Denn es war nun etwas ausgemachtes für ihn, daß es eine Fee gewesen sei; und da sie für die Freiheit, so er ihr geschenkt, sich schon so erkenntlich zu beweisen angefangen, so zweifelte er nicht, daß sie fortfahren würde, ihn die Würkungen ihrer Gunst verspüren zu lassen.
Inzwischen hatte Pimpimp, sein Hündchen, der, die Sprache ausgenommen, dem Hündchen der Princessin Wunderschöne, ja dem kleinen Toutou selbst weder an Artigkeit noch Verstand etwas nachgab, ihn im ganzen Walde aufgesucht, und die Freude war auf beiden Seiten sehr groß, da er seinen Herrn endlich gefunden hatte.
In der Tat fing Don Sylvio an zu merken, daß es bald Mittagessens-Zeit sein werde, und es war ihm überaus angenehm, einen Wegweiser bekommen zu haben, der ihn aus diesem Walde, worin er sich noch nie so weit vertieft hatte, wieder nach Hause führen konnte. Denn so bezaubert die Liebhaber in den neuern Zeiten immer sein mögen, so ist doch, wie schon ein berühmter Schriftsteller vor uns angemerkt hat, die Mode, ganze Jahre ohne Essen und Trinken nur von der Liebe allein zu leben, heut zu Tag so sehr abgekommen, daß auch der aller erhabenste und geistigste Verliebte in diesem Stück ein ausgemachter Epicurer ist! Eine Abänderung, welche wir unsers Orts um so weniger mißbilligen können, da wir glauben, daß sich das schöne Geschlecht nichts desto schlimmer dabei befinden dürfte.
Don Sylvio ging also, oder stolperte vielmehr mit dem Schatz, den er so unverhofft gefunden hatte, nach Hause; denn er beschaute ihn im gehen so oft, daß er alle Augenblicke über einen Stock fiel, oder an einen Baum anstieß.
Unterwegs geriet er im Nachsinnen über sein Abenteuer auf tausend wunderliche Gedanken; es fiel ihm ein, ob dieses Gemälde nicht vielleicht die Fee selbst vorstelle, die ihm in Gestalt des blauen Sommer-Vogels erschienen war. Vielleicht liebt sie mich, dachte er, (denn es wäre doch nicht das erstemal, daß ein Sterblicher diese Ehre gehabt hätte,) und sie hat eine Probe machen wollen, was ihre wahre Gestalt für einen Eindruck auf mein Herz machen werde.
Diese Einbildung gefiel ihm so wohl, daß er sie eine lange Weile fortsetzte, allein zuletzt mußte sie doch wieder einer andern Platz machen, und so ging es an einem fort, bis er zu Hause anlangte. Kurz, der blaue Sommer-Vogel und die schöne Schäferin hatten seiner Phantasie einen so außerordentlichen Schwung gegeben, daß man sich nicht irren kann, wann man in kurzem sehr seltsame Würkungen davon erwartet.
Es möchte übrigens scheinen, als ob die Torheit unsers jungen Ritters seit einiger Zeit so stark zugenommen habe, daß der verdächtige Zustand seines Gehirns seiner scharfsichtigen Tante unmöglich habe verborgen bleiben können. In der Tat wäre es auch nicht anders gewesen, wenn diese Dame Zeit und Muße gehabt hätte, ihren Neffen zu beobachten. Allein außer dem, daß sie ihn, seitdem er das siebenzehente Jahr zurück gelegt, aus der engern Aufsicht und der strengern Zucht freigelassen hatte, die sich für sein Alter nicht mehr schickten; so war sie seit einigen Wochen mit einer gewissen Sache beschäftiget, um derentwillen sie öfters abwesend zu sein, und in das benachbarte Städtchen zu fahren genötiget war.
Vermutlich mußte diese Angelegenheit von nicht geringer Wichtigkeit für sie sein; denn, wenn sie wieder zurück kam, schien sie wider ihre Gewohnheit so tiefsinnig und zerstreut, bekümmerte sich so wenig um die Geschäfte des Hauses, redete so viel mit sich selber, und so wenig in Gesellschaft, und sagte, wenn sie mit den Bedienten zu reden hatte, so oft eines für das andre, daß außer ihrem Neffen jedermann über eine so große Veränderung sich nicht genug verwundern konnte.
