So ragte die Burg, umbrandet von Fackeln, unwiderstehlich und verlockend, das sinngebende Richtungsziel für die unwiderstehlich angelockte, drängende, schnaubende, stampfende Herdengesamtheit, unbändig sehnsüchtiges Willensbewußtsein der Herde, das Ziel ihrer unbändigen Richtungsgier, eben darum aber auch das Bild einer entsetzenerregenden, dumpfsprühenden, niemals auffindbaren Rätselmacht, unbegreiflich für das Einzeltier, unbegreiflich für den Einzelmenschen, oh, derart unverständlich, daß die Frage nach dem Sinn und nach dem Grunde der in dem Flammenhaus ein gefangenen und daraus hervorstrahlenden übermächtigen Anziehung wohl in einem jeden von ihnen wühlte, antwortsbangend, antwortshoffend, und wenn auch keiner sich eine wirkliche Antwort zu geben vermochte, so war selbst die bescheidenste und unzureichendste danach angetan, hoffnungserfüllend zu wirken, als Rettung des Bewußtseins, als Rettung der Menschlichkeit und der Seele, als eine Seinsrettung, die stolz zu verkünden sich verlohnte «Wein» hieß es, «Freiwein», und «Die Prätorianer» hieß es, und «Der Cäsar wird sprechen» hieß es, und plötzlich verkündete einer mit japsender Stimme: «Sie teilen schon das Geld aus!» So strahlte die Burg ihnen die Verlockung zu, so stachelten sie sich selber und einander an, damit ihnen die große Verlockung nicht zweifelhaft werde und damit die Angst vor der sicheren Enttäuschung, die an dem sehnsuchtbegehrten Geheimnisgemäuer sie erwartete, nimmermehr das wilde Begehren ermatten ließe, die große Sehnsucht nach der Teilhaberschaft: billige Antworten für so große Hoffnung, billige Zurufe, billige Anstachelungen, doch jedesmal ging ein Ruck durch die Masse, durch die Körper, durch die Seelen, stierhaft, unzüchtig, unwiderstehlich, dumpf auf das gemeinsame Ziel vorstoßend, ein zusammengeballtes Gebrause und Gestampfe, Vorstoß um Vorstoß hinein in ein loderndes Nichts. Und dick zusammengeballt schwelte der Herdengeruch über den Köpfen, überhangen vom Fackelqualm, glühend der Rauch, unatembar, hustenreizend, erstickend, dicke braune Schwaden, die träge aufeinandergelagert, Schicht um Schicht, in der unbewegten Luft steckenblieben, oh, des Höllennebels schwere, unzerteilbare undurchdringliche Schichten, die Decke des Höllennebels! Gab es da keinen Ausweg mehr? gab es keine Flucht? oh, zurück! zurück zu dem Schiff, um dort ruhig sterben zu dürfen! Wo war der Knabe?! der mußte, der sollte den Weg zurück weisen! Bei wem lag die Entscheidung?! Ach, eingefügt in die Masse und in das Gefüge ihrer Bewegung gab es da nichts mehr zu entscheiden, und die Stimme, welche zur Entscheidung aufrufen wollte, löste sich nicht mehr aus dem Atem; die Stimme blieb blind! Indes der Knabe, als hätte er den stummen Ruf gehört, sandte ein Lächeln herauf, ein Augenlächeln voll heiterer Entschuldigung, voll heiterer Zuversicht, voll eines heiteren Trostes, welcher weiß, daß man schon längst jeglicher Entscheidung enthoben war, ja, daß die getroffene die richtige sein würde, und dies machte froh, ungeachtet all der Furchtbarkeit des Kommenden. Ringsumher waren die Gesichter, Kopf an Kopf, Alltagsgesichter mit ihrer alltäglichen, freilich auch schon weitaus übersteigerten Sauf- und Freßlust, und diese Übersteigerung, sich selber übersteigend, war zu einer geradezu jenseitigen Inbrunst geworden, zu einem brutalen Jenseits, das jedweden Alltag weltenferne hinter sich gelassen hatte und nichts anderes mehr kannte als das Sekunden-Jetzt des