Aber Waschkauen sind relativ selten, da ein Kohlevorkommen nicht unerschöpflich ist und es sich nicht unbedingt lohnt, für jeden neuen Schacht ein eigenes Bad zu bauen. Ich kann hier keine exakten Zahlen angeben, aber wahrscheinlich hat weniger als ein Drittel der Bergleute die Möglichkeit, Waschkauen zu benützen. Vermutlich sind die meisten Bergleute von den Hüften abwärts mindestens sechs Tage in der Woche völlig schwarz. Daß sie sich zu Hause ganz waschen, ist praktisch unmöglich. Jeder Tropfen Wasser muß aufgeheizt werden, und in einem kleinen Wohnzimmer, das neben einem Kochherd und einer Menge Möbel eine Ehefrau, ein paar Kinder und wahrscheinlich einen Hund enthält, ist einfach kein Platz da, um sich richtig zu waschen. Sogar wenn man ein Waschbecken hat, verspritzt man fast zwangsläufig die Möbel. Leute aus dem Mittelstand sagen gern, die Bergleute würden sich nicht richtig waschen, auch wenn sie könnten; aber das ist Unsinn, wie schon die Tatsache zeigt, daß die vorhandenen Waschkauen von allen Bergleuten benutzt werden. Nur unter den ganz alten Männern hält der Glaube, daß man vom Beinewaschen »Rheuma bekommt«, immer noch an. Außerdem werden die Waschkauen, wo es sie gibt, über die Wohlfahrtskassen ganz oder zum Teil von den Bergleuten selbst bezahlt. Manchmal beteiligt sich die Bergwerksgesellschaft, manchmal trägt die Kasse die ganzen Kosten. Aber zweifellos sagen die alten Damen in den Pensionen in Brighton heute noch: »Wenn man den Bergleuten Bäder gäbe, würden sie sie doch nur zum Kohlelagern brauchen.«
In der Tat ist es erstaunlich, wie regelmäßig sich die Bergleute waschen, wenn man in Betracht zieht, wie wenig Zeit ihnen zwischen Arbeiten und Schlafen bleibt. Es ist ein großer Fehler, den Arbeitstag eines Bergmanns mit siebeneinhalb Stunden zu veranschlagen. Siebeneinhalb Stunden beträgt die Zeit, die er tatsächlich vor Ort verbringt, aber wie ich schon erklärt habe, muß zu dieser Zeit die des »Reisens« gerechnet werden, und das ist selten weniger als eine Stunde, und oft sind es drei Stunden. Zusätzlich brauchen die meisten Bergleute eine beträchtliche Zeit, um zur Grube und zurück zu gelangen. In den Industriequartieren herrscht eine akute Wohnungsnot, und nur in den kleinen Bergbaudörfern, wo das Dorf um ein Bergwerk herum entstanden ist, können die Leute sicher sein, daß sie nahe an ihrem Arbeitsplatz wohnen. In den größeren Bergbaustädten, in denen ich gewesen bin, mußte fast jeder mit dem Bus zur Arbeit fahren; eine halbe Krone war wohl der übliche Betrag für Fahrtkosten. Ein Bergmann, bei dem ich wohnte, arbeitete in der Frühschicht, die von sechs Uhr bis halb zwei mittags dauerte. Er mußte um Viertel vor vier aus dem Bett sein und kam am Nachmittag irgendwann nach drei Uhr zurück. In einem andern Haus, wo ich wohnte, arbeitete ein fünfzehnjähriger Junge in der Nachtschicht. Er ging um neun Uhr abends zur Arbeit und kam am andern Morgen um acht Uhr zurück, frühstückte, ging dann sofort ins Bett und schlief bis abends um sechs Uhr, so daß sich seine Freizeit auf etwa vier Stunden belief – eigentlich weit weniger, wenn man die Zeit zum Waschen, Essen und An- und Auskleiden abzieht.
Wenn ein Bergmann Schichtwechsel hat, ergeben sich für die Familie Umstellungen, die äußerst ermüdend sein müssen. Wenn er in der Nachtschicht arbeitet, kommt er zur Frühstückszeit heim, von der Frühschicht kommt er mitten am Nachmittag heim und von der Nachmittagsschicht mitten in der Nacht; und in jedem Fall will er seine Hauptmahlzeit natürlich gleich nach seiner Rückkehr. Mir fällt auf, daß Reverend W. R. Inge in seinem Buch England die Bergleute der Völlerei bezichtigt. Nach meinen eigenen Beobachtungen würde ich sagen, daß sie erstaunlich wenig essen. Die meisten Bergleute, bei denen ich wohnte, aßen etwas weniger als ich. Manche erklären, sie könnten nach einer schweren Mahlzeit nicht arbeiten, und was sie mitnehmen, ist nur ein Imbiß, gewöhnlich Brot mit Schmalz und kalter Tee. Sie nehmen ihn in flachen, »Schnappbüchsen« genannten Blechdosen mit, die sie am Gürtel befestigen. Wenn ein Bergmann spät nachts von der Schicht heimkommt, bleibt die Frau seinetwegen auf, aber wenn er Frühschicht hat, ist es üblich, daß er sein Frühstück selber macht. Offenbar ist der alte Aberglaube, es bringe Unglück, vor der Frühschicht eine Frau zu sehen, noch nicht ganz ausgestorben.
1 comment