Es ist leicht zu erachten, daß man über die Ursache derselben allerlei Vermutungen anstellte; allein die Vorsichtigkeit der Donna Mencia, und die Verschwiegenheit der Dame Beatrix hielten so gut aus, daß die Sache ein Geheimnis blieb; und das wollen wir sie auch so lange bleiben lassen, bis die Zeit, die endlich alles offenbar macht, sie zu demjenigen Punct der Reife gebracht haben wird, worin Geheimnisse von dieser Art sich insgemein selbst zu verraten pflegen.
Neuntes Capitel
Folgen des Abenteuers mit dem Sommer-Vogel
Der Leser wird mit einer neuen Person bekannt gemacht
Der getreue Pimpimp hatte seine Zeit so wohl genommen, daß er mit seinem Herrn eben anlangte, als es Zeit war zu Tische zu gehen. Ein tiefes Stillschweigen herrschte über der Tafel, und Don Sylvio war, wie man leicht denken kann, derjenige nicht, der es unterbrochen hätte. Er war zu sehr in seine Angelegenheiten vertieft, als daß er hätte bemerken sollen, wie sehr es seine gnädige Tante in die ihrige war. Eben so wenig beobachtete er, daß sie sich ungewöhnlich geputzt hatte, und daß sie von Zeit zu Zeit in einen gegenüberstehenden Spiegel Gesichter machte, welche dem Pedrillo, der bei Tisch aufwartete, so sonderbar vorkamen, daß er sich in die Lippen beißen mußte, um nicht überlaut zu lachen.
Nach dem Essen kündigte Donna Mencia ihrem Neffen an, daß sie in Geschäften genötiget sei, in die Stadt zu fahren und darin über Nacht zu bleiben.
Don Sylvio war zu höflich einige Neugierigkeit über die Natur dieser Geschäfte merken zu lassen, und er konnte es desto leichter sein, da er in der Tat keine hatte. Sie schieden also sehr vergnügt von einander, und unser junger Ritter verschwand bald darauf, ohne daß jemand im Hause gewahr wurde, wohin er ging.
Da er gewohnt war, die Sieste in seinem grünen Schloß zu halten, so vermißte man ihn nicht eher als da es Abendessens Zeit war. Man suchte ihn hierauf im Hause, im Garten, in den Feldern, im Wald, aber überall umsonst; Man rief seinen Namen, aber da war kein Don Sylvio.
Der vorgedachte Pedrillo, ein junger Bursche aus dem Dorfe, der ihm zur Aufwartung gegeben war, eine Küchenmagd, ein Stallknecht und die schöne Maritorne, deren wir schon erwähnt haben, machten in Abwesenheit der Donna Mencia und der Dame Beatrix, ihrer getreuen Kammerfrau, die ganze Hausgenossenschaft aus. Diese vier guten Leute waren nicht wenig betrübt darüber, daß sie nicht wußten, was aus ihrem jungen Herrn geworden sei; denn sie liebten ihn wegen seines angenehmen und leutseligen Wesens recht herzlich. Nachdem sie ihn nun beim Mondschein bis in die späte Nacht umsonst gesucht hatten, kamen sie endlich auf den Gedanken, daß er vielleicht zu seiner Tante gegangen sei; denn das Städtchen war kaum drei Stunden weit vom Schloß entfernt. Sie gingen also heim und legten sich schlafen.
Allein Pedrillo, der oft genug um seinen Herrn war, daß ihm seine Neigung zur Feerei nicht unbekannt sein konnte, kam bei näherm Nachdenken auf die Vermutung, daß er sich auf einem seiner gewohnten Spaziergängen im Walde, vielleicht über irgend einem Abenteuer, verirrt haben möchte. Er stund also den folgenden Morgen früh auf, und durchstöberte nochmals den ganzen Wald, ohne glücklicher zu sein als den Abend zuvor.
Er wollte eben wieder heimkehren, als er in einem Felsen, um welchen etliche Reihen von wilden Lorbeer-Bäumen im Cirkel stunden, eine mit Geißblatt bewachsene Höhle gewahr ward.
