Der Todschlaeger
Der Todschlaeger
Book Jacket
Series: Rougon-Macquart [7]
Tags: Roman
Zolas »Totschläger« war zwar ein Roman über den Arbeiter von einer bis dahin unerhörten und unerreichten Offenheit, aber er war kein Arbeiterroman. Anders ausgedrückt: der Autor des »Totschlägers« war zwar nicht dem Beispiel seiner bürgerlichen Kollegen gefolgt und hatte die Menschen seines Buches nicht wie exotische Tiere mit indiskreter und teilnahmsloser Neugierde von ferne studiert, sondern er hatte sich wirklich mitten unter sie gestellt, an ihren Sorgen und Freuden teilgenommen, mit ihnen gelacht, geliebt und gelitten – aber mit den Augen der Wissendsten von ihnen die Welt zu sehen und damit ihr Dasein in seinen sozialhistorischen Bedingungen und Voraussetzungen zu begreifen, hatte auch er nicht vermocht. Und aus dieser für Zola fast unvermeidlichen Begrenztheit der historischen Position resultiert notwendig die Begrenztheit in der Wiedergabe des ergriffenen Gegenstandes.
So war aus dem »Roman über das Volk« und über »die Sitten der Arbeiter«, der ihre »Laster, ihren Verfall, ihre moralische und physische Hässlichkeit aus ihrem Milieu, aus der dem Arbeiter von der Gesellschaft bereiteten Lage erklären sollte«, die Geschichte der Gervaise Macquart geworden, der Frau aus dem Volke, der Arbeiterfrau. Und seitenlang bemüht sich Zola im Selbstgespräch der ersten Skizzierung seines Romans aus dieser künstlerischen Idee, Niedergang und Verfall einer Arbeiterfrau zu schildern, eine wirksame Fabel herauszukristallisieren. Er möchte seine Heldin durch jede erdenkbare Krise und jede erdenkbare Schande hindurchgehen und schließlich in einer Tragödie enden lassen. Aber alle Einzelheiten, die ihm aus diesem Lebensweg und aus der bisherigen, durch die früheren Bände der »Rougon-Macquart«- Reihe gegebenen Familiengeschichte zufließen, sind mehr oder weniger Genrebilder aus dem Arbeiterleben oder persönliche Ereignisse und Erlebnisse eines Einzelschicksals. So dass er sich schließlich selbst enttäuscht eingesteht: » ... ich kann mich von dieser Plattheit der Intrige nur durch die Größe und Wahrheit meiner Bilder aus dem Volksleben retten. Nichts gibt dem Ganzen so richtig eine plastische Form. Wenn ich das dumme, platte und dreckige Leben nehme, muss ich ihm einen starken bildhaften Ausdruck verleihen. Der Stoff an sich ist armselig ...« Denn der »Roman über den langsamen Verfall von Gervaise und Coupeau, wobei dieser seine Frau mit sich zieht«, schien Zola allein keinerlei Ansatzpunkte für eine dramatische Schürzung des Geschehens zu bieten.
Émile Zola
Der Todschläger
Roman
Band 7 - der RougonMacquart
Der Totschläger; (L'Assommoir 1877)
Natur- und Sozialgeschichte einer Familie unter dem
Zweiten Kaiserreich

TUX - ebook 2010
DER TODSCHLÄGER
Vorwort
Die RougonMacquart sollen aus etwa zwanzig Romanen bestehen. Der allgemeine Plan steht seit 1869 fest, und ich befolge ihn mit äußerster Strenge. Der Totschläger ist zu dem für ihn vorgesehenen Zeitpunkt gekommen, ich habe ihn geschrieben, wie ich die anderen Romane schreiben werde, ohne mich eine Sekunde von meinem geraden Weg abbringen zu lassen. Das eben macht meine Stärke aus. Ich habe ein Ziel, auf das ich zugehe.
Als Der Totschläger in einer Zeitung erschien, ist er mit beispielloser Brutalität angegriffen, denunziert und aller Verbrechen bezichtigt worden. Ist es wirklich nötig, hier in wenigen Zeilen meine Absichten als Schriftsteller zu erklären? Ich habe das schicksalhafte Verkommen einer Arbeiterfamilie in der verpesteten Umwelt unserer Vorstädte schildern wollen. Am Ende von Trunksucht und Müßiggang stehen die Lockerung der Familienbande, der Unrat des engen Beisammenwohnens der Geschlechter, das fortschreitende Vergessen anständiger Empfindungen, dann als Lösung Schande und Tod. Das ist einfach in Aktion befindliche Moral.
Der Totschläger ist ganz gewiß das keuscheste meiner Bücher. Oft habe ich an viel entsetzlichere Wunden rühren müssen. Allein die Form hat Bestürzung hervorgerufen. Man hat sich über die Ausdrücke geärgert. Mein Verbrechen besteht darin, daß ich die literarische Neugier gehabt habe, die Sprache des Volkes zu sammeln und in eine gut ausgearbeitete Form zu gießen. Ach ja, die Form – hierin liegt das große Verbrechen! Dabei gibt es Wörterbücher dieser Sprache, Gebildete studieren sie und erfreuen sich an ihrer Unverblümtheit, an dem Unverhofften und der Kraft ihrer Bilder. Sie ist ein Schmaus für die herumspürenden Sprachforscher. Gleichviel, niemand hat geahnt, daß es mein Wille war, eine rein philologische Arbeit zu leisten, von der ich glaube, daß sie von lebhaftem historischem und sozialem Interesse ist.
Im übrigen verteidige ich mich nicht. Verteidigen wird mich mein Werk. Es ist ein Werk der Wahrheit, der erste Roman, über das Volk, der nicht lügt und der den Geruch des Volkes atmet.
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