Jener eifernde Kampf, jenes Daransetzen aller Kräfte und des Leibes und Gutes ist nur die Periode der Entwicklung, und muß vorübergehend sein, wenn nicht unter dem Anschein und Vorwand, das Höchste und Edelste in uns auszubilden, wir zu Barbaren verwildern und statt der Fülle und Herrlichkeit das Leere und Nichtige ergreifen sollen. So mag der Gottesdienst, Glaube und alles, was mit diesem zusammenhängt, eine stille Gewohnheit, ein süßes Bedürfnis werden; wo ich aber aufgereizte Gemüter wahrnehme, zanksüchtige, bis zum Verfolgen gesteigerte, da dünkt mich das Heilige immer am meisten gefährdet. Man soll nie vergessen, daß auch in der ruhigen Beschäftigung, in der Arbeit des Feldes oder der Gewerke, im scheinbar Niedrigen und Unbedeutenden das Himmlische gegenwärtig sein kann.«

»Daß ein so verliebter Mensch so vernünftig und philosophisch sprechen kann!« rief der ganz trunkne Baptista. Der Fremde errötete: »Warum haltet Ihr mich für verliebt?« fragte er in Verlegenheit. – »Die Sache spricht ja für sich selbst«, antwortete jener, »und wahrlich, bei Euch wird der Ausspruch des Lateiners zur Lüge, daß es den Göttern selber nicht erlaubt und möglich sei, zu lieben und weise zu bleiben. Also übertrefft Ihr, unbekannter Herr Liebender, selbst die unsterblichen Götter der alten Heidenwelt.«

Alle sahen den Fremden und den alten Schwätzer unruhig an, und der bedienende Wirt, der um seinen alten Freund besorgt war, hob ihn vom Tische auf und trat mit ihm in das Fenster, damit die Gesellschaft nicht verstimmt werden möchte. Da der Philosoph immer noch zu schwatzen fortfuhr, so führte er ihn endlich aus dem Zimmer, um ihn zu Bett zu bringen, oder ihn zu vermögen, daß er sich auf der Straße in kühler Nacht ergehn und seine Besonnenheit wiederfinden möge.

Die Gesellschaft setzte indessen heiter ihre Gespräche fort, und Cuffe, so spröde er sonst war, schien dem Fremden, dem alle ihre Hochachtung bezeigten, in seinen Behauptungen recht zu geben. Der junge Mensch nahm dies mit sichtlichem Wohlgefallen auf, und liebkosete dem Fremden so, daß alle endlich fast überzeugt waren, diese schöne Erscheinung sei die Geliebte und Braut des Unbekannten, obgleich sie doch damit das männliche Betragen, die Keckheit und selbst die Kenntnisse nicht zu vereinigen wußten, die dieses Wesen, das sie für ein Mädchen hielten, gezeigt hatte.

Jetzt aber wurden sie von einem Auftritt überrascht, der alle noch weit mehr in Verwunderung setzte. Mit Geräusch trat Baptista wieder in den Saal, und führte einen langgewachsenen dürren und ältlichen Mann, der ihn an Größe überragte, herein, indem er laut ausrief: »Hier ist der Priester, der die Brautleute trauen kann!« – Kaum hatte das scheinbare Mädchen den fremden Mann, der hochaufgerichtet in seinem schwarzen Kleide wie eine Säule gerade stand und seltsam lächelte, gesehn, als sie vom Tisch aufsprang, sich auf die Zehen stellte, den Dolch aus dem Gürtel zog, die fremde Erscheinung bei der Halskrause faßte, und mit heftigem männlichem Tone laut rief: »Die Schneide stoße ich dir in die Gurgel, alter Mann, wenn du ein einziges Wort von mir sprichst, oder mich nennst!«

Zitternd machte sich der Fremde los und sagte stotternd: »- Nichts – teurer, junger, verehrter Freund – Ihr wollet zumal gelieben, als ein Unbekannter der Tafel und Speisegesellschaft gegenwärtig zu verbleiben – bene – gut – et io – bin der Meinung, opinione – nur vergönnt mir, mich ebenfalls niederzulassen, seitemalen einen weiten Weg a cavallo, zu Pferde, wie man sagt, hierher gemacht.«

Die Gesellschaft hatte sich erhoben und setzte sich jetzt wieder nieder, indem der Wirt noch einen Stuhl für den neu angekommenen seltsamen Gast neben Baptista einschob. Jeder betrachtete den Fremden, der langsam, aber mit vielem Appetite aß.