Pedrillo, dem es ungeachtet seiner ziemlich schafmäßigen Mine nicht an Witz fehlte, und der in den Ritterbüchern und Märchen nicht weniger bewandert war als sein Herr, hielt diesen Ort für Feen-mäßig genug, daß er ihn vielleicht darin finden könnte. Er betrog sich nicht; denn wie er an den Eingang der Grotte kam, sah er ihn auf einem Lager von Moos und Blumen ausgestreckt in tiefem Schlafe liegen; der kleine Pimpimp schlief zu seinen Füßen, neben ihm lag seine Cither, und an seinem Halse hing das Kleinod mit dem Bildnis der schönen Schäferin.
Pedrillo, der es noch nie gesehen hatte, wurde von dem Glanz der Steine und Perlen, wovon dieses Halsgeschmeide schimmerte, nicht wenig geblendet; und ob er gleich kein großer Kenner von Juwelen war, so deuchte ihn doch, daß sie wenigstens zehen Dörfer, wie das seinige, wert sein könnten. Er betrachtete sie lang ohne auf das Gemälde Acht zu geben, und konnte nicht begreifen, woher Don Sylvio einen so kostbaren Schmuck bekommen haben möchte. Seine Neugierigkeit wurde endlich so dringend, daß er sich kaum enthalten konnte ihn aufzuwecken. Das tat er nun zwar nicht, denn Pedrillo war ein so höflicher Bauer-Junge, als irgend einer in Valencia; aber er nahm doch die Cither, und klimperte darauf so laut er konnte, und endlich sang er gar dazu, ohne daß er seine Absicht desto mehr erreichte.
Nun, bei meiner Six! rief er endlich ganz ungedultig aus, das geht nicht natürlich zu; wenn das nicht ein bezauberter Schlaf ist, so versteh ich nichts davon. Vielleicht steckt die Zauberei in diesem Kleinod hier; wenn das wäre, so ist es besser, ich nehm' es ihm vom Hals, oder ich zerbrech es gar, wenns nötig ist, als daß mein junger Herr hier ein paar tausend Jahre wie ein Murmeltier an einem Stück verschnarche.
Indem er das sagte, langte er nach dem Kleinod, stieß aber von ungefähr mit dem Ellbogen an den Don Sylvio an, der davon erwachte, und, weil er die Augen noch nicht recht auftun konnte, den Pedrillo nicht sogleich erkannte, sondern nur eine Menschen-Figur sah, die ihm seine geliebte Schäferin stehlen wollte.
Er geriet darüber in eine außerordentliche Wut. Verfluchte Zauberin, rief er, ist es dir nicht genug, daß du diese unschuldige Princessin ihrer himmlischen Schönheit beraubt und in einen elenden Sommer-Vogel verwandelt hast? Willst du mir auch das einzige rauben, was mir das Übermaß meines Unglücks noch erträglich machen kann? Aber wisse, vorher mußt du dieses Herz ausreißen, worin ihr Bildnis mit feurigen Zügen eingegraben ist.
Ums Himmels willen, Herr, rief Pedrillo, indem er an den Eingang der Grotte zurück sprang, was meinet ihr mit allem diesem seltsamen Zeug? Ich bin weder ein Zauberer noch ein Schwarzkünstler, Gott sei Dank; ich bin Pedrillo, euer Diener, von alt-christlichem Geschlecht, so gut als einer in unserm Kirchspiel, und es tut mir leid, nachdem ich euch in allen vier Enden der Welt gesucht habe, euch in dieser verfluchten Grotte und in einem solchen Zustand anzutreffen, was sagt ihr da von Zauberern und von dem Übermaß der Sommer-Vögel, die in Princessinnen verwandelt sind? Gott sei es geklagt, ich dachte gleich, daß es nichts Gutes bedeuten werde, wie ich euch hier eingeschlafen fand.
Bist du Pedrillo, versetzte Don Sylvio, der sich in des die Augen gerieben hatte? Wenn du Pedrillo bist, wie deine Gestalt es allerdings zu bezeugen scheint, so bin ich schon zufrieden, und die Vorwürfe gehen dich nichts an, die ich dir machte, indem ich dich für einen andern ansah. Aber was wolltest du mit diesem Bildnis anfangen.
Mit was für einem Bildnis, fragte Pedrillo?
Schurke, versetzte Don Sylvio, mit dem Bildnis, das du im Begriff warest, mir zu entwenden, als ich von einer unsichtbaren Hand erweckt wurde, um einem so großem Unfall zuvor zu kommen.
