Wir sind verwaist am Herdenursprung, kein Name ist uns im Traume erruf bar, keiner hat Geltung in der Dunkelheit des vollkommenen Zusammenschlusses -, und du, mein kleiner Nachtgefährte, der du dich mir wie ein Führer zugesellt hast, sollst du mir da wirklich noch erruf bar werden? bist du von deinem, bist du von meinem Schicksal zu mir gesandt worden, daß ich zu dir spreche? fühlst auch du dich von der Zeitlosigkeit bedroht? ist sie auch unter deiner Nacht verborgen - und kamst du deshalb zu mir? oh, lehne dich an mich, mein kleiner Zwillingsbruder, oh, lehne dich an mich; ich wende meine Augen von der Bedrohung ab und wende sie zu dir hin, hoffend, ein letztes Mal noch hoffend, aus der Verlassenheit heimkehren zu können, mit dir heimzukehren in das dunkle Gewölbe, das in mir errichtet ist wie eine Heimstatt, die ich nicht mehr kenne, oh, kehre ein mit mir in diese Vertrautheit, die als Fremdestes wiedervertraut in meinen Adern schlägt, und an der ich dich teilhaben lassen möchte: vielleicht wird mir dann auch das Fremdeste, vielleicht werde auch ich mir dann nicht mehr fremd sein; oh, schmieg dich an mich, mein kleiner Zwillingsbruder, schmieg dich an mich, und wenn du die verlorene Kindheit, wenn du die verlorene Mutter betrauerst, du sollst sie bei mir wiederfinden, da ich dich in meinen Arm und in meinen Schutz nehme. Noch einmal laß uns verharren in der schwebenden Höhle der Nacht, nur noch ein einziges Mal, und laß uns gemeinsam der Nacht und ihrem Traumschweben lauschen, dem Trotzdem ihres Zwischenreiches und ihrer süßen Wirklichkeit -, noch weißt du es nicht, mein kleiner Bruder, denn du bist jung, aus welch tiefstem Innern unseres Selbst die Nachthoffnung emporsteigt, so allumfassend und so allumseelt in ihrer Unabänderlichkeit, so sehr zärtlich leises Sehnsuchtsversprechen in ihrer Bedrängnis, daß wir sehr lange Zeit brauchen, ehe wir sie hören, sie und ihre Bangigkeit, die wie ein Echogebirge um uns errichtet ist, Echowand um Echowand, wie eine unbekannte Landschaft und trotzdem wie ein Rufen unseres eigenen Herzens, ja, trotzdem und trotzdem, so befehlshaberisch, als wollte nochmals aller Nachglanz einer längstgelebten Vergangenheit neu aufglänzen, trotzdem so zuversichtlich, als sei alle Verheißung des Endgültigen darin beschlossen oh, kleiner Bruder, ich habe es erlebt, weil ich ein alter Mann geworden bin, älter als meine Jahre, weil ich jede Brüchigkeit und jede Verweslichkeit in mir spürte, ich habe es erlebt, weil es mit mir zu Ende geht; ach, erst im Verlangen nach dem Tode verlangen wir nach dem Leben, und in mir ist die unterhöhlende, die gefügelockernde Arbeit jedweder Todesgier, pausenlos, soweit ich zurückdenken kann, unaufhörlich pochend; so habe ich sie stets gespürt, Lebensbangigkeit und Todesbangigkeit zugleich, in all den vielen Nächten, an deren Schwelle ich gestanden habe, an den Ufern der Nächte und Aber-Nächte, die an mir vorbeigerauscht sind, im Rauschen anschwellend das Wissen um sie, das Wissen um die Trennung, das Wissen um den Abschied, der mit der Dämmerung anhebt, und es war Sterben, das an mir vorbeifloß, mich mit steigender Flut berührte, benetzte, umfing, von außen kommend und doch aus mir geboren, mein Sterben: erst der Sterbende erkennt die Gemeinschaft, erkennt die Liebe, erkennt das Zwischenreich, erst in der Dämmerung und im Abschied erkennen wir den Schlaf, dessen dunkelste Gemeinschaft ohne Unzucht ist, erkennen wir, daß unserem Auf bruch niemals mehr eine Rückkehr folgen darf, erkennen wir den Keim der Unzucht, der in der Rückkehr und nur in der Rückkehr eingebettet liegt; ach, mein kleiner Nachtgefährte, auch du wirst dies einstmals erkennen, auch du wirst einst an der Uferschwelle sitzen, am Ufer deines Zwischenreiches, am Ufer des Abschiedes und der Dämmerung, und auch dein Schiff wird zur Flucht gerüstet sein, zu jener stolzen Flucht, welche Erwachen heißt und von der es keine Rückkehr gibt. Traum, oh, Traum! Solange wir dichten, brechen wir nicht auf, solange wir ausharren im Zwischenreich unseres Nachttages, schenken wir einander alle Traumeshoffnung, alle Sehnsuchtsgemeinschaft, alle Hoffnung der Liebe, und darum, mein kleiner Bruder, um dieser Hoffnung, um dieser Sehnsucht willen, geh nicht mehr fort von mir; ich will deinen Namen nicht wissen, den schattenwerfenden, ich will dich nicht rufen, weder zum Aufbruch noch zur Rückkehr, doch unerrufbar und ungerufen bleibe bei mir, damit die Liebe bleibe in der Verheißung ihrer Endgültigkeit, bleibe bei mir in der Dämmerung, bleibe bei mir am Ufer des Flusses, den wir schauen wollen, ohne uns ihm anzuvertrauen, fern seinem Quell, ferne seiner Mündung, gefeit vor dem urdunklen Zusammenschluß des Anfanges und gefeit vor der letzten, vor der schattenlosen Lichtvereinzelung Apollos, oh, bleibe bei mir, schützend und beschützt, wie ich für immerdar bei dir bleiben will, noch einmal die Liebe: hörst du mich? hörst du mein Bitten? vermag mein Bitten noch dich zu hören, sich selber erhörend, schicksalsentronnen, leidensentlöst?