Als man wieder beruhigt war, bat der Jüngling wegen seiner Heftigkeit um Verzeihung. Die Sache erschien jetzt mehr lächerlich und der neu hinzugekommene Gast suchte im Wein seinen Schreck zu ertränken. Auch gewann er bald wieder so viel Stärke, daß er lebhaft an der Unterhaltung teilnahm, und so viel sprach, daß alle erstaunten, Baptista ihn aber verehrte und liebend bewunderte, indem er es unverhohlen aussprach, er habe bis jetzt noch niemals ein Gemüt gefunden, mit welchem er so unbedingt sympathisieren könne. »Geistlicher Herr«, sagte er endlich, »erlaubt mir, daß ich Euch umarme, und schenkt mir Eure Liebe, wenn Ihr auch ein Priester seid und ich nur ein Laie.«

»Sehr geehrter Mann«, erwiderte jener, »nichts weniger als dieses, daß ich ein Priester, Pfarrer, oder eigentlich Pfarre-Herr, sei, oder auch jemals gewesen wäre, denn im Gegenteil bin ich den weltlichen Dingen, Wissenschaften, Fabeln, Erkenntnissen und Erkenntnisweisen so in meinem ganzen Menschenwesen, con tutto il cuore, zugetan, daß mir noch wenige Gelegenheit, Zeit, tempo, und Lust übriggeblieben ist, etwas von geistlichen Sachen in meine Memoria aufzunehmen, weil ich jede Stunde, die ich meinen Italienern entziehen müssen, für einen Verlust mir angerechnet. Nein, mein Werter, ich bin jener Mann, der in London und England unter dem Namen Florio nicht unbekannt ist, der ein Verzeichnis der italienischen Wörter nach dem Alfabeta (wie wir uns angewöhnet zu sagen) herausgegeben, edieret, publizieret und nicht beifallsohne in das Licht, luce, des Tages gestellt hat: ein galant' uomo, ein Virtuoso, Poeta, Musis amicus, ingenioso Interprete aller bellezza, Schönheit, Anmut, Grazie etc.«

Der Fremde, der ihm gegenüber saß, betrachtete diesen Florio mit Erstaunen: »Noch niemals«, sagte er, »habe ich jemand gesehn, der sich so zierlich auszudrücken verstände, denn diese Manier dünkt mich noch anmutiger, als jene unsers Lilly, dem die Gebildeten nicht mehr, wie vor Jahren, so unbedingt ihren Beifall schenken wollen. Aber warum weicht Ihr, Geehrtester, in der Aussprache und in den Worten so auffallend vom Herkömmlichen ab?«

»Ich weiß«, antwortete Florio feierlich, ohne sich in seiner Mahlzeit unterbrechen zu lassen, »worauf Dero Redseligkeit eben anzuspielen beliebet. Daß ich spreche Verlurst, und nicht Verlust, daß ich seitmalen statt sintemalen, wie einige Neueren es wollen, sage und ähnliches mehr. Wir sagen aber seitdem und nicht sintdem, weil sint veraltet, oder Dialekt der Provinz ist, wir sagen verlieren und nicht verliesen, folglich ist Verlust unrichtig und wir müssen als verstandbegabte Wesen Verlurst sprechen. So sagen die Menschlein noch jetzt: etwa, etwas: was ist denn dieses armselige Et? Ichtes spreche der Denkend, ichtes wanne wie unsre Vorfahren, wenn man eine unbestimmte Zeit bezeichnen will. Glaubet mir, meine Herren, experto Ruperto, der die Welt beobachtet hat vom Angang (denn so muß man sagen, nicht dumm, Anfang) bis jetzo zur Stund (nicht jetzund, oder gar ganz verächtlicherweise jetzt, noch niederträchtiger itzt); wir kommen dahin, daß wir wie die Schwalbe ein erbarmungswürdiges Zwitschern nur noch hinter den Zähnen erregen werden, eine so gemißhandelte Redeweise, die zugleich gegen die Logica wie Grammatica immerdar verstößt und endlich keine Regula mehr zulassen wird, so daß die Fremdlinge endlich, wenn sie einen Käfer werden brummend, oder einen Spatzen, Sperling, tsirpend, schirrend, zirrend, oder soll ich sprechen szirpend vernehmen, sagen werden: da läßt sich ein Engelländer hören!«

