Camden ging auf den Fremden zu und sagte: »Wollt Ihr mir auch jetzt nicht Euren Namen nennen?« »Teurer Mann«, sagte der reizende Jüngling rasch einfallend, »Ihr bleibt wie ich höre, einige Tage in Oxford bei Euren Freunden hier; binnen kurzem erfahrt Ihr, wer ich bin und mein Freund, denn wir werden es uns nicht entgehen lassen, eine so werte Bekanntschaft, wie Eure und die des Herrn Cuffe, fortzusetzen. Ihr könnt aber versichert sein, daß ich nicht die Braut dieses Mannes bin, den ich aber innigst liebe und verehre.«

Camden entfernte sich mit Cuffe und den andern beiden Freunden, worauf sich der Jüngling zu Florio wendete und sagte: »Morgen früh sprechen wir uns.« – Er ging, um sich dem Schlaf zu ergeben, und sein Freund begleitete ihn. Florio und Baptista blieben noch lange, traulich vereint, sitzen und schwatzten viel und mancherlei, indem der gute Wein ihre Zungen löste, doch hütete sich der furchtsame Florio zu entdecken, was zu tun Baptista ihn dringend aufforderte, wer der schöne Jüngling sei; vom Fremden, der die Aufmerksamkeit des Physiognomisten so sehr in Anspruch genommen hatte, mußte er gestehn, daß er ihn selbst nicht kenne und niemals gesehn habe.

Am andern Morgen war der Fremde schon früh weggeritten. Der junge schöne Mann ging auf das Zimmer, welches der Sprachmeister Florio bewohnte, den er noch im Schlummer traf, und sagte zu ihm: »Jetzt will ich mit Euch sprechen, Alter, wenn Ihr nüchtern genug dazu seid. Es war mir gestern nicht gelegen, daß die Tischgesellschaft meinen Namen erfuhr, und ich wünsche auch noch nicht, daß Ihr mich in der Stadt hier nennt, bis ich wieder zurückkomme. Aber wo kommt Ihr her? Was wollt Ihr hier?«

»Gnädiger, verehrter Graf«, antwortete Florio, der sich im Bett aufrecht gesetzt hatte, »Eure liebe, bekümmerte Mutter sendete mich Euch nach. Man hatte in Erfahrung gebracht, daß Ihr plötzlich Eure Wohnung verlassen hättet; ein Bedienter hatte vernommen und herausgebracht, daß Ihr hierher nach Oxford gehen würdet; da wurde die hohe Frau, bei welcher ich zufällig zugegen war, tief betrübt und erschreckt, und indem sie, Aufsehn meiden wollend, niemand anders Euch nachsenden konnte, ersuchte sie mich, Euch still nachzureisen, und in Erfahrung zu bringen, ob Euch kein Unglück obwalten, oder Eure Person ergreifen möchte.«

»Ihr wißt ja«, antwortete der Graf, »daß wieder Krankheit und Sterben in London, wie so oft, eingebrochen ist. Ich bin es endlich satt, unter meiner Mutter, oder deiner, oder irgendeines Menschen Vormundschaft zu stehn, ließ mein Pferd satteln und ritt hierher, um einen Freund zu treffen. Ich werde mich auf ein paar Tage jetzt von hier entfernen. Willst du mich hier erwarten, gut, so reise ich vielleicht mit dir zu meiner Mutter auf ihren Landsitz: nur keine Hofmeisterei, denn ich bin jetzt achtzehn Jahr alt und weiß selbst, was mir frommt. Ihr habt Euch aber so angewöhnt, mich wie einen Knaben zu behandeln, daß Ihr Euch noch immer nicht dareinfinden wollt, wenn ich meine Freiheit behaupte. Und ehe meine Mutter mich nicht als einen selbstständigen Menschen ansehn kann, möchte ich sie lieber nicht sehn.«

»Nur Liebe«, erwiderte Florio, »ist diese Ängstlichkeit und Fürsorge, amor, fidelitas, oder charita –«

»Schweigt mit Euren Narrenpossen!« rief der junge Graf unwillig, indem er das Zimmer verließ.

Der Fremde war auf dem Wege nach Stratford vom Pferde gestiegen, und wandelte im Garten eines einsamen Hauses, das an der Straße lag. Hier erwartete er den jungen Freund, und viele Gedanken durchkreuzten seinen Kopf, vielfache Empfindungen bewegten sein Gemüt. Erquickte ihn die Schönheit der Landschaft und des Sommertages, war er sich seines Glückes bewußt und hob ihn die frohe Ahndung empor, daß sich sein Leben ausweiten, seine Talente entfalten mußten, freute er sich an dem reichen Schatz seines Herzens, so ängstigte ihn auch der Wendepunkt des Lebens, an welchem er jetzt stand. Wiedersehn sollte er seine Familie, seine Eltern und Kinder, die ihm seit lange fremd geworden waren, und alle jene drückenden Verhältnisse seiner Kindheit und Jugend sollten wieder nahe auf ihn zutreten, und er fühlte schon im voraus, welche Schmerzen sich seiner bemeistern würden.

