Als er alt geworden war und als letzter seines Stammes dastand, gaben ihm die wenigen an den Ufern des Delaware noch lebenden Wilden den bedeutungsvollen Namen Mohegan. Wahrscheinlich erweckte aber diese Benennung in dem Herz des Waldbewohners zu schmerzliche Erinnerungen an seine untergegangene Nation; denn er gebrauchte ihn selten und nur bei feierlichen Gelegenheiten. Die Ansiedler setzten seinen Tauf- und Nationalnamen zusammen und nannten ihn John Mohegan. Seine Kleidung war halb europäisch, halb wild. Den Kopf trug er, trotz der Kälte und seines hohen Alters, unbedeckt; nur eine Fülle langer, grauer, buschiger Haare hing über Stirn und Wangen. Die Augen waren klein, aber kohlschwarz und stechend und glänzten beim Schein der Lichter, als er erstaunt im Saal umherblickte. Sobald Mohegan sah, daß er von der Gesellschaft bemerkt worden war, warf er seine wollene Decke ab und ging auf den verwundeten jungen Jäger zu. Seine Schultern und Brust waren unbekleidet. Man sah ein silbernes Medaillon mit Washingtons Bildnis an einem ledernen Riemen zwischen vielen Narben auf der bloßen Brust hängen. In der Hand trug er ein kleines Körbchen, aus geschälten Eschenruten geflochten und seltsam mit bunten Farben bemalt. Er besah zunächst die Schulter des jungen Mannes genau und wandte sich dann zum Richter, der ihn begrüßte:
»Willkommen, John! Dieser Jüngling hat anscheinend eine hohe Meinung von deiner Geschicklichkeit; denn er zieht dich sogar unserem guten Freund, dem Doktor Todd vor, um seine Wunde verbinden zu lassen.«
»Miquons Kinder sehen nicht gern Blut«, erwiderte Mohegan in leidlichem Englisch, mit leisem, tiefem, einförmigem Ton, »und doch ist der junge Adler von einer Hand getroffen, die sich hüten sollte, Unglück anzurichten!«
»Mohegan! Alter John!« rief Temple erschrocken aus und wandte sein offenes, männliches Gesicht gegen den Sprecher, »glaubst du denn, daß meine Hand mit Vorsatz Menschenblut vergießen könne? Schäme dich, alter John! Deine Religion sollte dich besseren Glauben gelehrt haben!«
»Der böse Geist lebt oft im besten Herzen«, entgegnete John mit Nachdruck, das Auge fest auf den Richter geheftet, »aber mein Bruder spricht die Wahrheit. Er ist unschuldig!«
Marmaduke ergriff die dargebotene Hand des Indianers mit einem wohlwollenden Lächeln. John schickte sich rasch an, die Wunde des Jägers zu verbinden. Doktor Todd fühlte sich keineswegs durch das Eingreifen in sein Fach beleidigt und machte dem Indianer willig Platz. Richard hatte sogar große Verehrung für Mohegans Kenntnisse. Er näherte sich neugierig dem Indianer und bewunderte langatmig seine Geschicklichkeit. Mohegan hörte die lange Rede geduldig an, reichte ihm dann schweigend sein Körbchen mit den Kräutern, damit er es halten sollte. Der Patient litt unter den Händen des Indianers allerdings etwas mehr als unter denen des Doktors. Doch war der Verband bald angelegt. Er bestand bloß aus zerstampften Baumrinden, die mit der Flüssigkeit einiger ausgepreßter Waldpflanzen angefeuchtet waren.
»Ich will jetzt Zeit und Geduld der Herren nicht länger in Anspruch nehmen«, sagte der Fremde aufstehend. »Es bleibt mir noch etwas zu regeln übrig, und das mit Ihnen, Herr Temple, über Ihre Ansprüche an das Wild.«
»Ich gebe sie ganz auf, erkläre Sie für den rechtmäßigen Besitzer und mich außerdem noch tief in Ihrer Schuld. Morgen früh kommen Sie wohl wieder hierher, damit wir das andere miteinander abmachen können. - Elisabeth«, wandte sich der Richter an seine Tochter, die jetzt wieder in den Saal zurückgekommen war, »Elisabeth, besorge ein Abendessen für den jungen Mann, ehe wir in die Kirche gehen, und Aggy soll den Schlitten bereithalten, um ihn zu seinem Freund zu bringen.«
»Aber ich kann nicht ohne einen Teil des Hirsches fortgehen«, entgegnete der Jüngling, augenscheinlich mit sich selbst kämpfend, »ich habe Ihnen schon gesagt, daß ich das Wild selbst haben muß.«
»Benjamin«, befahl der Richter etwas ärgerlich, »sorge dafür, daß der Hirsch auf den Schlitten geworfen wird, und sieh nach, ob Aggy bereit ist, diesen Jüngling zu Nattys Hütte zu fahren. Aber, junger Mann, bevor Sie scheiden, möchte ich nach Ihrem Namen fragen, damit ich Sie anreden kann, wenn ich Sie wiedersehe, was hoffentlich morgen geschieht.«
»Ich heiße Eduard«, entgegnete der Jäger, »Oliver Eduard. Man kann mich öfters sehen, denn ich lebe hier in der Nähe und brauche niemanden zu scheuen, da ich keinem Menschen je ein Leid zugefügt habe.«
»Wir fügten Ihnen Leid zu«, fiel Elisabeth ein, »und daß Sie unseren Beistand und unsere Erkenntlichkeit verschmähten, macht meinem Vater viel Sorge. Es würde ihn freuen, Sie morgen früh zu sehen.«
Der junge Jäger starrte das schöne Mädchen an, neigte dann den Kopf und sagte: »Ich werde morgen früh kommen, den Richter Temple zu besuchen, und zum Zeichen unserer Freundschaft nehme ich sein Anerbieten mit dem Schlitten an.«
»Zum Zeichen der Freundschaft!« wiederholte Marmaduke.
Der Fremde zögerte einen Augenblick, verbeugte sich dann tief und eilte zum Zimmer hinaus, als fürchte er, aufgehalten zu werden.
»Es ist doch seltsam, daß dieser junge Mensch seinen Groll nicht überwinden kann«, meinte Temple, als die Tür sich hinter dem Fremden schloß, »ich hoffe, er wird morgen zugänglicher sein.«
Elisabeth, an die diese Worte gerichtet waren, antwortete nicht. Der Richter aber rief: »Es ist höchste Zeit, unsere Abendmahlzeit einzunehmen. Ich lese in Remarkables Gesicht, daß im Nebenzimmer angerichtet ist. Monsieur le Quoi! Miß Temple ist bereit, Ihren Arm zu nehmen.«
»Ah! mein liebes Fräulein! Ich bin glücklich über diese Ehre«, sagte der höfliche Franzose.
Die Gesellschaft begab sich ins Eßzimmer, und nur Herr Grant und der Indianer John blieben noch zurück.
»John«, sagte der Geistliche, als sie allein waren, »morgen ist das Fest der Geburt unseres Erlösers. Die Kirche ruft ihre Kinder zum Gebete und zum Dank.
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