Er eröffnete sein und des andern Herz in dem gleichen, freien Vertrauen, ohne Dringlichkeit und Überschwang. Das erste Exemplar meines Kriegsbuches »Sonne und Schild« schenkte ich ihm, und als er's gelesen, sagte er nichts als: »Ihre Mutter möchte ich kennenlernen, Flex. Ich darf sie doch nach dem Kriege besuchen, nicht wahr?« – – –
Allmählich war der süßherbe Frühlingsgeruch alten Laubs und junger Erde in den schwülen Brodem sommerheißer Sümpfe und den Dunst abgeblühter Wasser übergegangen. Die jungen Krähen, die unsre Leute aus den Horsten der Föhrenwipfel zur Kurzweil heruntergeholt hatten, stolzierten längst groß, frech und struppig mit gestutzten Flügeln auf der Brustwehrkrone unsres Grabens entlang, krakehlten mit den Posten, hieben mit den dreisten Krummschnäbeln nach den blanken Mündungen der Gewehrläufe oder revidierten die Kochgeschirre und Trinkbecher bei den Ruhebänken der Mannschaften. Im heißen Sande sonnten sich Kreuzottern und Kupfernattern, die den Fröschen auf der kühlen Grabensohle nachstellten. Der wunde und ausgeholzte Wald strömte starken Harzgeruch aus. Die Sumpfwiesen wucherten von fettem Grün, und von den sonnentrocknen Moorbreiten schwelten rote Torfbrände durch die weißen Juninächte. Die Luft glimmerte und zitterte tagsüber von Sonne, und rasch heraufziehende Gewitter entluden sich krachend über den schwankenden Föhrenkronen.
Von Galizien grollten die Donner neuer gewaltiger Kämpfe herüber, und in die Riesenglieder der Hindenburgarmee, die in eiserner Ruhe erstarrt schienen, kam ein Recken und Strecken, bis die endlose Front von lärmendem Kampfgetöse erdröhnte. Wir lagen noch immer abwartend hinter unsren Verhauen, aber wir lauerten nur noch auf den Befehl zum Vorbrechen. Auf nächtlichen Streifzügen zum Feinde hatten wir schon Papierfahnen mit der schadenfrohen Nachricht vom Fall Przemysls und Lembergs an die russischen Drahtverhaue geheftet, und wir wußten, daß diese Meldungen auch für uns heute oder morgen zu Angriffsfanfaren werden mußten.
Aber ehe uns der wachsende Strom des großen Kampfes erfaßte und in seinen Strudeln fortriß, wurden uns noch ein paar klare, glückliche Tage geschenkt, deren Bild aus der Vergangenheit herüberleuchtet wie der Schimmer von fernen, schönen, hellspiegelnden Seen. Unsre Kompanie wurde zu Anfang des Juli auf fünf Tage aus den Gräben gezogen und kam unter Laubhütten und Zelten tiefer im Walde in Ruhestellung. Der Zufall wollte, daß in diese Zeit mein Geburtstag fiel, und der Freund half den Tag feiern, nicht mit vollen Gläsern und Liederlärmen, sondern in seiner Art mit Sonne, Wald und Wasser und dem Ewigkeitsklang uralt schöner Worte, die sich auf jungen Lippen verjüngten und beseelten. Der waffenlose, wolkenlose Feiertag des sechsten Juli wurde ganz ein Geschenk seines frischen Herzens an das meine. Als die Sonne am höchsten stand, gingen wir aus dem Schatten der roten Föhren zu den Nettawiesen hinunter. Die Sonne badete im tiefsten Blau des vom Nachtgewitter erfrischten Himmels und überspiegelte mit feuchtem Glanze die hellschimmernden Flußwindungen und den fern in stählernem Blau aufblendenden Schild des Sajno-Sees. Das Licht troff durch das vollsaftige Grün der strotzenden Pappeln und Weiden, und über dem wuchernden Gras der weiten Koppeln flimmerte die Luft und zitterte unter dem Atem der erwärmten Erde. Wir warfen die Kleider am Nettaufer ab und badeten. Mit dem Strome trieben wir in langen Stößen hinab, schwammen gegen den Strom zurück, daß sich uns das Wasser in frischem Anprall über die Schultern warf und stürzten uns immer aufs neue von der sonnenheißen Holzbrücke, die gegen die Sohlen brannte, kopfüber in weitem Sprung in den Fluß. Auf dem Rücken trieben wir geruhig stromab und liefen auf dem lauen Sande am Schilfufer zurück. Im buntwuchernden Wiesenkraut ließen wir uns von Sonne und Wind trocknen, und die leisen, zitternden Sonnenwellen rannen gleichmäßig durch Luft und Sand und Menschenleib und durchgluteten alles Lebendige mit trunkener Kraft und erschlaffender Freude.
