Allein Sie werden allezeit denken, ich erzähle Ihnen eine Fabel. Gegen acht Uhr steht sie auf. Und sobald sie den Fuß in den Pantoffel setzet: so fängt sie auch an zu singen. Singend nun kämmt sie zuerst den Mops. Singend versorget sie ihre Katze. Singend füttert sie den Kanarienvogel. Singend besucht sie ihre beiden brabantischen Hühner. Und sobald es neune schlägt: so hört sie auf zu singen, wenn es auch mitten in dem Gesätze eines Liedes wäre.

FERDINAND. Warum denn das?

LORCHEN. Es ist ihre Ordnung so. Sie will stundenweise, und nicht anders, singen und beten. Sobald es also neune schlägt, so läuft sie, was sie kann, damit sie, ehe es ganz ausschlägt, schon an ihrem Gebettische sitzt.

FERDINAND. Der Himmel nähme es gewiß nicht übel, wenn sie auch erst nach dem Schlage käme. Sie kann wohl nie spät genug kommen.

LORCHEN. Von neun bis zehn Uhr liest sie erst drei Morgensegen.

FERDINAND. Warum denn drei, und nicht mehr oder weniger?

LORCHEN. Weil sie drei verschiedene Gebetbücher hat, die ihr alle drei gleich lieb und die auch alle drei mit Silber beschlagen sind. Eins hat sie von ihrer seligen Frau Pate zum Geschenke, eins von ihrem seligen Manne vor vierzig Jahren zum Mahlschatze und das dritte aus dem väterlichen Erbe bekommen. – Dieses letzte ist, wie sie erzählt, in drei Häusern mit abgebrannt und doch keinmal verbrannt. Die Schalen sind zwar etwas versehrt worden; allein dem Drucke hat das Feuer mit aller seiner Macht nichts anhaben können.

FERDINAND. Der Buchbinder muß gewiß nicht so fromm als der Buchdrucker gewesen sein, weil der Band nicht im Feuer ausgehalten hat.

LORCHEN. Um des Himmels willen! Ich höre jemanden oben auf dem Saale reden. Wenn es vier geschlagen hat: so ist's gewiß die Frau Muhme. Ich muß gehen. Denn wenn sie mich mit Ihnen allein sähe: so würde sie nicht viel Gutes von uns denken.[450]

 

Zweiter Auftritt

Frau Richardin. Ferdinand.

 

FRAU RICHARDIN. Sind Sie schon da, Herr Vetter? Das ist mir lieb.

FERDINAND. Ja, liebe Frau Muhme, ich habe mit Fleiß geeilt, Ihnen meine Aufwartung zu machen, weil wir ohnedem vor der Versprechung noch eins und das andre wegen des Brautschatzes zu reden haben. Diesen Punkt wollen wir unmaßgeblich gleich in Richtigkeit bringen.

FRAU RICHARDIN. Ach! lieber Herr Vetter, wenn ich nur auch heute zu einer Sache geschickt wäre, die so viele Überlegung erfordert.