übermächtigen, des leuchtenden Zieles, inbrünstig ersehnt, inbrünstig begehrt, inbrünstig gefordert, auf daß dieses Jetzt den Kreis ihres ganzen Lebens beschatte und zur Teilhaberschaft bringe, zur Teilhaberschaft an der Macht, an der Vergottung, an der Freiheitsgröße, an der Unendlichkeit des Einen, der dort im Palaste saß. Ruckweise, wellenartig, zuckend, angestrengt, explosiv, keuchend und stöhnend bewegte sich das Gefüge vorwärts, gewissermaßen gegen einen elastischen Widerstand vorstoßend, der unzweifelhaft vorhanden war, da er sich in ebenso ruckartigen Gegenwellen äußerte, und in diesem gewaltiggewaltsamen Vor und Zurück wurden allenthalben die Schreie der Strauchelnden, der Niedergetretenen, der Verletzten, vielleicht sogar die von Sterbenden vernehmbar, mitleidlos unbeachtet oder gar verspottet, immer wieder jedoch übertönt von den jubelnden Heilrufen, erstickt von dem wütenden Getöse, zerfetzt vom Geprassel der Feuer. Ein ungeheuerliches Jetzt stand auf dem Spiele, ein unendlich vervielfachtes, ein Herdenjetzt, aufgeworfen vom Gebrüll der Herden, ein ins Getöse gestürztes Jetzt und zugleich herausgestürzt aus dem Getöse, aufgeworfen von Sinnesverwirrten, von Sinnesverlorenen, von Irrsinnigen, sinnesentblößt aus Seelenverlust, dennoch so sinnübersteigert in der Gesamtheit, daß alles Vergangene und alles Zukünftige darein verschlungen war, das Tosen aller Erinnerungstiefen in sich aufnehmend, die fernste Vergangenheit und die fernste Zukunft in seinem Brausen bergend! Oh, Größe der Menschenvielfalt, Weite der Menschensehnsucht! Und schwebend in seiner Wachheit, schwebend emporgetragen über den brüllenden Köpfen, schwebend emporgehoben über den Jubelbrand des tosenden Brundisium, schwebend emporgehalten in den schwebenden Augenblicken des Jetzt, erlebte er die grenzenlose Verkürzung des Zeitablaufes im Kreis der Unabänderlichkeit: alles war ihm zu eigen, alles war ihm einverleibt, war ihm angehörig, so sehr, wie es ihm von Anbeginn angehörig gewesen war zur ewigwährenden Gleichzeitigkeit, und es war Troja, das um ihn brannte, es war der niemals verlöschende Weltenbrand, doch er, der über den Bränden schwebte, er war Anchises, blind und sehend in einem, Kind und Greis gleichzeitig kraft unsäglicher Erinnerung, getragen von den Schultern des Sohnes, er selber Weltengegenwart, getragen von des Atlas Schultern, von den Schultern des Riesen. Und so ging es Schritt für Schritt dem Palaste zu.
Der engere Umkreis des Palastes war von einem Polizeikordon abgesperrt; Mann an Mann, mit quer gelegten Lanzen, fingen die Bewaffneten den Ansturm der heranflutenden Menge auf und leisteten ihr ebenjenen elastischen Widerstand, welcher in dem wellenartigen Zurückfluten, das schon am Rande des Platzes bemerkbar gewesen war, sich immer wieder und wieder auswirkte. Hinter dem Kordon aber hatte die Prätorianerkohorte, deren Eintreffen aus Rom offenkundig ein besonderes Ereignis bedeutete, die Ehrenwache bezogen, und ihr Dasein war breitspurig hochwüchsiges, furchteinflößendes Nichtstun in kriegsmäßiger Aufmachung mit Patrouillen und Wachtfeuern und großaufgeschlagenen Kantinenzelten, aus denen die Hoffnung und der Duft des Freiweines aufstieg, trügerisch wahrscheinlich, aber gerne geglaubt. Bis hierher konnten die Schaulustigen gelangen; weiter nicht. Und hier war der Punkt, in dem Hoffnung und Enttäuschung einander die Waage hielten, unheimlich und gespannt wie jede Entscheidung zwischen Leben und Tod, wie