«
»Papa?«
»Ja. «
Und sein Ja ist ein jubelnder Siegessang.
Er küßt dem Kinde die Stirne lang,
er küßt dem Kinde die Augen blank;
sein Kuß ist Liebe, sein Kuß ist Dank.
Und er stellt das Kind wieder leis auf die Steine
und spricht: »Ich kann dir nichts geben, Kleine – «
Ein müdes Lächeln nur wirft er ihm zu;
»Ich bin ja viel ärmer als du … . «
Es war ein Weinen, wie er das sprach.
Und er winkt noch einmal leis mit der Hand
und geht. Er geht durch das heiße Land
wie ein Bettler im schlotternden Lodengewand
und doch wie ein König so stolz und groß.
Und sie haben ihn immer ›der Narr‹ genannt.
Und Anna steht lange, wie traumgebannt
staunt sie ihm nach,
dann stürmt sie nach Hause atemlos. –
Der Mutter Alles zu sagen, sie scheuts.
Doch plötzlich sagt sie beim Schlafengehn:
»Du, Mutter, ich hab einen Mann gesehn,
der war – wie der Mann am Kreuz … . «
… … … … … … … … … … … .
DIE KINDER
Das war
ein Mann inmitten einer Kinderschar.
Schlicht um die Schultern lag ihm der Talar,
und heimathell war ihm das Heilandshaar.
Und wie um einen frühen Frühlingstag
sich, jäherwacht, die Blüten staunend scharen,
so kamen Kinder zu dem Wunderbaren,
den keiner von den Alten nennen mag.
Die Kinder aber kennen ihn schon lang
und drängen in das offne Tor der Arme –
ein blasses betet: Du bist das ›Erbarme‹,
nach dem die Mutter ihre Hände rang.
Und leise flüstert ihm das wangenwarme:
»Nichtwahr, du wohnst im Sonnenuntergang,
dort wo die Berge groß und golden sind.
Dir winkt der Wipfel und dir singt der Wind,
und guten Kindern kommst du in die Träume. «
Da neigen alle sich wie Birkenbäume.
Es neigen sich die Blonden und die Braunen
vor seinem Lächeln, und die Alten staunen.
Und Kinder flüchten sich von allen Seiten
in seinen Segen heim wie in ein Haus,
und lauschen alle. Seine Worte breiten
weit über sie die weißen Flügel aus:
»Hat einmal eins von euch schon nachgedacht,
wie eilig euch die leisen Stunden führen
an jedem Tage und in jeder Nacht
durch tausend Tore und durch tausend Türen.
Noch gehn die Angeln alle leicht und leise
und alle Pforten fallen scheu ins Schloß;
noch bin ich Warner euch und Weggenoß,
doch weit aus meinen Reichen reift die Reise.
Ihr wollt ins Leben, und das bin ich nicht,
ihr müßt ins Dunkel, und ich bin das Licht,
ihr hofft die Freude, ich bin der Verzicht,
ihr sehnt das Glück und – ich bin das Gericht. «
Er schwieg. Von ferne horchten auch die Großen.
Dann seufzte er: »Ihr müßt mich nicht verstoßen,
wenn wir zusammen an den Marken stehn.
Mich mitzunehmen seid ihr dann zu jung;
doch schaut ihr mal zurück von euren Fahrten
vielleicht in einen armen Blumengarten,
vielleicht ins Mutterlächeln einer zarten
versehnten Frau, vielleicht in ein Erwarten:
Ich bin die Kindheit, die Erinnerung.
Gebt mir die Hand, schenkt mir 〈im〉 Weitergehn
noch einen Blick, der schon ins Leben tauchte,
aus dem der neue und noch niegebrauchte
Gott seine Hände euch entgegenhält.
Ihr dürft hinaus. Es wartet eine Welt. «
Sie horchten hastig seinem Verheißen,
ihre Wangen waren so warm:
»Werden wir an den Türen reißen?!«
ruft ein wilder Kleiner im Schwarm.
Und da bettelt er bang: »Du, führe
schnell uns weiter durch Wasser und Wald,
und die große, die letzte Türe
kommt sie dann bald?«
So an dem Glück, das der Meister verkündet,
haben sich hell seine Augen entzündet,
und er blüht in der Sonne auf.
Aber da hebt sich aus horchendem Hauf
einsam ein Kleiner, ihm weht das verworrne
welkende Haar um die Stirne gebläht
wie die zerrissene Zier überm Zorne
eines Helmes weht.
