Zuerst widerstand er mir nach dem sanfteren
und reineren Geschmack des Korns, dieser Rum schmeckte schärfer, brennender, er ist
zusammengesetzt, aber auch feuriger. Wie dunkelrote Wolken fühle ich ihn in meinem Blute treiben,
er beschwingt meine Phantasie, er macht mich noch wacher, achtsamer, listiger... Ich weiß, ich
muß die Küche gut aufräumen, aufwischen muß ich die Überschwemmung auf dem Fliesenboden, die
Flaschen gut verkorkt wieder wegsetzen.
Niemand darf etwas merken, auch Else nicht. Die gute Else, sie schläft fest, sie ist noch jung,
sie hat den Schlaf der Jugend, aber ich, ihr Brotherr, ich sitze hier in der Küche und bewache
ihren Schlaf. Wenn jetzt ein Einbrecher käme... Aber wo habe ich bloß die Korken gelassen? Ich
sehe sie nirgends, ich habe sie auch nicht in den Taschen - ob sie wohl in der Speisekammer
liegen?
Ich müßte dort nachsehen, ich muß die Flaschen gut verkorkt fortsetzen, aber das Wasser ist so
linde an den Füßen, und jetzt werde ich müde, möchte ich schlafen, noch einen Schluck, dann werde
ich so schlafen, nur einen kurzen Augenblick, und ich werde alles hier ordnen, tadellos werde ich
alles in Ordnung bringen, und auch die Korken werde ich finden... Wer kommt?
Wer stört mich schon wieder? Ach, es ist nur Magda, die tüchtige Magda, mitten in der Nacht,
nein, mehr dem Morgen zu, steht sie da gewissermaßen gestiefelt und gespornt, jedenfalls völlig
angezogen in der Küchentür und sieht stumm mit einem sehr blassen, erschrockenen Gesicht auf
mich! Ich richte mich halb auf, mache eine begrüßende Geste mit dem Arm, nicke ihr zu und sage
fröhlich: »Da bin ich wieder, Magda! Ich habe einen Ausflug gemacht, eine kleine Landpartie in
das Frühlingsgrün hinaus. Hast du in diesem Jahr überhaupt schon die Lerchen singen hören? Morgen
werden wir gemeinsam gehen. Du sollst die Birken sehen, wie sanft grün sie sind, und du sollst
die Königin des Schnapses kennen lernen, la reine d`alcool, ich habe sie Elsabe getauft... Du
bist so tüchtig, Magda, ich sah dich im Geschäft mit Hinzpeter über den Büchern. Du hast Bilanz
gemacht, du hast Klarheit gewonnen, ich habe mich immer vor dieser Klarheit gefürchtet! Diesen
Schluck dir, meine Magda, und noch einen und noch einen! Ich weiß, es ist dein Rum, aber ich
werde ihn dir ersetzen, ich werde dir alles ersetzen; wir haben noch Geld, ich kann das Geschäft
verkaufen. Es gehört mir, ich bin der Chef, ich kann tun, was ich will! Oder sagst du etwas
dagegen?«
Sie sagte nichts. Sie sah stumm auf mich, dann auf meine blutigen Füße. Sie war sehr bleich. Aus
ihren Augen lösten sich zwei Tränen, sie rannen langsam über ihre blassen Wangen, sie wischte sie
nicht fort, ich verfolgte gespannt ihren Weg mit den Augen, bis sie auf das Kleid tropften. Diese
Tränen rührten mich nicht, im Gegenteil, es tat mir nur gut, daß sie weinte, es war ein süßes
Gefühl in mir, daß sie noch Schmerz empfinden konnte meinetwegen.
Ich trank wieder.
»Du bist so mitleidslos tüchtig, ja, ich habe die Lieferung für das Gefängnis nicht bekommen,
aber du wirst das schon wieder ausgleichen. Ich habe immer in deinem Schatten gelebt, du hast
mich deine Überlegenheit nie fühlen lassen, aber ich kam nie hoch, und nun bin ich unten
angelangt. Auch unten läßt es sich leben, ich habe ein seltsames Mädchen kennen gelernt, auch sie
ist ganz unten, aber auch sie empfindet Schmerz und Freude. Auch unten empfindet man Lust und
Leid, Magda, es ist genau wie oben, es ist gleich, ob man oben oder unten lebt. Es ist vielleicht
das Schönste, sich fallen zu lassen, mit geschlossenen Augen ins Nichts zu stürzen, immer tiefer
in das Nichts. Man kann unendlich fallen, Magda, ich bin noch nicht unten angelangt, ich bin noch
nicht aufgeprallt, alle meine Glieder sind noch heil...«
»Erwin«, sagte sie bittend, »Erwin, rede nicht mehr. Höre auf zu trinken. Du bist krank, Erwin.
Komm, lege dich ins Bett, ich will deine Füße verbinden. Deine Füße sehen schrecklich aus, ich
will deine Füße verbinden...«
»Siehst du«, rief ich und trank noch einmal, »du gönnst mir nicht einmal die paar Schlucke,
gewiß, es sind deine Flaschen, aber ich bezahle sie dir. Ich bezahle sie dir bar oder gebe sie
dir in natura wieder, das ist ein glattes Geschäft, dagegen kannst du nichts sagen. Du fragst
mich nach meinen Füßen? Ich habe eine Landpartie gemacht, wenn die tüchtige Chefin arbeitet, kann
der Chef sich wohl einmal eine Ausspannung gönnen! Ich bin barfuß gegangen, Barfußgehen soll
gesund sein...«
Sie ließ mich weiterreden. Sie hatte schnell die Küche verlassen und kam mit dem großen
Badeschwamm, einer Salbendose und Binde wieder. Sie kniete neben mir, und während ich immer
abgerissener und lallender über ihr fortredete, wusch sie meine Füße, wusch den Straßenschmutz
aus den Wunden, trocknete sie gelinde ab, salbte sie und wickelte sie ein.
»Gut, gut«, sagte ich und trank, »du bist wirklich gut, Magda; wenn du nur nicht so verdammt
tüchtig wärst!«
Ich erwache. Ich liege in meinem Bett, die Fenster stehen offen, die Vorhänge bewegen sich leise
im Wind, draußen scheint die Sonne. Es muß schon spät sein, das Bett neben mir ist bereits
gemacht, das Schlafzimmer ist leer, ich bin allein darin.
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