Aus der Western and Somerset Bank Geld herauszuziehen, war so unvorstellbar, wie einem blinden Bettler das Geld wegnehmen zu wollen.

Trotzdem - Macfarlane war das Unmögliche geglückt; er hatte seinem Untergebenen Stoff zum Nachdenken geliefert.

12

Nach der Unterredung mit dem Obersten nahm der Wetter ein Taxi und fuhr nach Berkeley Square. In den letzten zwölf Monaten hatte er seinen Vater nicht oft besucht. Als er die kleine Bibliothek betrat, traf er Sir Godley, einen Kenner der italienischen Renaissance, bei der Korrektur einer Savonarola-Monographie an. Der Vater nahm die Brille ab und sah ihn forschend an.

»Ist dein Besuch amtlich oder ein Akt der Pietät?« »Keines von beiden.«

Der Wetter nahm aus einem silbernen Kästchen eine Corona und betrachtete sie kritisch.

»Ist das eine anständige Zigarre oder nur eine für deine Freunde?« »Du bist ein undankbarer Kerl!« sagte Sir Godley und lehnte sich im Stuhl zurück. »Zwei dieser Zigarren machen ein Tagesgehalt von dir aus.«

Arnold zog seinen Stuhl näher an den Schreibtisch heran. »Bist du Mitglied der Bankiervereinigung?« »Warum?«

»Beantworte meine Frage!«

»Die Bank ist selbstverständlich der Vereinigung angeschlossen, aber ich habe nichts damit zu tun. Weldon vertritt uns. Ich könnte in keinem Ausschuß sitzen, den Monkford präsidiert. Er ist zu ermüdend.« »Hast du je von der Bande des Schreckens gehört?«

»Ich habe schon von mancher Schreckensbande gehört. Aber du meinst wohl die, über die du neulich etwas in die Zeitung gesetzt hast? Nein, ich habe nichts von ihr gehört. Natürlich war mir Shelton ein Begriff. Er hat allerdings nie einen Penny aus meiner Bank herausgeholt.«

»Ein toter Mann - davon bin ich jedenfalls überzeugt«, sagte der Wetter so betont, daß der Vater stutzte. »Willst du ganz offen zu mir sein?« »Ich will es versuchen.«

»Wie kommt es, daß Clay Shelton nie versucht hat, deine Bank zu plündern?«

Sir Godleys Stirn legte sich in Falten.

»Ich weiß es nicht - vielleicht erschien ihm die Beuteaussicht bei uns nicht verlockend genug.« Er versuchte, das Gespräch in andere Bahnen zu lenken. »Arnold, wenn du glaubst, daß dir von deiner sogenannten Bande des Schreckens Gefahr droht, warum gibst du deine Arbeit nicht auf? Es liegt durchaus kein Grund vor, weshalb du deinen gegenwärtigen Beruf weiter ausüben solltest. Du hast deinen Spaß gehabt - ich nehme an, daß dein Beruf eine amüsante Sache ist -, doch da ich dir gerade jetzt eine gute Stelle bei der Bank anbieten kann...« Er vollendete den Satz nicht, als er den ungerührten Blick seines Sohnes sah.

»Das ist nun das zweite große Angebot, das du mir innerhalb Jahresfrist machst«, stellte der Wetter fest. »Als ich dir vor noch nicht ganz einem Jahr mitteilte, daß ich mich des Falls ›Clay Shelton‹ annehmen werde, botest du mir ein Jahresgehalt von zehntausend Pfund an. Ich sollte die Filiale in Südamerika übernehmen. Damals warst du genauso bemüht darum, daß ich meinen Beruf aufgebe, wie jetzt. Warum?«

Sir Godley schaute seinen Sohn nicht an. Er lachte, doch hinter dieser gespielten Belustigung lauerte Besorgnis.

»Du bist ein mißtrauischer Mensch geworden! Durch dieses Metier hast du jeden Glauben an die Menschheit verloren. Klingle mal, Arnold, ich möchte etwas zu trinken haben!«

Sie unterhielten sich noch eine Zeitlang über alle möglichen Vorkommnisse, doch Clay Shelton und die Bande des Schreckens wurden nicht mehr erwähnt. Es war schon Mitternacht, als Arnold seinen Vater verließ, der ihn bis zur Haustür begleitete.

Das Haus lag auf der westlichen Seite von Berkeley Square.

Der Verkehr vom Grosvenor Square nach Oxford Street wickelte sich auf der entgegengesetzten Seite ab.

»Warte, ich will nach einem Taxi telefonieren!« rief Sir Godley, als er die verlassene Straße sah.

Der Wetter lachte.

»Du wirst nervös, Vater! Und das ist auch der einzige erkennbare Grund, warum du willst, daß ich meinen Beruf aufgebe.«

Er wartete noch, bis die Tür ins Schloß fiel, und machte sich dann auf den Weg Richtung Oxford Street. Durch die Grünanlage in der Mitte des Platzes geisterten die Lichter der nach Norden und Süden fahrenden Wagen und Taxis. Das Trottoir, auf dem er ging, war menschenleer. Er hatte kaum fünfzig Yards zurückgelegt, als er jemand auf sich zulaufen sah. Das Licht der Straßenlaterne fiel auf die Gestalt - es war eine Frau.

›Pop!‹

Die Kugel zischte unangenehm nahe an ihm vorbei. Ohne Zweifel war mit einem Maximdämpfer geschossen worden. Auf der Fahrbahn stand plötzlich ein Mann. Hatte er auf die Frau geschossen? Im gleichen Augenblick zog Long seinen Browning, ohne den er nicht mehr ausging. Aber bevor er ihn hochreißen konnte, hatte sich die atemlos keuchende Frau in seine Arme geworfen.

»Retten Sie mich! Retten Sie mich!« rief sie.