Die Frau Nachbarin will gern ein Wort mit Ihnen sprechen.
FRAU RICHARDIN. Nehmen Sie es nicht übel, Herr Vetter, daß ich Sie auf eine kurze Zeit verlassen muß. Es ist eine Priesterwitwe, der ich einen Liebesdienst erweisen soll. Lorchen, bleiben Sie doch indessen bei dem Herrn Vetter, daß ihm die Zeit nicht lang wird. Sie geht ab.
Vierter Auftritt
Lorchen. Ferdinand.
LORCHEN. Wissen Sie wohl, worin der Liebesdienst besteht, den sie der Priesterwitwe erzeigt? Es ist eine rechtschaffene Frau, die keinen Fehler hat, als daß sie blutarm ist. Sie hat eine goldene Kette, als ihren ganzen Reichtum, bei der Frau Richardin für sechzehn Taler versetzt und muß ihr alle Wochen für den Taler einen Pfennig Zinsen geben. In dieser Angelegenheit, nämlich ihre Zinsen abzutragen, kömmt sie alle vierzehn Tage her; denn länger sieht ihr die Frau Muhme nicht nach.[453]
FERDINAND. Ist das möglich, daß Gott erbarm? Meine Frau Muhme soll ein Kapital von dreißigtausend Talern haben, und sie nimmt von so einer armen Frau wöchentlich für sechzehn Taler sechzehn Pfennige Zinsen? Und sie untersteht sich noch, zu beten oder mit dem lieben Gott zu reden?
LORCHEN. Ich glaube auch, daß sie durch ihr vieles Beten sich bloß den Himmel zum Freunde machen will, damit er ihr erlauben soll, nach ihrem Gefallen zu handeln. Soll ich Ihnen etwa weiter erzählen, wie sie den Tag zubringt?
FERDINAND. Ich bitte Sie von Herzen, sagen Sie mir ja nichts mehr! Ich kenne nun meine Frau Muhme völlig, und ich wollte die Ehre, mit einer so heiligen Frau verwandt zu sein, gerne frömmern Leuten überlassen, als ich bin. Wenn es viel solche andächtige Weiber hierzulande gibt: so sollte man erlauben, daß man, der Andacht wegen, auf die Ehescheidung dringen dürfte.
LORCHEN. Ich will es ganz kurz machen. Wir blieben bei den drei Morgensegen stehen. Wenn diese vorbei sind: so liest sie aus den andern Büchern noch drei Gebete, erstlich eins wider die Unkeuschheit, und –
FERDINAND. Meine Frau Muhme muß ja wohl nahe an sechzig Jahre sein?
LORCHEN. Dieses hat nichts zu bedeuten. Ein Gebet also wider die Unkeuschheit, eins wider die Verschwendung, und –
FERDINAND. Eine Frau, die einem Manne, der an Hand und Fuß lahm ist, nicht einen Dreier zu geben sich entschließen kann, betet, daß sie Gott vor der Verschwendung verwahren soll?
LORCHEN. Lassen Sie mich doch ausreden! Eins wider die Verschwendung und eins, daß sie Gott nicht in der Hälfte ihrer Tage wegnehmen soll. Und diese Gebete florieren jahraus, jahrein bei ihr. Und in dieser Andacht darf sie kein Mensch, keine lebendige Seele stören, außer ihr Mops, der hat die Freiheit, auf ihrem Tische und auf den Gebetbüchern herumzuspazieren.
FERDINAND. Hat sie nicht etwa auch die Katze bei sich liegen?
LORCHEN. Jawohl. Die Katze hätte ich bald vergessen. Diese kommt nicht von ihrer Seite. Und die Frau Muhme bleibt beständig dabei, daß das Tier Menschenverstand hätte, weil es ihr im Beten so aufmerksam zuhörte.
FERDINAND. Vielleicht ist es auch die Katze allein, die sie durch ihre Andacht erbaut und betrügt.
LORCHEN.
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