Es ist einfach »Kohle« – etwas, das ich haben muß; schwarzes Zeug, das auf rätselhafte Weise von irgendwoher kommt, wie Manna, nur muß ich dafür bezahlen. Man könnte leicht mit dem Auto quer durch Nordengland fahren, ohne ein einziges Mal daran zu denken, daß mehrere hundert Fuß unter der Straße Bergleute Kohle zerkleinern. Dennoch sind es in gewissem Sinn die Bergleute, die das Auto antreiben. Die Grubenlampen-Welt da unten ist für die Tageslicht-Welt so nötig wie die Wurzeln für die Blume.
Vor noch nicht allzulanger Zeit waren die Arbeitsbedingungen in den Bergwerken schlechter als heute. Es gibt noch ein paar sehr alte Frauen, die in ihrer Jugend unter Tage gearbeitet haben; mit einem Ledergeschirr um die Hüften und einer Kette, die zwischen den Beinen durchlief, sind sie auf allen vieren gekrochen und haben Kohlewagen gezogen. Das ging auch so weiter, wenn sie schwanger waren. Und ich glaube, daß wir sogar heute, wenn Kohle nicht anders zu fördern wäre, eher schwangere Frauen sie hin und her ziehen ließen, als auf Kohle zu verzichten. Aber meistens würden wir natürlich lieber vergessen, daß sie es taten. So ist es mit allen Formen körperlicher Arbeit: sie erhalten uns am Leben, und wir ignorieren ihre Existenz. Vielleicht kann der Bergmann mehr als jeder andere als Typus des körperlichen Arbeiters gelten, nicht nur weil seine Arbeit so übermäßig schrecklich, sondern auch weil sie so lebensnotwendig und doch unserer Erfahrung so fremd ist, so unsichtbar gewissermaßen, daß wir sie vergessen können, so wie wir vergessen, daß Blut in unsern Adern fließt. In gewissem Sinn ist es sogar demütigend, Bergleuten bei der Arbeit zuzusehen. Es läßt in einem einen augenblicklichen Zweifel an der eigenen Stellung als »Intellektueller« und als Bessergestellter überhaupt entstehen. Denn man begreift, wenigstens solange man zuschaut, daß die Bessergestellten nur deshalb bessergestellt bleiben, weil sich die Bergleute die Gedärme aus dem Leib schwitzen. Sie und ich und der Herausgeber des Times Literary Supplement und die Schöngeister und der Erzbischof von Canterbury und der Genosse X, Verfasser von Marxismus für Minderjährige – wir alle verdanken unsern verhältnismäßig anständigen Lebensstandard armen Teufeln unter Tage, die, schwarz bis an die Augen und die Kehlen voll Kohlestaub, mit stahlharten Armen und Bauchmuskeln ihre Schaufeln vorwärtsstoßen.
III
Wenn ein Bergmann aus der Grube nach oben kommt, ist sein Gesicht so bleich, daß man es sogar durch die Kohlestaubmaske hindurch bemerkt. Das kommt von der schlechten Luft, die er geatmet hat, und verliert sich rasch. Für einen Südengländer, der zum erstenmal in ein Bergbaugebiet kommt, ist der Schichtwechsel mit Hunderten von Bergleuten, die aus dem Grubenausgang strömen, ein fremdes und etwas unheimliches Schauspiel. Die erschöpften Gesichter mit dem in allen Fältchen sitzenden Ruß sehen grimmig und wild aus. Zu anderen Zeiten, und mit sauberen Gesichtern, unterscheiden sie sich kaum vom Rest der Bevölkerung. Sie haben einen sehr steifen, aufrechten Gang (eine Reaktion auf das ständige Bücken unter Tage), aber die meisten sind ziemlich klein, und ihre dicken, schlechtsitzenden Kleider verbergen ihre prächtigen Körper. Der bezeichnende Unterschied zwischen ihnen und den andern sind die blauen Schrammen auf der Nase. Jeder Bergmann hat blaue Schrammen auf Nase und Stirn und wird sie bis zu seinem Tod behalten. Der Kohlestaub, von dem die Luft unter Tage erfüllt ist, dringt in jede Schnittwunde, und dann wächst die Haut darüber und bildet blaue Flecken wie Tätowierungen; tatsächlich sind sie ja nichts anderes. Die Stirnen mancher älteren Männer sind aus diesem Grund geädert wie Roquefort-Käse.
Sobald ein Bergmann wieder über Tage ist, gurgelt er mit etwas Wasser, um den ärgsten Kohlestaub aus Kehle und Nase zu bekommen; dann geht er heim und wäscht sich oder auch nicht, je nach Temperament. Nach dem, was ich gesehen habe, würde ich sagen, daß die Mehrheit der Bergleute es vorzieht, zuerst zu essen und sich dann zu waschen; und in ihrer Situation würde ich das auch tun. Es ist der Normalfall, daß man einen Bergmann mit einem Christy-Minstrel-Gesicht* [* Als Neger geschminkte Variete- und Sängertruppe, gegründet von George Christy.] beim Tee sitzen sieht, völlig schwarz bis auf die roten Lippen, die durchs Essen sauber werden. Nach dem Essen nimmt er eine ziemlich große Schüssel mit Wasser und wäscht sich sehr methodisch, zuerst die Hände, dann Brust, Hals und Achselhöhlen, dann die Unterarme, dann Gesicht und Kopfhaut (dort sitzt der Ruß am festesten); und dann nimmt seine Frau den Waschlappen und wäscht ihm den Rücken. Er hat nun erst die obere Körperhälfte gewaschen, und wahrscheinlich ist sein Nabel noch ein Nest von Kohlestaub; aber sogar so muß man ziemlich geschickt sein, um mit einer einzigen Schüssel Wasser einigermaßen sauber zu werden. Ich meinerseits brauchte nach jedem Grubenbesuch zwei Vollbäder. Um den Schmutz aus den Augenlidern zu bekommen, benötigt man allein schon zehn Minuten.
In einigen größeren und besser ausgestatteten Kohlebergwerken gibt es Waschkauen. Das ist von großem Vorteil, denn die Bergleute können sich nicht nur jeden Tag in bequemen oder sogar luxuriösen Bädern waschen, sondern jeder hat dort auch zwei Schließfächer, in denen er seine Grubenkleider und seine gewöhnlichen Kleider getrennt aufbewahren kann, so daß er, zwanzig Minuten nachdem er schwarz wie ein Neger nach oben gekommen ist, piekfein angezogen zu einem Fußballspiel fahren kann.
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