Cuffe und der junge Mann lachten laut, welches Camden dem erstern durch einen freundlichen Blick verwies; der Fremde, der sich für Florio zu interessieren schien, fragte ihn ernsthaft: »Ihr seid also auch, wie Ihr uns erst meldetet, ein Poet?«

»Es ist nicht ohne«, erwiderte Florio, »in müßigen Nebenstunden, wenn nichts Besseres oder Wichtigeres meinen ermüdeten Geist in Anspruch nimmt, vergönne ich es wohl denen Musen, mir auf ein halbes Stündlein einen Besuch abzustatten.«

»Arbeitet Ihr auch vielleicht für das Theater?« fragte der Fremde wieder.

Florio sah ihn von der Seite mit einem verachtenden Blicke an und erwiderte: »Nein, so tief bin ich dermalen noch nicht gesunken, auch ist mir keine minima pars meines Lebens bis dahero als so unbedeutend erschienen, oder so durchaus unnützlich, daß ich sie der Bänkelsängerei hätte zuwenden mögen. Was ist unser Theatrum? Eine Anstalt für Barbaren und Goten, für Müßiggänger und Ignoranten, wo ignote Autoren, verfinsterte Köpfe ohne alle Gelehrsamkeit Tragödie oder Komödie fabrizieren, oder gar jene widersinnigen Chimären, Zwittergeburten, von denen keine kultivierte Nation bis zur Stunde etwas vernommen hat, die sie Historien, historische Schauspiele betituln. Glauben Sie mir, Verehrteste, die jetzo zur Stund mein Auditorium bilden, auf Veranlassung, ja möchte ich sagen, Bitte, einer vornehmen Dame, die noch heutzutage meine Scholarin, Schularin, ist, habe ich noch vor wenigen Wochen in drei ganz trübseligen Tagen und Vorstellungen den ganzen Bürgerkrieg der roten und weißen Rose so anschauen müssen, und zum Beschluß am vierten Nachmittage des Ausgang des Tyrannen, des dritten Richard. Was hätte ein Euripides, oder Sophokles, oder gar der erlauchte Seneca zu derlei Widersinnigkeit gesagt? Ein Raum der Zeit, der fast ein Säkulum, Jahrhundert umspannet, auf das Gerüst von Bretern zu bringen, welches sie eine Bühne nennen? Und alles obenein ohne Nutzanwendung, Allegorie, Metapher oder Signifikation, Bedeutung, Inhalt, Verständnis, nur für den Pöbel und dessen unfähige sinnlose Sinne, für unwitzigen Aberwitz, von den leersten Köpfen des Königreiches als eine wahre olla potrida (einen verfaulten Topf nennt der Spanier das Gericht, in welchen er Fleisch, Erbsen, Wurzeln, Gemüse, grünes Kraut, Schinken und was er ichtes noch hat, hineintut, wochenlang stehen läßt, und nun Wasser oder Brühe hinzufüllt), wohl, ein solcher elender, verfaulter und faulender Topf ist diese unsere engelländische Bühne. Ja, wer die Komödien des Ludovico Ariosto kennt, den Thorismund des Tasso, die Werke des Trissino, Machiavell, Bembo, Speron Sperone, dessen Trauerspiel Canace, Dolce, und wie sie alle heißen, jene hohen Genien des italienischen Parnassus, der hat seinen Gaumen und Magen für dergleichen Atreus-Thyestische Mahlzeiten verdorben und zu fein erzogen. Auch geht meine Bestrebung dahin, allen meinen Schülern (deren mir viele und edle sind, und hohen Geistern die Schönheit, bellezza, beltà des italischen, oder eigentlichen florentinischen, florenzischen, fiorentinischen Idioms beizubringen, die große hermosura, wie der Spanier sagen würde, und fermosura der älteren Kastilianer, oder die Kortesia, dieses ist meine, die meiste Zeit und Stunde mir nehmende Beschäftigung) dieselbe Gesinnung zu eröffnen und beizubringen.«