Seine Stimme flattert und fleht:
»Du!« er klammert um seine Knie
bange die armen hungernden Hände –
»Solche Worte vom ewigen Ende
sagtest du nie!
Wenn die anderen undankbaren
weiter wollen zu jagenden Jahren –
ich bin anders, anders wie sie!«
Und er umklammert im Krampfe die Knie. –
Und die Lippen des Lichten erbeben,
und er neigt sich dem Weinenden leise:
»Giebt die Mutter dir Spiel und Speise?«
Da schluchzt ihm der Knab in den Schooß:
»Zum Spielen bin ich zu groß. «
»Bringt sie dir morgens ins Stübchen
deine Brühe warm?«
Da bebt das bangende Bübchen:
»Bin zum Essen zu arm. «
»Küßt sie dir nie die Wange
mit ihrer Liebe rot?«
Da gesteht er: »Lange, lange
ist mir Mutter tot. « …
Und die Lippen des Lichten erbeben
wie Blätter im herbstlichen Hain:
»Oh dann warst du schon draußen im Leben,
und wir können beisammen sein. «
DER MALER
Die alte Standuhr, von dem Zwölfuhrschlagen
noch immer müde, rief das ›Eins‹ so weh,
daß er zusammenzuckte und den Kragen
schnell um der Kleinen Schultern schmiegte: »Geh!«
Sie sah erstaunt ihn an beim Abschiedsagen
und bangte immer wieder mit der zagen
versagten Simme, kinderklug: »Wann seh
ich dich denn wieder?« »Nun – in diesen Tagen,
geh, du bist lästig mit dem vielen Fragen. «
Sie rief und fror und draußen fiel der Schnee. –
Er aber trat zurück ins Atelier
und ging mit stillen Schritten in dem kühlern
vertrauten Raume her und hin.
Das leise Licht, das wie mit feinen Fühlern
ins stumme Dunkel suchte vom Kamin,
erweckte da und dort ein Ding zum Leben,
das seltsam fremd in heimlichem Erheben
sich formte in der kurzen Gunst des Lichts.
In weichem Wechseln wogte Sein und Nichts
rings um den Mann, der sinnenden Gesichts
sich ganz verlor im scheuen Schattentreiben,
bis er, wie hart vor einem Hindernis,
den Fenstervorhang von den Riesenscheiben
fortzerrte, daß die Seide zischend riß.
Und da im Mond – die Dinge durften bleiben –
da blieb auch der, den er im Schatten schon
mit allen Sinnen seines Seins erkannte,
obwohl er nicht das Antlitz zu ihm wandte
und reglos auf die große weitgespannte
Bildleinwand schaute, drauf mit mattem Ton
der Silbermond die Winterlichter streute.
Sie sanken mitten in die Männermeute,
die einen Mann umdrängte und umdräute,
der blaß und ärmer wie die andern war.
Er stand wie ein Verräter in der Schar,
stand wie ein Leugner, den die Liebe reute,
und ohne alle Hoheit war sein Haar.
Und seine Würde war wie ein Talar
von seiner Brust gesunken, und es scheute
ein Kinderschwarm sich vor dem Proletar . .
Auf diesem Bilde jetzt die fremde Lichte
schien ein Geschenk zu sein von dem Gesichte
des Mannes, den der Maler davor fand;
in kalte Kanten krallte er die Hand,
und hingehetzt von hundert Ängsten floh
die Seele ihm mit feigem Flügelbreiten
zu allen Hoffnungen und Heimlichkeiten
und wähnt: sie wird bei einer die bereiten
Fluchtfenster finden in das Nirgendwo.
Doch eh sie noch zurückgefunden, – gleiten
des Bleichen Blicke von dem Bild und leiten
das leise Wort: »Warum malst du mich so ?«
»Bin ich denn so an deinem Bett gesessen,
wenn deine Furcht aus Kinderfiebern schrie,
und in dem Mahnen der Marienmessen –
war das die Miene, die dir Mut verlieh?
Und dann – am Grabe deiner Mutter – wie
entstieg ich da den zitternden Zypressen?
