– Auf der Karlsbrücke
starb er, dreißig Jahre alt.



Endlich riß das Eisenstück
nur dem Acker eine Schramme,
und vom Kirchturm schlug die Flamme
in den trauten Herd zurück.



BEI DEN URSULINEN



Geh mittags zu den Ursulinen,
wenn man den Armen Speise trug,
da siehst du, wie in müde Mienen
die Not schrieb ihren Namenszug.



Da siehst du Stirnen, die schon frühe
des Schmerzes Eisenreif umschloß,
und Wangen, die der Dunst der Brühe
mit falscher Röte übergoß.



Du hörst, wie leisem Dankesworte
sich Fluch bald, bald Gebet gesellt:
so brandet an der Klosterpforte
das ganze Elend dieser Welt.



AUS DER KINDERZEIT



Sommertage auf der ›Golka‹ …
Ich, ein Kind noch. – Leise her,
aus dem Gasthaus klingt die Polka,
und die Luft ist sonnenschwer.



Sonntag ists. – Es liest Helene
lieb mir vor. – Im Lichtgeglänz
ziehn die Wolken, wie die Schwäne
aus dem Märchen Andersens.



Schwarze Fichten stehn wie Wächter
bei der Wiesen buntem Schatz;
von der Straße dringt Gelächter
bis zu unserm Laubenplatz.



An die Mauer lockt uns beide
mancher laute Jubelschrei:
drunten geht im Feierkleide
Paar um Paar zum Tanz vorbei.



Bunt und selig, Bursch und Holka,
Glück und Sonne im Gesicht! –
Sommertage auf der ›Golka‹, –
und die Luft war voller Licht …



RABBI LÖW



〈1〉

»Weiser Rabbi, hoher Liva, hilf uns aus dem Bann der Not:
heut gibt uns Jehova Kinder, morgen raubt sie uns der Tod.
Schon faßt Beth Chaim nicht die Scharen, und kaum hat der Leichenwart
eins bestattet, nahen andre Tote; Rabbi, das ist hart. «



Und der Rabbi: »Geht und schickt mir einen Bocher rasch herein. « –
So geschiehts: »Wagst du nach Beth Chaim diese Nacht dich ganz allein?«
»Du befiehlst es, weiser Meister!« – »Gut, so hör, um Mitternacht
tanzen all die Kindergeister auf den grauen Steinen sacht.



Birg dich dorten im Gebete, und wenn Furcht dein Herz beklemmt.
streif sie ab: Du raubst dem nächsten Kinde kühn sein Leichenhemd.
Raubst es, – bringst es her im Fluge, her zu mir! Begreifst du wohl?«
»Wie du heißest tun mich, Meister, tu ich!« klingt die Antwort hohl.



〈2〉

Mitternacht und Mondgegleiße, –
… und es stürzt der totenblasse
Bocher bebend durch die Gasse,
in der Hand das Hemd, das weiße.



Da jetzt … sind das seine Schritte? …
Jach kehrt er zurück das bleiche
Antlitz: Weh, die Kindesleiche
folgt ihm nach, im Aug die Bitte:



»… Gieb das Linnen, ohne Linnen
lassen mich nicht ein die Geister … «
Und der Bocher, halb von Sinnen,
reicht es endlich seinem Meister.



Und schon naht der Geist mit Klagen …
»Sag, was sterben hundert binnen
Tagen? – Kind, du mußt es sagen,
früher darfst du nicht von hinnen. «



So der Rabbi. – »Wehe, wehe«,
ruft der Geist, »aus unserm Stamme
haben zwei entehrt der Ehe
keusche, reine Altarflamme!



Hier die Namen! – Sucht nicht fremde
Ursach, daß euch Tod beschieden … «
Und der Rabbi reicht das Hemde
jetzt dem Kinde: »Zieh in Frieden!«



〈3〉

Kaum, daß aus dem Nachtkelch maijung
stieg der Tag in rosgem Licht,
hielt der Rabbi schon Gericht, –
und der Unschuld ward Befreiung.



Mit der Geißel des Gesetzes
brandmarkt er die Sünderstirn; –
langsam löste jedes Hirn
sich vom Bann des Fluchgenetzes.



Manches Paar war da erschienen,
dankerfüllt, daß Gott verzieh,
und der Weise segnet sie. –
Freude lag auf aller Mienen.



