Über ein Kleines
Herr, es ist lange satt, daß ich dich nicht gesehen.
Was mir für Kümmernüß darüber ist geschehen,
wie Angst mir itzt noch ist, das weiß nur ich und du,
wir beide wissens nur. Ach, mein Herr, siehe zu,
daß mir dein Absein nicht die halbverzehrte Seele,
die so nach dir verlangt, bis auf das Sterben quäle!
Erzeige dich, mein Arzt! Der wenigste Verzug
versäumt den Kranken oft; ist sie schon auf den Flug
die Seele, so ists aus. Wie ist doch dieses Kleine
wie ach! wie groß bei ihr! sie sieht nach dir, die deine,
läßt keinen Blick vorbei, schickt Sinn und Geist nach dir.
Itzt fleugt sie selbst dir nach. Ach was verbleibt nur mir?
Ich bin nun nicht mehr ich. Kömt sie nicht balde wieder
und bringt dich, ihren Freund und meinen Trost, hernieder,
wie? wo? was werd' ich sein? der ich schon itzt vorhin
ein lebendiger Tod und totes Leben bin.
12. Ich bin ein guter Hirte
Ja freilich, freilich ja, du bist der gute Hirte,
ich bin ein böses Schaf, das in der Wüsten irrte,
von dir weit, weit von dir. Ich gieng der Weide nach,
die mich zur Hellen stieß und dir das Leben brach.
Mein Leben war dein Tod, dein Hunger mein Vermügen,
mein Überfluß dein Durst. Ich wäre blieben liegen.
Der Mietling flohe weg, der wilde Wolf brach ein
und ließ mich schwaches Vieh kaum, kaum noch übrig sein.
Du, Jesu, suchtest mich, du fundest mich, mich Armen,
und trugst mich wieder heim; es ist bloß ein Erbarmen,
daß ich bin, der ich bin. Herr, weide ferner mich!
Herr, speise mich mit dir! ich dürst', ich hunger, dich.
Du bist das Himmelbrot; wer dich ißt, der wird leben.
O Brunnen Israel, du, du kanst Wasser geben,
das aus dem Himmel quillt und wieder rinnt hinein.
Wer dich ißt, wer dich trinkt, wird stets gesättigt sein.
13. Gütiger Jesu, dein Verdienst
Aus dem Scaliger.
O Großer, denke nicht an meinen faulen Sinn,
der nichts als Unrecht tut und von dir fället hin,
der dich verläßt und irrt! Du bist der Sonnen Zier,
die auf- und niedergeht. Verwundre dich in dir!
Schau unsre Finsternüß und dunkels nur nicht an,
als die man sehen nicht für deinem Glanze kan!
14. Der holdselige Name Jesus
Aus eben desselbigen Lateinischem.
Was ists, das mich bestrahlt, daß ich so rede frei?
Wer gehet mir denn vor, dem ich so folg' ohn' Scheu?
Und wer, wer folget mir? Welch' eine laute Rede,
so hellen Glanzes voll, die mich so machet blöde?
Wer ist der neue Nam', als den der Herr selbst nennt?
Kom, meine Seel', und schau, schau den an, der dich kennt,
den du liebst und er dich! Er ist herfür geschossen,
gleich wie am Libanon ein ungekrümmter Sprossen,
der mit der Wurzel recht bis in den Abgrund reicht
und einen Gipfel hat, der sich dem Himmel gleicht.
15. Andacht
Ich lebe, doch nicht ich; derselbe lebt in mir,
der mir durch seinen Tod das Leben bringt herfür.
Mein Leben war sein Tod, sein Tod war mir mein Leben,
nur geh' ich wieder ihm, was er mir hat gegeben.
Er lebt durch meinen Tod, mir sterb' ich täglich ab.
Der Leib, mein irdnes Teil, der ist der Seelen Grab,
er lebt nur auf den Schein. Wer ewig nicht wil sterben,
der muß hier in der Zeit verwesen und verderben,
weil er noch sterben kan. Der Tod, der geistlich heißt,
der ist alsdann zu spat, wann uns sein Freund hinreißt,
der unsern Leib bringt um. Herr, gieb mir die Genade,
daß dieses Leibes Brauch nicht meiner Seelen schade.
Mein Alles und mein Nichts, mein Leben, meinen Tod,
das hab' ich bei mir selbst. Hilfst du, so hats nicht Not.
Ich wil, ich mag, ich sol, ich kan mir selbst nicht raten,
dich wil ichs lassen tun, du hast bei dir die Taten.
Die Wündsche tu ich nur, ich lasse mich ganz dir.
