Ist da, ist lange da, geht vorbei. Und wieder
die Straße. Ein Mädchen kreischt: Ah tais-toi, je ne
veux plus. Die Elektrische rennt ganz erregt heran, darüber
fort, fort über alles. Jemand ruft. Leute laufen,
überholen sich. Ein Hund bellt. Was für eine
Erleichterung: ein Hund. Gegen Morgen kräht sogar ein Hahn,
und das ist Wohltun ohne Grenzen. Dann schlafe ich plötzlich
ein.
Das sind die Geräusche. Aber es giebt hier etwas, was
furchtbarer ist: die Stille. Ich glaube, bei großen
Bränden tritt manchmal so ein Augenblick äußerster
Spannung ein, die Wasserstrahlen fallen ab, die Feuerwehrleute
klettern nicht mehr, niemand rührt sich. Lautlos schiebt sich
ein schwarzes Gesimse voroben, und eine hohe Mauer, hinter welcher
das Feuer auffährt, neigt sich, lautlos. Alles steht und
wartet mit hochgeschobenen Schultern, die Gesichter über die
Augen zusammengezogen, auf den schrecklichen Schlag. So ist hier
die Stille.
Ich lerne sehen. Ich weiß nicht, woran es liegt, es geht
alles tiefer in mich ein und bleibt nicht an der Stelle stehen, wo
es sonst immer zu Ende war. Ich habe ein Inneres, von dem ich nicht
wußte. Alles geht jetzt dorthin. Ich weiß nicht, was
dort geschieht.
Ich habe heute einen Brief geschrieben, dabei ist es mir
aufgefallen, daß ich erst drei Wochen hier bin. Drei Wochen
anderswo, auf dem Lande zum Beispiel, das konnte sein wie ein Tag,
hier sind es Jahre. Ich will auch keinen Brief mehr schreiben. Wozu
soll ich jemandem sagen, daß ich mich verändere, bleibe
ich ja doch nicht der, der ich war, und bin ich etwas anderes als
bisher, so ist klar, daß ich keine Bekannten habe. Und an
fremde Leute, an Leute, die mich nicht kennen, kann ich
unmöglich schreiben.
Habe ich es schon gesagt? Ich lerne sehen--ja, ich fange an. Es
geht noch schlecht. Aber ich will meine Zeit ausnutzen.
Daß es mir zum Beispiel niemals zum Bewußtsein
gekommen ist, wieviel Gesichter es giebt. Es giebt eine Menge
Menschen, aber noch viel mehr Gesichter, denn jeder hat mehrere. Da
sind Leute, die tragen ein Gesicht jahrelang, natürlich nutzt
es sich ab, es wird schmutzig, es bricht in den Falten, es weitet
sich aus wie Handschuhe, die man auf der Reise getragen hat. Das
sind sparsame, einfache Leute; sie wechseln es nicht, sie lassen es
nicht einmal reinigen. Es sei gut genug, behaupten sie, und wer
kann ihnen das Gegenteil nachweisen? Nun fragt es sich freilich, da
sie mehrere Gesichter haben, was tun sie mit den andern? Sie heben
sie auf. Ihre Kinder sollen sie tragen.
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