Nur der Bocher warf, der bleiche,
sich im Fieber hin und her …
Doch nach Beth Chaim lange mehr
trug man keine Kindesleiche.



DIE ALTE UHR



Bald hättest, alte Rathausuhr,
du nimmer dürfen Stunden weisen;
sie hätten bald in altem Eisen
versplittert deine letzte Spur.



Der Geizhals hätt zum letzten Mal
sein Haupt gewiegt in starrem Trotzen,
zum letzten Mal der Tod mit Glotzen
geschwungen seinen Sensenstahl.



Dann hätt der Hahn auch ausgekräht.
Und heut noch kräht er, freilich heiser;
noch nickt der Geizhals fort, und leiser
droht ihm des Todes Majestät.



KÄMPFEN



I

Ein heißer Eid, ein gramerpreßter,
der leicht von jungen Lippen rinnt,
der machte zur barmherzgen Schwester
fast über Nacht ein blondes Kind.



Des jungen Lebens Wellen fließen
fortan durch Krankenstuben still;
es träumt ihr Herz noch vom Genießen,
wenn auch das Aug es leugnen will.



Denn mit der Strenge der Asketen
drängt sie zurück, was in ihr quillt,
und geht um Kraft nach Emaus beten
zum wunderstarken Gnadenbild.



SIEGEN



II

Der Tag beginnt sich kaum zu lichten;
»Heut sei im Glauben stark wie nie
und geh mit Gott an deine Pflichten:
Es ist ein Fall von Diphtherie … . «



Sie pflegt und küßt den kleinen Kranken,
und doch packt ihn der Tod beim Hals …
Spät rafft sie auf sich, heimzuwanken,
erfröstelnd in den Schutz des Schals.



Als man vorbei beim Kloster gestern
den Kleinen trug ins Bett von Lehm,
klang aus der ›Kirche von den Schwestern‹
ganz leis ein Totenrequiem …



IM HERBST



Ein Riesenspinngewebe, zieht
Altweibersommer durch die Welt sich; –
und der Laurenziberg gefällt sich
im goldig-bräunlichen Habit.



Weil er so mild herübersieht,
sucht müd, gestützt auf Strahlenkrücken,
die Sonne hinter seinem Rücken
schon frühe ihr Valladolid.



DER KLEINE ›DRÁTENÍK ‹



Kommt so ein Bursche, ein junger,
Mausfallen, Siebe am Rücken,
folgt mir durch Gassen und Brücken:

»Herr, ich hab ›türkischen Hunger‹.



Nur einen Krajcar, nur einen
für ein Stück Brot, milost’ pánku!«



Da! – Und er stammelt mir Dank zu,
doch läßt nicht Ruh er den Beinen.



Lebt nicht von bloßem Gelunger. –
Riecht an den Türen den Braten
fund muß die Pfannen doch drahten –
leer: – das macht ›türkischen Hunger‹.



IN DER VORSTADT



Die Alte oben mit dem heisern Husten,
ja, die ist tot. – Wer war sie? – Du mein Gott,
sie gab uns nichts, – ihr gab man Hohn und Spott …
Kaum, daß die Leute ihren Namen wußten.



Und unten stand der schwarze Kastenwagen.
Die letzte Klasse; als der Totenschrein
sich spreizte, stieß man fluchend ihn hinein,
und dann ward rauh die Türe zugeschlagen.



Der Kutscher hieb in seine magern Mähren
und fuhr im Trab so leicht zum Friedhof hin,
als wenn da nicht ein ganzes Leben drin
voll Weh und Glück – und tote Träume wären.



BEI ST. HEINRICH



Hart am Kirchenaltargitter,
wo die Ampel flammt, die matte,
schläft ein alter, alter Ritter
unter grauer Wappenplatte.



Lebend hielt er hoch sein Wappen,
sorgte immer für sein Blinken; –
weiß er, daß mit schmutzgen Schlappen
alte Weiber drüber hinken?



MITTELBÖHMISCHE LANDSCHAFT



Fern dämmert wogender Wälder
beschatteter Saum.
Dann unterbricht
nur hie und da ein Baum
die falbe Fläche hoher Ährenfelder.
Im hellsten Licht
keimt die Kartoffel; dann
ein wenig weiter Gerste, bis der Tann
das Bild begrenzt.
Hoch überm Jungwald glänzt
so goldig-rot ein Kirchturmkreuz herüber,
aus Fichten ragt der Hegerhütte Bau; –
und drüber
wölbt sich ein Himmel, blank und blau.