Unbewegt lag die Nacht, gestaltenstarr in all ihrer nahen und all ihrer weiten Sichtbarkeit, eingeschlossen im Raume hier, eingeschlossen in immer weiteren Räumen, hinausgebreitet aus der Unmittelbarkeit des Handgreiflichen zu immer weiteren Unmittelbarkeiten, hin über die Berge und Meere, ausgebreitet in stetem Dahinfluten bis zu den nimmererreichbaren Traumgewölben, aber dieses Fluten, aus dem Herzen entspringend, an den Gewölbegrenzen verbrandend und wieder heimflutend ins Herz, nahm Sehnsuchtswelle um Sehnsuchtswelle in sich auf, zerlöste selbst die Sehnsucht nach der Sehnsucht, brachte die dämmerungsschwingende mütterliche Sternwiege ihres Urbeginns zum Stillstand, und umzuckt von den dunklen Blitzen des Unten, von den hellen des Oben, geschieden in Licht und Finsternis, in Schwärze und Grellheit, zweifarbig die Wolke, zwiefach der Ursprung, gewitterschwül, lautlos, raumlos, zeitlos, - oh, aufgebrochene Höhle des Innen und Außen, oh, groß hinziehende Erde! -, so klaffte die Nacht auf, zerbarst der Schlaf des Seins; stumm hinweggespült waren Dämmerung und Dichtung, hinweggespült ihr Reich, zerbrochen die Echowände des Traumes, und verhöhnt von den stummen Stimmen der Erinnerung, schuldbeladen und hoffnungsgebrochen, flutenüberströmt, flutenentführt, versank des Lebens übergroßes Aufgebot zum schieren Nichts. Es war zu spät geworden, es gab nur noch Flucht, das Schiff lag bereit, der Anker wurde hochgezogen; es war zu spät.
Noch wartete er, wartete, daß die Nacht sich nochmals melde, daß sie ihm Endgültiges und Tröstliches zuraune, daß sie mit ihrem Rieseln nochmals seine Sehnsucht wachriefe. Kaum war es noch Hoffnung zu nennen, eher Hoffnung auf die Hoffnung, kaum noch Flucht vor der Zeitlosigkeit, eher Flucht vor der Flucht. Es gab keine Zeit, keine Sehnsucht, keine Hoffnung mehr, weder für das Leben noch für das Sterben; es gab keine Nacht mehr. Es gab kaum ein Warten mehr, höchstens noch Ungeduld, welche Ungeduld erwartete. Er hielt die Hände verschränkt, und der Daumen der Linken rührte an den Stein des Ringes. So saß er, spürte an seinem Knie die Wärme der bis zur Anlehnungsnähe herangerückten, dennoch nicht angelehnten Knabenschulter, und es verlangte ihn sehr, die verschränkten Finger aus ihrer zunehmenden Verkrampfung zu lösen, um unbemerkt-sachte über die nachtdunklen wirren, kindlichen Haare, auf die er hinabschaute, zu streichen, um das nächtlich Sprießende, nächtlich Menschliche des nachtweichen knisternden Flors durch die Finger gleiten zu lassen, nachtsehnsüchtig nach Sehnsucht; indes, er tat keine Bewegung, und schließlich, obwohl es ihm schwerfiel, die Starrheit des Wartens zu unterbrechen, sagte er: «Es ist zu spät.» Der Knabe hob langsam das Gesicht zu ihm empor, so verständnisvoll und fragend, als wäre ihm etwas vorgelesen worden, dessen Fortsetzung nun folgen müßte, und dieser Frage gehorchend, sein eigenes Gesicht dem des Knaben sanft zugenähert, wiederholte er sehr leise: «Es ist zu spät.» War es noch Warten? War er enttäuscht, weil die Nacht sich nicht mehr regte, weil der Knabe sich nicht regte und nur der Knabenblick, grau, kindlich, unverwandt, selber fragend, auf ihn geheftet blieb? die Ungeduld, deren Kommen er herbeigewünscht hatte, stellte sich plötzlich ein: «Ja, es ist spät... geh zum Fest.» Jählings fühlte er sich übermäßig alt; das unmittelbar Irdische meldete sich mit dem Bedürfnis nach Schlaf und Eindämmern, mit der Sehnsucht ins Bewußtlose versinken zu dürfen und das Niemehr zu vergessen, es meldete sich mit einer Schwäche im Unterkiefer und dazu noch mit einem so argen Hustenreiz, daß der Wunsch, unbeobachtet allein zu bleiben, übermächtig wurde: «Geh... geh zum Feste», brachte er noch heiser hervor, während seine flach aufwärts gerichtete Hand, allerdings bloß in Andeutung und über einen wachsenden Abstand hin, den zögernd zurückweichenden Knaben nun mit kurzen Rucken zur Türe hinschob. «Geh... geh», rasselte es nochmals in ihm mit bereits versagendem Atem, und als er dann tatsächlich allein war, da war es als führe ein schwarzer Blitz in seine Brust, es brach der Husten aus ihr hervor, nachtblutgemischt, gestaltlos, zerschüttelt und zerstarrt, aufklaffend und berstend, bewußtseinsberaubend, ein würgender Krampf am Rande des Abgrundes, und daß es ihn diesmal nicht hineingestürzt hatte, daß es noch einmal vorbeigegangen war, daß er nochmals das Rieseln des Brunnens und das Knistern der Kerzen vernehmen konnte, das erschien ihm nachher wie ein Wunder. Er hatte sich, mühselig genug, von dem Lehnsessel zum Bett hinübergeschleppt, hatte sich hineinfallen lassen und war regungslos liegen geblieben.
