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Dann gabs ein Ängsten, wenn wo Fässerfuhren
mit plumpen Pferden furchten wegentlang:
Die Menge drängte in die Räderspuren,
da schrie ein Kind, ein Bursche sang, da sprang
ein Mädel, dem entfernter Walzertouren
ersehnter Zauber in die Beine drang.
Und was nur immer klingen konnte, klang,
vom Waldhornsolo bis zum Bumerang
dort vor den Buden mit den Wachsfiguren.
Wie ich mich so durch das Getümmel wand,
da stand ich plötzlich an der Wiese Rand
vor einer Bude. Überm Eingang stand
in kargen Lettern zaghaft und bescheiden:
›Das Leben Jesu Christi und sein Leiden. ‹
Und – ich weiß nicht warum, ich trat hinein.
Schon hielt ich in der Hand den blauen Schein,
der für zehn Pfennig Einlaß mir gewährte.
Ich fragte mich, was den Besitzer nährte;
denn in der Bude war ich ganz allein.
Wer mochte dem auch hier sein Denken weihn,
dem Mann, von dem der Katechet ihm lehrte,
daß Buße er gepredigt und Kastein
und daß ein großes Leiden ihn verzehrte.
Da sah ich nun des heilgen Kinds Geburt
und dann die Flucht, da Josef durch die Furt
des Flusses lenkt das Maultier mit Marien,
den Tempel dann, drin ob der Theorien
des Knaben mancher Pharisäer murrt,
und dann den Einzug in Jerusalem,
wo er, – zu fragen meidet er, bei wem –
bei schlichten Leuten unter Sünden wohnt
und jeden Willen reich mit Wundern lohnt.
Dann jener Tag, da er sein deo natus
dem Volk entgegenschleudert, und Pilatus
sogar den Richtern Milde rät,
bis, weil das Volk zu sänftigen zu spät,
des Bleichen dornbekränzte Majestät
schmerzedel auf der Balustrade steht,
daß Mitleid selbst des Römers Herz durchweht
und er verwirrt sein »Ecce homo« fleht … .
Umsonst. Es brüllt der Pöbel ungestüm:
Ans Kreuz mit ihm!
Dann kamen alle Greuel jenes Tags,
da er, verurteilt von des Reichs Verwesern,
ans Holz geheftet wurde wilden Schlags:
Nacht brach herein, und in den Wolken lags
wie Racherufe von Posaunenbläsern,
und fremde Vögel gierten nach den Äsern,
und statt des Taus war Blut an allen Gräsern. –
Jetzt starrten beide Schächer hier so gläsern
mich an; es glänzte ihrer Stirnen Wachs. –
Doch Christi Auge, klufttief, todesdunkel,
erlohte in so täuschendem Gefunkel,
daß alles Blut mir heiß zum Herzen schoß:
Der gelbe Wachsgott öffnete und schloß
das Lid, das, bläulich dünn, den Blick verhängte;
der enge, wunde Brustkorb hob und senkte
sich leise, leise, und die schwammgetränkte,
todblasse Lippe schien ein Wort zu fassen,
das sehnend sich durch starre Zähne drängte:
»Mein Gott, mein Gott – was hast du mich verlassen?«
Und wie ich zu entsetzt, daß ich des Sinns
des dunkeltiefen Dulderworts verstände,
nur steh und steh und nicht das Auge wende, –
da lösen leise seine weißen Hände
sich von dem Kreuze, und er stöhnt: »Ich bins. «
Lang lausch ich nach, und es verklingt sein Spruch, –
ich schau die Wände rings von grellem Tuch
bedeckt und fühle diesen Jahrmarktstrug
mit seinem Lampenöl- und Wachsgeruch.
Da haucht es wieder her: Das ist mein Fluch.
Seit mich, von ihrem eitlen Glaubensprahlen
betört, die Jünger aus dem Grabe stahlen,
giebts keine Grube mehr, die mich behält.
Solang aus Bächen Sterne widerstrahlen,
solang die Sonne zu erlösten Talen
den Frühling ruft mit seinen Bacchanalen,
so lange muß ich weiter durch die Welt.
Von Kreuz zu Kreuze muß ich Buße zahlen:
wo sie ein Querholz in 〈den〉 Boden pfahlen,
dort muß ich hin auf blutigen Sandalen
und bin der Sklave meiner alten Qualen,
mir wachsen Nägel aus den Wundenmalen,
und die Minuten pressen mich ans Kreuz.
So leb ich, ewig sterbend, meines Heuts
maßlose Reue. Krank und lang entkräftet,
da in der Kirche Kälte festgeheftet,
dort in dem Prunk profaner Jahrmarktsbuden;
ohnmächtig heut und doch gebetumschmachtet,
ohnmächtig morgen und dabei verachtet,
ohnmächtig ewig in der Sonnenhelle
des Kreuzwegs wie im Frieren der Kapelle.
So treib ich wie ein welkes Blatt umher.
Kennst du die Sage von dem Ewigen Juden?
Ich selbst bin jener alte Ahasver,
der täglich stirbt um täglich neu zu leben;
mein Sehnen ist ein mächtig-weites Meer,
ich kann ihm Marken nicht noch Morgen geben.
Das ist die Rache derer, die verdarben
an meinem Wort. Die opfernd für mich starben,
sie drängen hinter mir in weiten Reihn.
Horch! Ihre Schritte! – Horch! Ihr kreischend Schrein … .
Doch eine große Rache nenn ich mein:
Ich weiß, bei jedem neuen Herbste warben
die Menschen um den Saft, den feuerfarben
die roten Reben ihrer Freude leihn.