Baptista umarmte im Feuer wieder diesen seinen gelehrten Nachbar. »O Ihr kennt«, rief er aus, »Ihr würdigt auch gewiß so wie ich den großen Baptista della Porta?«

»Wie sollte ich«, antwortete jener, »diesen ausgezeichneten edeln Mann nicht ebenfalls in meine Kenntnis aufgenommen haben? Doch sind seine Komödien, Bester, nicht im reinen fiorentinischen Stil geschrieben, er ist nachlässig und ergibt sich den Dialekten, wie auch der berüchtigte und von vielen göttlich genannte Peter Aretin. Sein Buch von der Physiognomik ist mir schwärmerisch erschienen, wird aber von vielen mit vielem und großem Preise beehrt.«

»Und mit Recht«, rief Baptista, »es ist eins der herrlichsten Werke, die nur jemals aus der Feder eines Sterblichen geflossen sind. Einzig diesem Buche habe ich alle meine Weisheit zu verdanken.«

»Wenn Ihr das Theater verschmäht«, begann der Fremde wieder, »welcher Dichtart hat sich Euer Genius am meisten ergeben?«

»Hauptsächlich dem Scharfsinn«, antwortete jener, »der agudeza, um welche sich zwar die Bessern unter uns fleißig genug bemühen, aber die echte Schärfe, Schneide, Feinheit immer noch nicht erwerben und sich anbilden mögen. Auf einem Spaziergange hatte sich eine vornehme junge Dame, donna, domina, einen Dorn in den Fuß getreten, auf welche Veranlassung ich alsobald folgendes Epigramma, oder sei es Madrigal, Canzone, Canzonette, oder wie man es betiteln will, sang, da mein freier Geist, oder mein Capriccio sich in diesem Augenblick von keiner Regul, Form, Zaum, wollte fesseln und hemmen lassen, sondern ungebunden schweifte in den weiten schrankenlosen Räumen der Phantasia, von jenem heiligen Wahnsinn, oder der echten Musa, begeistert und gegeißelt.

 

Es drang der Dorn

Zäh unzart in die zart unzähe Zehe;

Wie ward dem weißen Wendeglied ein Wehe,

Da durstig drin der Dorn

Trank Blut, das triefte, trennt' und macht' zu Tor'n

Die Adern an augblendendem Albaster all.

Der Wundarzt wird weit hergeholt zum Wiesental,

Da dringt derselbe drohnde Dorn

Tief in sein trauernd taumelnd Herz, treibt, daß zum Tor'n

Er weinend wird, weilt, heilt die Wunde, wehe!

Zäh zieht und zier gesund zur Stadt der Zehe,

Es heult der Heilende und hat im heißen Herzen,

Schwer, schwierig, schwellend, die er schwichtigte, die Schmerzen.

 

So wollte ich durch Feinheit, Laune und halbe Erklärung der Liebe, höchst galant und gelaunt der Alliteration, diesem Spiel mit Buchstaben, sinnig und vieldeutig gleichsam von weitem, durch Metapher, Allusion und Witz eine Art von Liebes-Andeutung oder Erklärung zu verstehen geben, denn ich war auch bei dem Verbande zugegen, und schob so witzigerweise, wie der Jäger ein Stellpferd, den Wundarzt vor, um den goldnen Pfeil meiner Rede mit so mehr Sicherheit abzudrücken. So war meine Absicht; vielleicht erreichte sie mein schwaches Ingenium nicht ganz.«

»Gewiß«, rief Cuffe, »so, wie es der verwegenste Dichter in seinen kühnsten Träumen nur wünschen kann. Ihr habt sehr recht, großer Mann, dergleichen fehlt unserm Jahrhundert noch, und doch kann die Phantasie in diesen Spielen am deutlichsten zeigen, ob sie einer göttlichen Begeisterung fähig sei.«

Camden, der ermüdet war und fürchtete, sein heitrer Freund würde den Poeten noch weiter in Gespräche verwickeln, gab einen Wink und Cuffe und die übrigen erhoben sich.