Einen Augenblick später hatte ich zu trinken,
ausgiebig, von diesem wasserhellen Stoff, den ich schon mehr liebte als den Kognak. Aber sonst
kam ich an diesem Nachmittag nicht auf meine Kosten.
Elinor war ständig beschäftigt, in und außer der Gaststube, und wir konnten nur dann und wann ein
paar Worte wechseln. Darüber verdrossen trank ich mehr als gewohnt, schon nach anderthalb Stunden
mußte mir Elinor eine zweite Flasche bringen, und ich spürte selbst, daß ich schwer berauscht
war. Dann kamen ein paar junge Burschen, darunter auch jener junge Maurer, mit dem Elinor so
vertraut gesprochen hatte; und bloß um das Mädchen an meinen Tisch zu ziehen (was aber auch nur
für fünf Minuten gelang), ließ ich sie alle bei mir Platz nehmen und bestellte für jeden, was er
sich wünschte. Schon nach kurzer Zeit bot mein Tisch einen wilden Anblick. Bier- und
Schnapsgläser, Wein- und Sektflaschen standen in einem wilden Durcheinander auf ihm, und um ihn
gruppierte sich eine Rotte wild durcheinander redender, schreiender, lachender, fuchtelnder
Gestalten, und ich war eine der wildesten und betrunkensten von allen. Ich fühlte mich ganz
losgelassen, ich war wirklich wie ein Stein, der in den Abgrund stürzt - ich dachte an nichts
mehr.
Bei unserem Lärmen hatten wir es ganz überhört, daß ein Auto vorgefahren war, und auch als zwei
Herren eintraten, achteten wir kaum auf sie. Ich schrie einem Gegenüber, der gar nicht auf mich
hörte, wieder irgendwelche Beteuerungen zu - und verstummte plötzlich, wie auf den Mund
geschlagen, denn einer der beiden Herren, die jetzt an einem Nebentisch Platz nahmen, hatte mich
mit einem freundlichen Guten Abend! begrüßt, und dieser Herr war Doktor Mansfeld. Den
anderen Herrn kannte ich nicht. Auch meine Zechkumpane verstummten; und auch, als sie sahen, daß
nichts weiter erfolgte, sondern daß die Herren am Nebentisch, in ein Gespräch vertieft, ruhig ihr
Bier tranken, kam die alte Lustigkeit nicht wieder auf. Einer nach dem anderen verdrückte sich,
schließlich saß ich allein in diesem wüsten Tohuwabohu von Gläsern und Flaschen, und auch nach
Elinor sah ich vergeblich aus: sie kam nicht, das Chaos zu ordnen. Wahrscheinlich scharmutzierte
sie mit dem jungen Maurer, der wohl ihr Galan war, vor der Tür. Nach der wilden Ausgelassenheit
eben hatte mich finstere Verdrossenheit überfallen, ich kaute auf meiner Lippe und schoß ab und
zu einen argwöhnischen Blick nach dem Seitentisch, an dem man so gar keine Notiz von mir nahm.
Mein Argwohn war erwacht; ich fragte mich, ob Doktor Mansfeld durch einen reinen Zufal, bei der
Ausübung seiner Landpraxis, hierher geraten sein könnte oder ob ihn Magda hierher beordert hatte.
Ich zergrübelte meinen Kopf, ob ich etwa Magda damals in meiner Betrunkenheit den Namen des
Ausflugsortes genannt, oder doch so auf ihn hingedeutet hatte, daß er unschwer zu erraten war -
ich wußte es nicht mehr. Der zweite Herr kam mir bekannt vor, aber ich wußte nicht, wohin ich ihn
tun sollte...
Wieder hätte ich gerne etwas getrunken, die Kornflasche stand nahe genug vor mir, und doch wagte
ich es nicht, vor den beiden Gästen am Nebentisch mir das Glas auch nur einmal vollzuschenken.
Ich sagte mir wohl, daß angesichts dieses Tisches und meines wilden Benehmens vorhin nicht mehr
das Geringste zu verderben war, und doch wagte ich es nicht -.
Schließlich betrat Elinor wieder den Schankraum. Ich rief sie zu mir und bat sie leise, die Zeche
zu machen. Während sie auf einem Block viele Zahlen aufschrieb, gebückt vor mir stehend und mich
dadurch gegen die Sicht vom Nebentisch deckend, schenkte ich mir erst zwei, drei Schnäpse ein.
Dann verkorkte ich die Flasche sorgfältig und schob sie in meine Aktentasche.
Elinor warf einen raschen Blick auf mein Tun und flüsterte mit hochgezogenen Augenbrauen, zum
Nebentisch deutend: »Freunde?« Ich zuckte nur die Achseln. Die Rechnung war so hoch, daß ich mein
Geld wirklich bis auf die letzte Mark hergeben mußte und daß auch dann noch das Trinkgeld für
Elinor höchst ungenügend ausgefallen war. Wieder sah sie mich mit hochgezogenen Augenbrauen an
und flüsterte: »Abgebrannt?«
Ich antwortete ebenso leise: »Ich weiß, wo es mehr gibt. Das nächste Mal, ma reine!« Wozu sie
leicht nickte.
Ich mußte jetzt aufstehen und gehen, unter den beobachtenden Blicken des Nebentisches. Ich faßte
meine Aktentasche und vergewisserte mich durch einen musternden Blick, auf welchem Haken mein Hut
hing, damit ich ihn beim Hinausgehen nicht unnötig suchen mußte, und stand auf. Ich fühlte, es
würde gehen. Ich mußte mich langsam und sehr vorsichtig bewegen, dann würde es schon gehen.
Schließlich brauchte ich nur vors Dorf und ins erste bergende Gebüsch zu kommen, ja, schließlich
- genialer Einfall: - Ich brauchte mich nur hier auf der Toilette einzuriegeln, und ich konnte
schlafen, solange ich wollte. Frischen Proviant habe ich ja bei mir.
Ich hatte zum Nebentisch, schon im Aufstehen, höflich Guten Abend gesagt, und nun war ich
schon unter der Tür, einen Schritt entfernt von der Rettung, als hinter mir eine Stimme sagte:
»Ach, einen Augenblick, Herr Sommer!«
Ich schrak so zusammen, daß ich fast gefallen wäre. »Wie bitte?« rief ich unnötig laut. Der Arzt
hatte nach meinem Arm gegriffen und mich gehalten.
»Habe ich Sie erschreckt? Das wollte ich nicht. Es tut mir leid.«
»Ach, nichts, nichts«, sagte ich verlegen. »Es war wohl nur der elende Läufer, ich bin über ihn
gestolpert...« Und ich sah böse auf den glatt daliegenden Teppich.
»Ich wollte Sie nur fragen, Herr Sommer«, fing Doktor Mansfeld wieder an, »ob ich Ihnen
vielleicht anbieten darf, in meinem Auto mit uns heimzufahren?«
Er machte eine Pause, dann sagte er lachend: »Wir haben ein bißchen gefeiert, nicht wahr? Nun,
das macht nichts, das tut jeder von uns einmal gerne. Aber der Rückweg würde Ihnen vielleicht ein
bißchen schwerfallen, was? Also, Sie fahren mit uns.«
Er faßte mich freundlich, aber fest unter den Arm. Der andere Herr hatte unterdes bezahlt und
trat nun zu uns. »Darf ich Sie bekannt machen?« fuhr der Arzt fort.
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