Ich wil nicht meine sein. Nim mich nur, gieb dich mir!
16. Gedanken über der Zeit
Ihr lebet in der Zeit und kennt doch keine Zeit;
so wißt, ihr Menschen, nicht von und in was ihr seid.
Diß wißt ihr, daß ihr seid in einer Zeit geboren
und daß ihr werdet auch in einer Zeit verloren.
Was aber war die Zeit, die euch in sich gebracht?
Und was wird diese sein, die euch zu nichts mehr macht?
Die Zeit ist was und nichts, der Mensch in gleichem Falle,
doch was dasselbe was und nichts sei, zweifeln alle.
Die Zeit, die stirbt in sich und zeugt sich auch aus sich.
Diß kömmt aus mir und dir, von dem du bist und ich.
Der Mensch ist in der Zeit; sie ist in ihm ingleichen,
doch aber muß der Mensch, wenn sie noch bleibet, weichen.
Die Zeit ist, was ihr seid, und ihr seid, was die Zeit,
nur daß ihr wenger noch, als was die Zeit ist, seid.
Ach daß doch jene Zeit, die ohne Zeit ist, käme
und uns aus dieser Zeit in ihre Zeiten nähme,
und aus uns selbsten uns, daß wir gleich könten sein,
wie der itzt jener Zeit, die keine Zeit geht ein!
17. Aus eines Andern seiner Erfindung
Setz' einen, der doch itzt nicht lebt auf dieser Erden,
noch ie gefunden ist, noch wird gefunden werden,
der alles hab' an sich, was einen rühmblich macht,
des Crösi Geld und Gut, des Cäsars Glück und Pracht,
die Schönheit Absolons, die Weisheit Salomonis,
Homers Beredsamkeit, den Eifer Ciceronis,
das Leben des Augusts, des Simsons starke Kraft,
des redlichen Traians gerechte Bürgerschaft,
des schnellen Azahels behende Hurtigkeiten,
des Hectors kühnen Mut, im Fall es kömpt zum Streiten:
so ist er doch so hoch mit Gaben nicht geschmückt,
als von der Neider Schaar verfolget und gedrückt.
18. Christum lieben ist beßer denn Alles wißen
Ohn Eins ist alles nichts, was etwas ist und heißt,
so viel der Sternenzelt in seinem Zirk' umschleust.
Diß Eins ist über All, in allem doch beschlossen;
stets seine, ganz und frei, in alles doch gegossen,
ein lebensvoller Geist; sein Absein ist der Tod.
Wer ohne dieses ist, ist niemals ohne Not.
Was bin ich doch bemüht um alles zu erlernen,
was nahe bei uns ist und was uns kömpt von fernen,
was hier und da und dort und überall geschieht,
darnach ein geizigs Aug' aus Herzenshunger sieht?
Könt' ich ein' iede Kunst, wär' aller Reichtum meine,
hätt' ich der Ehren Thron zu eigen ganz alleine;
gieng' alles mir nach Lust und wüst' ich keine Zeit,
die mich von Jugend auf nicht herzlich hätt' erfreut,
ja wüst ich, (welches doch noch Keinem ist gegeben,)
daß ich auch keinen Tod auf Erden solt' erleben,
mein Name reichte hin bis in die neue Welt,
an mir wär' alles das, was man für Alles hält,
ganz alles hätt' ich ganz: was wäre dieses Alles?
Ein Alles auf den Schein, ein Conterfet des Schalles,
des Schatten leiblichs Bild, Verblendung des Gesichts,
ein Schlauch an Leere voll, mit einem Worte Nichts.
O Alles über All! O mehr als alles Alles,
vor Allem allzeit da, ein Aufstand alles Falles,
nach Allem stets wie vor, ein Einzler an der Zahl,
doch über alle Zahl und Zeiten allzumal,
für dem der schärfste Witz ist Aberwitz zu nennen,
du aller Schätze Schatz, den nur die Seelen kennen,
für dem die Ehre Schmach, die Wollust Unlust heißt,
ein geistgestalter Mensch, ein menschgestalter Geist,
o Menschgott, Heiland, Heil! dem alle Dinge geben
in Allem allen Preis, du alles Lebens Leben
und alles Todes Tod! du bist es, Jesu, du,
ohn dem Nichts Alles ist und minder noch darzu.
Ach Alles, laß mein Nichts dir darumb doch gefallen,
dieweil es nichts wil ein in andern Sachen allen,
gieb, Alles, mir, dem Nichts, in allem Rat und Tat,
so hab' und kan ich mehr, als Alles kan und hat!
