« –
Und ihre Finger fügen jetzt geschickt
zu krausem Kranze Rose an um Rose,
auch welke Blätter sind hineingestickt.
Sie legt ihn auf das Haupt, das regungslose
aus leeren Augen ihr entgegenblickt,
dann klatscht sie in die Hände, lacht und nickt:
»Bravissimo, die echte Königspose!«
Schon kommt der Morgen nach den Scheiben zielen;
die ersten Speere stecken in den Dielen
hell, wie sie just durchs fahle Fenster fielen.
Und gegenüber schmilzt schon auf dem Dach
die Dämmerung. Da gähnt das Weib sich wach
und steckt das Kleid sich auf, das Gierde jach
ihr von der Schulter riß. Dann denkt sie nach
und friert und gähnt: »Willst du noch König spielen?«
Sie zerrt ihn auf und murmelt: »Toller Tropf,
willst du mit deiner Krone auf dem Kopf
bei Tage heut nach Haus spazieren gehn?«
Er starrt sie an und kann sie nicht verstehn.
Da streift sie ihm mit mürrischem Gebaren
den dürren Herbstkranz aus den schwarzen Haaren.
Er starrt sie an – und weint, wie von der Stirne
die letzte morgenwelke Rose fällt:
»Wir sind der ewge Erbfluch dieser Welt:
Der ewige Wahn ich – du die ewige Dirne. « –
VENEDIG
Die junge Nacht liegt wie ein kühler Duft
auf dem Canal, und grauer nun und greiser
sind die Paläste und die Gondeln leiser,
als führte jede einen toten Kaiser
in seine Gruft.
Und viele fahren, aber eine schwenkt
jetzt scheu und ängstlich in die tiefsten Gassen,
weil tiefste Liebe oder tiefstes Hassen
ihr Steuer lenkt.
Vor einem Marmorhaus mit staubger Zier
drängt sie sich horchend an die Wappenpfähle.
Und lange ruhte keine Gondel hier.
Die Stufen warten. – Fern aus heller Kehle
am Canal grande singt ein Gondolier,
und suchend irrt sein Lied durch die Kanäle.
Der Fremde steht und trinkt den Klang voll Gier,
in lauter Lauschen löst sich seine Seele:
Vorrei morir … .
Der Abend zog vorbei am Erdgeschoß
des Dogenhofs, und die Reflexe rannten
hin wie ein Schwarm von wunden Flagellanten.
Er aber stand so einsam ernst und groß
am Fuß der stolzen Treppe der Giganten,
und seiner Blicke dunkle Bogen spannten
sich nach dem Fenster, dessen Flächen brannten:
sie heißen es das Fenster Pellico’s.
Er nickte leise, so als stände jener
noch dort, der einst in ewig öder Haft
ergeben wie ein echter Nazarener
verzichtete auf Zorn und Kampf und Kraft.
Vielleicht giebt er den Gruß zurück und rafft
des Vorhangs Falten. Wenn noch seinen Namen
Verliebte, 〈die〉 des Wegs vorüberkamen,
zusammenträumen mit den Sündendramen,
erschien er hoch im heißen Fensterrahmen,
er lächelte das Lächeln einer zahmen
in Fesseln müd gewordnen Leidenschaft. –
Und jener unten lächelte es mit.
Dann stieg er stufenan mit scheuem Schritt
und stand oft still, im vollen Abendscheine,
drin die Arkaden, wie versteinte Haine,
zu harren schienen, daß er sie durchweine,
so traurig war er; denn es war der Eine,
der immer dankte, wenn er sprach: ich litt.
Sein Haupt war schwer, und schweren Fußes ging
er in die leeren Marmorbogengänge,
an denen wie vergessenes Gepränge
der rote, raschverwelkte Abend hing.
Ihn fröstelte, und hastig ward sein Schreiten,
das bang erklang im hallend langen Gang.
Vor seiner eignen Lehre war ihm bang:
vor jener Lehre der Vergänglichkeiten.
Sie wuchs um ihn in säulenstarrem Hohne:
so wächst der Zorn dem rachegieren Sohne,
der aus des greisen Vaters feiger Frohne
zu eignem Wort und eignem Weh sich wand.