jede Lebenssekunde, weil jede beides enthält, und wenn der warme Hauch der Feuer über das Getriebe hinstrich, die hohen Federbüsche der Helme aufplusterte und die vergoldeten Rüstungen aufglänzen ließ, wenn das heiserüberlegene «Zurück!» der Polizeimannschaft sich dem lärmenden Ansturm entgegenwarf, dann stieg die Besessenheit stichflammengleich ins Atemlose, und die Gesichter mit trockenen Lippen und züngelnden Zungen starrten stuff und begehrlich in das Sekundenfeuerwerk der Unsterblichkeit, denn es stand die Zeit auf des Messers Schneide. Am wüstesten ging es natürlich vor dem Palasteingang zu, besonders da nach dem Eintritt des Cäsars unbedachterweise die Doppelspaliere, durch die er heraufgezogen war, aufgelöst worden waren und nichts mehr der Entfesselung Einhalt gebieten konnte; bar jeglicher Ordnung, wie von einem Trichterwirbel erfaßt, strudelte es zähflüssig dieser Toreinfahrt zu, die mit ihrer beidseitigen dichten Fackelreihe einem Feuerrachen glich, strudelte hinein, gestaut und wieder ausgestoßen, gellend, verbissen, roh, trampelnd, vor Verlangen tobsüchtig: weit eher hätte man sich vor einem Zirkuseingang als vor einer kaiserlichen Behausung wähnen mögen, so toll war das Treiben und der Hader, der da statthatte und gegen die Einlaßkontrolle ankämpfte, so mannigfach die Listigkeit der Unbefugten, welche die Beamten zu übertölpeln und zu überrennen versuchten, so wütend das Geschrei der Befugten, denen man die Berechtigung nicht glaubte oder ein ungebührlich langes Warten zumutete, und gar, als auf ein Wort des alten Palastdieners, dessen Nutzen sich erst hiermit enthüllte, die Eskorte sofort eingelassen wurde, da stieg der Zorn derjenigen, die ohne Ansehen der Person mit den Kontrollformalitäten belästigt wurden, jäh bis zur Siedehitze; sie fühlten sich ob ihrer Zurücksetzung verächtlich gemacht, sie fühlten die Verächtlichkeit alles Menschlichen und aller menschlichen Einrichtungen, und es wurde ihnen dies jählings bewußt, weil ein Einzelner ausgenommen wurde, ausgenommen werden durfte, und daran verschlug nichts, daß es nur jene Ausnahme war, die einem Sterbenskranken und dem Tode gebührt. Keinen gibt es, der nicht den Nebenmenschen zu verachten geneigt ist, und in dem Gewimmel der Verächtlichkeit, das namenlos und unsäglich sich stets aufs neue auftut und schließt, dämmert das Wissen des Menschen um sein eigenes Unvermögen zum Menschentum, sein Bangen um eine Würde, die ihm verliehen ist, ohne daß er ihrer habhaft zu werden vermöchte. Verachtung kämpfte gegen Verachtung im engen heißen Trichter der Toreinfahrt. Kein Wunder also, daß dahinter, im Innern des Hofes, entronnen dem gierigen Kampfe, entronnen der unterweltlich rauhfarbenen Lichtgrelle, er von all dem Schimpf sich befreit wähnte, der ihn in den Gassen und auf dem Platze draußen verfolgt hatte, und fast war es die nämliche Erleichterung wie jene, die ihm nach dem Schwinden der Seekrankheit zuteil geworden war, die nämliche Beruhigung, obwohl der Ort, wo er jetzt landete, sich wahrlich nicht als Ruhe zeigte, vielmehr der Hof vor Unordnung geradezu zu bersten schien. Immerhin, es war nur eine scheinbare Unordnung; die kaiserliche Dienerschaft, an derartige Vorfälle gewohnt, hielt genaue Disziplin, und alsbald trat auch einer der Hof beamten, versehen mit einer Gästeliste, an die Sänfte heran, um den Ankömmling in Empfang zu nehmen, gleichmütig zu dem Diener gewandt, von dem er sich des Gastes Namen zuraunen ließ, gleichmütig