Die Hände wiederum verschränkt spürte er wieder den Stein des Ringes, spürte die geflügelte Geniengestalt, die in den Karneol der Gemme eingraviert war, und er wartete, lauschend ob es sich zum Tod, ob es sich zum Leben wenden werde. Aber langsam wurde es besser - langsam zwar und sehr mühselig und sehr bedrängt - es wurde wieder zu Atem, zu Ruhen, zu Schweigen.
FEUER - DER ABSTIEG
Er lag und lauschte, von Zeit zu Zeit, wenn auch in immer größeren Abständen und ohne neuerlichen Blutauswurf, packte es ihn aufs neue, und anfangs hatte er sogar geglaubt, nun doch den Sklaven aus dem Nebenraum herrufen zu müssen, damit der Arzt geholt werde; aber das Rufen hätte zu viel Mühe gekostet, und die Störung durch den Arzt wäre unerträglich gewesen: er wollte allein bleiben -, nichts war dringlicher als allein zu bleiben, um nochmals und nochmals alles Sein in sich zu versammeln, um lauschen zu können; dies war das Dringlichste. Die Beine ein wenig hochgezogen, hatte er sich zur Seite gerollt, sein Kopf ruhte auf den Kissen, die Hüfte drückte sich in die Matratze ein, die Knie waren aufeinander geschichtet wie zwei fremde Wesen, und in einer sehr großen Entfernung wohnten die Fußknöchel, desgleichen die Fersen. Wie oft, oh, wie oft schon hatte er so auf die Erscheinungen des Liegens achtgehabt! Ja, es war geradezu beschämend, daß er sich von dieser kindischen Gewohnheit nicht losreißen konnte! Er erinnerte sich genau jener für ihn höchst merkwürdigen Nacht, in welcher er - als Achtjähriger - erstmalig dessen innegeworden war, daß es am bloßen Liegen etwas zu beobachten gab: es war in Cremona zur Winterszeit; er lag in seiner Kammer, die Tür, welche zu dem stillen Peristylhof hinausführte, war rissig, schloß schlecht, bewegte sich ein wenig, und das war unheimlich; draußen strich der Wind raschelnd über die winterlich mit Stroh zugedeckten Beete, und von irgendwoher, wahrscheinlich von der baumelnden Laterne unter dem Torweg, kam taktmäßig pendelnd der schwache Widerschein eines Lichtes in die Kammer geglitten, kam immer wieder, kam wie ein letztes Echo unendlichen Flutens, wie ein letztes Echo unendlicher Zeitabläufe, wie ein letztes Echo eines unendlich fernen Auges, so verloren, so gebrochen, so drohend vor Ferne, so ferneträchtig, daß es gleichsam eine Aufforderung war, nach dem Bestand und Nichtbestand des eigenen Selbst zu fragen und genau so wie damals, freilich durch die seitdem allnächtlich angestellte Wiederholung auch bewußter gemacht und verdeutlicht, genau so wie damals nach Bestand und Nichtbestand seiner Körperlichkeit fragend, genau so spürte er auch heute jede einzelne der Stellen, an denen sein Körper am Lager aufruhte, und genau so wie damals waren sie Wogenkämme, über die sein Schiff mit leichtem Eintauchen hinwegschwamm, während sich dazwischen unermeßlich tiefe Wogentäler auftaten. Gewiß, es ging nicht darum, und wenn er jetzt hatte allein bleiben wollen, so war es wahrlich nicht geschehen, um kindische Beobachtungen fortzusetzen, zu denen er den kleinen Nachtgefährten ohne Weiteres hätte hierbehalten können, nein, es ging um Wesentlicheres und Endgültigeres, um Etwas, dessen Wirklichkeit sehr groß sein mußte, so groß, daß sie sogar die der Dichtung und ihres Zwischenreiches zu übertreffen hatte, es ging um etwas, das wirklicher sein mußte als Nacht und Dämmerung, und nicht nur wirklicher, sondern damit auch irdischer sogar, es ging um etwas, für das es sich verlohnte alles Sein in sich zu versammeln, und verwunderlich war nur, daß sich das Kindische und Nebensächliche nicht gründlicher zurückdrängen ließ, daß es mit seinen Bildern und Aber-Bildern wie eh und je vorhanden war, daß in der Kette der Erinnerung, in die wir geschmiedet sind, die ersten Glieder die gewichtigsten sein sollten, als wären sie, gerade sie, die wirklichste Wirklichkeit. Fast schien es unmöglich, mehr noch, fast schien es unstatthaft, daß unsere letzterreichbare, wirklichste Wirklichkeit sich darauf beschränkte bloßes Erinnerungsbild zu sein! Nichtsdestoweniger, bildgesegnet und bildverflucht ist das menschliche Leben; nur in Bildern vermag es sich selbst zu erfassen, unbannbar sind die Bilder, sie sind in uns seit Herdenbeginn, sie sind früher und mächtiger als unser Denken, sie sind im Zeitlosen, schließen Vergangenheit und Zukunft in sich ein, doppelte Traumerinnerung