Ob sie aber wohl des Tages ein oder zwo Meilen würde gehen künnen? dann wöllten wir uns gen Hamburg durchbitten zu meiner seligen Frauen ihrem Stiefbruder, Martin Behring so dorten ein fürnehmer Kaufmann ist.

Solliches kam ihr anfänglich seltsam für, inmassen sie wenig aus unserm Kapsel gekommen auch ihre selige Mutter und Brüderlein auf unserm Kirchhof lagen. »Wer dann ihr Grab aufmachen und mit Blumen bepflanzen söllte? item, da der Herre ihr ein glatt Gesicht gegeben, was ich thun wöllte, wenn sie in dieser wilden grimmigen Zeit auf der Landstraßen von dem umbherstreichenden Kriegsvolk und andern Lotterbuben angefallen würd, da ich ein alter schwacher Mann sei und sie nit schützen könnte, item womit wir uns für dem Froste schützen wöllten, da der Winter hereinbräch, und der Feind unsere Kleider geraubet, so daß wir ja kaum unsere Blöße decken künnten?« – Dieses Alles hatte ich mir noch nicht fürgestellet, mußte ihr also recht geben, und wurde nach vielem Disputiren beschlossen, daß wir zur Nacht die Sache wöllten dem Herrn überlassen, und was er am andern Morgen uns würde in das Herze geben, wöllten wir thun. Doch sahen wir wohl, daß wir auf keinerlei Weiß würden die alte Magd länger behalten können. Rief sie also aus der Küchen herbei, und stellete ihr für: daß sie morgen frühe zu guter Zeit sich nach der Liepen aufmachen möchte, dieweil es dorten noch zu essen hätte, und sie hier verhungern würd, angesehen wir selber vielleicht schon morgen den Kapsel und das Land verlaufen würden. Dankete ihr auch für ihre bewiesene Liebe und Treue, und bate sie endlich unter lautem Schluchzen meiner armen Tochter, sie wölle lieber nur sogleich heimblich hinweggehen, und uns beiden nicht das Herze durch ihren Abschied noch schwerer machen, angesehen der alte Paassch die Nacht auf dem Achterwasser wöllte fischen ziehen, wie er mir gesaget, und sie gewis gerne in Grüßow an das Land setzete, wo sie ja auch ihre Freundschaft hätte, und sich noch heute satt essen könnte. Aber sie kunnte vor vielem Weinen kein Wörtlein herfürbringen; doch da sie sahe, daß es mein Ernst war, ging sie aus der Stuben. Nit lange darauf hörten wir auch die Hausthüre zuklinken, worauf mein Töchterlein wimmerte: sie geht schon und flugs an das Fenster rannte, ihr nachzuschauen »Ja, schrie sie«, als sie durch die Scheiblein geblicket, »sie geht schon!« und rang die Hände und wollte sich nit trösten lassen. Endiglichen gab sie sich doch, als ich auf die Magd Hagar kam so Abraham auch verstoßen, und deren gleichwohl der Herr sich in der Wüsten erbarmet und darauf befahlen wir uns dem Herrn, und streckten uns auf unser Mooslager.

 

Fußnoten

 

1 Ist jetzt nicht mehr vorhanden.

 

2 Ein abgelegener Theil der Insel Usedom.

 

3 Plattdeutsch, für Schnitte.

 

4 Dieses entsetzliche Ereigniß führt auch Micraelius in seiner pommerschen Geschichte an.

 

5 wo nach Josephus dasselbe geschah.

 

6 Da! aber betet auch für mich, daß ich zu Hause komme, denn wenn man unterweges riechet, daß ich Brod habe, schlägt mich mein eigener Bruder todt, könnt Ihr glauben.

 

7 zur Saat vorbereitet, d.i. gepflügt und geeggt.

 

8 Laß Er daß nur ruhen und bete er nur für uns.

 

9 Da hat Er auch was, und wenn es verzehret ist, kann er noch einmal kommen.

 

10 etwa 16 Pfennige.

 

11 Schandpfahl.

 

12 glaube und du hast gegessen.

 

13 Braxen, Blei, ein zum Karpfengeschlecht gehöriger Fisch.

 

14 Rinde.

 

15 Dieb.

 

16 Warte, dir soll der Teufel die Arme ausreißen, komm mir nur wieder ins Haus.

 

17 ihr könnt ihr ja etwas vorpredigen, als ihr mir gethan habt.

 

18 kochen.

 

19 befahren bis zu dieser Stunde in kleinen Fahrzeugen (Polten und Quatzen) alltäglich das Achterwasser und kaufen dem Bauern die gefangenen Fische ab.

 

 

Capitel 9.

Wie mich die alte Magd mit ihrem Glauben demüthigt und der Herr mich unwürdigen Knecht dennoch gesegnet.