Beim Element, Herr Don Sylvio, erwiderte Pedrillo, ich glaube ihr träumet, wenn ihr nicht noch was ärgers tut. Wir suchten euch gestern den ganzen Abend, bis um die Zeit, da, Gott sei bei uns! die Gespenster zu gehen pflegen; aber es war alles umsonst. Diesen Morgen früh lief ich im ganzen Wald herum, und suchte alle Gesträuche und Büsche durch, endlich fand ich euch in dieser Höhle schlafen, und da sah ich dieses Kleinod, und weil ihr so gar fest schliefet, so bildete ich mir ein, daß es vielleicht ein Telesman sein könnte, wodurch ihr in dieser Höhle in einem ewigen Schlaf bezaubert liegen müßtet, bis jemand käme, der den Telesman zerbräche, wie ich dergleichen Exempel viel in den großen dicken Büchern gelesen habe, die in der gnädigen Frauen ihrer Bücher-Kammer stehen; und weil ihr mir nun lieb seid, Herr, und weil ihr mich daurtet, daß ihr wie Dämonion, den die Göttin Dina einsmals bezauberte, daß er hundert Jahre lang schlafen mußte, damit sie sich recht satt an ihm küssen könnte, die alte verliebte Hexe! ihr wißt ja die Historie, Herr? sie steht in einem alten Buch, das ich aus der Erbschaft meiner Großmutter für dreizehn Maravedis annehmen mußte, ob es gleich keinen Deckel und kein Titel-Blatt mehr hatte; es waren die Menge gemalter Figuren darin, woran ich mich erlustigte, wie ich noch ein kleiner Junge war, und dann las mir meine Großmutter die Historien, die daneben stunden, es ist mir, als ob ich sie noch vor mir sitzen sehe, die gute alte Frau, Gott tröste sie! Aber was wollt ich sagen? Ja, und seht ihr, weil ihr mich nun halt daurtet, wollt ich sagen, daß ihr so lange schlafen solltet, und so wollte ich den Telesman zerbrechen; das ist das Ganze, seht ihr, und ich denke, da ist nichts, darüber ihr euch erzürnen solltet.
Don Sylvio, so gute Lust er auch hatte, böse zu sein, konnte sich doch des Lachens nicht enthalten, da er den Pedrillo so reden hörte. Höre, Pedrillo, sagte er zu ihm, es ist mir schon genug, daß du es nicht übel gemeint hast, aber ich versichere dich, du warst im Begriff mir einen sehr schlimmen Streich zu spielen. Es ist nur allzugewiß, daß ich von demjenigen bezaubert bin, was du für einen Talisman angesehen hast; aber lieber wollt ich das Leben verlieren, als zugehen, daß diese Bezauberung aufgelöst würde. Ich habe diese Nacht Sachen von großer Wichtigkeit erfahren; aber frage mich nicht was es sei, du sollst alles wissen, so bald es Zeit ist; denn ich bin deiner Dienste benötiget: Mehr kann ich jetzt nicht sagen.
Pedrillo verstund kein Wort von diesen Reden; aber das machte ihn eben desto neugieriger. Ich will auch nichts fragen, Herr, sagte er, indem sie nach Hause gingen, ihr habt mir's verboten, und ich weiß den Gehorsam wohl, den ich euch schuldig bin; denn erstlich, so seid ihr mein Junker, weil ich aus eurem Dorfe bin, und dann seid ihr mein Herr, weil ich in eurem Muß und Brot stehe; denn obgleich die gnädige Frau die Haushaltung führt, so weiß ich doch wohl, daß alles aus eurem Beutel geht. O das versprech' ich euch, wenn ich schon einfältig aussehe, so merk' ich doch wohl, wo der Hase liegt. Ich will also nicht neugierig sein und fragen, was das für wichtige Dinge sind, die ich nicht fragen darf, weil ihr mir sie nicht sagen könnt, ob ihr schon wolltet, wenn es Zeit wäre, daß ich sie wisse? Sagtet ihr nicht so, Herr? Aber es ist doch was seltsames, ich glaube bald, ich bin selbst bezaubert; denn ich verstand euch sonst alles was ihr sagtet; aber seit dem ich diesen Telesman angerührt habe, ist mir nicht anders, als ob ihr calecutisch redet.
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