DAS HEIMATLIED



Vom Feld klingt ernste Weise;
weiß nicht, wie mir geschieht …
»Komm her, du Tschechenmädchen,
sing mir ein Heimatlied. « –



Das Mädchen läßt die Sichel,
ist hier mit Husch und Hui, –
setzt nieder sich am Feldrain
und singt: »Kde domov muj« …



Jetzt schweigt sie still. Voll Tränen
das Aug mir zugewandt, –
nimmt meine Kupferkreuzer
und küßt mir stumm die Hand.



TRAUMGEKRÖNT

(1896)

KÖNIGSLIED



D arfst das Leben mit Würde ertragen,
nur die Kleinlichen macht es klein;
Bettler können dir Bruder sagen,
und du kannst doch ein König sein.



Ob dir der Stirne göttliches Schweigen
auch kein rotgoldener Reif unterbrach, –
Kinder werden sich vor dir neigen,
selige Schwärmer staunen dir nach.



Tage weben aus leuchtender Sonne
dir deinen Purpur und Hermelin,
und, in den Händen Wehmut und Wonne,
liegen die Nächte vor dir auf den Knien …



Träumen



I

Mein Herz gleicht der vergessenen Kapelle;
auf dem Altare prahlt ein wilder Mai.
Der Sturm, der übermütige Geselle,
brach längst die kleinen Fenster schon entzwei;
er schleicht herein jetzt bis zur Sakristei
und zerrt dort an der Ministrantenschelle.
Der schrillen Glocke zager Sehnsuchtsschrei
ruft zu der längst entwöhnten Opferstelle
den arg erstaunten fernen Gott herbei.
Da lacht der Wind und hüpft durchs Fenster frei.
Doch der Erzürnte packt des Klanges Welle
und schmettert an den Fliesen sie entzwei.



Und arme Wünsche knien in langer Reih
vorm Tor und betteln an vermooster Schwelle.
Doch längst schon geht kein Beter mehr vorbei.



II

Ich denke an:



Ein Dörfchen schlicht in des Friedens Prangen,
drin Hahngekräh;
und dieses Dörfchen verloren gegangen
im Blütenschnee.
Und drin im Dörfchen mit Sonntagsmienen
ein kleines Haus;
ein Blondkopf nickt aus den Tüllgardinen
verstohlen heraus.
Rasch auf die Türe, die angelheiser
um Hilfe ruft, –
und dann in der Stube ein leiser, leiser
Lavendelduft …



III

Mir ist: ein Häuschen wär mein eigen;
vor seiner Türe säß ich spät,
wenn hinter violetten Zweigen
bei halbverhalltem Grillengeigen
die rote Sonne sterben geht.



Wie eine Mütze grünlich-samten
steht meinem Haus das moosge Dach,
und seine kleinen, dickumrammten
und blankverbleiten Scheiben flammten
dem Tage heiße Grüße nach.



Ich träumte, und mein Auge langte
schon nach den blassen Sternen hin, –
vom Dorfe her ein Ave bangte,
und ein verlorner Falter schwankte
im schneeig schimmernden Jasmin.



Die müde Herde trollte trabend
vorbei, der kleine Hirte pfiff, –
und in die Hand das Haupt vergrabend,
empfand ich, wie der Feierabend
in meiner Seele Saiten griff.



IV

Eine alte Weide trauert
dürr und fühllos in den Mai, –
eine alte Hütte kauert
grau und einsam hart dabei.



War ein Nest einst in der Weide,
in der Hütt ein Glück zu Haus;
Winter kam und Weh, – und beide
blieben aus …



V

Die Rose hier, die gelbe,
gab gestern mir der Knab,
heut trag ich sie, dieselbe,
hin auf sein frisches Grab.



An ihren Blättern lehnen
noch lichte Tröpfchen, – schau!
Nur heute sind es Tränen, –
und gestern war es Tau …



VI

Wir saßen beisammen im Dämmerlichte.
»Mütterchen«, schmeichelte ich, »nicht wahr,
du erzählst mir noch einmal die schöne Geschichte
von der Prinzessin mit goldnem Haar?« –



Seit Mütterchen tot ist, durch dämmernde Tage
führt mich die Sehnsucht, die blasse Frau;
und von der schönen Prinzessin die Sage
weiß sie wie Mütterchen ganz genau …



VII

Ich wollt, sie hätten statt der Wiege
mir einen kleinen Sarg gemacht,
dann wär mir besser wohl, dann schwiege
die Lippe längst in feuchter Nacht.



