In der Ferne erblickte er noch die leichte Gestalt des Jünglings, der schnell ausschritt und bald darauf im Gebüsch verschwand, in der Richtung, wo Nattys Hütte stand.
Siebentes Kapitel
Der Gasthof »Zum kühnen Dragoner« lag am äußersten Ende des Dorfes, wo sich die beiden Hauptstraßen schnitten. Es war nächst dem Herrenhaus das ansehnlichste Gebäude in Templeton.
Am heutigen Weihnachtsabend war der hinkende Veteran, den man Hauptmann Hollistar nannte, kaum mit seiner Ehehälfte vom Gottesdienst zurückgekehrt, als auch schon das Abschütteln des Schnees von den Füßen an der Haustür die Ankunft der Besucher verkündete, die hier ihre Meinungen über die soeben gehörte Predigt aussprechen wollten.
Das allgemeine Gastzimmer war ein geräumiges Gemach. An drei Wänden liefen Bänke entlang. Zwei große Kamine nahmen die vierte Wand bis auf zwei Türen ein. In einer Ecke stand ein mit Flaschen und Gläsern reichlich besetzter Schenktisch. In diesem durch einen Verschlag abgesonderten Heiligtum präsidierte Frau Hollistar mit betontem Ernst, während ihr Mann damit beschäftigt war, die brennenden Holzscheite mit einem großen Pfahl sorgfältigst zurechtzuschieben.
»So, lieber Sergeant«, sagte die Wirtin, nachdem der Veteran das Holz geordnet hatte, »laß nun das Feuer nur so brennen. Dort auf dem Tisch stehen noch Gläser und Becher, gib sie mir gleich herein, denn wir werden heute abend noch viel Besuch haben.«
Gleich darauf traten die ersten Gäste ein, und einige Minuten vergingen, bis sie am Feuer des ›Kühnen Dragoners‹ Platz genommen hatten. Allmählich waren die Bänke fast ganz mit Männern besetzt, als Doktor Todd mit einem schmutzig aussehenden, halb elegant gekleideten jungen Mann hereintrat. Er nahm sehr häufig große Prisen Schnupftabak, trug einen Rock aus ausländischem Tuch von leidlich modernem Schnitt und zog alle Augenblicke eine große silberne, französische Uhr aus der Tasche. Gleich beim Hereinkommen hatte er sich eine hölzerne Bank mit hoher Lehne im bequemsten Winkel des Zimmers ausgesucht.
Braune Becher mit Wein und Bier wurden herumgereicht. Niemand hatte ein eigenes Glas für sich, ein besonderes Gefäß für jedes Getränk hielt man für ausreichend. Der Becher ging von Hand zu Hand, bis schließlich die Reihe zu Ende war.
Nachdem der allgemeine Durst fürs erste gestillt war und das allgemeine Hin und Her aufgehört hatte, führten, von allen bemerkt, der Arzt und sein Gefährte, einer der beiden Advokaten des Dorfes, die Unterhaltung.
