Wenn du dich mit deinem Freund aus La Glacière zusammentust, rappeln wir uns in weniger als einem halben Jahr wieder hoch – gerade die Zeit, um uns auszustaffieren und irgendwo eine Bude zu mieten, wo wir zu Hause sind ... Oh, wir werden arbeiten müssen, arbeiten ...«
Lantier drehte sich mit gelangweilter Miene zur Wand.
Da brauste Gervaise auf.
»Ja, das ist es ja gerade, es ist ja bekannt, daß die Liebe zur Arbeit dich nicht gerade überwältigt. Du platzt vor Ehrgeiz, du möchtest wie ein Herr gekleidet sein und Dirnen in seidenen Röcken ausführen. Nicht wahr, du findest mich nicht mehr gut genug, seitdem du mich alle meine Kleider hast ins Leihhaus bringen lassen ... Hör mal, Auguste, ich wollte nicht mit dir darüber sprechen, ich hätte ja noch gewartet, aber ich weiß, wo du die Nacht verbracht hast. Ich habe gesehen, wie du mit dieser Herumtreiberin, der Adèle, in den ›GrandBalcon‹ gegangen bist. Na, du suchst dir die richtigen aus! Die ist sauber, die hat Grund, sich wie eine Prinzessin aufzuspielen ... Mit dem ganzen Restaurant hat sie geschlafen.«
Mit einem Satz warf sich Lantier aus dem Bett. Seine Augen waren in dem leichenblassen Gesicht tintenschwarz geworden. In diesem kleinen Mann entfachte die Wut ein Ungewitter.
»Ja, ja, mit dem ganzen Restaurant!« wiederholte die junge Frau. »Madame Boche wird ihnen kündigen, ihr und dieser langen Latte, ihrer Schwester, weil immer Männer auf der Treppe Schlange stehen.«
Lantier hob beide Fäuste. Dann widerstand er dem Verlangen, sie zu schlagen, packte sie an den Armen, schüttelte sie heftig und schmiß sie auf das Bett der Kinder, die von neuem zu schreien anfingen. Und er legte sich wieder hin und stammelte mit dem wilden Gesichtsausdruck eines Mannes, der einen Entschluß faßt, vor dem er noch zögert:
»Du weißt nicht, was du eben angerichtet hast, Gervaise ... Du hast unrecht gehabt, du wirst sehen.«
Einen Augenblick lang schluchzten die Kinder. Ihre Mutter, die gebeugt auf dem Bettrand sitzengeblieben war, hielt sie in einer einzigen Umarmung umschlungen und wiederholte an zwanzigmal mit monotoner Stimme den Satz:
»Ach, wenn ihr nicht da wärt, meine armen Kleinen! – Wenn ihr nicht da wärt! – Wenn ihr nicht da wärt!«
Ruhig ausgestreckt, zu dem verschossenen bemalten Leinwandfetzen über ihm hochblickend, hörte Lantier nicht mehr hin und vertiefte sich in eine fixe Idee. So verharrte er trotz der Müdigkeit, die seine Lider schwer machte, ungefähr eine Stunde, ohne dem Schlaf nachzugeben. Als er sich mit hartem und entschlossenem Gesicht umdrehte und sich dabei mit dem Ellbogen aufstützte, räumte Gervaise gerade das Zimmer fertig auf. Sie machte das Bett der Kinder, die sie eben herausgenommen und angezogen hatte. Er sah zu, wie sie flüchtig ausfegte und die Möbel abwischte. Das Zimmer blieb finster, jämmerlich mit seiner verräucherten Decke, seiner durch die Feuchtigkeit abgegangenen Tapete, seinen drei wackligen Stühlen und seiner wackligen Kommode, auf der der Dreck hartnäckig liegenblieb und mit dem Wischlappen ausgebreitet wurde.
Während sie sich dann gründlich wusch, nachdem sie sich ihr Haar vor dem am Fensterriegel hängenden kleinen, runden Spiegel, den er zum Rasieren brauchte, aufgesteckt hatte, schien er ihre nackten Arme, ihren nackten Hals und alles Nackte, was sie zeigte, zu mustern, als stelle er in Gedanken Vergleiche an. Und er verzog die Lippen. Gervaise hinkte auf dem rechten Bein, aber man bemerkte es fast nur, wenn sie sich an den Tagen, da sie erschöpft war, mit zerschlagenen Hüften gehenließ. An diesem Morgen zog sie, durch die Nacht wie gerädert, das Bein nach und stützte sich an den Wänden.
Es herrschte Schweigen, sie hatten kein Wort mehr gewechselt. Er schien zu warten. Sie fraß ihren Schmerz in sich hinein, bemühte sich, ein gleichgültiges Gesicht zu machen, und beeilte sich.
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