Dann hätte nie ein wilder Wille
die bange Brust durchzittert, – dann
wärs in dem kleinen Körper stille,
so still, wie’s niemand denken kann.



Nur eine Kinderseele stiege
zum Himmel hoch so sacht, – ganz sacht …
Was haben sie mir statt der Wiege
nicht einen kleinen Sarg gemacht?



VIII

Jene Wolke will ich neiden,
die dort oben schweben darf!
Wie sie auf besonnte Heiden
ihre schwarzen Schatten warf.



Wie die Sonne zu verdüstern
sie vermochte kühn genug,
wenn die Erde lichteslüstern
grollte unter ihrem Flug.



All die goldnen Strahlenfluten
jener Sonne wollt auch ich
hemmen! Wenn auch für Minuten!
Wolke! Ja, ich neide dich!



IX

Mir ist: Die Welt, die laute, kranke,
hat jüngst zerstört ein jäh Zerstieben,
und mir nur ist der Weltgedanke,
der große, in der Brust geblieben.



Denn so ist sie, wie ich sie dachte;
ein jeder Zwiespalt ist vertost:
auf goldnen Sonnenflügeln sachte
umschwebt mich grüner Waldestrost.



X

Wenn das Volk, das drohnenträge,
trabt den altvertrauten Trott,
möcht ich weiße Wandelwege
wallen durch das Duftgehege
ernst und einsam wie ein Gott.



Wandeln nach den glanzdurchsprühten
Fernen, lichten Lohns bewußt; –
um die Stirne kühle Blüten
und von kinderkeuschen Mythen
voll die sabbatstille Brust.



XI

Weiß ich denn, wie mir geschieht?
In den Lüften Düftequalmen
und in bronzebraunen Halmen
ein verlornes Grillenlied.



Auch in meiner Seele klingt
tief ein Klang, ein traurig-lieber, –
so hört wohl ein Kind im Fieber,
wie die tote Mutter singt.



XII

Schon blitzt aus argzerfetztem Laken
der holde, keusche Götternacken
der früherwachenden Natur,
und nur in tiefentlegnen Talen
zeigt hinter violetten, kahlen
Gebüschen sich mit falschem Prahlen
des Winters weiße Sohlenspur.



Hin geh ich zwischen Weidenbäumen
an nassen Räderrinnensäumen
den Fahrweg, und der Wind ist mild.
Die Sonne prangt im Glast des Märzen
und zündet an im dunkeln Herzen
der Sehnsucht weiße Opferkerzen
vor meiner Hoffnung Gnadenbild.



XIII

Fahlgrauer Himmel, von dem jede Farbe
bange verblich.
Weit – ein einziger lohroter Strich
wie eine brennende Geißelnarbe.



Irre Reflexe vergehn und erscheinen.
Und in der Luft
liegts wie ersterbender Rosenduft
und wie verhaltenes Weinen …



XIV

Die Nacht liegt duftschwer auf dem Parke,
und ihre Sterne schauen still,
wie schon des Mondes weiße Barke
im Lindenwipfel landen will.



Fern hör ich die Fontäne lallen
ein Märchen, das ich längst vergaß, –
und dann ein leises Apfelfallen
ins hohe, regungslose Gras.



Der Nachtwind schwebt vom nahen Hügel
und trägt durch alte Eichenreihn
auf seinem blauen Falterflügel
den schweren Duft vom jungen Wein.



XV

Im Schooß der silberhellen Schneenacht
dort schlummert alles weit und breit,
und nur ein ewig wildes Weh wacht
in einer Seele Einsamkeit.



Du fragst, warum die Seele schwiege,
warum sie’s in die Nacht hinaus
nicht gießt? – Sie weiß, wenns ihr entstiege,
es löschte alle Sterne aus.



XVI

Abendläuten. Aus den Bergen hallt es
wieder neu zurück in immer mattern
Tönen. Und ein Lüftchen fühlst du flattern
von dem grünen Talgrund her, ein kaltes.



In den weißen Wiesenquellen lallt es
wie ein Stammeln kindischen Gebetes;
durch den schwarzen Tannenhochwald geht es
wie ein Dämmern, ein jahrhundertaltes.