sind sie, und sie sind mächtiger als wir: Bild sich selber war er, der hier lag, und hinsteuernd zu wirklichster Wirklichkeit, getragen von unsichtbaren Wogen, eintauchend in sie, war das Bild des Schiffes sein eigenes Bild, uns der Dunkelheit kommend, in die Dunkelheit ziehend, in die Dunkelheit sinkend, er war selber das unermeßliche Schiff, das zugleich selber die Unermeßlichkeit ist, und er war selber die Macht, die in diese Unermeßlichkeit zielt, er selber das fliehende Schiff, er selber das Ziel, unermeßlich er selber, unermeßlich, unübersehbar, unausdenkbar, eine unendliche Körperlandschaft die Landschaft seines Körpers, ein gewaltig hin gebreitetes Unterweltsbild der Nacht, so daß er, verlustig der Einheit menschlichen Lebens, verlustig der Einheit menschlicher Sehnsucht, schon längst nicht mehr sich für fähig hielt die Herrschaft über Nein Selbst auszuüben, wissend um all die getrennten Regionen und Provinzen, in welche sich das eineinzig über das Unendliche hingebreitete Ich hatte zerteilen müssen, wissend um all die Dämonenherrschaften, welche statt seiner deren Verwaltung übernommen hatten, abgesondert nach Bezirken in ihrer Vielfalt; ach, es waren die aufgewühlten, aufgeackerten Bezirke der schmerzenden Lunge, es waren die des Fiebers, des unheimlichen, das aus unbekanntesten rotglühenden Tiefen zur Haut heraufwellt, und es waren die Bezirke der Eingeweideabgründe sowie die noch fürchterlicheren der Geschlechtlichkeit, die einen wie die ändern schlangenerfüllt, schlangendurchwachsen, es waren die Bezirke der Gliedmaßen in ihrem ungezügelten Eigenleben, nicht zuletzt die der Finger, und all diese Dämonenbezirke, manche näher, manche ferner von ihm angesiedelt, manche freundlicher, manche feindlicher sowohl zu einander wie auch zu ihm eingestellt - am nächsten und ihm am meisten zu eigen war ihm noch das Sinnhafte, waren ihm Auge und Ohr und deren Bezirke all diese Bereiche des Körperlichen und Oberkörperlichen, harte Wirklichkeit des steinernen Knochengerüstes, sie wurden in ihrer ganzen Fremdheit, in ihrer zerfallenen Brüchigkeit, in ihrer Entlegenheit, in ihrer Feindlichkeit, in ihrer unerfaßlichen Unendlichkeit von ihm gewußt, sinnenhaft und übersinnenhaft, denn sie waren insgesamt, und er mit ihnen, als wäre dies das gegenseitige Wissen, in jenem großen Fluten eingebettet, das über alles Menschliche und alles Ozeanische hinausreicht, in jenem gezeitenschweren, aus- und zurückwogenden, aus- und zurückschwingenden Fluten, dessen heimkehrende Brandung stets an des Herzens Küste schlägt und es zum unablässigen Pochen bringt, Bildwirklichkeit und Wirklichkeitsbild in einem, so wogentief, daß in seiner Tiefe sich das Getrennteste versammelt, unvereinigt noch, doch vereinigt zu künftiger Wiedergeburt; oh, Uferbrandung der Erkenntnis, ihre ewig steigende Flut keimgesättigt von jedwedem Trost und jedweder Hoffnung, oh, nacht schwere, keimschwere, raumschwere Frühlingsflut, und, wissend von diesem seinem gewaltigsten Ichbild, wußte er von der Überwindung des Dämonischen durch eine Wirklichkeitssicherheit, deren Bild im Unbeschreiblichen liegt und trotzdem schon die Welteneinheit umschließt. Denn prall von Wirklichkeit sind die Bilder, weil Wirklichkeit stets nur wieder durch Wirklichkeit versinnbildlicht wird -, Bilder und Aber-Bilder, Wirklichkeiten und Aber-Wirklichkeiten, keine wahrhaft wirklich, solange sie alleine steht, dennoch jede einzelne Sinnbild einer letztwirklichen Unerkennbarkeit, die ihre Gesamtheit ist. Und hatte er in den vielen vergangenen Jahren immer gieriger und neugieriger den Zerfall und die Brüchigkeit verfolgt, die er in seinem Körper arbeiten spürte, hatte er, um dieser verwunderlichen und verwunderten Neugierde willen, gerne das Ungemach der Krankheit und der Schmerzen auf sich genommen, ja, hatte er - und was immer der Mensch tut, es wird ihm zu deutlicherem oder undeutlicherem Sinnbild - unausgesetzt den Wunsch in sich getragen, den selten bewußten, dennoch stets ungeduldigen Wunsch, es möge seine körperliche Einheit, die ihm mehr und mehr zu einer Scheineinheit geworden war, endlich aufgelöst werden, je rascher desto lieber, damit das Außergewöhnliche erfolge, damit Auflösung zur Erlösung werde, zur neuen Einheit, zum endgültigen Sinn, und hatte ihn dies alles von frühester Jugend an begleitet und verfolgt, zumindest