»Und er kommt aus Deutschland?

– So sagt er wenigstens.«

Durch das Sprachrohr zitterte ein Seufzer.

»Lassen Sie ihn herauskommen.«

– Zwei Treppen hoch, die Thür gerade aus!« wendete sich der junge Mann nun an Herrn Schultze, indem er ihm den Weg andeutete.

Der Professor verschwand in einem inneren Gange, kletterte zwei Treppen hinauf und stand bald vor einer gepolsterten Thür, an der der Name des Mister Sharp sich in schwarzen Buchstaben von einem Messingschilde abhob.

Der Bezeichnete saß vor einem großen Mahagoni-Schreibtische in einem gewöhnlich ausgestatteten Zimmer mit wollenen Teppichen, lederüberzogenen Stühlen und gewaltigen Actienfascikeln. Er erhob sich kaum in seinem Armstuhl und schien, nach der gewöhnlichen höflichen Methode der meisten Bureaumenschen, fünf Minuten eifrigst mit dem Durchblättern des größten Actenpackets beschäftigt, um zu zeigen, wie sehr seine Thätigkeit beansprucht sei. Endlich geruhte er, sich an Professor Schultze zu wenden, der neben ihm Platz genommen hatte.

»Ich bitte, mein Herr, begann er, mir möglichst kurz auseinander zu setzen, was Sie zu mir führt. Meine Zeit ist außerordentlich beschränkt und ich bin nur im Stande, Ihnen wenig Minuten zu widmen.«

Der Professor lächelte ziemlich gleichgiltig und bewies jenem dadurch, daß ein solcher Empfang auf ihn gar keinen imponirenden Eindruck hervorbringe.

»Vielleicht werden Sie noch einige Minuten zugeben, wenn Sie erst wissen, was mich hierherführt.

– So sprechen Sie, mein Herr.

– Es betrifft den Nachlaß Jean Jacques Langevol’s aus Bar-le-Duc und ich bin der Enkel von dessen älterer Schwester, Therese Langevol, vermählt im Jahre 1792 mit meinem Großvater, Martin Schultze, früherem Wundarzt der Armee von Braunschweig und verstorben im Jahre 1814. Ich besitze selbst noch drei von meinem Großonkel an seine Schwester gerichtete Briefe und verschiedene Nachrichten über seinen Marsch in die Heimat nach der Schlacht bei Jena, ohne jetzt hier der anderen amtlichen Urfunden zu erwähnen, welche meine directe Abstammung bescheinigen.«

Wir brauchen dem Professor Schultze nicht weiter zu folgen in den Aufklärungen, welche er Mr. Sharp gab. Er wurde dabei, ganz gegen seine Gewohnheit, fast weitschweifig und schien sich über dieses Thema gar nicht erschöpfen zu können. Ihm lag nämlich vor Allem daran, Mr. Sharp, als einen Engländer, von der Nothwendigkeit zu überzeugen, der germanischen Race den Vorrang vor allen übrigen zu bewahren. Wenn er überhaupt den Gedanken hegte, seine Ansprüche auf diesen Nachlaß geltend zu machen, so geschah das nur, um ihn jenen französischen Händen zu entreißen, die davon leicht ungeeigneten Gebrauch machen konnten!… Worin er seinen Gegner in erster Reihe bekämpfte, das war vor Allem dessen Nationalität!… Einem Deutschen gegenüber würde er jedenfalls Verzicht leisten u.s.w. u.s.w. Die Befürchtung aber, daß ein angeblicher Gelehrter, ein Franzose, jenes gewaltige Capital zur Unterstützung französischer Ideen verwenden könne, brachte ihn aus Rand und Band und legte ihm die Pflicht auf, seine Rechte bis zum Aeußersten geltend zu machen.

Auf den ersten Blick erschien diese Ideenverbindung zwischen der politischen Anschauungsweise und dem reichen Nachlasse nicht recht verständlich. Mr. Sharp besaß aber zu viel geschäftlichen Scharfblick, um den höheren Zusammenhang zwischen den Anforderungen des Vertreters der germanischen Race im Allgemeinen und denen des Professor Schultze im Besonderen bezüglich der Beerbung der Begum zu durchschauen. Beide erschienen ihm übrigens von nahezu gleichem Werthe.

Ein Zweifel hierüber war ja nicht wohl möglich. So erniedrigend es auch für einen akademischen Lehrer der Universität Jena sein mußte, zu Leuten aus untergeordneter Menschenrace in verwandtschaftlichen Beziehungen zu stehen, so lag es doch auf der Hand, daß diesem unvergleichlichen menschlichen Producte etwas französisches Blut, wenigstens mütterlicherseits, beigemischt war. Immerhin handelte es sich hier nur um eine Verwandtschaft in zweiter Linie gegenüber der Abstammung des Doctor Sarrasin, welche natürlich auch nur einen rechtlich untergeordneten Anspruch auf jene Erbschaft bedingte. Der Sollicitor erkannte jedoch schnell die Möglichkeit, dieselbe mit einiger Aussicht auf Erfolg anhängig zu machen und in dieser Möglichkeit auch noch weiter die günstige Lage der Verhältnisse für den Vortheil der Firma Billows, Green und Sharp, nämlich die Gelegenheit, aus dieser jetzt schönen Affaire Langevol eine ganz außerordentlich ertragsreiche zu machen, so etwa eine neue Inscenirung von Boz Dickens »Jarndyce gegen Jarndyce«. Vor den Augen des Mannes der Gesetze breitete sich schon ein ganzer Horizont von Stempelpapier, Acten und Schriftstücken aller Art aus.

Oder, was noch mehr werth schien, er dachte im Interesse seiner Clienten an ein durch ihn, Sharp, herbeizuführendes Compromiß, das ihm fast ebensoviel Ehre als Vortheil bringen mußte.

Inzwischen setzte er Herrn Schultze die Ansprüche des Doctor Sarrasin auseinander, brachte die Belege für dieselben bei und deutete dabei mit darauf hin, daß, wenn Billows, Green und Sharp es in die Hand nähmen die Rechtsansprüche des Professors – »Ansprüche übrigens, mein lieber Herr, welche sich einem ordentlichen Processe gegenüber wohl schwerlich als stichhaltig erweisen dürften« – die er aus seiner Verwandtschaft mit dem Doctor herleite, zu vertheidigen, er darauf rechne, daß der allgemein anerkannte Gerechtigkeitssinn der Deutschen es auch Billows, Green und Sharp nicht verübeln werde, wenn sie, der Erkenntlichkeit des Professors gewiß, jenen anderen, begründeteren Ansprüchen gegenüber seine Sache zu führen versuchten.