Er lief zuletzt. Und wie gerettet stand
er endlich still auf einsamem Balkone
und lauschte, was in langem, leisem Tone
die matte Woge sang dem Abendland.
Da knistert neben ihm ein Schleppgewand:
und bei ihm kniet in hoher Mützenkrone
mit weißem Bart ein purpurner Padrone,
und leise faltet sich die Hand zur Hand.
Und Jesus nickt und fragt den alten Mann:
»Schwarz ist der Hafen. Wo sind eure Feste?
Giebts keine Gäste mehr? An die Paläste
legt niemals mehr der bunte Jubel an?
Ich warte schon so lange, wo sind sie
die mich verehrt, die wundersamen Alten
mit Silberbärten, lang und tiefgespalten –
die Vendramin und Papadopoli.
Ich weiß: die Nacht bewohnt in euren kalten
Palästen jetzt das beste Prunkgemach.
Denn ihr seid lang gestorben, und den Jungen
ist Lied und Lachen gar so bald verklungen
in einer Zeit, die nur mit Eisen sprach.
Jetzt sind die Gassen alle kalt und brach,
und Trauer nur, in halbem Traum gesungen,
langt oft den flüchtenden Erinnerungen
aus einem engen grauen Hause nach.
Von keinem Landen wissen eure Stufen,
und alles kam, wie es die Vorsicht will.
Der Hochmut hohe Häuser starben still,
und nur die Kirchen dauern noch und rufen. «
»Ja, Herr«, spricht jetzt der Doge und entfaltet
die Hände nicht. »Des Todes Ohnmacht waltet
mit tausend tiefen Schauern über uns.
Und deine Glocken locken lauten Munds.
Du giebst noch immer große, reiche Feste
und machst, daß deine gernbereiten Gäste
in deinen Hallen Elend und Gebreste
vergessen und wie Kinder selig sind.
Und jedes Volk, das gerne noch als Kind
sich fühlen mag, folgt in die Prachtpaläste
die du ihm aufgetan und betet blind.
Doch ich bin alt. Ich seh die Zeiten rollen
bis in den Tag, da keine Völker mehr
wie Kinder sein und Kinder spielen wollen;
denn mögen alle deine Glocken grollen,
dann bleibt auch dein Palast für ewig leer. «
Der Alte schwieg. Wie betend blieb er knien.
Sternknospen sprangen an den Himmelsachsen.
Und dieses Knien schien weit hinauszuwachsen
vorbei an Christo und weit über ihn …
〈JUDENFRIEDHOF〉
Ein Maienabend. – Und der Himmel flittert
vor lauter Lichte. Seine Marken glühn.
Die grauen Gräbersteine, moosverwittert,
deckt jetzt der Frühling mit dem besten Blühn;
so legt die Waise – und ihr Händchen zittert –
auf Mutters totes Antlitz junges Grün.
Hier dringt kein Laut her von der Straße Mühn,
fernab verlieren sich die Tramwaygleise,
und auf den weißen Wegen wandelt leise
ins rote Sterben träumerisch der Tag.
Der alte Judenfriedhof ists in Prag.
Und Dämmer sinkt ins winklige Gehöf,
drin Spiro schläft, der Held im Schlachtenschlagen,
und mancher weise Mann, von dem sie sagen,
daß zu der Sonne ihn sein Flug getragen,
voran der greise hohe Rabbi Löw,
um den noch heut verwaiste Jünger klagen. –
Jetzt wird ein Licht wach in des Torwarts Bude,
aus deren schlichtem Eisenschlote raucht
ein karges Mahl. – Bei Liwas Grabe taucht
jetzt langsam Jesus auf. Der arme Jude,
nicht der Erlöser, lächelnd und erlaucht.
Sein Aug ist voll von tausend Schmerzensnächten,
und seine schmale blasse Lippe haucht:
»Jehovah – weh, wie hast du mich mißbraucht,
hier wo der treuste ruht von deinen Knechten,
hier will ich, greiser Gott, jetzt mit dir rechten! –
Denn um mit dir zu kämpfen kam ich her.