seit jener Nacht in Cremona, vermutlich jedoch schon seit der Kinderzeit in Andes, sei es zuerst als spielerisch leichte, kindische Ängstlichkeit, sei es als wuchtig gedächtnisauslöschende Furcht, unerinnerbar heute das eine wie das andere, es hatte ihn zugleich auch die Frage nach der Bedeutung solchen Geschehens nie verlassen, sie war in all seinem Vorlauschen, Vorsuchen, Vorfühlen allnächtlich enthalten gewesen, und genau so wie er einst, das Kind in Andes, der Knabe in Cremona, auf seinem Bette gelegen hatte, Knie an Knie gepreßt, eingesenkt sein Geist ins Vorträumen, eingesenkt Geist wie Körper in das Schiff seines Seins, hingebreitet über die weiten Erdflächen, er selber Berg, selber Feld, selber Erde, selber das Schiff, er selber der Ozean, lauschend in die Nacht des Innern und Außen, ahnend wohl seit jeher, daß dieses Lauschen bereits einer Erkenntniserfüllung galt, für die sein ganzes Leben gelebt werden sollte, genau so geschah es ihm wiederum, geschah es ihm hier und jetzt, geschah es ihm heute; es geschah ihm das, was ihm seit jeher, deutlicher und deutlicher werdend, stets aufs neue geschehen war, er tat das, was er ein ganzes Leben lang getan hatte, aber nun wußte er die Antwort: er lauschte dem Sterben.
Konnte es anders sein?! Aufgerichtet ist der Mensch, er allein, doch ruhend zum Schlaf, zur Liebe, zum Tode hingestreckt -, auch in solch dreifacher Eigenschaft seines Liegens unterscheidet er sich von sämtlichen ändern Wesen. Aufrecht, zum Wachsen bestimmt, reicht des Menschen Seele aus ihren dunklen Wurzelabgründen im Humus des Seins hinauf bis zum sonnendurchfluteten Sternenrund, aufwärtstragend ihren poseidonischvulkanisch finsteren Ursprung, abwärtsbringend das Durchsichtige ihres apollinischen Zieles, und je mehr sie kraft ihres Aufwärts Wachsens zur lichtdurch tränkten Form wird, je mehr sie sich zur Form verschattet, baumgleich sich verzweigend und entfaltend, desto mehr wird sie befähigt, im Schattenlaub ihrer Äste das Dunkle mit dem Lichten zu vereinen; aber wenn sie zum Schlaf, zur Liebe, zum Tode sich hingestreckt hat, wenn sie selber zur hingebreiteten Landschaft geworden ist, dann ist es nicht mehr ihre Aufgabe, das Entgegengesetzte zu verschmelzen, denn schlafend, liebend, sterbend schließt sie die Augen, und sie ist nicht mehr gut oder böse, sie ist nur noch ein einziges, unendliches Lauschen: unendlich hingebreitete Seele, unendlich vom Zeitenring umschlossen, unendlich in ihrem Ruhen und sohin jeglichem Wachstum enthoben, wachstumlos wie die Landschaft, die sie ist, reicht sie mit dieser als unveränderter, als unveränderbarer saturnischer Bereich durch alle Zeiten hindurch, reicht vom goldenen bis zum erzenen Zeitalter, ja darüber hinaus bis zur Wiederkehr des goldenen, und kraft ihrer Eingeschmiegtheit ins Landschaftliche, kraft ihrer Verkerkerung ins Irdische und in die irdischen Gefilde, an deren Fläche die Sphären des Himmelslichtes und der Erddunkelheit sich scheiden, ist sie gleicherweis sphärentrennende, sphärenverbindende Grenze zwischen den oberen und unteren Regionen, janusartig stets beiden angehörig, denen des Sternschwebens wie denen der Steinschwere, denen des Äthers wie denen der Unterweltfeuer, janushaft die doppelgerichtete Unendlichkeit, janushaft die unendlich hinerstreckte, dämmerhaft ruhende Seele, so daß ihrem lauschenden Erwissen das Oben und das Unten, ohne vereinigt zu werden, bedeutungsgleiche Zonen sein dürfen; bedeutungslos hingegen, keines Erlauschens und Erwissens wert, wird ihr das Geschehen als solches, da sie es weder als Wachstum noch als Verwelken oder Verdorren, weder als Beglückung, noch als Beschwernis, wohl aber als ständige Wiederkehr empfindet, als die ständige Wiederkehr innerhalb ihres eigenen Seins, als die Wiederkehr des allumfassenden saturnischen Ablaufes, in dem die Landschaften der Seele und der Erde sich unendlich erstrecken, ununterscheidbar in ihrem Ein- und Ausatmen, in ihrem Keimen und Reifen, in ihren Ernten und Fehlernten, in ihrem Vergehen und Auferstehen, in den Jahreszeiten ihrer Grenzenlosigkeit, einverwoben der ewigen Wiederkehr, umfangen vom Ring des ewig Gleichen und daher ruhend hingestreckt zum Schlaf, zur Liebe, zum Tode ein Lauschen der Landschaft und der Seele, das saturnische Selbstbelauschen sterbensenthobenen Sterbens, golden und erzen in einem.