Hast du im Weiterschreiten mich vergessen,
und meine Züge, warum malst du sie?«
Sein Fragen senkte sich so frühlingsstill,
wie eine frühe Blüte sinkt vom Baume
die heil in Halmen harrt, ob tief im Traume
ein lieber Wind sie spielend wählen will, –
allein der Maler, scheu von Scham und Schuld,
zertritt die zarte mit der Ungeduld
des bangen Sklaven. Und sein Haß hält roh
die Faust ihm hin: »Ich sah dich immer so. «
Und da wächst der, der wie ein Büßer stand,
weit auf. Sein Schatten hüllt die ganze Wand,
und seine Stimme schwillt wie eine Flamme:
»So schien ich dir aus diesem Bettlerstamme?
Die zage, blasse Armut war mir Amme,
und drum glaubst du: es ist die Schergenschramme
auf meiner Brust mein einzig Purpurrecht?
Ich trank mir nicht den Adel aus dem Schwamme,
als König kürte ich mir ein Geschlecht,
und erst im Sterben ward ich Knecht.
Da ward ich – Gott. Und nur der niegewußte
Gott könnte groß sein, der nicht folgen mußte
dem ungestümen Ruf der Menge, die
ihn brünstig brauchte. Doch in wahngeblähter
Beharrlichkeit langt früher oder später
der Pöbel alle Götter aus dem Äther,
und in den bangen Blicken ihrer Beter
zerschmelzen sie. «
Es schwand in Schwaden sein weißes Kleid,
es ging keine Pforte.
Aber der Maler hörte noch Worte, –
milde Worte wehten von weit
nicht aus der Zeit:
»… In gleichem Harm und in gleichen Hemden
will ich frierend mit Freunden gehn,
aber vor den Seelenfremden
will ich festlich und fürstlich stehn:
Mal mich im Purpur dieses Blutes,
das wund von Wehen und Wundern war,
und mit der Mitra meines Mutes
hülle mir mein armes Haar.
Und alles Leuchten der Liebe – legs
an den Rand meiner Hände,
daß ich den Himmel ganz verschwende
an alle Kinder – unterwegs … . «
JAHRMARKT
Das war in München beim Oktoberfeste,
da die Theresienwiese voll vom Schrein
und Schwall der Schauer ist. Da bunte Gäste
aus der Provinz der Kunst der Rindermäste
verständnisvoll ein Mundvoll Worte leihn.
Die kleinen Mädchen, flüchtig ihrem Neste,
durchschwirren keck den lauten Tag zu zwein,
und Bursche mit der bunten Lodenweste
und ziere Stadtherrn bengeln hinterdrein.
Dazwischen drängen Wagen und betreßte
urdumme Kutscher, blinzelnde Lakein,
Fuhrleute dann, die ihre längstgenäßte
gepichte Kehle tüchtig spülen. Kein
Verdroßner stört, und allen schiens das Beste,
daß man sich prall und gar so prächtig preßte
durch diese bauernbunten Budenreihn.
Bier gabs und Wein in Strömen allerorten,
und viel Verständge prüften dran; es ließ
die Blume gelten der und der die Borten.
Marktschreier prahlten an den Bretterpforten
und priesen ihre Wunder weit mit Worten,
als wären sie mit Noah und Konsorten
zurückgekehrt ins echte Paradies. –
An kleinern Ständen bot man Trauben, Torten
und Würste aus; geduldige Hühner schmorten
sich einen goldnen Panzer an am Spieß.
Und drüben stand bewehrt ein schwarzer Tell,
ein Wilder, und vergaß das Schreienmüssen
vor lauter Gieren nach den Kokosnüssen.
Da schob ein Zwerg, ein drolliger Gesell,
mit Grinsemiene sich vorüber, schnell
war dort die ganze Menge hingerissen
zur Wellenschaukel und zum Karussell.
Und wo sie eine rote Fahne hissen,
dort reißt auf grellverhangenem Gestell
dummdreiste Witze der Polichinell.
Die große Trommel hat er durchgeschlissen
und trommelt jetzt trotz tausend Hindernissen
mit seinem unverschämten wilden Wissen
dem lieben Publikum das Trommelfell.
Laut lachend ließ gefallen sichs ein jeder.
Auch ich ging ziellos durch das Weggeäder
und blinzte müßig in das volle Licht,
und manchmal fuhr ich wie so mancher Wicht
der Schönen, die just kam, ins Angesicht
mit meiner kühnen, kecken Pfauenfeder.
Und hinterher konnt’ noch ein Silberkichern
von blütenfrischen Lippen mir versichern:
die liebe Kleine grollte nicht.
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