Und wir sind Rosenerben.
Kannst du die alten Lieder noch spielen?
Spiele, Liebling. Sie wehn durch mein Weh
wie die Schiffe mit silbernen Kielen,
die nach heimlichen Inselzielen
treiben im leisen Abendsee.
Und sie landen am Blütengestade,
und der Frühling ist dort so jung.
Und da findet an einsamem Pfade
vergessene Götter in wartender Gnade
meine müde Erinnerung.
Wo sind die Lilien aus dem hohen Glas,
die deine Hand zu pflegen nie vergaß?
Schon tot?
Wo ist die Freude deiner Wangen hin,
die wie ein ganzer Lenz zu prangen schien –
Verloht?
Und wo ist unser Glück, so groß und rein,
das hell dein Haar wie ein Madonnenschein
umspann?
Auch das ist tot. Heut weinen wir ihm nach,
und morgen kommt der Frost uns ins Gemach –
Und dann?
Mütter
Ich sehne oft nach einer Mutter mich,
nach einer stillen Frau mit weißen Scheiteln.
In ihrer Liebe blühte erst mein Ich;
sie könnte jenen wilden Haß vereiteln,
der eisig sich in meine Seele schlich.
Dann säßen wir wohl beieinander dicht,
ein Feuer surrte leise im Kamine.
Ich lauschte, was die liebe Lippe spricht,
und Frieden schwebte ob der Teeterrine
so wie ein Falter um das Lampenlicht.
Mir ist oft, daß ich fragen müßt:
Du, Mutter, was hast du gesungen,
eh deinem blassen, blonden Jungen
der Schlaf die Wangen warm geküßt?
Hattest du damals sehr viel Gram?
Und weißt du, wie du aufgesprungen,
wenn deinem blassen, blonden Jungen
im tiefen Traum ein Weinen kam?
Ich gehe unter roten Zweigen
und suche einen späten Strauß.
Weiß nicht vor Glück wo ein und aus,
mir ist so neu, mir ist so eigen;
mein Lieb ist müd und ist zu Haus.
Jetzt ist mein Mädel erst recht eitel,
seit sich sein Mieder weiter zieht,
und seit ein Wunder ihm geschieht:
Bald hat es breite braune Scheitel
und sitzt und singt ein Wiegenlied.
Leise weht ein erstes Blühn
von den Lindenbäumen,
und, in meinen Träumen kühn,
seh ich dich am Laubengrün
hold im ersten Muttermühn
Kinderhemdchen säumen.
Singst ein kleines Lied dabei,
und dein Lied klingt in den Mai:
Blühe, blühe, Blütenbaum,
tief im trauten Garten.
Blühe, blühe, Blütenbaum,
meiner Sehnsucht schönsten Traum
will ich hier erwarten.
Blühe, blühe, Blütenbaum,
Sommer wird dirs zahlen.
Blühe, blühe, Blütenbaum.
Schau, ich säume einen Saum
hier mit Sonnenstrahlen.
Blühe, blühe, Blütenbaum,
balde kommt das Reifen.
Blühe, blühe, Blütenbaum,
Meiner Sehnsucht schönsten Traum
lehr mich ihn begreifen.
Singst ein kleines Lied dabei,
und dein Lied ist lauter Mai.
Und der Blütenbaum wird blühn,
blühn vor allen Bäumen,
sonnig wird dein Saum erglühn.
Und verklärt im Laubengrün
wird dein junges Muttermühn
Kinderhemdchen säumen.
Und reden sie dir jetzt von Schande,
da Schmerz und Sorge dich durchirrt, –
oh, lächle, Weib! Du stehst am Rande
des Wunders, das dich weihen wird.
Fühlst du in dir das scheue Schwellen,
und Leib und Seele wird dir weit –
oh, bete, Weib! Das sind die Wellen
der Ewigkeit.
Der blonde Knabe singt:
Was weinst du, Mutter? Ist das Spind
auch bettelleer, – sei gut!
Ich bin dein blondes Kronenkind,
und du hast Edelblut.
Ich schaute ja, du weißt es nicht, –
wie du so oft noch spät
beim morgenmatten Lampenlicht
dein Königskleid genäht.
So bist du eine Königin,
und sei nicht bang und zag –
und bis ich erst krafteigen bin,
kommt unser Königstag.