Wer hat dir Alles denn gegeben, wer? –
Der Alten Lehre hatte mancher Speer
aus Feindeshand ein blutend Mal geschlagen, –
da brachte ich mein Glauben und mein Wagen,
da ließ ich neu dein stolzes Gottbild ragen
und gab ihm neue Züge, rein und hehr.
Und in der Menschen irres Wahngewimmel
warf deinen Namen ich – das große »Er «.
Und dann von tausend Erdensorgen schwer
stieg meine Seele in den hohen Himmel,
und meine Seele fror; denn er war leer.
So warst du niemals – oder warst nicht mehr,
als ich Unsel’ger auf die Erde kam.
Was kümmerte mich auch der Menschheit Gram,
wenn du, der Gott, die Menschen nicht mehr scharst
um deinen Thron. – Wenn gläubiges Gefleh
nur Irrsinn ist, du nie dich offenbarst,
weil du nicht bist. – Einst wähnt’ ich, ich gesteh,
ich sei 〈die〉 Stimme deiner Weltidee … …
Mein Alles war mir, Vater, deine Näh …
Du Grausamer, und wenn du niemals warst,
so hätte meine Liebe und mein Weh
dich schaffen müssen bei Gethsemane. «
… … … … … … … … … … … … … .
Im Wärterhäuschen ist das Licht verlöscht.
Und in dem Bett von Gräbern breit umböscht
fließt schon des blauen Mondquells Wunderwelle.
Und Sterne schaun mit Kinderaugenhelle
verstohlen über schwarzen Giebelrand. –
Und Christus, zu des Rabbi Gruft gewandt:
»Dir auch gefiel es, Alter, manchen Spruch
zur Ehre jenes Gotts zusammzuschweißen.
Wer hat dich, morscher Tor, auch blättern heißen
in alten Psalmen und im Bibelbuch?
Du hast so viel gewußt, stehst im Geruch,
dich gar geheimer Weisheit zu befleißen.
Heraus damit jetzt! Weißt du keinen Fluch,
daß ich des Himmels blaues Lügentuch
mit seiner Schneide kann in Stücke reißen.
Hast du kein Feuer in den Dämmerungen
des Alchymistenherdes je entdeckt,
das fürchterlich und ewig unbezwungen
mit gierem Lecken seine Rachezungen
bis zu des Weltalls fernen Angel〈n〉 streckt?
Kennst du kein Gift, das süß ist wie der Kuß
der Mutter, das nach seligem Genuß
den Ahnungslosen sicher töten muß.
O Glück, die ganze Welt so zu vergiften.
Weißt du kein Mittel, herben Haß zu stiften,
der jeden Mann zum wilden Raubtier macht?
Kannst du nicht ziehn in diese stillen Triften
die Schauerschrecken einer Völkerschlacht.
Kannst du nicht eine neue Lehre stiften,
die Wahnsinnswut in jeder Brust entfacht.
Ins Unbegrenzte steigre ihre Triebe
und sende Pest und sende Seuchenschwärme,
daß in des Lotterbettes feiler Wärme
die ganze Welt zugrund geht an der Liebe!«
Jach lacht er Hohn. Und in den stummen Steinen
gellts wie des wunden Wildes Sterbeschrei.
Es legt ein Reif sich auf den nächtgen Mai.
Ein schwarzer Falter zieht im Flug vorbei
und er sieht Christum einsam knien und weinen.
Zweite Folge
DIE KIRCHE VON NAGO
Diese Dörfer sind arm und klein;
du kommst nirgends hinaus und hinein,
nur ein paar Hütten, die dir begegnen
mitten im Mai.
Willst du sie segnen?
Sie sind schon vorbei.
Aber vor dir die Kirche steht
ragend im Abend höher oben
als hätte die Erde selber gehoben
aus kleinen Hütten ein großes Gebet.
Aber es muß schon lange sein
seit dies geschah:
vom Kreuzturm stürzte die Stange ein,
die Glocke schlief überm Klange ein –
niemand war da.
Haben im Dorf wohl das Beten vergessen –
oder beten sie anderswo?
Sie denken: ohne die teuern Messen
geht das Sterben auch so.
Und lassen es über die Reben regnen
und lassen es über die Rosen scheinen
und vergessen das Lachen und kennen kein Weinen
und sind doch die Deinen:
Willst du sie segnen?
