Es genügt mir, Sie anzusehen.«
»Anschauen kostet nichts«, sagte sie mit einem kurzen Auflachen, das böse klang, »Sie sind mir
ein seltsamer Heiliger, aber ich denke, ich erfahre noch heute abend, warum Sie so - aufgeregt
sind.«
Damit schenkte sie mir wieder ein und stand auf, den Sekt zu holen. Diesmal blieb sie länger
fort. Sie zog die Vorhänge vor die Fenster, dann ging sie aus dem Hause, und ich hörte sie die
Läden, dann die Haustür schließen. Während sie wieder durch die Gaststube ging, sagte sie im
Vorübergehen zu mir: »Ich habe schon geschlossen, es kommt doch keiner mehr. Und die Wirtsleute
liegen auch schon im Bett.« Dies sagte sie im Vorübergehen, blieb dann stehen und sagte mit
spöttischer Betonung: »Aber deswegen brauchen Sie sich keine Hoffnungen zu machen!« Ehe ich noch
antworten konnte, war sie wieder gegangen. Ich benützte die Zeit ihrer Abwesenheit, mir ganz
schnell zwei, drei Gläser hintereinander aus der Flasche einzuschenken. Dann kam sie zurück, mit
einer goldgeköpften Flasche in der Hand.
8.9.44
Sie stellte ein Spitzglas vor sich auf den Tisch, löste den Draht geschickt mit einigen
Biegungen und drehte den Korken aus der Flasche, ohne es knallen zu lassen. Der weiße Schaum
troff über den Rand, sie goß rasch ein, wartete einen Augenblick und goß wieder ein. Dann hob sie
das Glas zum Mund »Ich trinke nicht auf Ihr Wohl«, sagte sie, »denn dann möchten Sie mit mir
anstoßen, und für den Augenblick haben Sie genug getrunken.«
Ich widersprach ihr nicht. Mein ganzer Körper war tatsächlich so von Trunkenheit erfüllt, daß sie
wie ein schwärmendes Bienenvolk in ihm zu summen schien: keine Stelle war frei von ihr. Sie
setzte das Glas ab, sah mich mit eingekniffenen Augen an und fragte spöttisch: »Nun, wieviel
Schnäpse haben Sie sich in meiner Abwesenheit eingeschenkt? Fünf? Sechs?«
»Nur drei!« antwortete ich und lachte. Ich kam überhaupt nicht auf die Idee, mich zu schämen, vor
diesem Mädchen vergingen einem solche Gefühle vollständig.
»Wie heißt du übrigens?«
»Willst du öfter kommen?« fragte sie dagegen.
»Vielleicht«, antwortete ich etwas verwirrt. »Wieso -?«
»Wozu willst du sonst meinen Namen wissen? Für die halbe Stunde, die wir hier noch sitzen, reicht
kleine Hübsche oder wie du sonst sagst, vollkommen....«
»Also sag deinen Namen nicht«, rief ich, plötzlich gereizt.
»Wie egal mir das ist!«
Ich griff zur Flasche und schenkte mir wieder ein. Schon jetzt war mir klar, daß ich völlig
betrunken war und daß ich nicht mehr weitertrinken durfte. Dennoch blieb der Hang weiterzutrinken
stärker. Das farbige Gespinst in meinem Hirn verlockte mich, die nie betretenen dunklen Dickichte
in meinem Innern reizten meinen Fuß; ferne rief leise nach mir eine Stimme, ich wußte nicht was,
jedenfalls Lockung...
»Ich weiß nicht, ob ich öfter hierherkommen werde«, sagte ich hastig. »Ich kann dich nicht
ausstehen, ich hasse dich, und trotzdem bin ich heute abend zu dir zurückgekehrt. Heute früh habe
ich den ersten Schnaps meines Lebens getrunken, du hast ihn mir eingeschenkt, du hast dich mit
ihm eingeschlichen in mein Blut, vergiftet hast du mich! Du bist wie der Geist des Schnapses:
schwebend, trunkenmachend, feil...«
Ich sah sie an, atemlos, selbst am meisten überrascht von diesen Worten, die aus mir sich
hinausschleuderten, ich wußte nicht woher... Sie saß mir gegenüber. Ihre Näherei hatte sie nicht
wieder aufgenommen. Die Beine ohne Strümpfe in roten Schuhen hatte sie übergeschlagen, und den
Rock ein wenig von den Knien zurückgeschoben. Die Beine waren etwas derb, aber lang und schön
gefesselt. An der rechten Wade sah ich ein fast pfenniggroßes, braunes Muttermal - das schien mir
schön. In der Hand hielt sie eine Zigarette, sie blies den Rauch breit durch die fast
geschlossenen Lippen, ohne Zwinkern sah sie mich an.
»Nur weiter, Väterchen«, sagte sie, »du entwickelst dich... nur weiter...«
Ich versuchte nachzudenken. Wovon hatte ich eben noch geredet? Das Verlangen, sie zu umarmen, sie
zu betasten, wurde fast übermächtig in mir. Aber ich lehnte mich fest in meinen Korbsessel
zurück, ich klammerte mich mit meinen Händen an die Lehne. Plötzlich hörte ich mich dann wieder
sprechen.
Ich sprach ganz langsam und sehr deutlich, und doch war ich atemlos vor Erregung. »Ich bin ein
Kaufmann«, hörte ich mich sagen. »Ich hatte ein recht gutes Geschäft, aber jetzt stehe ich vor
dem Bankrott.
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