Durch die Fuge eines Wolkenspaltes
wirft der Abend rote Blutkorallen
nach den Felsenwänden. – Und sie prallen
lautlos von den Schultern des Basaltes.



XVII

Weltenweiter Wandrer,
walle fort in Ruh …
also kennt kein andrer
Menschenleid wie du.



Wenn mit lichtem Leuchten
du beginnst den Lauf,
schlägt der Schmerz die feuchten
Augen zu dir auf.



Drinnen liegt – als riefen
sie dir zu: Versteh! –
tief in ihren Tiefen
eine Welt voll Weh …



Tausend Tränen reden
ewig ungestillt,
und in einer jeden
spiegelt sich dein Bild!



XVIII

Möchte mir ein blondes Glück erkiesen;
doch vom Sehnen bin ich müd und Suchen. –
Weiße Wasser gehn in stillen Wiesen,
und der Abend blutet in die Buchen.



Mädchen wandern heimwärts. Rot im Mieder
Rosen; ferneher verklingt ihr Lachen …
Und die ersten Sterne kommen wieder
und die Träume, die so traurig machen.



XIX

Vor mir liegt ein Felsenmeer,
Sträucher, halb im Schutt versunken.
Todesschweigen. – Nebeltrunken
hangt der Himmel drüber her.



Nur ein matter Falter schwirrt
rastlos durch das Land, das kranke …
Einsam, wie ein Gottgedanke
durch die Brust des Leugners irrt.



XX

Die Fenster glühten an dem stillen Haus,
der ganze Garten war voll Rosendüften.
Hoch spannte über weißen Wolkenklüften
der Abend in den unbewegten Lüften
die Schwingen aus.



Ein Glockenton ergoß sich auf die Au …
Lind wie ein Ruf aus himmlischen Bezirken.
Und heimlich über flüstervollen Birken
sah ich die Nacht die ersten Sterne wirken
ins blasse Blau.



XXI

Es gibt so wunderweiße Nächte,
drin alle Dinge Silber sind.
Da schimmert mancher Stern so lind,
als ob er fromme Hirten brächte
zu einem neuen Jesuskind.



Weit wie mit dichtem Demantstaube
bestreut, erscheinen Flur und Flut,
und in die Herzen, traumgemut,
steigt ein kapellenloser Glaube,
der leise seine Wunder tut.



XXII

Wie eine Riesenwunderblume prangt
voll Duft die Welt, an deren Blütenspelze,
ein Schmetterling mit blauem Schwingenschmelze,
die Mainacht hangt.



Nichts regt sich; nur der Silberfühler blinkt …
Dann trägt sein Flügel ihn, sein frühverblaßter,
nach Morgen, wo aus feuerroter Aster
er Sterben trinkt …



XXIII

Wie, jegliches Gefühl vertiefend,
ein süßer Drang die Brust bewegt,
wenn sich die Mainacht, sternetriefend,
auf mäuschenstille Plätze legt.



Da schleichst du hin auf sachter Sohle
und schwärmst zum blanken Blau hinauf,
und groß wie eine Nachtviole
geht dir die dunkle Seele auf …



XXIV

O gäbs doch Sterne, die nicht bleichen,
wenn schon der Tag den Ost besäumt;
von solchen Sternen ohnegleichen
hat meine Seele oft geträumt.



Von Sternen, die so milde blinken,
daß dort das Auge landen mag,
das müde ward vom Sonnetrinken
an einem goldnen Sommertag.



Und schlichen hoch ins Weltgetriebe
sich wirklich solche Sterne ein, –
sie müßten der verborgnen Liebe
und allen Dichtern heilig sein.



XXV

Mir ist so weh, so weh, als müßte
die ganze Welt in Grau vergehn,
als ob mich die Geliebte küßte
und spräch: Auf Nimmerwiedersehn.



Als ob ich tot wär und im Hirne
mir dennoch wühlte wilde Qual,
weil mir vom Hügel eine Dirne
die letzte, blasse Rose stahl …



XXVI

Matt durch der Tale Gequalme wankt
Abend auf goldenen Schuhn, –
Falter, der träumend am Halme hangt,
weiß nichts vor Wonne zu tun.



Alles schlürft heil an der Stille sich. –
Wie da die Seele sich schwellt,
daß sie als schimmernde Hülle sich
legt um das Dunkel der Welt.



