Aber in dem jungen Adler fließt das Blut eines Delawarenhäuptlings; es ist rot, und den Flecken, den es macht, kann nur das Blut eines Mingos reinwaschen.«
Erstaunt blickte Herr Grant den Sprecher an, dann erhob er warnend die Hand und sagte: »John, John! ist dies die Religion, die du von den Mährischen Brüdern gelernt hast? Es heißt in der Schrift, liebet eure Feinde!«
Der Indianer hörte den Geistlichen aufmerksam an. Das ungewöhnliche, Feuer seiner Augen milderte sich. Dann schüttelte er leise den Kopf und folgte schweigend den rascheren Schritten des innerlich bewegten Geistlichen. Eduard bemerkte, daß das junge Mädchen den schnellen Schritten der Männer auf dem glatten Weg nicht folgen konnte. Er blieb daher bei ihr zurück und sagte: »Sie sind ermüdet, Miß Grant! Gehen Sie hier auf den Rand und nehmen Sie meinen Arm. Das Haus Ihres Vaters scheint noch ziemlich weit.«
»Ich bin keineswegs müde«, entgegnete Luise Grant mit leiser, zitternder Stimme, »der indianische Häuptling hat mich nur erschreckt. Doch ich vergesse, daß er Ihr Freund, vielleicht gar Ihr Verwandter ist.«
Der junge Mann drang ernstlich in sie, seinen Arm anzunehmen, und so schritt sie, durch ihn unterstützt, wieder rascher vorwärts.
»Sie scheinen diese Indianer nur wenig zu kennen«, sagte er, »sonst würden Sie wissen, daß Rache bei ihnen eine Tugend ist. Ihnen wird von Jugend auf gelehrt, keine Beleidigung ungerächt zu lassen, und nur die strengen Pflichten der Gastfreundschaft können gegen ihre Rache sichern.«
»Sie sind doch nicht in diesen ungeheiligten Grundsätzen erzogen?« erkundigte sich das Mädchen zurückweichend.
»Mir sind die Lehren christlicher Vergebung früh eingeprägt worden«, sagte der junge Mann bestimmt, und dann schritten sie schweigend weiter.
Nach kurzer Zeit waren sie beim Haus angekommen. Sie traten in ein Zimmer, das wohl als Besuchszimmer dienen sollte, wenn es auch einen großen Kamin mit einer Kocheinrichtung hatte. Der helle Schein des Feuers machte das Licht, das Luise anzündete, unnötig.
Die kleine Gesellschaft nahm am wärmenden Feuer Platz, Luise setzte sich zwischen Oliver und ihren Vater, der die Unterhaltung wieder aufnahm.
»Ich hoffe, mein junger Freund, Sie haben durch Ihre gute Erziehung den alten Grundsätzen der unbedingten Rache abgeschworen. Wenn ich John recht verstand, so fließt das Blut der Delawaren in Ihren Adern. Verstehen Sie mich nicht unrecht: nicht Farbe, noch Abstammung bestimmen das Verdienst, und nicht jeder, der Anspruch auf Blutsverwandtschaft mit den früheren Besitzern dieses Bodens macht, kann diese Berge mit gutem Gewissen betreten.«
Mohegan wandte sich daraufhin feierlich zum Sprecher und sagte mit der den Indianern eigenen, bedeutungsvollen Miene: »Vater, du stehst noch im Sommer des Lebens, deine Glieder sind jung. Steig auf die höchsten Berge und schaue dich herum. Alles, was du siehst, vom Anfang bis zum Untergang der Sonne, vom Ufer des großen Flusses bis an die kleinsten Quellen im Innern der Berge - alles gehört ihm. In seinen Adern fließt das Blut der Delawaren, und sein Recht ist so groß. Aber der Bruder Miquons ist gerecht; er wird das Land in zwei Teile teilen, wie es der Fluß schon tut, und wird zu dem jungen Adler sagen: ›Kind der Delawaren! Nimm es und sei ein Häuptling in dem Land deiner Väter‹.«
»Nie wird er das sagen!« rief Eduard heftig aus. »Der Wolf im Wald ist nicht gieriger auf seine Beute als dieser Mann auf Gold, und sein Schleichen nach Reichtum gleicht den Bewegungen einer Schlange.«
»Nur ruhig Blut, mein Sohn!« unterbrach ihn Herr Grant. - »Solche zornigen Ausbrüche sind unwürdig. Die zufällige Beleidigung, die Sie von dem Richter erfahren haben, hat das Ihren ererbten Haß erhöht? Aber bedenken Sie, daß das eine unvorsätzlich war, und daß das andere eine Folge der politischen Veränderungen ist. Stolze Könige und mächtige Nationen fanden ihren Untergang. Das Unrecht, das den Eingeborenen zugefügt worden ist, muß dem ganzen Volk und nicht allein dem Richter Temple beigemessen werden. Ihr Arm wird bald seine alte Kraft und Stärke wiedererlangen.«
»Dieser Arm!« wiederholte der Jäger höhnisch, indem er in heftiger Bewegung aufsprang und im Zimmer umherging. »Glauben Sie, Herr, daß ich den Mann für einen Mörder halte? - O nein! Zu solch einem Verbrechen ist er viel zu feig. Doch lassen Sie ihn und seine Tochter immerhin im Reichtum schwelgen - es kommt eine Zeit der Vergeltung! Nein, nein, nein!« fuhr er, ruhiger werdend, fort, »Mohegan hätte allenfalls Grund zu der Vermutung, daß er mich vorsätzlich verwundete, aber es lohnt sich nicht, daß man noch davon spricht.«
Oliver setzte sich wieder und bedeckte das Gesicht mit beiden Händen.
»Es ist die ererbte heftige Leidenschaft eines Eingeborenen, mein Kind!« flüsterte Herr Grant seiner Tochter beruhigend zu, die ihn angstvoll ansah. »Es fließt indianisches Blut in seinen Adern.«
Obgleich der Geistliche leise sprach, hatte der Jüngling doch alles verstanden und erwiderte, den Kopf erhebend, mit einem lächelnden Ausdruck: »Erschrecken Sie nicht, Miß Grant, über das Rauhe meines Wesens. Ich habe mich von einer Leidenschaft hinreißen lassen, die ich hätte unterdrücken müssen. Ihr Vater hat recht, das kommt vom indianischen Blut, obgleich ich meine Herkunft deshalb nicht beklage. Ja, ich bin stolz auf meine Abstammung von einem Delawarenhäuptling, von einem edlen Krieger! Der alte Mohegan war sein Freund, und kann seine Tapferkeit bezeugen.«
Bei diesen Worten erhoben sich die beiden Männer und brachen nach einem freundschaftlichen Abschied auf. Mohegan nahm den nächsten Weg zum Dorf, während Oliver Eduard dem See zuschritt. Der Pfarrer sah ihnen aus der Haustür nach und als er zurückkam, fand er Luise an einem Fenster, von wo aus man den See und den Weg dahin übersehen konnte.
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