Die Mutter:
»Liebling, hast du gerufen?«
Es war ein Wort im Wind. –
»Wie viele steile Stufen
sind noch bis zu dir, mein Kind?« –
Da fand ihre Stimme die Sterne,
fand aber die Tochter nicht.
Im Tale in tiefer Taverne
löschte ein letztes Licht.
Manchmal fühlt sie: Das Leben ist groß,
wilder, wie Ströme, die schäumen,
wilder, wie Sturm in den Bäumen.
Und leise läßt sie die Stunden los
und schenkt ihre Seele den Träumen.
Dann erwacht sie. Da steht ein Stern
still überm leisen Gelände,
und ihr Haus hat ganz weiße Wände –
Da weiß sie: Das Leben ist fremd und fern –
und faltet die alternden Hände.
CHRISTUS
ELF VISIONEN
(1896/1898)
Erste Folge
(1896/1897)
1
DIE WAISE
2
DER NARR
3
DIE KINDER
4
DER MALER
5
JAHRMARKT
6
DIE NACHT
7
VENEDIG
8
JUDENFRIEDHOF
Zweite Folge
(1898)
1
DIE KIRCHE VON NAGO
2
DER BLINDE KNABE
3
DIE NONNE
Erste Folge
DIE WAISE
Sie trollten sich. Es war ein schlecht Begängnis, –
die letzte Klasse. Keine Glocke klang.
Die Kleine sann: Lang war die Mutter krank,
durch Jahre war die Stube ihr Gefängnis.
Sie sagten Alle heute: Gott sei Dank –
sie ist erlöst. – Ihr aber war so bang
vor einem unerklärlichen Verhängnis.
Ja, und was jetzt? Sie haben sie verscharrt.
Du lieber Gott, was ist doch gar so hart
der feuchte Hügel da von Schutt und Steinen.
Und Mütterchen war doch gewohnt an Leinen
als weiches Lager. Und ihr kommt ein Weinen.
Warum sie sie so schlecht gebettet haben?
Warum in dumpfe, schwarze Erde graben
was hoch im Himmel helle Heimat hat? –
Der Himmel! Das muß eine Märchenstadt
mit goldnen Kuppeln sein und weißen Gassen,
dort ist nur Licht und Liebe – nicht zu fassen,
und niemand ist dort traurig und verlassen,
und selig Singen ist dort alles Tun.
Ein Stern ist Spielzeug wie das weiße Schaf,
mit dem die Kleine wohl zu spielen traf,
und ist dort oben eins besonders brav,
darfs in des Mondes Silberwiege ruhn,
verkrochen in der Wolken Flockenflaum.
Das muß ein Schlaf dort sein – und erst ein Traum!
Da sieht die Kleine aus dem Sinnen auf:
Der Frühling wartet rings mit tausend Blüten,
und wie in jenen tiefen Märchenmythen,
drin braune Zwerge rote Schätze hüten,
ist lauter eitel Gold der Kirchturmknauf.
Nein, ist die Gotteswelt doch eine Pracht
und neu, als hätt der Herr sie just gemacht;
der Kleinen ists ein Jubel – und sie lacht.
Da schaut sie: drüben an der Kirchhofmauer
lehnt noch ein Mann so reglos und so müd;
in seinem dunkelgroßen Auge glüht
wie eine trübe Totenkerze – Trauer.
Derb ist und bäuerisch sein grau Gewand;
ins wirre Haar krallt er die irre Hand
und starrt verloren nach der Berge Rand
als ob zum Fluge in das fremde Land
sich seiner Seele leise Schwinge breite.
Die Kleine trippelt kindisch ihm zur Seite
und staunt ihn groß mit Frageaugen an
und dann klingts alltagsfremd und unverdorben:
»Du, was bist du so traurig, fremder Mann, –
ist dir vielleicht auch Mütterchen gestorben?«
Er hört es nicht. Sein fremdes Auge sinnt
noch immer Wunder, und er sagt nur leise
ungern gestört wie der verlorne Weise
dem sich ein Neues drängt in Kraft und Kreise:
»Geh heim zu deiner Mutter, Kind. «
Da schrickt das Kind zusammen: »Du, ich habe
dir doch gesagt, ich hab nicht Mutter mehr. «
»So«, nickt der Fremde dumpf, »ist sie im Grabe?«
Er senkt die Hand aufs Haupt des Kindes schwer
und träumt den Segen: Leicht sei ihr die Erde.
