So weit wie möglich wird der »Dreck« – d. h. der Gesteinsschutt – zur Schotterung des Stollenbodens verwendet. Was man unten nicht brauchen kann, wird nach oben gebracht und weggekippt; daher die riesigen »Dreckhalden«, scheußliche graue Berge, die das charakteristische Landschaftsbild der Kohlegebiete sind. Wenn die Kohle bis zu der Tiefe, die die Maschine ausgefräst hat, abgebaut ist, ist der Kohleflöz fünf Fuß vorgerückt. Neue Pfosten werden eingesetzt, um die neuentstandene Decke abzustützen, und in der nächsten Schicht wird das Förderband abmontiert, um fünf Fuß nach vorn versetzt und wieder zusammengebaut. Wenn möglich werden die drei Arbeitsschritte, das Schneiden, Sprengen und Abräumen, in drei verschiedenen Schichten durchgeführt; das Schneiden nachmittags, das Sprengen nachts (es gibt ein Gesetz, nach dem nur gesprengt werden darf, wenn niemand anders in der Nähe arbeitet, aber es wird nicht immer befolgt) und das »Füllen« während der Morgenschicht, die von sechs bis halb zwei dauert.
Selbst wenn man den Prozeß der Kohlegewinnung beobachtet, tut man das wahrscheinlich nur für kurze Zeit, und man muß ein paar Berechnungen anstellen, bis einem bewußt wird, was für eine erstaunliche Arbeit die »Füller« leisten. Normalerweise hat jeder Arbeiter auf einer Breite von vier bis fünf Yards die Kohle abzuräumen. Die Fräsmaschine hat die Kohle bis zu einer Tiefe von fünf Fuß angeschnitten, so daß, wenn das Flöz drei oder vier Fuß hoch ist, jeder sieben bis zwölf Kubikyards Kohle herausbricht, zerkleinert und auf das Förderband lädt. Rechnet man das Gewicht eines Kubikyards Kohle mit, sagen wir, siebenundzwanzig Zentnern, so ergibt sich, daß jeder Mann gegen zwei Tonnen Kohle pro Stunde abräumt. Ich habe gerade genug Erfahrung mit Pickeln und Schaufeln, um zu wissen, was das bedeutet. Wenn ich meinen Garten umgrabe und an einem Nachmittag zwei Tonnen Erde umschaufle, habe ich das Gefühl, ich hätte meinen Tee verdient. Aber im Vergleich mit Kohle ist Erde ein fügsames Material, und ich muß nicht tausend Fuß unter der Erdoberfläche im Knien arbeiten, in erstickender Hitze, und mit jedem Atemzug Kohlestaub schlucken. Ich muß auch nicht eine Meile gebückt gehen, bevor ich anfangen kann. Die Arbeit des Bergmanns übersteigt meine Kräfte ebenso wie Vorführungen am Trapez oder ein Sieg im Grand National. Ich verrichte keine körperlich anstrengende Arbeit, und Gott möge verhüten, daß ich es je tun muß, aber es gibt ein paar manuelle Arbeiten, die ich zur Not tun könnte. Im Bedarfsfall könnte ich einen mäßigen Straßenkehrer abgeben oder einen unfähigen Gärtner, oder sogar einen zehntklassigen Bauernknecht. Aber auch mit aller vorstellbaren Anstrengung und Übung könnte ich niemals Bergmann werden; die Arbeit würde mich in ein paar Wochen umbringen.
Wenn man Bergleuten bei der Arbeit zusieht, wird einem augenblicklich klar, in was für verschiedenen Weiten verschiedene Menschen leben. Da unten, wo die Kohle abgebaut wird, ist eine Welt für sich, von der man ohne weiteres sein ganzes Leben niemals etwas hören kann. Wahrscheinlich würden das die meisten sogar vorziehen. Aber sie ist das absolut notwendige Gegenstück zu unserer Welt oben. Praktisch alles, was wir tun, vom Eisessen bis zur Atlantiküberquerung und vom Brotbacken bis zum Romanschreiben, impliziert direkt oder indirekt die Verwendung von Kohle. Für alle Friedenskünste wird Kohle gebraucht; bricht ein Krieg aus, benötigt man sie um so mehr. In Revolutionszeiten muß der Bergmann Weiterarbeiten, oder die Revolution bricht ab, denn die Revolution ist auf Kohle ebenso angewiesen wie die Reaktion. Was immer über der Erdoberfläche geschieht, das Hacken und Schaufeln muß ohne Pause weitergehen, oder jedenfalls darf die Pause nicht länger als ein paar Wochen dauern. Damit Hitler im Stechschritt marschieren, der Papst gegen den Bolschewismus wettern kann, damit die Zuschauermassen zu einem Cricket-Match in Lord’s zusammenströmen und die Schöngeister sich gegenseitig auf die Schultern klopfen können, muß weiter Kohle gefördert werden. Aber meistens ist uns das nicht bewußt; wir wissen alle, daß wir »Kohle haben müssen«, aber wir erinnern uns selten oder nie, was alles mit der Kohleförderung verbunden ist. Hier sitze ich zum Beispiel an meinem gemütlichen Kohlefeuer. Es ist April, aber ich muß noch heizen. Alle vierzehn Tage kommt der Kohlewagen vorbei, und Männer in Lederschürzen tragen in festen, nach Teer riechenden Säcken die Kohle hinein und schütten sie mit Gerassel in den Kohleverschlag unter der Treppe. Nur ganz selten und mit einer entschiedenen gedanklichen Anstrengung bringe ich die Kohle mit der Arbeit weit weg in den Bergwerken in Verbindung.
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