Ich muß meine Umstände wohl in Erwägung ziehen. Ich bin gar nicht so reich, als mich die Leute ausschreien. Ich muß erst sehen, was ich entbehren kann. Und gleichwohl bin ich heute so unruhig, daß ich meine Umstände schwerlich mit Bedacht werde übersehen können. Wieviel Sorge und Not macht einem nicht die Welt! Das gottlose Volk kommt gar und stört einen im Beten, in der größten Andacht; da soll man nicht unwillig, nicht betrübt in seiner Seele werden!

FERDINAND. Ja, ja, die Welt ist böse. Aber liebe Frau Muhme, wir müssen morgen unumgänglich wieder fort, das ist Ihnen bekannt. Sie haben uns drei Tage nacheinander auf den heutigen Tag vertröstet. Und Herr Simon würde zu bedauern sein, wenn er eine so weite und kostbare Reise hätte umsonst tun sollen.

FRAU RICHARDIN. Nein, nein, das nicht! Aber, bedenken Sie nur, Herr Vetter, ob man nicht alle Gelassenheit verlieren muß. Ich lese gleich in der Bibel: so kommt ein Bettler und klopft ordentlich an meinem Vorsaale an und stört mich in der größten Andacht.

FERDINAND. Es ist nicht recht. Doch der arme Mann wird nicht gewußt haben, daß Sie in der Bibel lesen.

FRAU RICHARDIN. Ich lese ja laut, recht laut, damit ich alle Leute in meinem Hause durch meine Erbauung erbaue. Hätte er das nicht hören können? Der gottlose Bettler! Ein noch so junger Mensch schämt sich nicht zu betteln! Die Ruchlosigkeit war recht in seinem Körper abgezeichnet. Warum kann er denn nicht arbeiten, wenn er nichts zu leben hat? Ein Hochedler Rat sollte doch auch das Bettlermandat ... Ich mag nicht reden. Ich habe mich geärgert, daß ich zittre.

FERDINAND. Ich bedaure Sie, Frau Muhme. Aber Sie tun sich durch Ihren Zorn Schaden. Denken Sie nicht daran! Wir wollen zur Sache kommen, und die Mitgift ...[451]

FRAU RICHARDIN. Man möchte vor Ärgernis des Todes sein. Es ist kein Zorn. Ich eifre nur über die Bosheit des Bettlers, der aus Faulheit, aus Wollust müßig geht und andre Leute in der Andacht stört und sie um ihren Nährpfennig bringen will. Eine Hand ohne Finger! Nun? Es war ja nur die linke. Kann er denn nicht mit der rechten arbeiten? Diese war ja so gesund als die meinige. Ich will nicht richten; aber wer weiß, warum ihn Gott so gezeichnet hat, an dem rechten Fuße war er auch lahm. Die Ruchlosigkeit und ein krüpplichter Körper sind immer beisammen. Vergebe mir's Gott! Ich will gerne gelogen haben.

FERDINAND. Liebe Frau Muhme, urteilen Sie nicht so strenge.