Schließlich bemerkte sie in einer Ecke des Zimmers, nahe am Eingang, den jungen Jäger. Er hatte die Mütze abgenommen, unter der eine Fülle dunkler Locken hervorquoll, und sie erkannte jetzt erst die einnehmenden, edlen Gesichtszüge des jungen Mannes, die sonderbar gegen die grobe Kleidung abstachen. Seine Haltung verriet einen gewissen Stolz, und er verachtete anscheinend die Wohlhabenheit seiner neuen Umgebung.

»Aber, Vater!« rief Elisabeth erschrocken aus, »wir vergessen den fremden Herrn, den wir mit hierhernahmen, um ihm schnelle Hilfe zu verschaffen.«

Aller Augen wandten sich zu dem Jüngling, der stolz erwiderte: »Meine Wunde ist unbedeutend, und wenn ich nicht irre, sandte der Richter Temple gleich nach seiner Ankunft um einen Arzt.«

»Oh!« rief Richard spöttisch. »Nicht wahr, Vetter Duke, du bist dem jungen Jäger verpflichtet für den Hirsch, den du schossest. Marmaduke! Marmaduke! Das ist wieder eine herrliche Geschichte mit diesem Hirsch!«

»Schon gut«, unterbrach ihn Elisabeth. »Jetzt muß aber endlich ein Zimmer für den Herrn bereitet werden.«

In diesem Augenblick trat der Arzt ein und unterbrach Herrn Jones, der gerade wieder mit seinen guten Ratschlägen zur Hand sein wollte.

Doktor Elnathan Todd war ein großer Mann. Seine viereckigen Schultern standen waagrecht, waren aber so schmal, daß er mit seinem dünnen, langen Hals noch größer aussah. Trotz seiner sechsjährigen Praxis trat der Arzt etwas ängstlich in den hellerleuchteten Saal. Doch ehe er Zeit gewann, sich umzusehen, ergriff Marmaduke freundlich seine Hand und sagte:

»Willkommen, guter Doktor! Hier ist ein junger Mann, der Ihrer Hilfe bedarf; ich war so unglücklich, ihn heute nachmittag zu verwunden, als ich auf einen Hirsch schoß.«

Der junge Jäger hatte unterdessen seinen Mantel abgenommen, unter dem er einen fast neuen Anzug von hellem, selbstgemachtem Tuch trug. Eben wollte er diesen ausziehen, als sein Blick auf Elisabeth fiel. Flüchtig errötend hielt er inne und sagte:

»Wir wollen lieber in ein anderes Zimmer gehen; der Anblick des Blutes könnte die junge Dame erschrecken.«

»Nicht doch«, entgegnete Doktor Todd. »Das helle Licht dieses Zimmers ist für die Operation günstig, darauf müssen wir besonders Rücksicht nehmen.«

Elisabeth verließ errötend den Saal, und dem Doktor war freies Feld gelassen. Er schickte sich zur Untersuchung an. Die Anwesenden traten um den Patienten herum. Elnathan traf mit großer Weitläufigkeit die nötigen Vorkehrungen. Er schnitt mit pedantischer Genauigkeit seine Binden zurecht, reichte Richard ein kleines Stück Leinwand und sagte: »Sie, Herr Jones, sind ja wohl in solchen Dingen bewandert, deshalb bitte ich Sie, mir etwas Scharpie zu zupfen.«

Der junge Mann hatte während dieser Zeit seinen verwundeten Arm entblößt. Durch die strenge Kälte hatte er zu bluten aufgehört, doch bemerkte Doktor Todd auf den ersten Blick, daß die Wunde weniger gefährlich sei, als er sich vorgestellt hatte. Sein Mut wuchs; er näherte sich dem Patienten und machte Miene, die Wunde mit einer Sonde zu untersuchen. Der Jäger aber stieß seine Hand heftig zurück und sagte verächtlich:

»Mein Herr, ich halte solche Untersuchungen für unnötig. Der Schuß ist ins Fleisch gegangen, ich fühle die Kugel auf der anderen Seite - es bedarf also nur eines Einschnitts, um sie herauszuziehen.«

»Das müssen Sie freilich am besten wissen«, erwiderte Doktor Todd, die Sonde beiseitelegend. »Doch jetzt, verehrter Herr«, wandte er sich an Richard, »bedarf ich Ihrer Hilfe. Sie werden so gut sein, den Arm des Verwundeten zu halten, während ich die Kugel herausschneide.«

Während dieser Worte hatte er einen Einschnitt ins Fleisch gemacht, und die Kugel lag entblößt vor ihm, so daß er sie hätte mit der Hand herausnehmen können. Doch er griff mit ernster Miene zu einer Zange, um kunstgerecht zu verfahren, als der Jäger eine rasche Bewegung machte, wobei die Kugel von selbst auf die Erde fiel. Der Operateur hob die Kugel schnell auf und machte mit der anderen Hand eine Bewegung, daß die Umstehenden in Ungewißheit blieben, ob er sie herausgenommen habe oder nicht.

»Sehr geschickt gemacht, lieber Doktor!« hörte man Richard Jones sagen.

»Ich danke für Ihre Mühe«, erwiderte der Jüngling darauf. »Hier kommt ein Mann, der alles weitere übernehmen wird.«

Aller Augen wendeten sich zur Tür, in der der Indianer John stand.

Viertes Kapitel

 

Erst vor wenigen Monaten war der Indianer in der Gegend von Templeton bemerkt worden. Er war immer mit dem alten Jäger zusammen. Sie bewohnten dieselbe Hütte und teilten dasselbe Mahl. Lederstrumpf nannte ihn mit seinem Indianernamen Chingachgook, was Große Schlange bedeutet. Er verdankte diesen Namen seiner Geschicklichkeit und Tapferkeit im Kriege.