Der Advokat begann mit der lauten Frage: »Nattys Sohn oder wer er nun sein mag, wird doch hoffentlich seine Sache nicht fallen lassen? Wir leben in einem Land, wo es Gesetze gibt, und meine Pflicht ist es, sie so gut wie möglich befolgt zu sehen. Hier kommt es nicht auf den Stand und Reichtum an, und der Mann, der da sagt, er besäße hunderttausend Acker Landes, hat nicht mehr Recht, seinen Nebenmenschen in die Schulter zu schießen als jeder andere. Was meinen Sie dazu, Doktor Todd?«
»Oh, lieber Herr, ich bin der Meinung, daß der junge Mann, wie ich schon gesagt habe, bald hergestellt wird.«
»Ich wende mich an Sie, Hiram Doolittle«, fuhr der Advokat ärgerlich fort, »Sie sind eine Magistratsperson und wissen, was zum Gesetz gehört und was nicht dazu gehört. Deshalb frage ich Sie, ob es recht ist, einen Schuß auf einen Nebenmenschen unbestraft zu lassen? Setzen Sie den Fall, daß der junge Mann Frau und Kinder hätte, und setzen Sie den Fall, daß er ein Handwerker wäre und seine Familie ernähren müßte, und setzen Sie den Fall, daß die Kugel, statt die Schulter zu streifen, das Schulterblatt getroffen und ihn zum Krüppel gemacht hätte: ich frage Sie alle, meine Herren, gesetzt, der Fall wäre so: ob das Gericht ihm dann nicht einen ansehnlichen Schadenersatz zusprechen müßte?«
Alle Zuhörer sahen erwartungsvoll auf Hiram, der nach einigen Augenblicken des Nachdenkens mit würdevoller Miene erklärte: »Wenn ein Mann den anderen anschießt, und wenn er es vorsätzlich tut, und die Tat bekannt wird, und das Gericht ihn für schuldig erklärt, so könnte dies Gefängnis geben.«
»Gewiß, mein Herr«, entgegnete der Advokat. »Das Gesetz kümmert sich in einem freien Land nicht um Rang und Würde der Person. Einer der größten, uns von unseren Vorfahren vererbten Grundsätze besteht darin, daß alle Menschen vor dem Gesetz so gleich sind, wie die Natur sie erschaffen hat. Und sind auch einige, Gott weiß auf welche Weise, zu großem Reichtum gelangt, so dürfen sie dennoch die Gesetze ebensowenig übertreten wie der ärmste Mann. Dies ist meine Meinung, ihr Herren!«
Ein kurzes Schweigen folgte dieser Rede, das durch Nattys plötzliches Eintreten unterbrochen wurde. Der alte Jäger schritt, die Büchse im Arm, durch die Gesellschaft und setzte sich in der Nähe des Feuers auf ein großes Holzscheit nieder. Zwischen ihm und dem Wirt schien eine gewisse Freundschaft zu herrschen, denn der alte Veteran brachte ihm unaufgefordert ein Glas Branntwein. Der alte Natty trank und der Advokat fuhr in der unterbrochenen Unterhaltung fort.
»Das Zeugnis der Schwarzen kann hier nichts gelten; sie sind sämtlich Leibeigene des Herrn Jones! Aber es gibt noch einen anderen Weg, den Richter Temple oder jeden anderen Mann zur Entschädigung für solch einen Schuß und für die Heilung der beigebrachten Wunden zu zwingen. Ja, ich sage, es gibt noch einen anderen Weg, ohne vors Gericht zu gehen.«
»Es würde Ihnen«, unterbrach ihn hier die Wirtin, »schlecht anstehen, den Richter, der einen Beutel so lang wie die Fichten auf den Bergen hat, zu verklagen. Übrigens ist er ein Mann, mit dem sich gut auskommen läßt, wenn man sich nur ein bißchen nach seinen Launen richtet. Er ist ein guter Herr und ein leutseliger dazu, der sich durch Ihre Drohung, ihn zu verklagen, von nichts abhalten lassen wird. Ich weiß nichts an ihm zu tadeln. Aber ich hoffe doch, Lederstrumpf, Sie werden nicht so töricht sein, den Jungen darin zu bestärken, daß er vor Gericht klagt; denn es kann beiden Teilen nur böse Tage machen. Der Junge soll sein Glas hier umsonst finden, bis seine Schulter die Büchse wieder tragen kann.«
Die Männer nickten der Wirtin zu, und Natty, der lautlos zu lachen schien, sagte schließlich nach einer kurzen Pause: »Ich weiß, der Richter führte nichts Böses im Schilde, als er mit seiner Vogelflinte aus dem Schlitten sprang, auch habe ich in meinem Leben nur eine einzige Flinte dieser Art gesehen, die etwas taugte. Es war eine französische mit einem Lauf, halb so lang wie meine Büchse, die eine Gans auf hundert Schritte traf.
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