Das Testament - von dem er, wie sie glaubte, nichts wußte -, es würde eine böse Überraschung für ihn sein. Schade, daß sie nicht dabeisein konnte - seine ohnmächtige Wut...
Die Tür wurde einen Spalt geöffnet, jemand unterhielt sich mit der Krankenschwester im Flüsterton, dann trat Digby ins Zimmer.
»Wie geht es dir heute, Mutter?« fragte er liebenswürdig.
»Sehr gut, mein Junge, es geht mir wirklich gut ...« Ihre Stimme zitterte. »Willst du nicht Platz nehmen?« Sie sah sich ängstlich nach der Krankenschwester um, aber sie hatte das Zimmer schon verlassen. »Würdest du die Pflegerin rufen? Ich brauche sie, mein Junge.«
»Das kann warten«, antwortete er kalt. »Ich muß noch einiges mit dir besprechen, bevor sie zurückkommt. Zuerst möchte ich wissen, warum du ein Testament zugunsten Estremedas gemacht und mich mit lumpigen zwanzigtausend Pfund abgefunden hast?«
Sie brach unter diesem Schlag beinah zusammen und wimmerte kläglich.
»Ein Testament, mein Junge? Mein Gott, wovon sprichst du?«
»Von dem Testament, das du gemacht und in deinem Geheimfach versteckt hast. Sage mir jetzt bloß nicht, daß es ein Scherz war oder daß du nicht bei Verstand warst, als du es tatest. Ich will die Wahrheit hören!«
»Ich habe das Testament schon vor vielen Jahren gemacht - ich dachte damals, daß mein ganzes Vermögen nicht mehr als zwanzigtausend Pfund betrage ...«
»Du lügst! Du hast das Testament gemacht, um dich an mir zu rächen.«
Bleich vor Schrecken und Angst sah sie ihn an.
»Ich habe es verbrannt«, fuhr Digby fort. »Und wenn du Miss Weldon siehst, die dabei war, als ich es vernichtete, wünsche ich, daß du ihr erzählst, das Testament sei gemacht worden, als du nicht ganz richtig im Kopf warst!«
Mrs. Groat konnte nicht sprechen, ihr Unterkiefer zitterte, sie dachte nur daran, wie sie die Aufmerksamkeit der Krankenpflegerin auf sich lenken könnte.
»Stell meinen Stuhl ans Bett, Digby«, bat sie schwach, »das Licht ist hier zu grell.«
Er zögerte erst, aber dann erfüllte er ihren Wunsch. Als er sie nach der Klingel tasten sah, die am Bett angebracht war, lachte er spöttisch.
»Du kannst deine verdammte Krankenschwester ja nicht ewig hier festhalten! Aber keine Angst, es geschieht dir nichts! Denk jetzt lieber daran, was ich dir gesagt habe, und tu, was ich wünsche - in ein paar Minuten schicke ich Miss Weldon unter dem Vorwand zu dir, daß du ihr Aufträge geben willst und daß sie einige Briefe für dich zu beantworten hat. Hast du mich verstanden?«
Als Eunice ins Krankenzimmer kam, fand sie Mrs. Groat unruhig und schlecht aussehend. Gehässige Blicke trafen sie, als sie an den Rollstuhl herantrat.
Die alte Frau vermutete, daß Eunice das Testament gefunden hatte, und haßte sie deshalb. Nur die Furcht vor ihrem Sohn war noch größer. Sie übergab ihr einige Briefe, die zu beantworten waren, und als Eunice das Zimmer verlassen wollte, hielt sie sie zurück.
»Nehmen Sie Platz, Miss Weldon - ich will noch ein paar Worte mit Ihnen über das Testament sprechen, das Sie gefunden haben. Es ist gut, daß Sie es entdeckten, denn ich hatte vergessen, daß ich es aufsetzte. Sehen Sie, mein Fräulein, manchmal leide ich an einer merkwürdigen Gedächtnisschwäche, und -und - dieses Testament habe ich aufgesetzt, als ich einen solchen Anfall ...« Sie sprach stockend und abgerissen.
»Ich verstehe Sie vollkommen, Mrs. Groat«, sprang ihr Eunice bei, »Ihr Sohn hat mir schon alles erklärt.«
»So, hat er das?« Sie sah zum Fenster hinaus. Eunice wartete, daß sie das Zimmer verlassen könnte. Unvermutet fragte Mrs. Groat:
»Sind Sie mit meinem Sohn sehr befreundet?«
»Nicht besonders, Mrs. Groat.«
»Nun, dann wird es bestimmt noch kommen ...« Sie sagte das mit einer so hämischen, niederträchtigen Betonung, daß Eunice erstarrte.
16
Jim liebte London. Er liebte auch New York, die Stadt aus Stahl und Beton, in der sentimentale Menschen lebten, die wie Tyrannen aussahen. Nichts konnte mit dem Leben in New York verglichen werden. Aber London blieb London, es war schön und verkörperte für ihn die Geschichte der Welt, das Symbol der Zivilisation.
Er machte einen Umweg und ging durch Covent Garden. Er hätte den ganzen Morgen hier zubringen können, aber er mußte ins Büro.
»Haben Sie Nachforschungen nach der Firma Selenger angestellt?« war die erste Frage Mr. Salters.
Jim mußte zugeben, daß er es vergessen hatte.
»Es wäre sehr wichtig, wenn Sie wüßten, wer die Leute sind. Unter Umständen werden Sie entdecken, daß Digby Groat oder seine Mutter dahinterstecken. Schließlich gehörte das Gebäude früher Jonathan Danton.
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