Da ist der Kleinen wieder bang. Ihr nagts
am Herzen wieder wie ein wildes Weh,
sie schmiegt sich näher in des Grauen Näh:
»Nichtwahr, du weißt es auch, im Himmel seh
ich wieder sie – nichtwahr – der Pfarrer sagts?«
Das Wort verweht, ein leises Heimchen geigt,
die Kleine horcht, ein weißer Falter reigt,
die Kleine horcht, aus fernen Hütten steigt
ein Zitterrauch … Der große Graue schweigt.
DER NARR
Der Turm ruft in gewohnter Pose
den Mittag aus. Ins Sommerglühn
prallt schon die Kinderschar, die lose,
heraus vom Schulbankplattengrün:
So brechen wohl nach bangem Mühn
gefangne Falter freiheitskühn
aus dumpfer, grüner Forscherdose
und suchen eine rote Rose
und schwärmen werbend um ihr Blühn. –
Die Buben bilden kleine Truppen,
es wird gerauft, es wird marschiert,
wenn hurtig zu der Mutter Suppen
auch schon so mancher desertiert.
Die Mädel aber stehn wie Puppen
im Auslagfenster des Bazars
beisamm in bunten Plaudergruppen.
Und wagt ein Kleiner sie zu stuppen
am Zopfbandzipfel ihres Haars,
dann wenden sie sich: Welcher wars?
Und meistens flieht der junge Mars
vor ihrem Zürnen um die Ecke.
Und bei Geplauder und Genecke
verflattert mählich erst der Schwarm. –
Die kleine Anna, blond und arm,
packt jetzt als ob sie was entdecke
die nächste Freundin wie im Schrecke
und weist scheu flüsternd nach der Hecke
und ruft dann etwas. Wie Alarm
fährts in die Schar; der ganze Haufen
zerstiebt. Ein Stoßen und ein Laufen,
ein Wortgewirr, ein Stimmgeschnarr:
»Der Narr. «
»Kinder!«
Und geschwinder
stürzt er herbei.
Ins Geschrei.
»Halt. «
Seine hohe Gestalt
mit dem blassen Gesicht
ist immer dicht
hinter der Flucht.
Er sucht.
Mit den gekrallten
sehnenden Händen,
mit den kalten
Augen, die blenden,
will er sie halten,
will er sie wenden.
Flatternd in Falten
wallt um die Lenden
der Mantel. Die Lode
hemmt ihm die Flucht.
Bleich wie im Tode
steht er und sucht.
Und die Kinder entsetzt
und in Hitze gehetzt
hasten vorbei.
Auch Anna. Und jetzt,
er schaut sie – ein Schrei.
Er bricht durch die Reih
und faßt sie und fetzt
ihr das Kleidchen entzwei:
»Steh!«
Und dem armen Kind ist zum Sterben weh.
Rings schaut es nach Hilfe. Doch schreckenjäh
ist der Schwarm in den Gassen und Gärten zerstoben.
Und bebend hebt sie die Augen nach oben
bang und beklemmt.
Hat er ein Wunder getan?
Sie staunt ihn an:
die Augen des Fremden sind ihr nicht fremd.
Und es überkommt sie ein großes Vertraun.
Ihr ist: als wär sie lang krank gewesen,
hätt müssen zur dumpfigen Decke schaun
und dürfte des lachenden Blicks Genesen
zum Himmel nun heben, zum maitagblaun.
Sie fühlt: er läßt seine Rechte sinken
auf ihren Scheitel und kost ihn still,
und sie hascht wie im Traum nach der fiebernden Linken,
weil sie sie küssen will … .
Doch die Hand entflieht ihr hastig und heiß,
auf die langenden Händchen fällt eine Träne,
und die fremden Lippen fragen sie leis:
»Heißt deine Mutter nicht Magdalene?«
»Ja. «
Und die fremden Lippen fragen so warm:
»Ist sie sehr arm?«
»Ja. «
Und Lippen klingen wie Glockenerz:
»Hat sie viel Schmerz?«
»Ja.
Weil ich sie oft tief in der späten
Nacht noch sitzen und weinen sah. «
»Kannst du auch beten?«
»Ja. «
»Betest du denn auch für deinen Papa?«
»Ja. «
»Tu’s. «
»Aber wo ist mein Papa … . weißt du’s?«
Und da hebt der Fremde das Kind empor.
Seine Stimme ist wie ein Vogelchor
der sich tief in erblühtem Jasmin verlor:
»Sag mir einmal das Wort noch vor!«
»Was?«
»Das.
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