2. Von Leichengedichten
Dem Wolgebornen, Hochedeln Herrn Philipp Scheiding auf Schedwy, Arno und Kegel, des Königreichs Schweden Rat und Gubernatoren des Fürstentum Ehsten auf Reval und des Königl. Hof-Gerichts zu Dorpt hochansehentlichen Präsidenten, meinem hochgeehrten Herrn.
1. Auf das Ableben der Fräulein Maria Juliane von Schönburg-Waldenburg.
1630.
1. Sonnet an das hochedle Haus Schönburg
Schönburg, du schönes Haus, wie tustu ietzund klagen,
indem ein großes Teil von deiner Schönheit fällt
und wird gerissen hin, darvon die Meißner Welt
und Ieder, wer dich kennt, mit Trauren weiß zu sagen!
Wie solte diesen Fall denn unbetrauret tragen
ich, der ich ohne dich in lauter Trauren bin
und gleichsam lebe tot? ich, den du mich vorhin
mit Gnade dir erkauft? Drumb weil mir deine Plagen
und übergroßes Leid durch Herz und Seele geht,
wolan, so nimb von dem, der dir zu eigen steht
mit Allem, was er ist, die Schrift zu einem Pfande
der reinen Dankbarkeit, die Schrift, die Trauerschrift,
die mit dir weinen soll! Was förder dich betrifft,
so scheine, schönes Haus, dem lieben Vaterlande!
2. Elegie an das traurige Hartenstein
War es denn noch nicht gnug, daß Mamers seine Plagen,
du liebes Hartenstein, dir greulich schickte zu,
der, wie man sagen tut, bei Nachten und bei Tagen
mit seiner Grausamkeit dir lässet wenig Ruh'?
Es muste noch Fortun sich besser an dir rächen,
wiewol ohn' deine Schuld, und führen über dich
Den, welcher grimmer ist denn jenes Hauen, Stechen,
den Tod, den rauhen Tod. Mars lässet weisen sich,
wann man ihm, was er will, ohn Wegerung erleget,
und gibt ihm seinen Sold: so bistu nicht, o Tod!
Dich weder Geld, noch Gold, noch Ranzion beweget,
sie wäre noch so groß, für Eines Sterbensnot.
Mars ändert seinen Rat, – oft gibt er Gnad' umb Bitten,
auch mitten in dem Zorn. O Tod, so bistu nicht!
Du änderst keinen Rat, du bleibst bei deinen Sitten;
erzürnestu dich denn, da hilfet keine Pflicht.
Mars, ob er gleich will sein der stärkste Gott der Erden
und solcher nur allein, oft werden ihrer mehr;
der steckt ihn in den Sack, der jenes Herr kan werden:
o Tod, o starker Tod! wes ist, wes ist das Heer,
wer ist, wer ist der Herr, der dich mög' überwinden?
Und wär' er noch so stark, so bistu stärker noch;
und wolten Tausent dich und aber Tausent binden,
du bindest alle sie, sie zwingstu unters Joch.
Nun kom und frag' ich dich von dieser beider Wesen,
o traurigs Hartenstein, du liebes Vaterland:
wann du aus Mars und Tod den Einen solst erlesen,
wen nämbstu dieser beid'? O streckstu deine Hand
zu Mars? Ja freilich wol. Er war gar leicht zu wählen
für jenem, welcher ist ein steter Menschenfraß;
hingegen dieser fromm, er hört noch auf zu quälen,
da jener garausmacht und würgt ohn Unterlaß.
Es ist nicht ohne zwar, daß mancher oft begehret
zu sein viel lieber tot, als wenn ihn Mamers zwingt,
weil dieses Tyrannei endlos gar gerne währet,
hingegen jener ihn zum guten Ende bringt.
Diß aber, weiß ich wol, dir würde nicht gefallen,
von Liebe, die du trägst zu deiner Obrigkeit;
Mars wüte noch so sehr, hingäbstu was euch allen,
wenn du dein und ihr Leid köntst wenden dieser Zeit.
Mars nimmermehr so sehr die Tränen dir auszwunge,
als diese Leiche tut, die man ietzt führt zur Gruft
und setzt sie traurig bei. Ietzt weinen Alt' und Junge,
daß dieses Klag-Geschrei erschallet in die Luft.
Ich auch dein duppelt Leid muß überlaut beweinen,
wiewol du weit von mir, doch aber nah dein Leid.
Ach! ach! wenn wird einmal der Gnaden-Phöbus scheinen
und einst abtauschen dir dein großes Leid mit Freud'?
3.
1 comment