Und in diesen Momenten muß doch, so denk ich mir, Vorzeit und Zukunft in dir lebendig sein.«

Der Dichter sah mit glänzenden Blicken in die Augen seines jungen Freundes. Dieser Moment machte sie in gegenseitigem Vertrauen glücklich, und zog im ältern Freunde, im Gemüt des William Shakespeare, wie wohl durch den heitersten Himmel im klaren blauen Kristalle ein fast unsichtbares milchweißes Wölkchen zieht, sich im Azur verlierend, der Gedanke vorbei, daß doch alles im Leben Täuschung und vergänglich sein müsse, und daß dieser junge Heinrich, der Graf Southampton, dieser schönen Stunde in Zukunft wohl einmal vergessen werde.

»Nun«, fing Graf Southampton nach einer kleinen Pause an, »die Bäume flüstern, Bienen summen, Blumen duften, ungestört bleiben wir gewiß; jetzt erzähle mir, wie du schon längst versprochen hast, die Geschichte deiner Jugend, und wie du zum Theater kamst, nebst allem dem, was mir wichtig ist. Denn wie dieser und jener wohl dem Virgil nachlaufen würde oder ein andrer dem Ariost, wenn sie noch lebten, und jedes kleine Wort aufhaschen, jeden Umstand ihres Lebens, so hat mich die Liebeskrankheit zu dir befallen, die viele verständige Menschen, wenn sie sie an mir beobachten könnten, einen Wahnsinn nennen würden. Nachwelt! Ruhm! Wer, was ist sie? Und wer hat diesen, den echten? Die Stimmungen und Stimmen wechseln, die Urteile widersprechen sich, der Tiefsinn übersieht nur zu oft das Nächste: nur die Liebe faßt alles im erhöhten Gemüte auf die rechte Art zusammen, und so, wenn ich ganz vom Zauber deiner Dichtung durchdrungen bin, fühle ich den unerschütterlichen Glauben, ich könne nicht irren, und Nachwelt und wahre Kritik und echter Ruhm sprächen aus den jugendlichen Worten meiner Bewunderung.«

»Denke ich zurück«, sagte Shakespeare, »was mir das Leben war, wie es mir wurde, verlorenging, und verklärt aus Leid und Schmerz wieder emporstieg, könnte ich dies in Gedichten oder Erzählungen aussprechen, so würde dies, so alltäglich und gering es sein mag, doch wie wundersame Märchen klingen. Jede Kindheit und Jugend fängt auf diese Weise an, wie die Geschichte und die heiligen Schriften. Die Menschen aus Leichtsinn, mißverstandenem Ernst, wegen späterer Geschäfte, oder auch durch die Not gequält, beachten nur den Frühlingstraum ihrer Jugend zu wenig. Möchte man doch sagen, Engel und selige Geister spielen immer noch mit der unbewußten Kindheit, oder Feen und Elfen necken und scherzen, oder ganz fabelhafte Zeiten senken sich hernieder und weben um das Kind, alles dem Auge des Erwachsenen unsichtbar.