Mein Blut fließt ewig aus den Nagelnarben,
und alle glauben es: mein Blut ist Wein,
und trinken Gift und Glut in sich hinein …
Mich hielt das fürchterliche Prophezein
in bangem Bann. Aus hilfloser Hypnose
riß mich die Menge, die vorüberschwamm.
Ein Schwarm trat ein und fand sich mit Getose
bei jener ersten Gruppe just zusamm,
und vor mir hing der gelbe regungslose
Gekreuzigte in wächsner Jahrmarktspose
an seinem Stamm.
DIE NACHT
Nach Mitternacht ists. Dunkle Stunden gängeln
die Letzten heimwärts längs der Häuserreih. –
Nur im verrauchten Saale ›Zu den Engeln‹
auf dem verschoßnen Samtsitz lehnen Zwei.
Er und ein Weib. Und gelbe Kellner bengeln
müd, mürrisch mahnend an dem Tisch vorbei.
Ein Piccolo hockt an des Saales Ende
auf steilem Stuhle ganz von Schlaf verschneit.
Nur da und dort glühn trübe Lampenbrände,
in Rauch und Dämmer lösen sich die Wände,
und langsam durch die Wanduhr tropft die Zeit. –
Das Weib neigt sich zu dem Gefährten. Weit
giert aus dem wellengrellen Seidenkleid
die Sinnenhast der ewig kalten Hände:
»Was bist du denn so traurig fort, du, Blasser?
Ich glaube gar du bist ein Menschenhasser?
Schau, – ich bin schön und wir sind ganz allein …
Die Schönheit! Prosit! Aber – du, – mit Wasser? . . «
Und sie erweckt ein Echo: »Kellner, Wein!«
»Nein, du, ich will nicht trinken«, wehrt er ernst.
»Geh, Lieber, spare deine weisen Worte.
Willst du auch jetzt noch nicht? Schau her: die Sorte
Champagner! Schau! Ich wette daß du’s lernst.
Bist du kein Freund von solchen Bacchanalen?
Schau dieses Perlenkämpfen, wie das schäumt,
schau dieses Perlendämpfen, wie sichs bäumt:
Das ist der Weihrauch unsrer Kathedralen,
der prickelnd sickert aus opalnen Schalen!
Trink jetzt! Die Liebe lebe! . . Ausgeträumt! – «
Und sie schlürft tief das Schaumgold des Pokals
und läßt ihn, leer, im roten Schimmer blinken,
und löst dann leise mit der weißen Linken
die schweren Falten ihres Schultershawls.
Und wie wenn sacht des Meeres Wellen sinken
und aus der Flut im Glanz des Mainachtstrahls
die Inseln tauchen mit den Silberzinken,
so schimmert jetzt im Wogenqualm des Saals
ihr Marmorhals. Und ihre Hände winken
dem blassen Nachbar, suchend sehnsuchtleis.
»Komm!« lispelt sie »und willst du ewig säumen?«
Sie neigt sich näher und ihr Wort ist heiß:
»Noch bist du jung! Komm, sei kein Tor! ich weiß
was Beßres, als das Leben dumpf verträumen:
das Leben leben! Nimm dir deinen Preis. «
Da packt es ihn, den neidlos, freudlos Kalten,
und ganz im Bann verhaltener Gewalten
wird alle Kraft in seiner Seele frei.
Er faßt das Weib mit einem wilden Schrei
und seine Finger krallt er in die Falten,
und gleißend reißt das Seidenkleid entzwei.
Die irren Hände wuchten schwer wie Blei,
als wollt er aus dem Leib sich neu gestalten
ein Götterbild, das seiner würdig sei.
Um ihre Glieder brandet Raserei.
So stürmt der Sturzbach, den das Eis gehalten,
aus seiner dumpfen Dämmerschlucht herbei
und springt und ringt und greift in alle Spalten
und seine Liebe tötet fast den Mai.
Mit wildem Griff zerrt er den Vorhang zu,
und in der Luft sind nur die süßen Klagen,
die wie ein Jubel klingen aus den Tagen,
da keiner noch in schämigem Getu
der Glieder Kraft in Fetzen eingeschlagen,
und jeder Wunsch war damals noch ein Wagen. –
Da fährt der blasse Mann aus schlaffer Ruh
und raunt dem müden Weibe glühend: »Du,«
er lauscht umher –, »ich muß dir etwas sagen.
Sie kamen einst mich bei Gericht verklagen.
Der Richter rief. Das war ein seltsam Fragen:
Ich hörs noch immer: Bist du Gottes Sohn?
Ich kann nicht mehr begreifen dieses Sinns,
doch damals ließ ich schelten mich und schlagen
und dachte, aufgehetzt durch ihren Hohn,
es muß mein Stolz bis an die Sterne ragen.
Ich schrie sie an: Was wollt ihr? Ja, ich bins.
Zu meines Vaters Rechten ist mein Thron!
Was lachst du, Weib? So spei mir ins Gesicht,
ich weiß es, ich verdiene deinen Spott.
Und meine Reue. Nein, ich bin es nicht,
ich bin kein Gott! … . . «
»Du kannst nicht viel vertragen,
mein Lieber. Welch ein drolliges Gegirr.
Kaum wirbelt noch ein Glas dir aus dem Magen
zu Herz und Hirn, schon sprichst du wahn und wirr. –
Nein, nein, du bist nicht Gott, mach dir nicht Sorgen,
und niemand wird dich so verklagen. Nein.
Doch wart du Blasser, bis zum nächsten Morgen
sollst du ein wenig König sein.
Ja, willst du? Wart, ich werde wenn mirs glückt
aus diesen Rosen dir die Krone schmieden.
Und sind sie nicht mehr frisch, gieb dich zufrieden,
mein hoher Herr, du hast sie selbst zerdrückt . .
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