Er lauschte dem Sterben; es konnte nicht anders sein. Das Bewußtsein dieser Tatsache war ohne Schrecken über ihn gekommen, höchstens mit jener außergewöhnlichen Klarheit, die sich gemeiniglich mit zunehmendem Fieber einstellt. Und jetzt, in der Dunkelheit liegend, in die Dunkelheit lauschend, verstand er sein Leben, und er verstand, wie sehr es ein fortwährendes Lauschen nach der Sterbensentfaltung gewesen war, entfaltet das Bewußtsein, entfaltet der Sterbenskeim, der von Anbeginn an in jegliches Leben gelegt ist und es ausmacht, doppelte und dreifache Entfaltung, eine aus der anderen hervorgehend und an ihr sich entfaltend, jede das Bild der vorausgegangenen und ebenhierdurch sie verwirklichend -, war dies nicht die Traumeskraft aller Bilder und gar jener, welche befähigt sind ein Leben zu bestimmen? verhielt es sich nicht ebenso auch mit dem Bild der Weltennachthöhle, die wundersam und bangniserregend vor Zeitlosigkeit, sternenschwer und ewigkeitverheißend den Tod über das gesamte Sein wölbt? Denn was einstmals, zur Knabenzeit, eine kindlichkindische Todesvorstellung gewesen war, die Vorstellung vom Grabe, in das der Leib versenkt wird, das hatte sich zu dem großen Höhlenbild entfaltet, und die Erbauung der Gruft an der neapolitanischen Bucht, dort bei der posilippischen Grotte, war daher mehr als eine bloße Wiederholung und Sichtbarmachung der alten Kindheitsvorstellung gewesen; nein, mit dem Bauwerk war des Todes All-Gewölbe sinnbildhaft zum Ausdruck gebracht worden, vielleicht noch immer kindisch infolge solch irdischer Verkleinerung, dennoch Sinnbild des mächtigallumfassenden Todesraums, in dem er, das Ziel seit jeher wissend und trotzdem es suchend, er, ein Wegesuchender im Gewölbe des Todes ein ganzes Leben wachend verträumt hatte. Um der allumfassenden Macht dieses Zieles willen hatte er so lange, wahrlich überlange nach seiner eigentlichen Bestimmung gefahndet, um dieses immer gewußten, trotzdem niemals bewußten Zieles willen hatte er, von jeder Laufbahn unbefriedigt, jede vorzeitig abgebrochen und hatte weder beim Beruf des Arztes noch bei dem des Sternkundigen, noch bei dem des philosophischen Gelehrten und Lehrers verbleiben oder gar sich beruhigen dürfen: das heischende, das unerfüllte Erkenntnisbild, das ernste Erkenntnisbild des Todes war unentwegt vor seinen Augen gestanden, und kein Beruf vermochte dem gerecht zu werden, da es keinen gibt, der nicht ausschließlich der Lebenserkenntnis untertan wäre, keinen mit Ausnahme jenes einzigen, zu dem es ihn schließlich getrieben hatte, und der Dichtung heißt, dieser seltsamsten aller menschlichen Tätigkeiten, der einzigen, die der Todeserkenntnis dient. Nur wer im Zwischenreich des Abschiedes lebt - oh, es lag hinter ihm, und es gab keine Rückkehr -, nur wer am Ufer des Flusses verharrt, quellenfern, mündungsfern in der Dämmerung, nur der ahnt den Tod, nur der ist dem Tode verhaftet, und dem Tode dienend, gleicht er dem Priester, der kraft seines Amtes, seines über dem persönlichen Beruf stehenden Priesteramtes, vermittelnd zwischen dem Oben und Unten, dem Dienst am Tode verpflichtet und damit ebenfalls in ein Zwischenreich des Abschiedes verwiesen ist; ja, priesterlich hatte ihm stets die Aufgabe des Sängers gedünkt, vielleicht ob der seltsamen Todes weihe, die der entzückten Inbrunst jeglichen Kunstwerkes innewohnt, und hatte er es sich auch bisher bloß selten einzugestehen gewagt, vielleicht sogar manchmal ab gelehnt, genau so wie er in seinen ersten Dichtungen es nicht gewagt hatte an den Tod heranzutreten, vielmehr bemüht gewesen war, mit der lieblichliebenden Gewalt inniger Liebe zum Sein sich des Dräuenden, dennoch schon Anwesenden zu erwehren, er hatte solchen Widerstand mehr und mehr aufgeben müssen, da die dichtende Gewalt des Todes gar bald als die stärkere sich erwiesen hatte, Schritt für Schritt ein Heimatsrecht sich erobernd, das dann