Nur etwas weniges. Predigt er denn von so vielerlei Dingen?

AMME. Nein, fast immer von denselben.

DIANORA. Von was?

AMME. Von der Ergebung in den Willen des Herrn.

 

Dianora sieht sie an, nickt.

 

AMME. Gnädige Frau, du mußt verstehen, das ist alles.

DIANORA. Wie, alles?

AMME während des Redens mit den Blumen beschäftigt. Er sagt, es liegt darin alles, das ganze Leben, es gibt sonst nichts. Er sagt, es ist alles unentrinnbar, und das ist das große Glück, zu erkennen, daß alles unentrinnbar ist. Und das ist das Gute, ein anderes Gutes gibt es nicht. Die Sonne muß glühen, der Stein muß auf der stummen Erde liegen, aus jeder lebendigen Kreatur geht ihre Stimme heraus, sie kann nichts dafür, sie kann nichts dawider, sie muß.

 

Dianora denkt nach wie ein Kind. Amme geht vom Fenster weg. Pause.

 

DIANORA.

Wie abgespiegelt in den stillsten Teich

liegt alles da, gefangen in sich selber.

Der Efeu rankt sich in den Dämmer hin

und hält die Mauer tausendfach umklommen,

hoch ragt ein Lebensbaum, zu seinen Füßen

steht still ein Wasser, spiegelt, was es sieht,

und aus dem Fenster über diesen Rand

von kühlen, festen Steinen beug ich mich

und strecke meine Arme nach dem Boden.

Mir ist, als wär ich doppelt, könnte selber

mir zusehn, wissend, daß ichs selber bin –

 

Pause.

 

Ich glaube, so sind die Gedanken, die

ein Mensch in seiner Todesstunde denkt.

 

Sie schaudert, macht das Kreuz.

 

AMME ist schon früher wieder an ihr Fenster gekommen, hat eine Schere in der Hand, schneidet dürre Ästchen von den Blumenstöcken.

Nun aber bin ich fertig mit den Blumen,

und eine gute Nacht, gnädige Frau!

DIANORA erschreckend.

Wie? Amme, gute Nacht, leb wohl. Mich schwindelt.

 

Amme geht weg.

 

DIANORA sich aufrüttelnd.

Amme!

 

Amme kommt wieder.

 

DIANORA.

Wenn der Bruder morgen predigt,

geh ich mit dir.

AMME.

Ja, morgen, gnädige Frau,

wenn uns der liebe Gott das Leben schenkt.

DIANORA lacht.

Ja freilich. Gute Nacht.

 

Lange Pause.

 

DIANORA.

Nur seine Stimme

hat dieser fremde Mönch, da laufen ihm

die Leute zu und hängen sich an ihn,

wie Bienen an die dunklen Blütendolden,

und sagen: »Dieser Mensch ist nicht wie andre,

er macht uns schauern, seine Stimme löst

sich auf und sinkt in uns hinein, wir sind

wie Kinder, wenn wir seine Stimme hören.«

O hätt ein Richter seine helle Stirn,

wer möchte dann nicht knieen an den Stufen

und jeden Spruch ablesen von der Stirn!

Wie süß, zu knieen auf der letzten Stufe

und sein Geschick in dieser Hand zu wissen!

In diesen königlichen guten Händen!

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Und seine Fröhlichkeit! wie wundervoll

zu sehn, wenn solche Menschen fröhlich sind!

– – – – Er nahm mich bei der Hand und zog mich fort,

und wie verzaubert war mein Blut, ich streckte

die linke Hand nach rückwärts und die andern

hängten sich dran, die ganze lange Kette

von Lachenden! Die Lauben flogen wir

hinab und einen tiefen steilen Gang,

kühl wie ein Brunnenschacht, ganz eingefaßt

von hundertjährigen Zypressen, dann

den hellen Abhang: bis an meine Knie

berührten mich die wilden warmen Blumen,

wie wir hinliefen wie ein heller Windstoß,

und dann ließ er mich los und sprang allein

hinan die Stufen zwischen den Kaskaden:

Delphinen sprang er auf die platte Stirn,

an den im Rausch zurückgeworfnen Armen

der Faune hielt er sich, stieg den Tritonen

auf ihre nassen Schultern, immer höher,

der wildeste und schönste Gott von allen!

Und unter seinen Füßen flog das Wasser

hervor und schäumte durch die Luft herab

und sprühte über mich, und ich stand da,

und mir verschlang der Lärm des wilden Wassers

die ganze Welt. Und unter seinen Füßen

kam es hervor und sprühte über mich!

 

Pause, Man hört Schritte in der Ferne.

 

DIANORA.

Ss! Schritte! nein, es ist noch viel zu früh

und doch! und doch!

 

Langes Warten.

 

Sie kommen!

 

Pause.

 

Kommen nicht.

O nein, sie kommen nicht. Und wie sie schlürfen.

Nun schlürfen sie den Weinberg dort hinab,

und taumeln. Dort sind Stufen. Ein Betrunkner!

Bleib auf der Landstraße, betrunkner Mensch!

Was willst du zwischen unsern Gärten hier?

Heut ist kein Mond, wär Mond, wär ich nicht hier!

Die kleinen Sterne flimmern ruhelos

und zeigen keinen Weg für deinesgleichen.

Geh heim, auf einen Trunknen wart ich auch,

doch nicht vom schlechten Wein, und seine Schritte

sind leichter als der leichte Wind im Gras

und sichrer als der Tritt des jungen Löwen.

 

Pause.

 

Doch sind es martervolle Stunden! Nein!

Nein, nein, nein, nein, so schön, so gut, so schön!

Er kommt: o weit im Wege ist er schon!

Der letzte Baum dort drunten sieht ihn schon,

vielmehr er könnt ihn sehen, wäre nicht

der lange Streifen schattenhafter Sträucher

dazwischen – und wenns nicht so dunkel war.

 

Pause.

 

Er kommt! so sicher, als ich jetzt die Leiter

an diesen Haken binde, kommt! so sicher,

als leise raschelnd jetzt ich sie hinunter,

hinunter gleiten lasse, als sie jetzt

verstrickt ist im Gezweig, nun wieder frei,

so sicher, als sie hängt und leise bebt,

wie ich hier hänge, bebender als sie ...

 

Sie bleibt lange so über die Brüstung gebeugt liegen. Auf einmal glaubt sie zu hören, wie hinter ihr der Vorhang zwischen ihrem Balkon und dem Zimmer zurückgeschlagen wird. Sie dreht den Kopf und sieht, wie ihr Mann in der Türe steht. Sie springt auf, ihre Züge verzerren sich in der äußersten Todesangst. Messer Braccio steht lautlos in der Tür. Er hat ein einfaches dunkelgrünes Hausgewand an, ohne alle Waffen; niedrige Schuhe. Er ist sehr groß und stark. Sein Gesicht ist so, wie es auf den alten Bildnissen von großen Herren und Söldnerkapitänen nicht selten vorkommt. Er hat eine übermäßig große Stirn und kleine dunkle Augen, dichtes kurzgeringeltes schwarzes Haar und einen kleinen Bart rings um das Gesicht. Dianora will sprechen, kann nicht, sie bringt keinen Laut aus der Kehle).

Messer Braccio winkt, sie soll die Leiter einziehn.

Dianora tut es automatisch, rollt sie zusammen, läßt das Bündel wie bewußtlos vor ihren Füßen niederfallen.

Braccio sieht ihr ruhig zu; dann greift er mit der

rechten Hand nach der linken Hüfte, auch mit der linken Hand, sieht hinunter, bemerkt, daß er keinen Dolch hat.