XXVII

Ein Erinnern, das ich heilig heiße,
leuchtet mir durchs innerste Gemüt,
so wie Götterbildermarmorweiße
durch geweihter Haine Dämmer glüht.



Das Erinnern einstger Seligkeiten,
das Erinnern an den toten Mai, –
Weihrauch in den weißen Händen, schreiten
meine stillen Tage dran vorbei …



XXVIII

Glaubt mir, daß ich, matt vom Kranken,
keinen lauten Lenz mehr mag, –
will nur einen sonnenblanken,
wipfelroten Frühherbsttag.



Will die Lust, die jubelschrille,
nicht mehr in die Brust zurück, –
will nur Sterbestubenstille
drinnen – für mein totes Glück.



Lieben



I

Und wie mag die Liebe dir kommen sein?
Kam sie wie ein Sonnen, ein Blütenschnein,
kam sie wie ein Beten? – Erzähle:



Ein Glück löste leuchtend aus Himmeln sich los
und hing mit gefalteten Schwingen groß
an meiner blühenden Seele …



II

Das war der Tag der weißen Chrysanthemen, –
mir bangte fast vor seiner schweren Pracht …
Und dann, dann kamst du mir die Seele nehmen
tief in der Nacht.



Mir war so bang, und du kamst lieb und leise, –
ich hatte grad im Traum an dich gedacht.
Du kamst, und leis wie eine Märchenweise
erklang die Nacht …



III

Einen Maitag mit dir beisammen sein,
und selbander verloren ziehn
durch der Blüten duftqualmende Falmmenreihn
zu der Laube von weißem Jasmin.



Und von dorten hinaus in den Maiblust schaun,
jeder Wunsch in der Seele so still …
Und ein Glück sich mitten in Mailust baun,
ein großes, – das ists, was ich will …



IV

Ich weiß nicht, wie mir geschieht …
Weiß nicht, was Wonne ich lausche,
mein Herz ist fort wie im Rausche,
und die Sehnsucht ist wie ein Lied.



Und mein Mädel hat fröhliches Blut
und hat das Haar voller Sonne
und die Augen von der Madonne,
die heute noch Wunder tut.



V

Ob du’s noch denkst, daß ich dir Äpfel brachte
und dir das Goldhaar glattstrich leis und lind?
Weißt du, das war, als ich noch gerne lachte,
und du warst damals noch ein Kind.



Dann ward ich ernst. In meinem Herzen brannte
ein junges Hoffen und ein alter Gram …
Zur Zeit, als einmal dir die Gouvernante
den ›Werther‹ aus den Händen nahm.



Der Frühling rief. Ich küßte dir die Wangen,
dein Auge sah mich groß und selig an.
Das war ein Sonntag. Ferne Glocken klangen,
und Lichter gingen durch den Tann …



VI

Wir saßen beide in Gedanken
im Weinblattdämmer – du und ich –
und über uns in duftgen Ranken
versummte wo ein Hummel sich.



Reflexe hielten, bunte Kreise,
in deinem Haare flüchtig Rast …
Ich sagte nichts als einmal leise:
»Was du für schöne Augen hast. «



VII

Blondköpfchen hinter den Scheiben
hebt es sich ab so fein, –
sternt es ins Stäubchentreiben
oder zu mir herein?



Ist es das Köpfchen, das liebe,
das mich gefesselt hält,
oder das Stäubchengetriebe
dort in der sonnigen Welt?



Keins sieht zum andern hinüber.
Heimlich, die Stirne voll Ruh
schreitet der Abend vorüber …
Und wir? Wir sehn ihm halt zu. –



VIII

Die Liese wird heute just sechzehn Jahr.
Sie findet im Klee einen Vierling …
Fern drängt sichs wie eine Bubenschar:
die Löwenzähne mit blondem Haar
betreut vom sternigen Schierling.



Dort hockt hinterm Schierling der Riesenpan,
der strotzige, lose Geselle.
Jetzt sieht er verstohlen die Liese nahn
und lacht und wälzt durch den Wiesenplan
des Windes wallende Welle …



IX

Ich träume tief im Weingerank
mit meiner blonden Kleinen;
es bebt ihr Händchen, elfenschlank,
im heißen Zwang der meinen.



So wie ein gelbes Eichhorn huscht
das Licht hin im Reflexe,
und violetter Schatten tuscht
ins weiße Kleid ihr Kleckse.