den Namen zur Kenntnis nehmend und ihn in der Liste abstreichend, so gleichmütig und gleichgültig, daß es einen berühmten Dichter schlechterdings beleidigend anmuten mußte, so beleidigend, daß er die Notwendigkeit empfand, die Angabe des Dieners zu bestätigen und zu verstärken: «Ja, Publius Vergilius Maro, so heiße ich», sagte er und wurde bitterböse, als er sogar hierfür nur eine kurze höfliche, doch nicht minder gleichgültige Verbeugung einheimste, und selbst der Knabe, von dem er Unterstützung erhofft hatte, nichts verlauten ließ, sondern sich bloß gehorsam dem Zuge anschloß, der nun auf den Wink des Beamten sich dem zweiten Peristylhof zu bewegte. Allerdings, der Ärger währte nicht lange, er schwand vor der Ruhe, die den Ankömmling nun wirklich umfing, da die Sänfte in diesen beinahe vollkommen stillen, springbrunnendurchrieselten Gartenhof getragen und daselbst vor dem Megaron abgesetzt wurde, das der Cäsar als Wohntrakt für seine Gäste bestimmt hatte; vor dem Eingang waren die Haussklaven zum Empfange aufgestellt, und es wurden die fremden Träger abgefertigt. Auch dem Knaben ging es nicht anders; es wurde ihm der Mantel abgenommen, und da er sich nicht vom Platze rührte und bloß lächelte, herrschte ihn der Hof beamte an: «Was stehst du da noch herum? mach, daß du fortkommst!» Der Knabe blieb stehen, freundlich und spitzbübisch, und desgleichen hielt sein Lächeln an, vielleicht ob der rüden Form, mit der seine Führung bedankt wurde, vielleicht aber auch ob der Vergeblichkeit einer Bemühung, die nie und nimmer imstande sein würde, ihn wegzubringen. Nichtsdestoweniger - hatte dieses Bleiben irgendeinen Sinn? war dieses Bleiben zu wünschen? was sollte er, ein müder, einsamkeitsbedürftiger Kranker da mit dem Jungen anfangen?! Und doch, welch sonderbare Angst, allein zu bleiben!
welch sonderbare Angst, den jungen Führer nunmehr verlieren zu müssen! «Mein Schreiber», sagte er, und es war beinahe gegen seinen eigenen Willen gesagt, es war, als hätte etwas Fremdes in ihm, aus ihm gesprochen, fremd und dabei dunkelvertraut, Wille, der größer als der eigene ist, ein willenloser Wille, dennoch zwingend und übermächtig, die Nacht. Leises mächtiges Wollen, aus der Nacht entfaltet. Leise war der Gartenhof, leise der Blumenatem, leise plätscherten die beiden Springbrunnen; ein dunkelzarter leisfeuchter Duft, nachtfrühlingshaft im Herbste, webte kühl und feingesponnen über den Beeten, und darein verwoben wehte schleierstreifen gleich, einmal näher, einmal entfernter, die Musik aus dem Vordergebäude, Klangschleier um Klangschleier, bestickt mit Zymbelpunkten, eingebettet in den grauen Nebel der Stimmen, mit dem das Fest dort über sich selbst hinaussickerte, dort ein klingender, schmetternder Lichterlärm, hier nur noch ein weicher Klangnebel, der im ungeheueren Nacht-Raum verrieselte; das über den Hof gespannte Himmelsviereck ließ nun wieder die Sterne sehen, sichtbar wieder ihr Atemlicht, obschon von den darunterhinziehenden Qualmwolken hier und da verdeckt, aber selbst diese waren durchsickert von dem weichrieselnden Klangnebel, nahmen teil an dem wehendverwehenden Nebelgemurmel, das den Hof durchschwängerte, jedwedes Ding einhüllte, einverschmolzen Ding und Duft und Klang, himmelwärtssteigend in die Stille der Nacht, und drüben an der Mauer stand, den hartbastenen Stamm undeutlich beleuchtet, ragend bis zur Dachhöhe, in steifer Herbheit schwarzfächerig und abweisend eine Palme, nachttragend auch sie.