Die Wiese schäumt von Blüten,
Der Wind singt drüberhin,
Den sonnenlichtdurchglühten
Leib bad' ich kühl darin.
Du freie Gottesschmiede,
Du lohe Sonnenglut,
Inbrünstiglich durchglühe
Leib, Seele, Herz und Blut!
Ins Glühen unermessen
Und Blühen eingewühlt
Will ich den Tod vergessen,
Der alle Erde kühlt.
Glüh', Sonne, Sonne glühe!
Die Welt braucht soviel Glanz!
Blüh', Sommererde, blühe,
Ach blühe Kranz bei Kranz!
Geschützdonner grollte von fern herüber, aber die Welt des Kampfes, dem wir auf Stunden entrückt waren, schien traumhaft fern und unwahr. Unsre Waffen lagen unter den verstaubten Kleidern im Grase, wir dachten ihrer nicht. Eine große Weihe kreiste unermüdlich über der weiten schimmernden Tiefe grüner Koppeln und blauer Wasser; an ihr, deren schlanke Schwingen in weitem, prachtvollem Schwunge zu lässigem Schweben ausholten, hingen unsre Blicke. War es der Raubvogel, der die Seele des jungen Menschen neben mir emporriß in freier Gottesfreude? Der Wandervogel, der einst in deutschem Gotteshause eingesegnet worden war mit dem seiner Seele ebenbürtigen Spruch: »Die auf den Herren harren, kriegen neue Kraft, daß sie auffahren mit Flügeln wie Adler!«, der junge Gottesstudent fühlte seiner Seele die Schwingen wachsen von jener ewigen Kraft, die »deinen Mund fröhlich macht, daß du wieder jung wirst wie ein Adler,« und frei und leicht hob er sich und den Freund empor über die hellen Tiefen der bunten Erde. Der junge Mensch stand schlank und hell auf dem blühenden Grunde, die Sonne ging schimmernd durch seine leichtgebreiteten Hände, und die Lippen, die so oft von Goethes Liedern überflossen, strömten den uralt heiligen Wohlklang der Psalmen Davids über den sonnentrunkenen Gottesgarten hin:
»Herr, mein Gott; du bist sehr herrlich!
Du bist schön und prächtig geschmückt!
Licht ist dein Kleid, das du anhast!
Du breitest aus den Himmel wie einen Teppich.
Du wölbest es oben mit Wasser.
Du fährst auf den Wolken wie auf einem Wagen
und gehest auf den Fittichen des Windes.
Du machst deine Engel zu Winden
und deine Diener zu Feuerflammen,
der du das Erdreich gründest auf seinem Boden,
daß es bleibt immer und ewiglich.
Die Ehre des Herrn ist ewig.
Der Herr hat Wohlgefallen an seinen Werken.
Er schauet die Erde an, so bebet sie ....
Ich will dem Herrn singen mein Leben lang
und meinen Gott loben, solange ich bin.
Meine Rede müsse dem Herrn wohlgefallen.
Ich freue mich des Herrn!«
Das ewige Preislied Gottes aus seiner Schöpfung ging über die reife, in ihren Tiefen erwärmte Erde hin. Der Wohlklang der jungen Stimme umlief wie ein tönendes Kristall den klaren Wein der ewigen Worte. Der ebenmäßige Mensch in seiner jungen Schlankheit stand selbst wie ein Dankesmal der Schöpfung in dem hellprangenden Gottesgarten, und von seinen frischen Lippen ging ein Hauch religiösen Frühlings über Erde und Menschen hin.
Über die weiten Koppeln hin stob der übermütige Galopp sattelloser Pferde. Stuten und Fohlen weideten auf den Nettawiesen. Im Wasser und an den grünen Ufern des Flusses wimmelte es von den hellen Leibern badender Soldaten, die lichten Breiten der Netta schäumten vom Wasser, Sonne und ausgelassenem Lachen. Die ewige Schönheit Gottes prangte über dem weiten Gottesgarten und leuchtete als Sonne und Schild über dem hellen Bilde des Jünglings ....
Über den Lärm und Glanz aller Kämpfe und Siege hin glänzt das Bild dieser Stunde in mir nach als der stärkste Eindruck, den ich mit Seele und Sinnen im Leben empfangen habe.
Aber am Abend des Tages stand derselbe Mensch im grauen Waffenrock neben mir auf dem dunklen Hochstand im Wipfel einer Doppelfichte, von wo tagsüber unsre Baumposten das Kampfgelände mit Ferngläsern absuchten, und ließ spielend den roten Mond im hellen Stahl seines breiten Seitengewehrs spiegeln. Seine rechte Hand glitt in leiser Unruhe prüfend an der Schneide entlang, und Auge und Hand freuten sich, wie so oft, an der römischen Form der blanken Waffe.
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