in der Äneis zum vollen Herrschaftsrecht geworden war, dem Göttersinn folgend: die klirrende, blutige, mahnende, unabänderliche Herrschaft des Schicksals, die allüberwindende Herrschaft des Todes, die eben darum auch sich selbst überwindet und sich selbst aufhebt. In den Tod nämlich ist jedwede Gleichzeitigkeit eingesenkt, alle Gleichzeitigkeit des Lebens und der Dichtung ist in seiner Allesaufhebung für ewig auf bewahrt, er ist erfüllt von Tag und Nacht, und sie durchdringen einander zur zwiefarbenen Wolke der Dämmerung; oh, der Tod ist erfüllt von all der Vielfalt, die aus der Einheit hervorgegangen war, um sich in ihm wieder zur Einheit zu schließen, er ist erfüllt von der Herdenweisheit des Beginns und von der Vereinzelungserkenntnis des Endes, sie beide zu einer einzigen Sekunde des Seins zusammenfassend, zu jener Sekunde, die bereits die des Nicht-Seins ist, denn in unaufhörlichem Wechselspiel mit dem Seinsablauf steht der Tod, und unablässig wird der in ihn einmündende, von ihm empfangene und ursprungswärts rückgewandte Zeitenablauf zur Einheit des Gedächtnisses verwandelt, zum Gedächtnis der Welten und Aber-Welten, zum Gedächtnis des Gottes: nur wer den Tod auf sich nimmt, vermag den Ring im Irdischen zu schließen, nur wer des Todes Auge sucht, dem bricht nicht das eigene, wenn es ins Nichts schauen soll, nur wer zum Tode hinlauscht, der braucht nicht zu flüchten, der darf bleiben, denn seine Erinnerung wird zur Gleichzeitigkeitstiefe, und wer in die Erinnerung taucht, dem erklingt der Harfen ton jenes Augenblickes, in dem das Irdische sich zum unbekannt Unendlichen öffnen soll, geöffnet zur Wiedergeburt und Auferstehung unendlicher Erinnerung Kindheitslandschaft, Lebenslandschaft, Todeslandschaft, sie sind Eines in ihrer unwandelbaren Gleichzeitigkeit, heraufahnend die Landschaft der Götter, die Landschaft des Ur-Anfanges und des Ur-Endes, unwandelbar geeint von dem Reif des über sie hingespannten, siebenfarbig regenverhauchten Bogens, oh, die Gefilde der Väter. Vieles geschieht der Erinnerung zuliebe und enthüllt sich zuletzt doch als ein Lauschen nach dem Tode, und vieles, das dem Tode gelten will, ist bloß Erinnerung, bange Sehnsuchtserinnerung, die ängstlich behütet wird, auf daß sie nimmermehr verlorengehe. So auch und nicht anders war es um die meeresumwehte, frühlingsverschattete, laubbegrünte Gruft bei der posilippischen Höhle bestellt, um diese beinahe spielerisch erbaute Heimstätte des Todes, voll von Erinnerung, von Kindheitserinnerungen, die er, ohne sich davon Rechenschaft zu geben, in diese gärtnerische Heiterkeit miteingebaut hatte, so daß alles, was von den Kinderaugen im väterlichen Hofe zu Andes erblickt worden war, sich nun in verkleinertem Maße und nur wenig verändert hier wiederfand, so die Zufahrtsstraße zum Hoftor, nun als Hauptweg durch den Garten, ausgestattet mit der nämlichen Doppelbiegung, links von dem nämlichen Lorbeergebüsch besäumt, rechts an den Hügel seiner Kinderspiele heranführend, mochte hier dieser Hügel auch nur von einigen Zypressen statt mit dem alten Ölbaumhain bekrönt sein, während hinter dem Gebäude, mächtigruhend da wie dort, verhangen mit Vogelgezwitscher da wie dort, sich die Ulmen erhoben, damals wie heute Schutz der Einsamkeit und des Friedens, und wie einst als Knabe hätte er mit der Hand über die Zaunhecken hinstreichen können, derart deutlich ließ sich alles zurückträumen, derart deutlich und für alle Zeiten gültig war es vorwärtsgeträumt gewesen, dem Tode zugeträumt und dem Sterben, dem Ziel alles träumenden Lauschens seit den Kindheitstagen, dem Ziel und dem Quell seiner Erinnerung, klar, unverlierbar, erkenntnissucherisch, obwohl das Bild der Gruft nur einen kleinen, einen überaus kleinen Gedächtnisausschnitt im Vergangenheitsstrom darstellte, eine recht handgreifliche Insel, fast zufallsmäßig aufgetaucht in ihrer kleinen Handgreiflichkeit, verschwindend