Lobe den Herrn meine Seele und was in mir ist, seinen heiligen Namen. Lobe den Herrn und vergiß nicht, was er dir Guts gethan hat. Der dir alle deine Sünde vergiebt, und heilet alle deine Gebrechen, der dein Leben vom Verderben erlöset, der dich krönet mit Gnade und Barmherzigkeit. Ps. 103.

Ach ich armer elender Mensch, wie soll ich alle Wohlthat und Barmherzigkeit fassen, so mir der Herre schon des andern Tages widerfahren ließe. Ich heulte für Freuden, wie sonst für Jammr, und mein Töchterlein tanzete in der Stuben wie eine junge Rehe, und wollte nit zu Bette gehen, wollte nur weinen und tanzen, wie sie sagete, und dazwischen den 103ten Psalm beten, und dann wieder weinen und tanzen, bis der Morgen anbrechen würd. Da sie aber noch merklich schwach war, untersagte ich ihr solchen Fürwitz angesehen dies auch hieße den Herrn versuchen, und nun merke man, was fürgefallen:

Nachdem wir beide mit großem Seufzen am Morgen erwacht waren und den Herrn angerufen, er wölle uns in unsern Herzen offenbaren, was wir thun söllten, konnten wir gleichwohl noch immer nicht an einen Beschluß kommen, dahero mein Kind vermahnete, so sie anders so viel Kräfte in sich verspüre, ihr Lager zu verlassen, und Feuer in den Ofen zu werfen, dieweilen unsere Magd weg sei. Wöllten nachhero die Sache ferner in Ueberlegung ziehen. Sie stand dahero auch auf, kehrete aber alsobald mit einem Freudengeschrei zurücke, daß die Magd sich wieder heimlich in das Haus geschlichen, und allbereits Feuer in den Ofen gestochen. Ließ sie mir also vors Lager kommen, und verwunderte mich über ihren Ungehorsam, was sie hier ferner wölle, als mich und mein Töchterlein noch mehr quälen, und warumb sie nicht gestern mit den alten Paassch gezogen? Aber sie lamentirte und jünsete1, daß sie kaum sprechen konnte, und verstand ich nur so viel: sie hätte mit uns gessen darumb wölle sie auch mit uns hungern und möcht ich sie nur nit verstoßen, sie könne nun einmal nit von der lieben Jungfer lassen, so sie schon in der Wiegen gekennet. Solche Lieb' und Treue erbarmete mich so, daß ich fast mit Thränen sprach: aber hastu nit gehöret daß, mein Töchterlein und ich entschlossen seind, als Bettlersleute ins Land zu gehen, wo wiltu denn bleiben? Hierauf gab sie zur Antwort, daß sie nit wölle, angesehen es gebührlicher2 vor sie, als vor uns wäre, schnurren3 zu gehen. Daß sie aber noch nit einsäh, warumb ich schon wöllte in die weite Welt ziehen. Ob ich schon vergessen, daß ich in meiner Antrittspredigt gesaget: daß ich bei meiner Gemein in Noth und Tod wölle verharren. Möchte dannenhero noch ein wenig verziehen, und sie selbsten einmal nach der Liepen senden dieweilen sie hoffe, bei ihrer Freundschaft und anderswo was rechtes für uns aufzutreiben. Solche Rede, insonderheit von meiner Antrittspredigt fiel mir fast schwer aufs Gewissen, und ich schämete mich für meinen Unglauben, sintemalen nicht allein mein Töchterlein, besondern auch meine Magd einen stärkern Glauben hätten denn ich, der ich doch wöllte ein Diener beim Worte sein. Erachtete also, daß der Herr um mich armen, furchtsamen Miethling zurücke zu halten, und gleicher Weiß mich zu demüthigen diese arme Magd erwecket, so mich versuchen gewußt wie wailand die Magd im Pallast des Hohenpriesters den furchtsamen St. Petrum. Wandte dahero wie Hiskias mein Angesicht gen die Wand und demüthigte mich vor dem Herrn, was kaum geschehen als mein Töchterlein abermals mit einem Freudengeschrei zur Thüren hereinfuhr. Siehe ein christliches Herze war zur Nacht heimlich ins Haus gestiegen und hatte uns zwo Brode, ein gut Stück Fleisch, einen Beutel mit Grütze item einen Beutel mit Salz, bei einer Metzen wohl, in die Kammer gesetzet. Da kann nun männiglich gießen, welch groß Freudengeschrei wir allesammt erhoben. Auch schämete mich nit, für meiner Magd meine Sünden zu bekennen, und in unserm gemeinen Morgengebet, so wir auf den Knieen hielten, dem Herrn aufs Neu Gehorsam und Treu zu geloben. Hielten dannenhero diesen Morgen ein stattlich Frühstück und schickten noch Etwas an den alten Paassch aus; item ließ mein Töchterlein nun wieder alle Kinderlein kommen, und speisete sie, bevorab sie aufsagen mußten, erst mildiglich mit unserm Fürrath.