»Sie sind das erste bekannte Gesicht, das mir begegnet, seit wir aus dem Haus fuhren. Ich freue mich auch, das alte liebe Wirtshausschild wiederzusehen, das Richard Jones gemalt hat. Sie waren damals noch wegen des Namens verschiedener Meinung.«
»Sie meinen den kühnen Dragoner? Ja, wie hätten wir es denn nennen sollen, und…«
Da erblickte sie den Geistlichen. »Ist das nicht der neue Pfarrer Grant? Liebe Miß Lizzy, ich will Sie in der Kälte nicht länger aufhalten, sondern morgen nach dem Gottesdienst zu Ihnen kommen. Soll ich den Wacholderbranntwein heute abend für Sie zurechtmachen, Herr Major?«
Der Deutsche rief ihr seine Einwilligung zu, und der Schlitten fuhr jetzt wieder schneller weiter. Bald langten sie bei der Schule an, wo die Gesellschaft ausstieg und sich ins Haus hineinbegab.
Der lange Saal war ein höchst einfacher, schmuckloser Bau. Grob gearbeitete Bänke standen reihenweise geordnet, die Gemeinde aufzunehmen, während in der Mitte eine Art Verschlag von rohem, ungemaltem Holz als Kanzel angebracht war. Ein kleiner Mahagonitisch aus dem Herrenhaus, mit einem damastenen Tuche bedeckt, diente als Altar. Fichten- und Tannenzweige waren in alle Ritzen und Spalten der rohgezimmerten Wände gesteckt. Das lange, nur durch fünfzehn Lichter elend erleuchtete Zimmer, dessen Fensterladen nicht einmal geschlossen waren, würde einen höchst unbehaglichen und dunklen Raum für die kirchliche Feier eines Weihnachtsabends abgegeben haben, wenn nicht an jedem Ende ein hell brennendes Feuer wohltuende Wärme und Licht verbreitet hätte.
Eine Bank vorn bei der Kanzel nahm die Gesellschaft des Richters und seine Tochter auf, und außer Doktor Todd schien niemand anmaßend genug, einen dieser besten Plätze einnehmen zu wollen. Richard, in der Eigenschaft als Küster, nahm den Stuhl hinter einem anderen Tisch ein, und Benjamin postierte sich in der Nähe eines Feuers, um im Notfall bei der Hand zu sein.
Elisabeth bemerkte bald, daß sie mit dem Geistlichen die allgemeine Aufmerksamkeit der Versammlung teile. Daher wagte sie anfänglich nur verstohlen aufzublicken. Allmählich verstummte jedes Geräusch; man hörte nur das Prasseln der Feuer, und aller Augen waren auf den Geistlichen gerichtet.
Da erscholl ein starkes Fußstampfen von außen, als wenn Neuankommende den Schnee von den Füßen schüttelten, und gleich darauf erschien Mohegan, von Lederstrumpf und dem jungen Jäger begleitet. So leise sie auch durch den Saal schritten, erregte ihr Kommen dennoch Aufsehen. Der Indianer bewegte sich würdevoll durch die Menge, und als er neben dem Richter noch einen leeren Platz gewahrte, nahm er ihn ohne jede Scheu ein. Die wollene Decke fest um sich herumgeschlagen, so daß sie selbst einen Teil des Gesichts verbarg, saß er während des Gottesdienstes unbeweglich, aber aufmerksam. Natty setzte sich nahe bei einem Kamin auf ein Scheit Holz, die Büchse zwischen den Füßen. Er schien an unerfreuliche Dinge zu denken. Oliver hatte einen leeren Sitz bei der Gemeinde eingenommen, und zum zweitenmal trat eine tiefe Stille ein.
Jetzt erhob sich Herr Grant und begann den Gottesdienst mit den Worten der Propheten: »Der Herr ist in seinem heiligen Tempel, laßt die ganze Erde vor ihm schweigen!« Jones stand auf, um der Gemeinde dadurch ein Zeichen zum Aufstehen zu geben. Nach einer kurzen Pause begann Herr Grant, die Bitten der Liturgie zu lesen. Tiefe Stille herrschte um ihn herum, man hörte nur die volle, ergreifende Stimme des Pfarrers.
»Meine teuren Zuhörer!« - so schloß er seine Predigt, »wenn wir die große Verschiedenheit der menschlichen Charaktere bedenken, so kann es keine Verwunderung erregen, daß Glaubensformeln so ganz verschiedener Art aus einer Religion entstehen konnten, deren Offenbarungen durch die Jahrhunderte hindurch verdunkelt wurden. Doch für uns, meine Brüder, entspringt glücklicherweise der Brunnen der göttlichen Liebe aus einer so reinen Quelle, daß keine Verunreinigung möglich ist, und ich spreche hier nicht allein von der christlichen Liebe, die uns lehrt, den Bedürftigen beizustehen und den Leidenden zu trösten, sondern von der allgemeinen Menschenliebe, die uns auffordert, alle Menschen zu lieben, gerecht zu richten und keinen zu verdammen. Wie heilsam diese Lehre für uns ist, haben wir bereits dargetan. Möge Gott in seiner unendlichen Weisheit gewähren, daß sie uns und allen, die ihre Gebote und Liturgien wahrnehmen, auch in Zukunft von Nutzen sei.«
Mit dieser geschickten Anspielung auf die eigene Glaubensform der anglikanischen Kirche beschloß Herr Grant seine Predigt. Still und aufmerksam hatte man ihm zugehört. Die Gemeinde ging, nachdem sie von Herrn Grant eingesegnet worden war, still und mit allem Anstand auseinander.
Sechstes Kapitel
Herr Grant näherte sich mit einem jungen, fremden Mädchen dem Platz, wo der Richter und Elisabeth saßen, und stellte sie ihnen als seine Tochter vor. Die Begrüßung war freundschaftlich. Die beiden allein stehenden Mädchen fühlten sich zueinander hingezogen. Elisabeth, von der demütigen Bescheidenheit und dem lieblichen Ausdruck des Mädchens angenehm berührt, bemühte sich, die Schüchternheit der Fremden zu überwinden.
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