und geradezu vergessenswürdig vor der rauschenden Flutenbreite, die in sein unablässiges Lauschen sich ergoß; unablässig wurde Unverlorenes ihm zugeflutet, gedächtnisbreit und wellenbreit, unablässig und weich und groß rollte es daher, Welle um Welle des jemals Erschauten, aufstrahlend in Harfenklang, in unbeschreiblichbleibendem, immerwährendem Anklang - oh, holde Verkerkerung der Jugend, geborgen und befreiungsbereit -, und es war, als ergössen sich alle Bäche und Teiche des Einst in diesen Strom der Erinnerung, rieselnd zwischen den duftenden Weiden, rieselnd zwischen den schilfbebend begrünten Ufern, liebliche Bilder ohne Ende, sie selber ein von Kinderhand gepflückter Strauß aus Lilien und Levkojen, Mohn, Narzissen und Dotterblumen, das Bild der Kindheit in ewig erwanderter, ewig erdichteter Landschaft, das Bild der Vätergefilde, die er, wohin auch immer er getrieben worden war, überall hatte suchen müssen, Bild seiner einzigen und niemals verlaßbaren Lebenslandschaft, unbeschreiblich-unbeschreibbares Bild trotz sehr großer Helligkeit, Schärfe, Besonntheit, Durchsichtigkeit, trotz dieser niemals erlahmenden farbenreichen Klarheit, mit der es ihn begleitete, so unbeschreibbar, daß es, sooft er es auch geschildert hatte, doch nur im Ungesagten aufgeklungen war, immer nur dort, wo die Sprache nicht mehr ausreicht, wo sie über ihre eigenen, irdischsterblichen Grenzen schlägt und ins Unaussprechliche dringt, den Wortausdruck verläßt und - bloß sich selber noch im Gefüge der Verse singend - den atembeklommenen, atemraubenden Sekundenabgrund zwischen den Worten aufreißt, um todesahnend und lebensumspannend in dieser stummen Tiefe, selber stummgeworden, die Ganzheit des Alls zu zeigen, die fließende Gleichzeitigkeit, in der das Ewige ruht: oh, Ziel aller Dichtung, Augenaufschlag der Sprache, wenn sie über alle Mitteilung und über alles Beschreiben hinweg sich selbst aufhebt, oh, die Augenblicke der Sprache, in denen sie selber in die Gleichzeitigkeit eintaucht, so daß es unentschieden bleibt, ob Erinnerung aus der Sprache, oder ob Sprache aus der Erinnerung quillt! oh, in diesen Augenblicken war es gewesen, daß die Kindheitslandschaft zu blühen begonnen hatte, sich selbst zurücklassend, über sich selbst und jede Erinnerung hinauswachsend, über jeden Anfang und über jedes Ende, verwandelt zu den schlicht ländlichen Hirtenordnungen eines goldenen Zeitalters, verwandelt zur Landschaft des latinischen Aufbruchs, verwandelt zur Wirklichkeit der dahinschreitenden herrschenddienenden Götter, sicherlich noch nicht Ur-Anfang, noch nicht Ur-Ordnung, noch nicht Ur-Wirklichkeit, wohl aber deren Sinnbild, sicherlich noch nicht die Stimme, die aus dem Unbekanntesten, aus dem unausdrückbarst Außergewöhnlichen, aus dem unabänderlich Übergöttlichen hertönen soll, wohl aber ihr Sinnbild, wohl aber die echogleiche Ahnung ihres Seins und fast ihre Gewißheit -, Sinnbild, das Wirklichkeit ist, Wirklichkeit, die Sinnbild wird im Angesicht des Todes. Es waren die Augenblicke der klanggewordenen Todlosigkeit, die lebendig dämmerungsentlösten Augenblicke des Lebens schlechthin, und es waren jene, in denen des Todes wahre Gestalt sich am reinsten offenbarte: seltenste Augenblicke der Gnade, seltenste Augenblicke der vollkommenen Freiheit, den meisten unbekannt, von manchen angestrebt, von sehr wenigen erreicht -, doch wem von diesen wenigen es vergönnt ist solchen Augenblick festzuhalten, wem es verliehen worden ist die flüchtige Flüchtigkeit der Todesgestalt zu erhaschen, wem es im unablässigen Lauschen und Suchen gelingt den Tod zur Gestalt zu bringen, der hat mit deren Echtheit auch die seiner eigenen Gestalt gefunden, er hat seinen eigenen Tod gestaltet und damit sich selbst zur Gestalt gebracht, und er ist vor dem Rückfall in den Humus der Gestaltlosigkeit gefeit.
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