Oh, Sterne, oh, Nacht! oh, es war die Nacht, endlich die Nacht! Und es war des Nachtklingens feuchttiefer Dunkelheitsatem, den er, schmerzender Brust, tief in sich einsog. Doch allzulange verweilte er schon, er mußte Anstalten treffen, sich aus der Sänfte zu erheben, und er war ein wenig verärgert, daß die Fürsorglichkeit des Cäsars, der ihm den lästigen Arzt aufs Schiff geschickt hatte, nicht bis hierher reichte, und daß augenscheinlich niemand wußte, wie sehr gebrechlich er war; dabei hatten sie den Koffer mit der Äneis bereits ins Haus geschafft, und es galt eilends zu folgen. «Komm, hilf mir», befahl er den Knaben zu sich, indem er sich aufrichtete, und dann, auf des Knaben Schulter gestützt, versuchte er die ersten Treppenstufen zu bewältigen, freilich um sofort zu merken, daß Herz, Brust und Knie versagten und daß er sich überschätzt hatte; er mußte sich von zwei Sklaven hinauftragen lassen. Drei Stockwerke ging es hinan, vorne der gleichgültige Hofbeamte, der die Gästerolle wie einen Feldherrnstab gegen die Hüfte gestemmt hielt, hinterdrein vieltrittig die Sklaven mit dem Gepäck, und als man droben in dem vorbereiteten luftigen Gastgemach anlangte, da war leicht zu erkennen, daß sich dieses in der turmartigen südwestlichen Palastecke befand; durch die offenen Rundbogenfenster, die ein gutes Stück oberhalb der Stadtdächer lagen, strich ein kühler Hauch, eine kühle Erinnerung an vergessenes Land, an vergessenes Meer, strich meerhaft und erdhaft der Hauch der Nacht durch das Zimmer; schräg abgeweht brannten Kerzenflammen auf dem vielarmigen blumenbekränzten Kandelaber in der Mitte des Raumes, kühl ließ der Wandbrunnen einen zartfächrigen Wasserschleier über die Marmortreppchen seines Aufbaues herabrieseln, das Bett unter dem Moskitonetz war gerüstet, und auf dem Tisch neben dem Lager waren Speisen und Wein angerichtet. Nichts fehlte, ein Lehnsessel stand zur Beschaulichkeit beim Erkerfenster und der Leibstuhl in der Zimmerecke; das Gepäck wurde griff bequem aufgestapelt, der Manuskriptkoffer auf besonderes Geheiß zum Bette hingerückt, es klappte alles so genau und so geräuschlos, wie ein Kranker es sich nur wünschen konnte, aber freilich, dies war schon nicht mehr das Verdienst des Augustus, dies war bloß die glatte Fürsorglichkeit einer tadellos arbeitenden, großausgestatteten Hofhaltung, es war ohne Freundschaft. Man mußte es hinnehmen, man mußte es annehmen, die Krankheit nötigte hierzu, es war ein Muß der Krankheit, ein lästiges, bitterkeitserzeugendes Muß, und dabei richtete sich diese Bitterkeit nicht einmal so sehr gegen das Siechtum selber als gegen den Augustus, offenbar, weil der die Gabe hatte, jegliche Dankbarkeit unweigerlich zu vereiteln. Die Bitterkeit gegen den Augustus -war sie nicht von Anfang an vorhanden gewesen? wahrlich, alles war dem Augustus zu verdanken, Frieden und Ordnung und die eigene Sicherheit, kein anderer hätte es zustande gebracht, und wäre statt seiner der Antonius zur Herrschaft gelangt, es hätte Rom niemals zum Frieden zurückgefunden, wahrlich, und doch! ja, und doch! und doch noch immer Mißtrauen gegen diesen Menschen, der nun die vierzig bereits überschritten hatte, ohne daß er wirklich gealtert wäre, unverändert seit fünfundzwanzig Jahren, und der mit der nämlichen frühreifen Glätte und Schlauheit heute wie damals die Fäden der Politik in gewandten Händen hielt -, war das bittere Mißtrauen gegen diesen überalterten Jüngling, dem man alles verdankte, nicht vollkommen berechtigt? nichts als Glätte war es, was ihn auszeichnete, glatt seine Schönheit, glatt seine Freundlichkeit, die man so gerne als Freundschaft auffassen möchte und die doch keine Freundschaft war, sondern immer nur selbstischen Zwecken diente, und jeder ging ihm ins Garn, in solch glattes Garn! Und nun war es wieder so weit, nun gab es wiederum jene Freundschaftsheuchelei -, warum nur hatte der Heuchler darauf bestanden einen Kranken in seinem Troß nach Italien zurückzuschleppen? Ach, besser wäre es noch gewesen auf dem Schiffe zu sterben, besser als hier liegen zu müssen, inmitten dieser glatten Hofhaltung, wo alles zu makellos war, nur allzu makellos, während drüben beim Kaiserfeste unter Lichter- und Musikgeschmetter sich der kaiserliche Un-Jüngling lärmend umfeiern Heß. Als fernes und fremdes Brausen, unzüchtig auf- und abschwellend, kam der Lärm von dort herüber, den Nachthauch verunreinigend.