Im stillen Garten überließ er sich seinen Träumen, in einer blühenden Laube ruhend. Nach einer Stunde erschien sein junger Freund. »Nun, Willy«, rief der ihm entgegen, »unsre Pferde sind versorgt, das Mittagessen habe ich bestellt, hier sind wir nun ganz allein und ungestört; nun sprich, erzähle alles, was ich wissen will, und wozu wir in der unruhigen Stadt niemals haben kommen können. Wie ich dich liebe, weißt du, was du mir bist und bleiben sollst, kann ich nicht so schnell in Worten aussprechen. Sieh, mein Freund, ich bin noch nicht alt, aber seit ich mich besinnen kann, sehne ich mich, das in Rede und Poesie zu finden, was meine Brust bewegte, klarer in jene wunderlichen Träume hineinzublicken, die vor dem Auge meines Geistes rätselhaft gaukelten. War ich entzückt von diesem und jenem, wehte mich ein frischer Hauch des Frühlings aus den Alten oder den Dichtern unsrer Zeit an, so blieb mir doch ein Ungenüge zurück; meine Sinne waren nicht gesättigt, bis ich durch Zufall im Theater deine Schauspiele kennen lernte. Oh, teurer Willy, ich weiß, daß du mich liebst, aber ich weiß auch, daß du meinst, ich sei zu jung, zu heftig eingenommen für dich und deine Schriften, so daß du immer mein Lob, meine Bewunderung ablehnen willst; aber mein Genius sagt mir, du bist der Inhalt und der Stolz unsrer Zeit, wie der Zukunft. Jetzt will ich nun alles versuchen, dich bei deinem Vater wieder einzuführen, alle Irrungen auszugleichen und alles zu tun, was ich vermag, um dich zufriedenzustellen. Für das, was ich dir zu danken habe, was ich dir schuldig bin, geliebtester Mann, ist alles, was ich tun kann, immer noch zu wenig.«

»Wenn ich mein Leben überdenke«, antwortete der ältere Freund, »und ich sollte in Worten deutlich machen, wie mein Empfinden zu dir ist, liebster, teuerster Heinrich, so möchte ich sagen, ich habe vorher, ehe ich dich kannte, wie im Schlaf befangen gelegen. Es ist uns oft, als wenn verschiedene Geister in unserm Innern herrschten, und die verschiedensten Kräfte der Maschine unsers Leibes regierten. Wir tun dieses, jenes, mit Eifer, mit Leidenschaft sogar, wir meinen, unser ganzes Leben geht in dieser und jener Bestrebung auf – und plötzlich ersteht in uns ein ganz neuer Wunsch, eine unbekannte Erfahrung, und mit dieser ein ganz verwandeltes Dasein, wir erkennen unsre so nah liegende Vergangenheit nicht mehr, in welcher wir uns gestern doch auch reich und glücklich dünkten. Als du mich aufsuchtest, als ich zu dir eingeführt wurde, ging unvermerkt und doch plötzlich diese Verwandlung in mir vor. Was ist diese liebende Freundschaft, diese Leidenschaft, daß ich nur von deinen Blicken leben möchte, diese Empfindung und dies Bedürfnis, das jetzt mein nächstes Leben ist, wovon ich früher gar keine Vorstellung hatte? – Hier in grüner Einsamkeit, fern von allen Menschen, wo keiner sich verwundert oder mich mißversteht, bin ich so kühn, ganz mit dir, Geliebtester, wie mit einem jungen Spielgenossen zu sprechen. In der Welt, unter Menschen ist es anders, und in der Zukunft, wenn der Staat dir Würden gibt, wenn du in allen Vorrechten deines Standes einhergehst, wird meine Liebe still zurücktreten müssen, schon befriedigt, wenn du mich nur nicht vergessen oder verachten magst.«

»Sprich nicht so, William«, antwortete mit Herzlichkeit der junge Graf. »Nach dem Sinne der Welt ist es etwas, wenn ein Vornehmer, wie ich es bin, dich schätzt und liebt; ehrt dich die Königin, wie sie gewiß wird, wenn sie deine Arbeiten kennenlernt, so ist dies noch größer und erfreulicher, und ich weiß, daß dein milder, bescheidener Sinn, sowenig du kriechend schmeicheln magst, dies mit dankbarer Rührung erkennen wird. Aber das unwandelbare hohe Glück, das in deinem Innern immerdar aufwächst, die großen Gedanken, die du hervorbringst, die Gefühle, die dich beseligen, die Trunkenheit und Begeisterung, die dich ganz durchweben und in dir singen, sind nichts Irdischem zu vergleichen.