Du willst erst in deiner Kirche ruhn
und dann zurück zu den seltsam Frommen
hell von dämmernden Hängen kommen
und Wunder tun.
Weißt du schon, wie du dann ihr Weh
wirst bedenken?
Wirst du die Jungen aus den Gesenken
noch vor Tag auf den Hügel lenken
und von dort ihrem Schauen schenken
den Gardasee?
Wirst du die Berge, gleich Riesenpfühlen
näher rücken um dieses Tal,
daß die Alten mit einem Mal
sich heimlicher fühlen?
Denn du hast Mächte und Möglichkeiten
und die Dinge, die du rufst
werden dich wie einen König begleiten
und dir willige Brücken breiten
über die Meere, die du schufst. –
Aber heute bist du schon matt. Und dein Kleid
ist bestaubt.
Staubig dein Haupt.
Kommst du von weit?
Er sagt: »Mein Weg ist von Meer zu Meer.
Ich bin her
aus dem fernen Gestern
gekommen.
Und weiß nicht wie.
Meine Leiden, die weißen Schwestern
haben mich in die Mitte genommen …
Jetzt weinen sie. «
Er schwieg.
Und ich hörte sie wirklich weinen
und sah, wie er zwischen steilen Steinen
langsam zu seiner Kirche stieg.
So war kein Sieg.
Das war die Heimkehr eines Ermatteten,
der viel geirrt,
und niemehr Hirt
und dunkel aller Beschatteten
Bruder wird.
Aber noch steht ihm das Haus,
in welches ihr Beten
lange alle die Armen gebracht;
und wenn er es findet, wird es ihm Macht,
und er wird wie im Traum in fürstlicher Tracht
erwacht
nach raschem Ruhn
heraus
aus Trümmern treten
und Wunder tun.
Der Müde oben tritt tastend ein.
Die Kirche ist schwarz, und das Dunkel ist klein
und wird erst langsam den Blicken weit.
Der Einsame bringt die Ewigkeit
mit in die Mauern und breitet sie aus
mit segnenden Händen –
Da durchweht von den Wänden
lebendige Wärme das Haus.
Und jetzt erst erkennt er: die Kirche log.
Wo der Altar war, da ist neu
eine Krippe gezimmert: Scheu
umdrängen drei Kühe den Trog,
und heufeucht duftet die Streu.
Und die Ewigkeit, die er ausgespannt,
reicht nicht einmal von Wand zu Wand,
wird eine ängstliche Ewigkeit:
denn das Leben ist breit.
Und der Bleiche bleibt einsam an seinem Rand,
bleibt knien.
Und es weht wie aus einer Wiege warm
um ihn.
Und er ist wie ein König aus Morgenland –
nur ganz arm.
〈DER BLINDE KNABE〉
An allen Türen blieb der blinde Knabe,
auf den der Mutter bleiche Schönheit schien,
und sang das Lied, das ihm sein Leid verliehn:
»Oh hab mich lieb, weil ich den Himmel habe. «
Und alle weinten über ihn.
An allen Türen blieb der blinde Knabe.
Die Mutter aber zog ihn leise mit;
weil sie die andern alle weinen schaute.
Er aber, der nicht wußte, wie sie litt,
und nur noch tiefer seinem Dunkel traute,
sang: »Alles Leben ist in meiner Laute. «
Die Mutter aber zog ihn leise mit.
So trug er seine Lieder durch das Land.
Und als ein Greis ihn fragte, was sie deuten,
da schwieg er, und auf seiner Stirne stand:
Es sind die Funken, die die Stürme streuten,
doch einmal werd ich breit sein wie ein Brand.
So trug er seine Lieder durch das Land.
Und allen Kindern kam ein Traurigsein.
Sie mußten immer an den Blinden denken
und wollten etwas seiner Armut weihn;
er nahm sie lächelnd an den Handgelenken
und sang: »Ich selbst bin kommen euch beschenken. «
Und allen Kindern kam ein Traurigsein.
Und alle Mädchen wurden blaß und bang.
Und waren wie die Mutter dieses Knaben,
der immer noch in ihren Nächten sang.
Und fürchteten: wir werden Kinder haben, –
und alle Mütter waren krank .
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