Aber im Nachthauch war alles vereinigt, Festgebraus und Bergesstille und das Glitzern des Meeres, das Einst und das Jetzt und wiederum das Einst, eines ins andere einfließend, eines ins andere verflossen - würde er nochmals nach Andes zurückkehren dürfen? Hier war Brundisium, dächerreich und gassenerleuchtet, ausgebreitet unter dem Erkerfenster, zu dem er sich hatte bringen lassen und vor dem er nun im Lehnsessel saß, hier war bloß Brundisium, und er lauschte in die Nacht hinaus, lauschte in die Ferne des Einst, dorthin, wo das Sterben gut sein sollte; nein, er hätte nicht hierher kommen sollen, am allerwenigsten in dieses unfreundschaftlich wohleingerichtete Gastgemach. An den schrägbrennenden Kandelaberkerzen baute sich, Wachstropfen um Wachstropfen, einseitig an einer jeden von ihnen, ein rasch dicker werdender, zackiger, wächserner Steg an.
«Herr...» Der Hofbeamte stand vor ihm. «Ich habe keine Wünsche mehr.»
Der Beamte wies auf den Knaben hin: «Haben wir deinen Sklaven unterzubringen? es war nicht vorgesehen...» Wahrlich, der Lästige hatte recht; es war nicht vorgesehen gewesen.
«Doch wenn du ihn hier in deiner Nähe untergebracht zu haben wünschest, so wollen wir uns sicherlich sofort bemühen, o Herr, dir gefällig zu sein...»
«Es ist nicht nötig... er wird in die Stadt gehen.»
«Außerdem wird dieser hier» - der Beamte wies nun auf einen Mann in der Sklavengruppe - «sich nachtsüber zu deinem Geheiß im Nebenraum aufhalten.»
«Gut... ich hoffe seiner nicht zu bedürfen.» «So darf ich mich entfernen...»
«Tue dies.»
Zu viel der Vorbereitungen war es bereits; ungeduldig die Hände verschränkend, ungeduldig an dem Siegelring drehend, wartete er, daß der kalt Beflissene mitsamt seinen Leuten endlich das Zimmer verlassen würde, aber als es geschehen, da war wider Erwarten der von dem Beamten bezeichnete Sklave, ein Mann mit orientalisch dicker Nase im strengen Lakaiengesicht, nicht mit den anderen gegangen, sondern war, als wäre es so bestellt, an der Türe zurückgeblieben.
«Schicke ihn fort», bat der Knabe.
Der Sklave fragte: «Befiehlst du bei Sonnenaufgang geweckt zu werden?»
«Bei Sonnenaufgang? warum?» Für einen Augenblick war es, als ob die Sonne, trotz der nächtlichen Stunde, nicht vom Himmel verschwunden wäre, zwar versteckt in westlichen Regionen, dennoch anwesend, Helios, nachtüberdauernd, nachtbezwingend, gewaltiger als die Mutter, aus deren Schoß er hervorgegangen ist.
Nichtsdestoweniger, man mußte dem Sklaven, der des Bescheides harrte, Antwort geben: «Du mußt mich nicht wecken; ich werde wohl wach sein...»
Man hätte meinen können, daß der Mann die Antwort nicht gehört hatte; er blieb unbewegt stehen.
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