Meine Geburt fiel in jene Zeit, als in England, nachdem unsre Königin vor acht Jahren den Thron bestiegen hatte, alle Meinungen, Verhältnisse, Parteien, Hoffnungen und Plane miteinander rangen und sich vielseitig bekämpften. Gewiß eine unglaubliche Gärung, die nur allgemach Ruhe und Sicherheit, ein heitres Dasein und die Freuden im Gefolge des Friedens auf den Boden des Vaterlandes absetzen konnte. Seit Heinrich der Achte die Reformation begünstigt und sich vom Papst losgesagt hatte, nachher oft wieder zurücknahm, was er als Religion feststellte, war ein Schwanken hin und wider, das Eigennutz, Leidenschaft und List abwechselnd zu ihren Absichten gebrauchten. Die kurze Regierung Eduards konnte auch die Waage nicht ins Gleichgewicht stellen. Das Schiff trieb eigentlich ohne Steuer hin und her und nach allen Richtungen. Die katholische Marie war um so bestimmter in ihrer Überzeugung. Die Aufgabe ihres kurzen Lebens war, mit Gewalt und ohne Rücksicht auf die Gegenwart die früheren Zustände zurückzuführen. Wie viele Opfer sind diesem starren Eigensinne gefallen; die Lebenden lassen sich vernichten, aber mit ihnen nicht die Gesinnungen. – Ich weiß, wie sehr Euer verehrter Vater als Staatsmann auch dieses Glaubens war, und es sei fern von mir, Eure Überzeugung oder Liebe irren zu wollen. Die Wahrheit bricht in vielfachem Strahl, die Gemüter können nicht alle auf eine Weise sich befriedigen; aber wie die Jesuiten, der Papst und Spanien diese Spaltungen benutzten, war unserm Lande verderblich, und niemals haben die ruhigeren, patriotischen Katholiken an diesen Verschwörungen teilgenommen. Diese unglückselige Aufgabe aber, jenen Konspirationen, die sich alle mit dem Anschein der Religion verlarvten, die Stirn zu bieten, fand unsre große Königin zu lösen, als sie nach vielen Leiden den Thron ihres Vaters bestieg. Wie weise sie alle Stürme abgelenkt, wie ruhig und ohne Leidenschaft sie die Freiheit gegründet, und durch ihre Räte Unglück und Komplotte, Hierarchie und Bosheit zurückgewiesen und unschädlich gemacht hat, bewundert die Welt. Ihr Thron steht fest, wie oft er auch erschüttert wurde, auf der Liebe ihres Volkes.«

»Sprich von dir selbst«, sagte Southampton: »dieses Kapitel macht mich immer nachdenklich. Wie könnte ich das Glück unsers Landes und die Größe der Fürstin verkennen? Aber du weißt, mein Großvater wie mein Vater, so wie ich, der ich ihnen mich anschließe, waren dem katholischen Glauben zugetan. Der Kampf geht hinüber und herüber und ist gewiß auch für unser Land noch nicht beschlossen. Das Unglück scheint das zu sein, daß die neuere katholische Kirche, wenn sie wieder einmal siegen sollte, unendlich mehr fordern muß, als die der früheren Jahrhunderte, und die Völker müssen mehr Freiheit und Recht aufgeben, als selbst in den sogenannten finstern Zeiten. Wie kann aber eine Nation, die je das Glück der Geistesfreiheit genossen hat, wieder zurücktreten und sich bezwingen lassen? Und genießen nicht hier, wie in allen Ländern, wo die Reformation sich Bahn gemacht hat, die Katholiken auch die Wohltaten mit, die sie mit dem Umsturz der neueren Kirche wieder einbüßen würden? So sorgen diese Verhältnisse selbst dafür, daß diese Spaltung, die heilsam sein mag, nicht wieder aufgehoben werden kann, und Fürsten und Regenten werden selbst gegen ihren Willen gezwungen, die neue Lehre aufrechtzuerhalten. Aber Kriege, Verfolgungen, Verirrungen der Völker mögen sich wohl erneuern.«

»In die Zeit dieser politischen und religiösen Kämpfe«, fing der Dichter wieder an, »fiel meine Geburt. Gerade damals war in uns nahen Grafschaften und in Warwickshire ein geistreicher und gelehrter Mann, der auf seinen Reisen viele Gemüter gewann und zur katholischen Kirche verlockte oder bekehrte, William Allen, der nachher Kardinal geworden ist. Er war heimlich auch in Stratford und hat in dieser kleinen Stadt und in meiner Familie viel Unruhe erregt. Er gewann das Herz meines Oheims, meines Vatersbruders, und selbst mein Vater war einige Zeit schwankend und in seinem Gewissen gequält. Letzterer ein finsterer Mann, war fast immer schwermütig, und durch dieses Haften an den religiösen Meinungen gab es vielen Streit mit Verwandten und Nachbarn. Dabei war es lebensgefährlich, sich mit den fremden Priestern einzulassen. Schadenfrohe Menschen oder diejenigen, die eifrige Protestanten waren, lauerten auf.