In unsrer Brust liegt glückverschneit
goldsonniges Verstummen.
Da kommt in seinem Sammetkleid
ein Hummel Segen summen …



X

Es ist ein Weltmeer voller Lichte,
das der Geliebten Aug umschließt,
wenn von der Flut der Traumgesichte
die keusche Seele überfließt.



Dann beb ich vor der Wucht des Schimmers
so wie ein Kind, das tsockt im Lauf,
geht vor der Pracht des Christbaumzimmers
die Flügeltüre lautlos auf.



XI

Ich war noch ein Knabe. Ich weiß, es hieß:
Heut kommt Base Olga zu Gaste.
Dann sah ich dich nahn auf dem schimmernden Kies,
ins Kleidchen gepreßt, ins verblaßte.



Bei Tisch saß man später nach Ordnung und Rang
und frischte sich mäßig die Kehle;
und wie mein Glas an das deine klang,
da ging mir ein Riß durch die Seele.



Ich sah dir erstaunt ins Gesicht und vergaß
mich dem Plaudern der andern zu einen,
denn tief im trockenen Halse saß
mir würgend ein wimmerndes Weinen.



Wir gingen im Parke. – Du sprachst vom Glück
und küßtest die Lippen mir lange,
und ich gab dir fiebernde Küsse zurück
auf die Stirne, den Mund und die Wange.



Und da machtest du leise die Augen zu,
die Wonne blind zu ergründen …
Und mir ahnte im Herzen: da wärest du
am liebsten gestorben in Sünden …



XII

Die Nacht im Silberfunkenkleid
streut Träume eine Handvoll,
die füllen mir mit Trunkenheit
die tiefe Seele randvoll.



Wie Kinder eine Weihnacht sehn
voll Glanz und goldnen Nüssen, –
seh ich dich durch die Mainacht gehn
und alle Blumen küssen.



XIII

Schon starb der Tag. Der Wald war zauberhaft,
und unter Farren bluteten Zyklamen,
die hohen Tannen glühten, Schaft bei Schaft,
es war ein Wind, – und schwere Düfte kamen.
Du warst von unserm weiten Weg erschlafft,
ich sagte leise deinen süßen Namen:
Da bohrte sich mit wonnewilder Kraft
aus deines Herzens weißem Liliensamen
die Feuerlilie der Leidenschaft.



Rot war der Abend – und dein Mund so rot,
wie meine Lippen sehnsuchtheiß ihn fanden,
und jene Flamme, die uns jäh durchloht,
sie leckte an den neidischen Gewanden …



Der Wald war stille, und der Tag war tot.
Uns aber war der Heiland auferstanden,
und mit dem Tage starben Neid und Not.
Der Mond kam groß an unsern Hügeln landen,
und leise stieg das Glück aus weißem Boot.



XIV

Es leuchteten im Garten die Syringen,
von einem Ave war der Abend voll, –
da war es, daß wir voneinander gingen
in Gram und Groll.



Die Sonne war in heißen Fieberträumen
gestorben hinter grauen Hängen weit,
und jetzt verglomm auch hinter Blütenbäumen
dein weißes Kleid.



Ich sah den Schimmer nach und nach vergehen
und bangte bebend wie ein furchtsam Kind,
das lange in ein helles Licht gesehen:
Bin ich jetzt blind?–



XV

Oft scheinst du mir ein Kind, ein kleines, –
dann fühl ich mich so ernst und alt, –
wenn nur ganz leis dein glockenreines
Gelächter in mir widerhallt.



Wenn dann in großem Kinderstaunen
dein Auge aufgeht, tief und heiß, –
möcht ich dich küssen und dir raunen
die schönsten Märchen, die ich weiß.



XVI

Nach einem Glück ist meine Seele lüstern,
nach einem kurzen, dummen Wunderwahn …
Im Quellenquirlen und im Föhrenflüstern
da hör ichs nahn …



Und wenn von Hügeln, die sich purpurn säumen.
in bleiche Bläue schwimmt der Silberkahn, –
dann unter schattenschweren Blütenbäumen
seh ich es nahn.



In weißem Kleid; so wie das Lieb, das tote,
am Sonntag mit mir ging durch Staub und Strauch,
am Herzen jene Blume nur, die rote,
trug es die auch? …



XVII

Wir gingen unter herbstlich bunten Buchen,
vom Abschiedsweh die Augen Beide rot …
»Mein Liebling, komm, wir wollen Blumen suchen.