, eidvergessen und pflichtvergessen von vorneherein, ja, die Schuld hierdurch sogar vergrößernd, ungeachtet der Notwendigkeit, mit der sein Leben, nicht anders wie das ihre, schicksalsbefohlen zu solchem Punkt zugesteuert hatte, zum Punkt der Wiederpreisgegebenheit: wiederpreisgegeben war die Schöpfung, wiederpreisgegeben Gott und Mensch, wieder preisgegeben an die vorschöpferische Ungeborenheit, die das Leben wie das Sterben gleicherweise zu Sinnlosigkeit verdammt, denn allein vom Eide her stammt die Pflicht, denn allein vom Eide her stammt der Sinn, der pflichtverhaftete Sinn alles Seins, und nichts mehr ist sinnvoll, wo pflichtvergessen der Eid gebrochen ist, der zum verborgenen Ur-Anfang gesetzte Schwur, den die Götter wie die Menschen zu halten haben, obwohl keiner ihn kennt, keiner außer dem unbekannten Gott, da von ihm, dem verborgensten der Himmlischen, alle Sprache aus geht, um zu ihm zurückzukehren, zu ihm, dem Hüter des Eides und des Gebetes, dem Hüter der Pflicht. Ihn, den unbekannten Gott zu erwarten, war sein Blick erdwärts gezwungen worden, ihm entgegenspähend, dessen erlösendes Wort, pflichtgeboren und pflichtgebärend aufs neu die Sprache zu der einer eidtragenden Gemeinschaft hätte beleben sollen, hoffend, daß sie solcherart aus der Über- und Untersprachlichkeit, in die der Mensch - auch dies noch sein Vorrecht - sie gestürzt hat, nochmals zurückgebracht werden könnte, errettet aus der Wolkigkeit der Schönheit, aus der Zerfetztheit des Lachens, errettet aus diesem Dickicht der Undurchsichtigkeit, in die sie vertan worden war, wiederhergestellt als Werkzeug des Eides. Es war vergebliche Hoffnung gewesen, und zurückgesunken ins Vorschöpferische, zurückgesunken ins Sinn-Entleerte, zurückgesunken ins Ungeborene, umrandet von dem Schattengebirge ihrer Vorgestorbenheit, das von keinem irdischen Sterben zu überflügeln ist, lag die Welt vor ihm hin gebreitet, schönheitsdurchwirkt und lachenszersprengt, sprachverlustig und gemeinschaftslos, Folge des Eidbruches, dessen sie schuldig geworden war; statt dem unbekannten Gott, statt dem pflichtzugekehrten Eidträger waren die drei dahergekommen, die Träger der Unpflicht.

Die Pflicht, die irdische Pflicht, die Pflicht zur Hilfe, die Erweckungspflicht; es gibt keine andere Pflicht, und selbst die Gottesverpflichtung des Menschen, die Menschheitsverpflichtung des Gottes ist Hilfe. Und er, der vom Schicksal notwendig und unvermeidlich den Trägern der Unpflicht zugesellt worden war, er war ebenso pflichtunwillig wie sie, ebenso hilfsunwillig wie sie, und wahrscheinlich war seine angebliche Bedürfnislosigkeit nichts anderes als Auflehnung gegen die Hilfe, die ihm von allen Seiten zufloß, und die er ohne Dank empfing, auch hierin dem Pöbel gleichend, der zwar nach vielerlei Gaben verlangt, aber infolge der eigenen Hilfsunfähigkeit jegliche wirkliche Hilfe zurückweist: wer von vorneherein dem Eidbruch verfallen ist, wer in Steinhöhlen aufgewachsen ist und lebt, wer solcherart von vorneherein die Angst des Eidbrüchigen im Nacken sitzen hat, der ist von Jugend an viel zu wisserisch, viel zu gefinkelt, viel zu genießerisch, viel zu witzig, um irgend etwas gelten zu lassen, das der dämmernden Gier nicht unmittelbaren Genuß verspricht, das nicht auf zotige Paarung in alleserlaubender Gesetzlosigkeit hinzielte oder, wenn schon nicht dies, so doch wenigstens einen in Sesterzen ausdrückbaren Vorteil brächte; gleichgültig ob die da unten nach Mehl und Knoblauch und Wein verlangt hatten, oder ob andere nach Zirkusspielen begehrten, um in blutiger Possenreißerei ihre Angst zu übertäuben und in Selbstbetrug und Götterbetrug mit solch mörderisch fratzenhaftem Spiel, das an der Kippgrenze zwischen der Schönheit und dem Lachen als deren beider grausam gräßliche Einheit vonstatten geht, den himmlischen Mächten ein betrügerisches Sühnopfer für den Meineid darzubringen, gleichgültig ob Genuß oder Götterversöhnung, es wird nicht Erweckung, es wird nicht Hilfe, nicht echte Hilfe, sondern Vorteil, echter Vorteil damit gefordert, und wenn der Cäsar die Gesetzlosen wieder zu Gesetzlichkeit zu zügeln wünschte, so waren Zirkusspiele, Wein und Mehl einfach der Preis, den er für ihren Gehorsam zu zahlen hatte. Und doch, seltsam unberechenbar, sie liebten ihn noch außerdem, obschon sie niemand liebten, obschon sie keinerlei Gemeinschaft hielten, es sei denn die Nicht-Gemeinschaft des Pöbels, in der mangels jeder gemeinsamen Erkenntnis keiner den ändern liebt, keiner dem ändern hilft, keiner den ändern versteht, keiner dem ändern vertraut, keiner des ändern Stimme vernimmt, die Nicht-Gemeinschaft der Sprachstummheit, die sprachberaubte Nicht-Gemeinschaft der Vereinzelten: nicht nur daß für ihre gefinkelte Angst und ihr besserwisserisches Mißtrauen die Erkenntnis zu einer schieren Überflüssigkeit geworden ist, zu einem bloßen Wortschwindel, der weder Genuß noch Vorteil verschafft und überdies, drechselt man noch schlauere Worte, jederzeit übertölpelt werden kann, und nicht nur daß hierdurch Liebe, Hilfe, Verständigung, Vertrauen, Sprache, eines das andere bedingend, zu einem leeren Nichts aufgelöst werden, und nicht nur daß infolgedessen die reine Abzählbarkeit allein noch als ein zuverlässiger Halt übrigzubleiben scheint, es ist ihnen auch dies noch nicht zuverlässig genug, und so leidenschaftlich sie sich dem Sesterzenzählen und der Sesterzenrechnerei ergeben haben, sie vermögen damit ihre Angst kaum mehr zu beruhigen, sie durchschauen auch dies noch als Windigkeit, und darob nahezu verzweifelt, fühlen sie sich in eine letzte, wenngleich noch immer witzigwisserische, witziggenießerische Selbstverspottung getrieben, lachensgeschüttelt, weil vor der innersten Angst nichts standhält und sogar das Ausrechenbare nicht eher als glaubwürdig und zuverlässig sich erweisen will, bevor man nicht unter Anwendung der passenden Zauberformel die Münze bespuckt hat; leichtgläubig dem Wunder gegenüber - im Grunde ihre menschlichste und immerhin freundlichste Eigenschaft - waren sie schwergläubig für die Wahrheit, und gerade das machte sie, die so überaus berechnend zu sein glaubten, völlig unberechenbar, machte ihre Angstversperrtheit schlechthin undurchschaubar und am Ende völlig unzugänglich.